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Hermann Bahr: Katholische Kunst

Da der Katholizismus in unseren Tagen vor allem an innerer, aber allmählich auch schon an äußerer Kraft überall wächst, entsinnt er sich nun, wenn auch vorderhand nur erst insgeheim, langsam wieder der Bedeutung, die gerade in seinen größten Zeiten die Künste für ihn hatten, und er wieder für sie. Es wird ihm bewußt, daß in allen Epochen die Kunst der Gradmesser des Geistes ist. Wer dereinst nach Gehalt, Ausmaß und Gestalt des Katholizismus unserer Zeit fragen wird, wird nicht unterlassen können, sich vor allem bei der katholischen Kunst zu erkundigen. Wir müssen fürchten, daß er ihn, nach seinen künstlerischen Leistungen urteilend, arg unterschätzen wird. Wir haben zurzeit kein Werk eines katholischen Künstlers, das ersten Ranges wäre; die katholischen Werke, die sich diesem Range nähern, sind sich gar nicht bewußt, katholisch zu sein, und ihr Künstler erstaunt, wenn sie katholisch wirken. 

[…]

Jedes Kunstwerk offenbart in der Tat seinen Künstler. Es offenbart sogar mehr von ihm, als er selber von sich weiß. Aus diesem Wunsche des Dichters, des Künstlers, sich wirklich kennenzulernen und mehr über sich selbst zu erfahren […] wird er recht eigentlich zum Dichter, zum Künstler. Sein tägliches Leben aber, seine Begegnungen zur Umgebung, seine Liebschaften, seine Feindschaften, seine Wünsche können davon nichts verraten, weder von ihm selbst noch anderen: Die Wurzeln des Wesens seiner Persönlichkeit liegen weit tiefer, sich lassen sich höchstens zuweilen in Träumen ahnen. Jeder Mensch, gar das unselige Geschöpf, das sich rühmt, ein Kulturmensch zu sein, trägt ein künstliches Gesicht zur Schau, das auch ihn selber täuscht; sein wahres erscheint ihm zuweilen nur im Traum, vor Schreck erwacht er. Die Künstler haben vor den anderen den Segen oder den Fluch voraus, wach zu träumen, so wach, daß sie den Traum von sich ergreifen, festhalten und gestalten können. […] Wer dieses kann, den lehrt ein Kunstwerk seinen Künstler in allen Tiefen und Untiefen seiner Persönlichkeit erkennen, dem wird offenbar, welcher Nation ein Dichter angehört, nach den ersten vierzig Seiten einer halbwegs richtigen, den persönlichen Stil des Originals nicht völlig verleugnenden Übersetzung sogar. Er wird ebenso manche Werke katholisch nennen, ohne erst zu fragen, welcher Konfession ihr Schöpfer angehört, ja er wird sich in diesem Urteil auch durch die Gewissheit, daß sie von einem Protestanten oder Juden stammen, durchaus nicht beirren lassen, sondern einfach erwidern, dieser Dichter oder Maler oder Komponist wisse dann eben nur nicht, daß er katholischen Geistes und auch in seiner inneren Form Katholik ist. Aber auch Gegenbeispiele gibt es, und leider gar nicht selten: es gibt Künstler, die Katholiken sind, zuweilen auch sehr gute Katholiken, in der Ausübung ihrer katholischen Pflichten sehr eifrig, deren Werke dennoch aber durchaus unkatholisch sind. Wir stehen da vor einem Geheimnis, an dessen Deutung sich ein besserer Psychologe wagen mag, als ich bin. […] Ist schon der Künstler selbst dem Wesen seiner eigenen Kunst, ja seiner künstlerischen Persönlichkeit zuweilen so völlig fremd, daß er gar nicht merkt, wie durchaus unkatholisch, ein so guter Katholik er selbst auch sein mag, sein Talent ist, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn dann auch in der Kritik, gar aber unter Laien, eine heillose Konfusion herrscht. Wesentlich unkatholische Werke guter Katholiken gelten für katholisch und bringen dadurch den Geschmack des Katholizismus, ja überhaupt alle katholische Kunst in Verruf, während hinwieder wesentlich katholische Werke, deren Schöpfer aber entweder überhaupt keine Katholiken sind oder Katholiken, die davon nur in ihren Werken, nicht aber in ihrem übrigen Leben Gebrauch machen, von den Katholiken nicht anerkannt werden, von den Feinden des Katholizismus aber, die den katholischen Gehalt solcher Werke wittern, sich auf stillschweigende Verabredung zurückgedrängt sehen. Die Kritik ist durchaus gegen sie: die katholische, weil sie nicht verstehen kann, daß die künstlerische Persönlichkeit zuweilen durchaus nicht mit der alltäglichen übereinstimmt, doch die widerkatholische ganz ebenso, weil sie fürchten muß, daß eines Tages doch durch einen Zufall das katholische Wesen dieser Werke sich auch Laien offenbaren könnte, ein Triumph, den dem Katholizismus zu bereiten sie sich nicht berufen fühlt.

(Nachwort der Schriftleitung: Hermann Bahr denkt sich seinen Aufsatz in besonderer Weise als Anregung zu einer Diskussion. Wir werden deshalb auf das Thema zurückkommen.

[Kursiv herausgehoben durch den Hg.])

In: Schönere Zukunft, 1925, S. 301-302.

Ernst Fischer: Das große Welttheater. Von Hugo Hofmannsthal

In dieser Zeit der Skepsis und der Regie, der entfesselten Technik und der geknebelten Seele, der großen Maschinen und der kleinen Herzen, in dieser Zeit, die wie eine schreckliche Pause zwischen dem zu Ende gespielten Gestern und dem noch wenig erprobten Morgen ist, treten die Gaukler vor die Rampe, die Schlangenbeschwörer der toten Kultur, die wunderlichen Fakire des Geistes, die letzten Artisten der Alten Welt. Sie haben die Kunst der Steinzeit, die Plastik der Neger, die Malerei der Südseevölker, die Geheimlehren der Inder, die Gifte aller Mysterien und den Katholizismus entdeckt. Sie haben alle Gräber geplündert und von den Tafeln der Toten betäubende, erregende, nervenbeklemmende Dinge mitgebracht. Sie füllen die Pause, die schreckliche Pause zwischen gestern und morgen mit ihren grellen und müden Künsten.

            Einer von diesen Gauklern und Schlangenbeschwörern ist Hugo von Hofmannsthal. Er hat uns die zarte und süße Musik empfindlicher Nerven gegeben, er hat mit kühlen, zuckenden Händen Elemente der Renaissance, der Antike, chinesische Märchen und barocke Geschichten, seltsame Anekdoten und katholische Mysterienspiele in leise Krankheit verwandelt und die große Skepsis und Müdigkeit zu sanften Ekstasen verführt. So hat der Meister des kleinen Welttheaters das große Welttheater des Katholizismus zu schattenhaftem Leben erweckt und ein geistliches Schauspiel Calderon de la Barcas, des genialen katholischen Dichters, durch eine ästhetische Injektion vergewaltigt. Reinhardt hat in den Salzburger Festspielen das Stück zur jüdischen und christlichen Sensation gemacht und der internationalen Halbwelt des Geistes und der Finanz zwischen Börse und Fußball die zauberhafte Regie der katholischen Kirche verabreicht.

            Helmut Ebbs, der das Stück in Graz inszenierte, hat die Dichtung, in der Vergangenheit sich wunderlich mit Gegenwart paart, in der die Revolution und der Sozialismus neben dem christlichen Dogma lyrisch über die Bühne geistern, in der neben künstlicher Einfalt allzu kluge Worte vieldeutig aufleuchten, entkatholisiert und Hofmannsthals Flirt mit der Kirche weise gedämpft. Was unter seiner Regie sich formte, war wirkliches, starkes und buntes Theater. Es wurde kein Hochamt zelebriert, es wurde Theater gespielt, es wurde nicht in Katholizismus gemacht, es wurde eine Dichtung in Bild und Gebärde geformt. Nichts erinnerte an eine gotische oder barocke Kirche, in weite, mystische Landschaft öffnete sich die Bühne. Der Gott, der sein Werk, die Schöpfung, vollendet hat und nun, da alle Rollen verteilt und alle Stellen besetzt sind, nicht weiß, wie er sich die Zeit, die tolle Tochter der Ewigkeit, vertreiben soll, war keine körperlose Stimme aus dunklem Gewölbe, sondern ein Greis mit bronzenem Antlitz und strotzenden Muskeln, der christlicher, jüdischer oder heidnischer Konfession sein konnte und sich nicht in dogmatischen Abstraktionen aufgelöst hatte. Seine Musikantin, die „Welt“ der Dichtung, die das Menschenmaterial für die Spiele zu liefern hat, war zur braunen Erde und heidnischen Mutter geworden, die fahl und magisch beglänzt, in einer Höhle kauert und Lieder von Tod und Leben singt (ein Bühnenbild von ungewöhnlicher Schönheit), der Tod selber, der Bühneninspizient des Welttheaters, trat nicht als christliches Knochengerippe auf, sondern als einer „aus des Dionysos, der Venus Sippe,“ wie der junge Hofmannsthal ihn einst, als er noch bei Goethe, Nietzsche und der Antike zu Gaste saß, gestaltet hat. Ebbs spielte den Tod in grauer Seide, rot umblutet von seidenem Bande, mit weichem, lockenden Bariton und seltsamer Anmut der Bewegung.

            Der Bettler, die eigenartigste und modernste Gestalt der Dichtung, wurde von Theodor Grieg dargestellt, der in der leidenschaftlichen, aus edlen Versen auflodernden Anklage gegen die Welt der Könige, der Händler und der Bauern zu wenig metallisch, in der heiteren Resignation und hohen Verklärung des Schlusses aber sehr wirkungsvoll war. Dieser Bettler ist mir behutsamer Überlegenheit du großer Klugheit gestaltet; der Ästhet Hofmannsthal berauscht sich an der erregenden Kraft der Revolution, wie er sich an der Antike oder am Katholizismus berauscht. Aber der Dichter denkt, doch dunkles Menschenschicksal lenkt seine Hand; der Bettler mußte, über die kühle Ruhe dessen hinaus, der ihn schuf, die stärkste Figur in diesem Welttheater werden. Sie alle sind meisterhaft aus der Zeit auf die Bühne gestellt, der Bauer, „ein Laib mit Brot mit zwei Füß“, der Reiche, der die Macht, und der König, der ihren Schein besitzt. aber sie alle sind fest und klar charakterisiert und begrenzt, nur der Bettler flammt über sich selber ins Grenzenlose hinaus. Er hebt das Beil gegen alle und einen Augenblick lang weiß niemand, weiß weder der König auf der Bühne noch das Publikum, der Engel und die Heiligen, ob das noch zur Rolle gehört oder ob das rebellische Improvisation ist. Das Stück, das zur Ehre und zur Lust Gottes aufgeführt wird, ist in Frage gestellt – dann aber geschieht das Wunder, das die Weisheit, die das traditionelle Gewand der Nonne trägt, das Herz des Rebellen erschüttert, weil sie nicht gegen ihn, sondern für alle Kreatur ist. Und die Weisheit schenkt ihm das Beil, da der Bettler sich weigert, ein Werkzeug zu führen, das nicht ihm gehört. Ist es des klugen Dichters Absicht, habe nur ich aus dieser Szene herausgehört, daß die Weisheit dem alten Besitzer den Produktionsapparat nimmt und ihn in die Hände des Proletariers legt, und daß nur so das Unheil und die Gewalt von dieser Welt abgewendet werden? Ist die Dichtung Hofmannsthals mehr als ein Zwischenspiel, grüßt der große Könner die Kommenden oder -?

            Das ist es, was mir an dieser Inszenierung so gut gefiel: daß sie aus dem Scheine der Vergangenheit in das Sein der Gegenwart eine Brücke schlug, daß sie aus dem katholischen Mysterium den menschlichen Mythos schälte. Abgesehen von kleineren Störungen, die schwer zu vermeiden sind (der fatale Sprechchor, die Unzulänglichkeit der weiblichen Stimmen, die dem großen Raum nicht gewachsen sind), war die Aufführung ein Maximum des an unserer Bühne Möglichen, dank der wundervollen Regie, dank den Schauspielern, unter denen außer den schon genannten vor allem Hugelmann als meisterhaft gestalteter Bauer und Kreidemann als vortrefflicher Widersacher auffielen. Allerdings war die optische Wirkung stärker als die akustische, die Sinfonie der Farben bezwingender als die Sinfonie der Worte: so vollendete Bühnenbilder wie den Tanz der Glücklichen, das Lied der Erde, den rhythmisch gelösten Totentanz und die weiße Verklärung des Schlusses haben wir selten gesehen. Das Wort litt manchmal unter den Dimensionen des Opernhauses.

In: Arbeiterwille (Graz) 11.3.1925, S. 3-4.