Hans Ankwicz-Kleehoven : Kunstausstellungen II (1924)
II.[1]
Die 23. Hauptausstellung des Albrecht Dürer-Bundes (Zedlitzhalle) überschreitet nur an wenigen Stellen die übliche, gut bürgerlichem Geschmack angepaßte Mittellinie. Eine dieser Ausnahmen ist die Kollektion des Bildhauers Josef Josephu, dem man das ehrliche Bestreben anmerkt, sich wirklich künstlerische Probleme zu stellen und sie in temperamentvoller Weise zu lösen. Vieles ist ihm dank seinem großen technischen Können gelungen, und es ist darum durchaus berechtigt, daß ihm heuer der Preis der Stadt Wien zuerkannt wurde; häufig aber fehlt seinen Plastiken die große, edle Linie, die man von echten Kunstwerken verlangt, und die auch bei stärkster Leidenschaftlichkeit nicht ganz verloren gehen soll. Seine Skulpturen scheinen alle auf Vorderansicht berechnet zu sein, in Kontur betrachtet, büßen sie viel von ihrer Wirkung ein. Auch der Maler Anton Filkuka beschränkt sich nicht darauf, bloß gefällige Verkaufsware zu liefern wie die meisten andern. Sein Greisenbildnis hat einen Zug ins Große, sein Alter Lungauer mit Urenkel erinnert ein wenig an die farbenfreudigen polnischen Bauernbilder Vlastimil Hofmanns, seine Schneeschmelze und Verschneite Mulde sind prächtige Winterbilder und der pastos gemalte Grüne See in der Tatra zeugt von einer Zunahme an Energie, die wir in seinen früheren Arbeiten oft vermißt haben. Freilich dürfen die kräftigeren Töne, die er jetzt anzuschlagen beginnt, nicht zum Aufgehen aller malerischen Feinheiten führen, die seine Bilder bisher auszeichneten. Gemälde wie die Wiesenkapelle und Partie aus Mauterndorf z.B. sind von einer banalen, grellen Farbigkeit, die keineswegs als Fortschritt zu werten ist. Fritz Lach‘s virtuose Aquarelltechnik bleibt stets auf gleicher Höhe und bietet immer wieder eine rechte Augenweide. Diesmal ist es neben Greiner und Kärntner Motiven namentlich eine Studie aus Torbole am Gardasee, die als Kabinettstück exquisiter Wasserfarbenmalerei gelten kann. Von dem kürzlich verunglückten Rudolf Vodicka ist eine Kollektion von farbigen Zeichnungen und Ölbildern zu sehen, die den vorzeitigen Tod dieses begabten und strebsamen Malers herzlich bedauern lassen, Alexander Scherban vertieft sich nicht ohne Erfolg in die malerischen Reize eines Stahlwerkes, Hans Götzinger und Otto Elsner wissen allerlei Freundliches aus der Wachau zu erzählen, Gustav Feith hat, nicht am wenigsten durch fleißiges Zetsche-Studium, eine so große technische Fertigkeit erlangt, daß er nunmehr auf eigenen Füßen stehend, wie ein Tableau mit Aquarellen zeigt, ganz nette Leistungen zuwegebringt. Lea Reinharts in der Wiedergabe des Stofflichen vortreffliche Stilleben ermangeln zuweilen der räumlichen Tiefe, Gertrude Danner-Dehne hat sich auf dem Gebiete der Hundedarstellungen spezialisiert und liefert in einigen Lithographien sehr ergötzliche Tierporträts. Auch Renate Tetmajer und Flori Scholl zeigen viel Geschick als Graphikerinnen, während uns die Radierungen Richard Lux‚ ziemlich enttäuschen.
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Die Versorgung des Wiener Kunstmarktes mit moderner ausländischer Kunst lag vor dem Kriege durch lange Jahre fast ausschließlich in den Händen der Galerie H. O. Miethke, die durch ihre Ausstellungen in der Dorotheergasse den Wienern die Bekanntschaft mit verschiedenen neuen Kunstrichtungen vermittelte und sich namentlich um die Einbürgerung der nachimpressionistischen französischen Kunst in Wien (Van Gogh, Gauguin u. a.) nicht zu unterschätzende Verdienste erwarb. Nach dem Umsturz war es zunächst der Kunstsalon Würthle (Weihburggasse), der die bei dem Konservativismus der Wiener nicht immer dankbare Aufgabe übernahm, neben modernen einheimischen auch fremde Künstler zu propagieren, und in jüngster Zeit ist ihm in der Neuen Galerie (Grünangergasse) ein nicht minder rühriges Unternehmen an die Seite getreten, das ungefähr die gleichen Ziele verfolgt.
Im Februar konnte man in beiden Galerien Vertreter jener gegenwärtig modernsten Kunstrichtung studieren, die sich selbst als „Konstruktivisten“ zu bezeichnen pflegen. Im Würthleschen Parterrelokal hatte der Ungar Ludwig Kassák seine Versuche auf dem Felde der „Bildarchitektur und Raumkonstruktion“ als „Erste konstruktivistische Ausstellung in Wien“ zusammengefaßt und zum näheren Verständnis seiner Bestrebungen folgende Charakteristik// der dem Konstruktivismus vorangehenden Strömungen im Ausstellungslokal angebracht: „Expressionismus – Kubismus: Befreiung der Farb- und Formelemente vom Assoziationsbereiche der vergangenen Kulturepoche. Abstraktismus – Suprematismus:
Erfassung der befreiten Elemente. Konstruktivismus: Organisation der befreiten Elemente.“ Während ich mich bemühte, die Richtigkeit dieser Thesen, soweit dies überhaupt möglich war, an Kassáks zumeist aus geradlinigen geometrischen Formen und reinen Farben aufgebauten „Konstruktionen“ nachzuprüfen, hörte ich in meiner Nähe die Äußerung, daß Kassáks Arbeiten ausgezeichnet Plakate ergeben würden. Diese Bemerkung, die sich mit meinem eigenen ersten Eindrucke deckte, daß hier eine Begabung am Werke sei, die auf Grund einer mühsam aufgezäumten Theorie doch zu keinen anderen realen Effekten gelange als etwa der an konstruktiven Ideen so produktive Plakatzeichner Julius Klinger, war sicherlich richtig und rührt unwillkürlich an die Frage nach den schließlichen Ergebnissen der „gegenstandslosen Kunst“. Sind wir auch weit davon entfernt, die außerordentlichen Anregungen zu verkennen, die wir in einer Zeit recht geistlos gewordenen Kunstbetriebes gerade den durchaus verstandesmäßig eingestellten radikalen Künstlergruppen verdanken, so müssen wir doch, wollen wir nicht in den törichten Fehler verfallen, sie allein wegen ihrer naturfeindlichen Haltung von vornherein abzulehnen, schon jetzt versuchen, uns über den faktischen künstlerischen Wert ihrer Leistungen ein unbefangenes Urteil zu bilden. Und da sind wir der Ansicht, daß diese „Konstruktivisten“ trotz aller tiefsinnigen und spitzfindigen Dogmatik, der sich die Anhänger der „abstrakten Kunst“ entgegen dem Goetheschen „Bilde, Künstler, rede nicht“, in so reichem Maße befleißen, für uns niemals mehr bereuten können, als ein bloßes Augenerlebnis, beziehungsweise ein interessantes Rechenexempel für den nachwägenden oder nachmesserischen Kunstverstand. Tiefere Wirkungen werden damit kaum zu erzielen sein, denn der Mensch denkt und fühlt nun einmal anthropomorph,
Menschliches läßt sich nur durch Menschliches wecken, mit Dreiecken, Rechtecken und Kreisen, Zylindern, Kuben und Prismen kann man niemand ans Herz greifen. Wohl aber wird uns der Kubismus, Kinetismus, Konstruktivismus und wie all diese jüngsten Richtungen sonst noch heißen mögen, ein neues Form- und Raumgefühl, ein neues Farbenempfinden, vor allem aber eine neue Ornamentik bringen, die dem technischen Charakter unserer Zeit viel näher stehen wird als das bisherige, noch immer von der Antike oder der Renaissance beeinflußte naturalistische Ornamentik. Die Auswirkung dieser sehr wichtigen Errungenschaften wirb sich vorzugsweise dort zeigen, wo es sich nicht um „Gegenständliches“, sondern um formale, dekorative oder um Stimmungswerte handelt, wie im Kunstgewerbe, in der Bühneninszenierung oder in der Architektur. In der eigentlichen „bildenden Kunst“ werden dadurch vielleicht die Darstellungsmittel mancherlei Wandlungen erfahren, am naturgebundenen Inhalt der Malerei und Plastik aber wird wohl nicht viel geändert werden, da ja hier die Ewigkeitswerte nach wie vor den künstlerischen Verkörperungen reinen Menschentums vorbehalten bleiben, die in ihrer unmittelbaren Wirkung aufs Gemüt nicht durch „Konstruktionen“ zu ersetzen sind.
Im Hinblick auf das eben Gesagte haben wir auch die in der Neuen Galerie zur Zeit der „Russischen Kunstwoche“ von der „Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst in Wien“ veranstaltete „Russische Ausstellung“, welche Arbeiten Wassili Kandinskys, E. Lissitzkys, Iwan Punis, Marc Chagalls, Elisabeth Epsteins und des Bildhauers Alexander Archipenko vereinigte, zwar ohne innere Ergriffenheit, aber doch mit angeregtem Interesse gesehen. Während Chagall in seinen Radierungen mit den Dingen seiner Umwelt ein geistreiches Spiel treibt, Archipenko in seinen Plastiken den menschlichen Körper auf eine möglichst einfache Formel zu bringen sucht, Kandinsky in seinen bunten Formphantasien augenblicklich eine Kombination von Picasso und Paul Klee anstrebt, ist Lissitzky Konstruktivist strengster Observanz und arbeitet seine komplizierten technischen Zeichnungen gleichenden Einfälle wie ein Ingenieur fein säuberlich mit Tusche, Lineal und Zirkel am Reißbrette aus. Nach der Flüchtigkeit expressionistischer Graphik muß man über die penible Ausführung dieser „Konstruktionen“ staunen und seine Verwunderung darüber aussprechen, wie rasch heutzutage ein Extrem dem andern folgt.
Gegenwärtig beherbergt die Neue Galerie eine ungemein reichhaltige Sammlung von Ölgemälden und Graphiken des berühmten norwegischen Malers Edvard Munch, dessen grandioser Pessimismus nur in August Strindbergs Werken eine Parallele findet. Wie ein dumpfes Verhängnis, wie ein unentrinnbares Geschick lastet es meist auf seinen Menschen, doch der hinreißende Schwung, der namentlich durch Munchs Lithographien und Holzschnitte geht, wirkt befreiend und erlösend. Es sind zum Teil frühere Arbeiten, die die Neue Galerie zur Ausstellung bringt, aber gerade aus ihnen läßt sich der große Einfluß ermessen, den der große Norweger auf die Entwicklung der modernen, insbesondere der expressionistischen Malerei und Graphik ausgeübt hat.
Kehren wir nochmals zum Kunstsalon Würthle zurück, um auch auf die übrigen Ausstellungen, die dort — ebenso wie in der Neuen Galerie — in etwas allzu kurz bemessenen Fristen stattfanden, einen raschen Blick zu werfen. Den bemerkenswerten Kollektionen der Maler Leopold Gottlieb und Fritz Groß, der mit großem Erfolge als Zeichner debütierte, sowie des begabten Bildhauers Jakob Löw reihte sich jüngst in den Atelierräumen eine Ausstellung französischer Impressionisten an, in der wohl alle signifikanten Namen von Manet bis Matisse zu finden sind, ohne daß sich jedoch die Bedeutung der ausgestellten Werke immer völlig mit dem Rang dieser Namen decken würde. Außer einzelnen Graphiken besitzen bloß eine gute Studie von G. Courbet und eine schöne Landschaft von E. Pissarro wirkliche Qualität, in den meisten anderen Fällen liegt der Wert des Bildes oder der Zeichnung vornehmlich in der Echtheit der Signatur. Dagegen verdiente die im Parterre untergebrachte Kollektivausstellung des Wiener Malers Carry Hauser, der uns hier eine Auswahl seiner letzten Aquarelle, Zeichnungen und Lithographien darbot, allgemeinere Beachtung, weil wir da Zeugen eines erfolgreichen Ringens künstlerischer Vervollkommnung wurden, wie es uns in gleicher Intensität nicht häufig begegnet. Mit eisernem Fleiß, einem scharfen Intellekt und einem ungewöhnlichen zeichnerischen und malerischen Talent begabt, hat sich dieser junge Künstler binnen wenigen Jahren einen ganz eigenartigen Stil zurechtgezimmert, in welchem Lyrik mit Satire, Keuschheit mit Unmoral, Linie mit Form und Farbe in seltsamem Wechsel stehen. Die stark literarische Färbung seiner Kunst befähigt ihn in besonderem Maße zur Illustration, wofür die Ausstellung in einer Anzahl seiner Holzschnittbücher und Lithographienserien hinlängliche Beweise erbrachte. Auf Hauser ist vor einigen Tagen im selben Lokal eine Sammlung vorzüglicher Probedrucke Daumierscher Steinzeichnungen gefolgt, die noch durch einige Zeit der Besichtigung zugänglich sein wird.
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Zum Schlusse noch ein Hinweis auf die Ausstellung „Phantastische Kunst“, mit welcher die Kristallgalerie (Währinger Straße 4) kürzlich in den Kreis der sich von Jahr zu Jahr vermehrenden Wiener Kunstsalons trat. Es war keine üble Idee, die dieser Veranstaltung zugrunde gelegt wurde: aus der Kunst verschiedener Epochen einiges von dem, was die Bezeichnung „phantastisch“ verdient, zu einem wirksamen Ensemble zu vereinigen. Daß diese Ausstellung keine lückenlose sein konnte, ist selbstverständlich, immerhin hätte man aber die zum Teil sehr interessanten und wirklich phantastischen Arbeiten Dagobert Peches, Richard Teschners, Oskar Laskes, Paul Scheurichs, Alfred Kubins, Julius Zimpels, Lotte Pritzels usw. zusammen mit den peruanischen Grabgefäßen, chinesischen Bronzen, persischen Miniaturen und modernen Keramiken zu einer viel einheitlicheren Gesamtwirkung bringen können, als es tatsächlich geschah. Allein für den Mangel einer entsprechenden künstlerischen Aufmachung entschädigt die Fülle reizvoller Einzelobjekte, unter denen wir gerne auch die phantastischen Bilder Franz Waciks und Doktor Franz Sedlaceks gesetzt hätten.
In: Wiener Zeitung, 24.3.1924, S. 1-3.
[1] [Orig. FN]: Siehe „Wiener Zeitung“ Nr. 63 vom 15. März 1924.