Schlagwortarchiv für: KPÖ

Egon E. Kisch m.p.: Eine Erklärung der roten Garde

Das Kommando der Volkswehrabteilung Stiftskaserne ersucht uns um Aufnahme folgender Zeilen: Die Volkswehrabteilung Stiftskaserne (Rote Garde) ist zu der gestrigen Manifestation mit zwei Bataillonen ausgerückt, um bei der Proklamierung der Republik anwesend zu sein und dem Arbeiterzuge Spalier zu stehen. Die beiden Bataillone wurden im Beisein der Staatsräte Domes und Max W i n t e r aus der der Stiftskaserne abgefertigt. Oberleutnant Kisch und Abg. Domes hielten an die Wehrmänner Ansprachen, die von der Mannschaft mit dem Gelöbnis aufgenommen wurden, unter allen Umständen Ruhe und Disziplin zu bewahren und sich auf keine Weise provozieren zu lassen. Die abmarschierenden Abteilungen erhielten w e d e r  M u n i t i o n noch M a sch i n e n g e w e h r e, die Gewehre ergaben bei der Visitierung, daß sie keine Patronen enthielten. Die Kolonne marschierte in Totenstille, auf keine Ovationen reagierend, zum Parlament, wo sie – Front zur Minervasäule – am Straßenbahngeleise Aufstellung nahm. Hier enthielt sich die Volkswehrabteilung gleichfalls jeden Zurufes; auch als die rot-weiß-roten Flaggentücher aufgezogen wurden und als es beim Schwenken von schwarz-rot-goldenen Fahnen zu Zusammenstößen kam, hielten die Rotgardisten stumm und entschlossen Spalier. Wiederholt vorgebrachte Bitten von zwei bis vier Mann, um inoffiziellen Rednern den Weg zu bahnen, wurden rundweg verweigert. Als nach den ersten aus dem Parlament abgegebenen Schüssen [?] Tumultszenen begannen, sammelte der Kommandant die Rote Garde und sie marschierte im geschlossenen Zuge durch die Stadiongasse über die Lastenstraße zur Stiftskaserne, wo man hinter sich die Tore schloß. Zwei Kompagnien, gemischt mit Volkswehrleuten anderer Kasernen, besetzten das Parlament, um sicherzustellen, wer die Schüsse abgegeben habe. Der dieses Halbbataillon kommandierende Oberleutnant Waller und zwei Infanteristen sprachen beim Präsidenten Seitz vor und stellten im Einvernehmen mit ihm die Ordnung auf Rampe und Straße wieder her. Naturgemäß war es in der ungeheuren Verwirrung nicht möglich, daß alle Rotgardisten sich bei der Formierung um ihren Kommandanten zu sammeln vermochten. Es ist daher keineswegs ausgeschlossen, daß sich Soldaten von der Erregung der Massen zu einer selbständigen Handlung oder zum Gebrauch der Feuerwaffe hinreißen ließen. Wenn dies aber – was die den am Abend in der Stiftskaserne aufgenommenen Protokollen n i c h t  sichergestellt werden konnte – geschehen sein soll, so könnte dies bloß entgegen den erhaltenen Weisungen, ohne jeglichen Befehl und ohne Wissen der gewählten Führer geschehen sein.  

In: Fremdenblatt, 13.11.1918, S. 5.

Stein E. K.: Ein Gespenst geht durch Europa…

Ich habe an die Kommunistische Partei Deutschösterreichs folgendes Schreiben gerichtet:

„Angesichts der sonderbaren Haltung gewisser ‚linksradikaler Sozialdemokraten‘ zu den Ereignissen des blutigen Sonntags drängt es mich, Ihnen das Bekenntnis abzulegen:

Das größere Unglück dieses Sonntags war es, daß die Räteregierung nicht ausgerufen werden konnte; für dieses Unglück sind vor der Weltgeschichte jene Führer des Proletariats verantwortlich, welche die Massen Ihrem Unternehmen fernhielten. *)

Vor der Geschichte werden Sie und jene wahrhaft kommunistischen Sozialdemokraten, die mit mir in der Ablehnung der augenblicklichen Ausrufung der Räterepublik eine ungeheure Verfehlung der sozialdemokratischen Führer erblicken, als die besseren, einsichtigeren Vertreter der proletarischen Interessen gelten.

                                                                                                                                                                                 Mit proletarischem Gruß

                                               E.K. Stein


*) Aus dem Aufruf des Kreisarbeiterrats vom 15. Juni: „Die Wiener Arbeiterschaft in ihrer überwältigenden Majorität…wird daher heute den kommunistischen Veranstaltungen fernbleiben. … Bleibt den gewissenlosen Veranstaltungen (sic!) der Kommunisten fern!“

In: Die Wage. Eine Wiener Wochenschrift. Nr. 26, 27.6.1919, S. 609.