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 Klara Mautner: Beim Wäscheflicken

Offen gesagt, habe ich niemals zu jenen Patenthausfrauen gehört, die nach einem einzigen Blick auf ein schadhaftes Taschentuch mit unfehlbarer Sicherheit sagen konnten, ob Stopfwolle 120 oder 116t/s das richtige Heilmittel sei und die beim Einsetzen von Flecken „Fäden zogen“, um die Naht nur ja gerade herauszubringen. Aber wenn mir auch die stürmische Begeisterung fehlte, so war das Flicken in der guten alten Zeit doch auch nicht jene kunstlose Beschäftigung, zu der es jetzt geworden ist.

            Schon die Einleitung zur Arbeit ist niederdrückend. Man stellt beim Bügeln der Wäsche mit stiller Befriedigung fest, daß so ziemlich alle Flecken, die man das vorige Mal eingesetzt hat, wieder zerrissen sind. Es gibt zwar reizende Abwechslung dabei. Bei dem einen Wäschestück ist im Fleck selbst ein mächtiger Riß (kein Wunder, war doch besagter Flecke ein alter Hemdärmel), bei dem anderen befindet sich der mächtige Riß nicht nebenan. Eine gewisse sanfte Prüfung des Herrenhemdes ergibt, daß es noch „fast tadellos“ ist. Wenn ich den Rücken einsetzen, die Brust erneuern und den oberen sowie unteren Teil der Aermel frisch geben werden, wozu dann selbstverständlich eine Kragenleiste gehört, so ist es gar nicht ausgeschlossen, daß mein Mann das Prachtstück zwei Tage tragen kann, ohne daß seine Ellbogen fürwitzig ans Licht drängen oder sein Rücken die nähere Bekanntschaft des Rockfutters macht. Ein Ziel, des Schweißes Edlen wert. Also an die Arbeit. Der Fleckerlbinkel, Schatz jeder Hausfrau, trete in die Arena.

            Der Fleckerlbinkel erscheint. Er ist ein Schatten seiner selbst geworden, mager wie ein Kopfarbeiter, ausgeplündert wie die Wiener Kunstsammlungen. Ich wühle in dem rot-weiß gestreiften Polsterüberzug, der selbst eine wehmütige Erinnerung bedeutet, ist er doch der letzte von dem Dutzend der Ueberzüge fürs „Mädchenbett“. Er hatte elf leuchtende Schwestern – sie sind effektvolle Sommerkleider und ein Pyama geworden. Jetzt sind sie verschwunden wie die Hausgehilfin selbst und nur jene stolze Säule blieb. Der Inhalt des Fleckerlbinkels ist in ähnlichem Verhältnis zusammengeschmolzen. Außer ein paar Resten von Wiener Werkstättenkreton, etlichen bunt geblumten Bändern, einem Stück giftgrünen Satins und einer grün-gelb gestreiften Waschseide sind nur winzige Fleckchen der verschiedensten Kleidungsstücke vorhanden. An größeren Flecken gibt es sonst nur noch ausrangierte Wäschestücke, von denen der eine oder der andere Teil noch verwendbar ist. Man nimmt also aus einem Polsterüberzug ein Stück zum Hemdenflicken oder man setzt vom „Stock“ eines Hemdes einen „Spiegel“ ein. Beides ist ganz gleich aussichtsreich – es hält drei Tage. Und nun gar das Stopfen von Taschentüchern, Geschirrtüchern, die nichts als ein einziger Riß sind und nach Pensionierung schreien wie ein Hofrat mit vierzig Dienstjahren! Man weiß wahrhaftig nicht, wo man anfangen soll zu flicken, zu stopfen, zu bessern, denn eigentlich sollte sich von Rechts wegen der Fleck über das ganze Tuch erstrecken.

            Aber es ist auch ganz gleichgültig, wo man anfängt; aus der nächsten Wäsche kommt das Stück ja doch wieder als Invalide. Um so mehr als der Zwirn, den man jetzt um teures Geld kauft, einfach den Anforderungen der Zeit nicht gewachsen ist und jede zweite Naht aufreißt. Knöpfe, die man sorgsam annäht, hüpfen graziös davon, und zwischen Wäschebändchen und dem Zwirn, der sie festhält, herrscht ein edler Wettstreit: Wer der erste sein soll, den Dienst zu kündigen.

            Das aber macht das Wäscheflicken zu einer so trostlosen Beschäftigung, das läßt jede Arbeit zur Heilung der Wäscheschäden als übelste Zeitverschwendung erscheinen. Denn was hilft’s, daß ich die Löcher in den Socken mit „Strickstopf“ kunstgerecht und mühsam ausbessere. Morgen bringt sie mir mein Mann ja doch mit diesem anklagenden Blick und macht mit den Zehen „Bewegung in freier Luft“. Das ist vielleicht für die Zehen sehr erfreulich, für mich aber nicht, denn es bedeutet, daß die neue, sündhaft teure Stopfwolle auch nur eine schöne Illusion und – Papier ist.

            Und wenn ich so zwischen den Wäscheinvaliden sitze, bald dieses bald jenes unentbehrliche Stück in die Hand nehme, mich aber doch nicht zum Flicken entschließen kann, weil ich die Aussichtslosigkeit des Beginnens erkenne, dann überkommt mich das heiße Verlangen, meine gesamte Wäsche zusammenzupacken und – in den Fleckerlpack zu schieben. Denn dort gehört sie von Rechts wegen hin.

In: Neues Wiener Journal, 27.08.1921, S. 13.

Fritz Rosenfeld: In den Tiefen der Erde V.

  • Franz Jung: „Die Eroberung der Maschinen.“ Malik-Verlag, Berlin.
  • Hermynia Zur Mühlen: „Licht.“ See-Verlag, Konstanz.
  • Concha Espina: „Das Metall der Tote.“ Verlag W. B. Mörlin, Berlin.
  • Hans Kaltneker: „Das Bergwerk.“ Donau-Verlag, Leipzig und Wien.

Franz Jungs unter Bergarbeitern spielender Romans „Die Eroberung der Maschinen“ ist in Stil und Inhalt gleich eigenartig. In kurzen, abgehackten Sätzen wird eine recht unklare Geschichte erzählt, die keine handelnden Einzelpersonen hat. Die Masse ist Trägerin des Geschehens. Eine derartige Gestaltung ließe sich wohl durchführen, wenn die Willensäußerung der agierenden Menge in Bildern gezeigt würde. Durch die ganz unbildhaften trockenen Berichte von Vorgängen wird der Roman aber farblos und eindrucksarm, entfernt sich vom Kunstwerk zur theoretischen Abhandlung. Will ein Dichter seine Gedanken in einem Roman vorbringen, so kann er nicht darüber hinweg, sie in Handlung umzusetzen. Er muß Vorgänge erfinden, die die Einbildungskraft des Lesers anregen, die dieser sich „vor“zustellen vermag. Abstrahiert der Autor aber von jedem vorstellbaren Geschehnis, bringt er nur den sachlichen Extrakt des Ereignisses in der Art einer Zeitungsnotiz: Das und das ist da und dort geschehen, so ergibt sich ein auf gemeinverständliche Basis gestellter theoretisches Buch, das an sich ganz interessant sein mag, aber ein Unding wird, wenn es den Titel „Roman“ beansprucht. Die wenigen Vorgänge, die das innere Geschehen des Romans verdeutlichen sollen, sind aneinandergereihte Belanglosigkeiten, nüchterne Tatsachenfeststellungen. Dichtung ist ganz etwas anders. Auch der Stil des Buches ist, wie der aller Werke Jungs, ungenießbar. Explosive, geballte Sätze, sind als Ausdruck der Hast unseres Erlebens in der Literatur unserer Tage längst heimisch geworden. Aber keine Sprachballung entschuldigt es, daß ein Arbeiter (nicht in Dialektnachahmung, sondern in der Erzählung des Autors), „auf Arbeit“ geht. Neben falschen Telegrammsätzen stehen dann wieder lange, schlecht gebaute, unverständliche Perioden, die das Lesen des Buches zur Qual machen.

            Ohne jedes Sprach- oder Gestaltungsexperiment hat die treffliche Sinclair-Übersetzerin Hermynia Zur Mühlen einen Bergarbeiterroman „Licht“ geschrieben., der (wohl vom Standpunkt des Kommunismus) das Problem der Bewußtseinserweckung des Proletariers behandelt. Mit erstaunlicher dichterischer Kraft führt Hermynia Zur Mühlen ihr Thema durch, belebt sie den Gang der Handlung durch viele Episoden, die oft tiefmenschlich gefühlte, an sich runde Einzelbilder von Proletarierschicksalen bieten. Der Einfluß des großen amerikanischen Schriftstellers, den sie verdeutscht, erweist sich vor allem in dem stark positiven Zug ihres Werkes. Sinclair war ja einer der ersten, die mit dem sozialen Roman älteren Schlages, bei dem der Aufruhr stets mit der blanken Waffe niedergeworfen wird, aufräumten und in der richtigen Erkenntnis, daß es zweideutig ist, die Sieghaftigkeit der Die durch physische Gewalt scheinbar abzuschwächen, den zuversichtlichen Ausgang an Stelle der Niederlage zu setzen. Die Dichterin bringt wohl (das bedingt die Wahl des Themas) inhaltlich nichts Neues, aber sie formt den bekannten Stoff in schlichter, markiger Sprache.

            In eine uns neue, mit Naturwundern gesegnete, aber von der Profitgier der besitzenden Klasse zur Hölle gewandelte Welt führt uns die spanische Dichterin Concha Espina in ihrem Roman „Das Metall der Toten“. Die Handlung des Werkes verbindet erfundene Liebesverwicklungen und Eifersuchtstragödien mit historischen Geschehnissen. Diese sind: Ursachen, Entstehung und Verlauf einer Erhebung gegen die Ausbeutergesellschaft. Der groß angelegte Streik führt zwar nicht zum Sieg, endet aber mit der Auswanderung der Bergsklaven, die es vorziehen, in der Fremde ihr Bort zu verdienen, als in der Heimat für fremde Herren (die Kupferminen von Riotinto in Südspanien, die der Schauplatz des Romans sind, gehören englischen und deutschen Gesellschaften) zu roboten. Die gewaltige Summe aus erdichteten und tatsächlichen Begebenheiten ist aber letzten Endes nur der Anlaß zur Entfaltung eines Stils, der durch die gewiß nicht unbedeutenden Hemmungen der Übersetzung hindurch seine Eigenart und seinen Reiz bewahrt. Als Ganzes genommen trägt das Werk wohl alles an sich, was Dichtung geben kann: Beschreibung, Handlung, Menschenzeichnung, Problemgestaltung. Die knappen, gehaltreichen Schilderungen des Landes erinnern zuweilen an Martin Andersen Nexös „Sonnentage“, haben aber vor der Reisebeschreibung des dänischen Arbeiterdichters von Vorzug voraus, daß eine Einheimische hier spricht, die nicht nur das äußere Bild, sondern vor allem die Seele des Landes sieht. Und diese Milieuzeichnung ist für uns von größter Wichtigkeit, weil wir nur von ihr aus so manchen Charakterzug der Personen, so manches Geschehnis verstehen können. Der Stolz, eine Eigenschaft, die für das spanische Volk längst sprichwörtlich geworden, ist eine günstige Grundlage für die Ausbreitung der revolutionären Befreiungsideen, das südländische Temperament aber treibt gleichzeitig zum Extrem, zum unbedachten Drauflosschlagen, zur Gewalt, führt den spanischen Proletarier leicht ins kommunistische Lager. Von der radikalen Seite sind die Vorgänge gesehen und geschildert. Seitenhiebe auf die Sozialisten finden hier ihre Begründung. Neben dieser Neigung zum brutalen Radikalismus läuft eine religiöse Inbrunst und Hingabe, ein uns ganz fremder Fanatismus, der seine Ursachen in der jahrhundertelangen Pfaffenherrschaft hat, der aber den Arbeiter nicht im mindesten von seiner revolutionär-klassenbewußten Gesinnung abhält. Kommunistische Überzeugung und religiöser Fanatismus gehen hier Hand in Hand. Die Schilderung dieser durchaus wahren, wirklichkeitsgetreu gesehenen Verhältnisse erfordert eingehende, aufmerksame Lektüre. Zu diesen interessanten Charakterzügen, die das ganze Volk betreffen, kommt die Lebendigkeit der vorgeführten Einzelmenschen, deren Gestaltung durch und durch auf das Seelische eingestellt ist. Leidenschaften flammen auf, Versuchungen werden überwunden, die Eifersucht reißt zu Verbrechen hin, Menschenherzen verbluten. Hunger und Liebe, die beiden Urkräfte allen menschlichen Handelns, bestimmen Gefühl und Tat dieser unverbrauchten, unvergifteten Elementarmenschen, die mir ihrem fieberhaften Wechsel von Glücksekstase und Verzweiflung, Liebe und Haß, Begeisterung und Ernüchterung, zähe Vorkämpfer im Ringen um ihr Menschenrecht werden, wenn das Saatkorn der Aufklärung in ihre Seele gelangt ist. Als Hintergrund der Vorgänge entrollen sich Bilder von schauriger Farbenpracht, wird eine Landschaft gezeigt, die in ihrem romantischen Zauber, ihrer unirdischen Schönheit dem Wesen der Menschen, die sie bewohnen, entspricht.

            Ein Drama „Das Bergwerk“ des jüngst verstorbenen Wieners Hans Kaltneker, das anläßlich der tausendsten Wiener Arbeitervorstellung aufgeführt wurde, läßt sich in seinen Motiven auf mannigfache Vorbilder zurückverfolgen. Es ist nicht anzunehmen, daß der Dichter die lange Reihe von Bergarbeiterromanen, die wir hier durchbesprochen haben, kannte. Die frapante Ähnlichkeit mit Jansons „Im Dunkel“, Sinclairs „König Kohle“ und della Grazies „Schlagende Wetter“ erklärt sich aus der geringen Zahl von Möglichkeiten, die der Bergarbeiterberuf dem gestaltenden Künstler bietet. Wenn es sich um ein Drama handelt, engt sich der Kreis der Situationen von selbst auf die wenigen dramatisch brauchbaren ein: die Frauen harren beim Schachteingang verzweifelt der verschütteten Männer und fordern Öffnung der Grube. Oder: die eingeschlossenen Arbeiter werden vor Hunger zum Tier, schänden im Ansturm des Selbsterhaltungstriebes ihr Menschentum. Der Grundgedanke dieses Dramas klingt an Tollers „Masse Mensch“ an. Das Individuum entfesselt den Aufruhr und schreckt dann vor der Tat zurück, wird als Hindernis empfunden und deshalb beseitigt. Der heiße Atem tiefer Menschlichkeit, der uns aus dem Werk entgegenschlägt, verscheucht jedoch die Erinnerungen an formale und inhaltliche Vorbilder. Ein Dichter, den der Tod nur allzufrüh dahinraffte, hat eine Dichtung geschaffen, die als Drama viele technische Fehler aufweist, aber des ehrlichen und kraftvoll begeisterten Willens halber, der in ihr ist, nicht vergessen werden darf.

In: Bildungsarbeit, Nr. 7/8, 1922, S. 66-67.