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An das Proletariat Ungarns!

Genossen und Genossinnen!

Zur Sitzung des Reichsvollzugsausschusses der Arbeiterräte Deutschösterreichs versammelt, erreicht uns euer Aufruf: An alle!

Ihr habt die Staatsgewalt in eure Hand genommen, dem Imperialismus der Entente  die Unerschrockenheit und Kampfbegeisterung des geeinigten ungarischen Proletariats  entgegengestellt. Mit euch sind wir der Meinung, daß heute, nach dem Zusammenbruch des deutschen und österreichisch-ungarischen Imperialismus, der Hauptfeind der imperialistische Sieger ist [fett = gesperrt gedr. im Orig]. Die Konferenz der Sieger in Paris soll, wenn sie ganze Völker vergewaltigen und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen beugen will, auf den entschlossenen Widerstand der Arbeiter stoßen.

Ihr an uns den Ruf gerichtet, eurem Beispiel zu folgen. Wir täten es vom Herzen gern, aber zur Stunde können wir das leider nicht. In unserem Lande sind keine Lebensmittel mehr. Selbst unsere karge Brotversorgung beruht nur auf den Lebensmittelzügen, die die Entente uns schickt. Wenn wir heute eurem Rate folgen würden, dann würde uns der Entente-Kapitalismus mit grausamer Unerbittlichkeit die letzte Zufuhr abschneiden, uns der Hungerkatastrophe preisgeben. Wir sind überzeugt davon, daß die russische Räterepublik nichts unversucht lassen würde, uns zu helfen. Aber ehe sie uns helfen könnte, wären wir verhungert. Wir sind daher in einer noch wesentlich schwierigeren Lage als ihr. Unsere Abhängigkeit von der Entente ist eine vollständige.

Wohl aber ist es unsere heilige Pflicht, für alle Fälle gerüstet zu sein. Darum hat die Reichskonferenz unserer Arbeiterräte von drei Wochen den Ausbau der Räteorganisation beschlossen. Wir haben an das arbeitende Volk den Appell gerichtet, überall Arbeiterräte einzusetzen, die Gründung von Bauernräten zu fördern sowie Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte mit den bestehenden bewährten Organisationen zusammenzufassen, um alles vorzubereiten, was die Stunde gebietet.

Neuerdings ergeht der Ruf an die Arbeiter aller Orte, die Räteorganisation schleunigst auszubauen. Wir haben auch bereits gefordert, daß der in den Beschlüssen der Reichskonferenz vorgesehene Zentralrat in den nächsten Tagen zusammentrete.

All unsere Wünsche sind bei euch. Mit heißem Herzen verfolgen wir die Ereignisse und hoffen, daß die Sache des Sozialismus siegen wird. Kampbereit stehen auch wir, gewillt zu erfüllen, was die geschichtliche Notwendigkeit fordern wird.

Es lebe die internationale Arbeitersolidarität!

Es lebe der Sozialismus!

Für den Reichsvollzugsausschuß der Arbeiterräte

                                Deutschösterreichs:

Josef Benisch,                                                Friedrich Adler,

Schriftführer                                                  Vorsitzender

In: Arbeiter-Zeitung, 23.3.1919, S. 1.

Stein E. K.: Ein Gespenst geht durch Europa…

Ich habe an die Kommunistische Partei Deutschösterreichs folgendes Schreiben gerichtet:

„Angesichts der sonderbaren Haltung gewisser ‚linksradikaler Sozialdemokraten‘ zu den Ereignissen des blutigen Sonntags drängt es mich, Ihnen das Bekenntnis abzulegen:

Das größere Unglück dieses Sonntags war es, daß die Räteregierung nicht ausgerufen werden konnte; für dieses Unglück sind vor der Weltgeschichte jene Führer des Proletariats verantwortlich, welche die Massen Ihrem Unternehmen fernhielten. *)

Vor der Geschichte werden Sie und jene wahrhaft kommunistischen Sozialdemokraten, die mit mir in der Ablehnung der augenblicklichen Ausrufung der Räterepublik eine ungeheure Verfehlung der sozialdemokratischen Führer erblicken, als die besseren, einsichtigeren Vertreter der proletarischen Interessen gelten.

                                                                                                                                                                                 Mit proletarischem Gruß

                                               E.K. Stein


*) Aus dem Aufruf des Kreisarbeiterrats vom 15. Juni: „Die Wiener Arbeiterschaft in ihrer überwältigenden Majorität…wird daher heute den kommunistischen Veranstaltungen fernbleiben. … Bleibt den gewissenlosen Veranstaltungen (sic!) der Kommunisten fern!“

In: Die Wage. Eine Wiener Wochenschrift. Nr. 26, 27.6.1919, S. 609.