Max Ermers: Das Licht ruft.
[Max] Ermers: Das Licht ruft. (1924)
Zur heutigen Uraufführung im Josefstädter Theater.
Man sollte eigentlich nachdenklich, vielleicht sogar bedenklich werden, wenn man vom Arbeitsraum dieser großen Tänzerin in das rauschende Leben einer Stadt hinabsteigt. Man hat temperamentvolle Worte gehört, Kostüme gesehen und ein Paar ausdrucksvolle Bewegungen. Und eine lange und schöne Geschichte, deren Poetin die Bauroff ist, gehört, die ununterbrochen den Gedanken aufblitzen läßt: hier wird Ethik getanzt. Die Bauroff ahnt natürlich diesen Gedankenblitz und wehrt sich. Welcher moderne Mensch, de dato 1924, sollte den Vorwurf auf sich sitzen lassen, Ethik zu tanzen, nota bene wenn er mit einem so überschlank-schönen, praxitelischen Körper gesegnet ist und mit einer überfülle starker, ungedanklicher Gefühle, die ununterbrochen ans Licht der Muskeln und Epidermis ringen.
Das Licht ruft. Kein beliebiges Licht: Teil des Teils, der sich die Welt gebar. Die Welt der Seelen. Die Welt der Göttlichkeit, die Welt des Edlen, die Welt der höheren Sphäre.
Jenes Licht, das die Gemeinheit der Zeit und der Ewigkeit in den Abgrund des Dunkels schmettert. Hymnus an das befreiende, beseeligende, gute Licht… will die Ouvertüre sagen; nicht sagen: tanzen. Dann trifft sieben Menschen der Strahl des Lichts. Sieben Menschen hintereinander. Sieben Typen. Sieben Bilder.
„Sammelt nicht Schätze auf der Erde.“ Diesen Erd- und Sachgierigen, der beinah‘ schon ein Geizhals ist, trifft das Licht. Er hört sein Rufen und er möchte folgen, denn es ist ein Schatz über allen Schätzen. Auf die irdischen Schätze aber will und kann er dabei nicht verzichten. Man kann nicht dem Licht dienen und der Materie der Erde zugleich. So wendet sich das Licht von ihm.
Das Geschlecht der Nacht, der Lüge und der Niedertracht ist es, dem sich das Licht dann zuwendet, um es — zumindest vorübergehend — zu zerbrechen.
„So ihr nicht werdet wie die Kinder…“ heißt das dritte Bild. Hier ist nicht Sehnsucht nach dem Licht und nicht Verneinung. Nicht Kampf und nicht Konflikt. Das Kind lebt einfach im Licht, natürlich, selbstverständlich, unbefangen. Licht ist seine Daseinsatmosphäre.
Paria. Der ganz Verelendete. Keiner hätte so wie er das Licht gebraucht, keiner seinen wärmenden Strahl so ersehnt. Es kommt zu spät. Ihm kann nicht mehr geholfen werden.
„Es geht leichter ein Kamel…“ Ein goldener Fettwanst stampft auf die BühneGegründet 1924 durch den umstrittenen Zeitungsunternehmer Emmerich Bekessy, erschien die Zs. ab 6.11.1924 als Wochenzei....
Halb Metzger, halb Mammon. „Überall ist das Kapital bluttriefend auf die Welt gekommen“
meint einmal Karl Marx. Man riecht das Blut der Zerstampften. Auch ihn ruft der Strahl. Der Goldene droht und hebt die Faust… und fällt als Opfer seines goldenen Machtwahns.
Närrische Weisheit. Einer der aus Weisheit seine Narretei nicht aufgibt. Diogenes im Faß. Der Bohemien in der Dachstube. Er zittert, wenn es für ihn irgendwo aufleuchtet und schämt sich seines sentimentalen Zitterns. Er ahnt und folgt ins Licht… in seinem dunklen Drange.
Selige Sehnsucht. Einer, der sein ganzes Leben aufs Licht gewartet hat; kämpfend gewartet hat aufs Licht und nur aufs Licht. Bis er schließlich selbst Licht wird.
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Was Claire Bauroffgeb. als Klara Amanda Anna Baur am 26.2.1895 in Weißenhorn (D) – gest. am 7.2.1984 in Bayern; Tänzerin, Tanzcho... geben will, ist hier in rohen Worten angedeutet. Eigentlich nur der Rahmen, innerhalb dessen die Tänzerin Visionen in sich erlebt und Verwirklichungen. Kaum irgend etwas vom Alltag wird in diese sieben Visionen Hereinplatzen. Verdichtungen aus tausend Erlebnissen an diesen Typen der Menschheit — sie ließen sich vermehren — werden in der Künstlerin gefühlsmäßig Gewalt ergreifen, im Taumel der Glieder sich spannen und lösen. Nirgends aber Theorie, nirgends Symbol, nirgends Allegorie. Daneben, vorher, nachher, darüber läuft die Musik Franz Salmhofers, keine Begleitung der Gefühle, eher eine Transfiguration über Urtiefen. Mehr dem Publikum zugedacht, als der Bauroff.
„Es ist aber doch getanzte Ethik,“ sagt mir der hartnäckige Jüngling, mit dem ich die Stufen vom Atelier beim Weggehen herunterschreite.
Mag sein; wir wollen das „Licht“ der Bauroff abwarten. Vielleicht wird sie uns lehren, daß man auch Ethik tanzen darf, wenn man es kann.