Oskar M. Fontana: Der Fall Ferdinand Bruckner
Oskar M. Fontana: Der Fall Ferdinand Bruckner (1928)
Gleichgültig, ob die Literatur-Schupo Ferdinand Brucknereigentlich Theodor Tagger, geb. am 26.8.1891 in Sofia - gest. am 5.12.1958 in Berlin/West; Schriftsteller, Dramatiker, K... bereits gestellt und zur Strecke gebracht hat oder ob er noch einmal flüchten konnte —: der Fall Ferdinand Bruckner ist die größte Blamage des deutschen Kunstlebens. Weil er zeigt, daß die Neugier: „Wer ist Ferdinand Bruckner?“ stärker ist als die Frage nach seinem Werk. Man ist den betriebsamen, allzu sichtbaren Autor schon so gewohnt, daß man einen Dramatiker, der ein Element des Dichterischen: die Anonymität aufsucht, nicht vertragen kann, daß ihn aus seinem Dunkel aufzuscheuchen, alle Kräfte der Kunstreportage aufgeboten werden, daß sich an seine Erscheinung alle Reklamegierigen in Berlin und Wien heften, um nur noch eine Zeile des Druckerschwärze-Ruhms zu profitieren. Ein widerlicher Anblick. Er enthüllt wie nichts die Wichtigkeit des Marktes im heutigen Literaturbetrieb, er enthüllt, daß die Tat ganz nebensächlich ist, daß nur der Lärm entscheidet. Man will sehen und greifen, man will nicht ergriffen werden. Man kann einen Dichter nur noch als einen bürgerlichen Verdiener verstehen.
Nach dem Sinn seiner Sendung, nach der Qual seines Suchens, nach dem Glück seiner Annäherung an erkennende Gestaltung fragt niemand.
Ferdinand Bruckner ist vielleicht kein weltfremder Mensch, er ist — was sehr möglich scheint — einer, der gerade die Auffälligkeit der Unauffälligkeit, der Unsichtbarkeit als Reklamewert einkalkuliert hat. Aber wie hätte er nicht an dem Wert des selbstlosen Werkes irre werden, wie hätte er nicht das Spiel mit der Person als nutzbar lernen sollen! Seine Krankheit der Jugend lag jahrelang in den Theaterkanzleien. Kein, Verlag, der zugrunde ging, weil er jeder Beziehung, jeder Konjunktur gehorchte, vertrieb wohl Bruckner und sein Drama. Aber er druckte es nicht. Denn wer war Ferdinand Bruckner? Keine Clique reklamierte ihn. Dennoch spielten ihn ein paar Theater. Der Erfolg war beträchtlich. Aber weder reagierte darauf Berlin noch die Literatur.
Der Zufall einer Lücke im Repertoire brachte die Krankheit der Jugend endlich zu Hartung ans Renaissancetheater. Aber was als Verlegenheit für ein paar Tage gedacht war, wird ein ungeheurer Erfolg. Und sofort beginnt die Jagd der Verleger, der Theater nach Ferdinand Bruckner. Ihn, den zuvor niemand druckte, niemand in Berlin riskierte, bringt nun der größte deutsche Verlag, führt nun das repräsentativste Theater Deutschlands auf. S. Fischer und Max Reinhardtgeb. am 9.9.1873 in Baden/Niederösterreich – gest. am 30.10.1943 in New York (bis 1904 Namensschreibung: Max Goldmann... beginnen, Hand in Hand, zu „fördern“. Und ebenso augenblicklich will alles, muß alles wissen, was das Unwichtigste auf der Weilt ist: „Wer ist Ferdinand Bruckner?“
Es ist ganz in Ordnung, es gehört zu dieser Groteske eines Betriebs, dem das Werk selbst immer Nebensache war und ist, daß das neue vielbegehrte Schauspiel Ferdinand Brückners Die Verbrecher weit schwächer ist als das erste, so lange unbeachtet gebliebene Drama Krankheit der Jugend. Eine große Begabung sucht sich noch. Wer hilft ihr dabei? Das Geschrei geht nur darum: „Wer ist der Kerl, wer ist Ferdinand Bruckner?“ Handgranaten gegen sein Versteck! Er muß sich zeigen!