Europäischer Kulturbund

Der E.K. (1924-1934), zu dessen Mitgliedern u.a. die Schriftsteller H.v. Hofmannstahl, Th. Mann, P. Valéry u. Gonzague de Reynold, der Architekt Le Corbusier, der Heidelberger Sozial- und Staatswissenschaftler A. Weber sowie der dt. Maler M. Beckmann zählten, war – wie z.B. auch das „Deutsch-Französische Studienkomitee“ (1926-38) – eines der um transnationale (insb. dt.-franz.) Beziehungen bemühten Netzwerke von Intellektuellen, Publizisten, Wissenschaftlern, Kunst-/Kulturschaffenden u. Vertretern aus Wirtschaft und Politik, die sich vor dem Hintergrund der gesamteurop. Krisensituation um 1922/23 (Staatsbankrott in Österr., ungar. u. dt. Inflation, Ruhrlandbesetzung) u. nachfolgender polit. Verständigungsoffensiven (Londoner Reparationskonferenz, Locarno-Ära) entwickelten.

Keimzelle des E.K. war der 1922 in Wien v. K.A. Rohan gegründete Kulturbund, der auf Betreiben Rohans zu einer europ. Vereinigung ausgestaltet wurde: 1923/24 Gründung v. franz., portugies., span. Gruppen. Nov. 1924: Installierung der Féderation Internationale des Unions Intellectuelles in Paris als Dachverband des „Europäischen Kulturbundes“. 1925: Einrichtung einer ital. Sektion (Mailand), 1926 einer dt. Sektion (nach Eintritt Deutschlands in den Völkerbund).

Intention des E.K. war laut der 1924 ratifizierten Satzung des Internationalen Verbandes für kulturelle Zusammenarbeit, „[u]nter Ausschaltung aller Fragen der Nationalität, der Partei, der Konfession, der Klasse oder der Rasse“ die „Besten aller Länder auf geistigem Gebiet zu sammeln und besonders den Gedankenaustausch, die persönlichen Beziehungen usw. zu fördern, um eine günstige Atmosphäre für die Verständigung der Völker zu schaffen“ (zit. bei: Müller), v.a. durch Vortragsabende, die 1925 gegr. Europäische Revue als Organ des E.K. und insb. die Jahreskongresse, auf denen Referenten aus versch. Nationen gem. über ein Thema diskutierten: in Wien 1926 ü. Die Rolle des geistigen Menschen beim Aufbau Europas, in Heidelberg u. Frankfurt 1927 ü. Die Rolle der Geschichte im Bewußtsein der Völker, in Prag 1928 ü. Elemente der modernen Zivilisation, in Barcelona (im Rahmen d. Weltausstellung 1929) ü. Kultur als soziales Problem.

Obschon der Verständigungswille bei der Gründung Pate stand, scheiterte der E.K. bei der Etablierung eines konstruktiven Dialogs über polit. Ideen und Europavorstellungen aufgrund der tats. ideolog. Positionierung, sodass aus der Retrospektive v.a. der Beitrag des E.K.  „zur Vorbereitung der ‚konservativen Revolution‘ und seine Affinität zum italienischen Faschismus und deutschen Nationalsozialismus [ins Auge springen]“ (Schulz). Die diffuse „europäische Orientierung“ – in dezidierter Abgrenzung zu Richard Coudenhove-Kalergi und dessen Vision von „Paneuropa“, das Rohan als künstlich konstruierten Überstaat, der die Nation als politisch relevanten Faktor aufheben wolle, kritisierte – und den proklamierten Meinungspluralismus diskreditierte die maßgebend von Rohan bestimmte Zielrichtung: Rohan war an der Schaffung einer neuen „Geistesaristokratie“ von Eliten aus Kultur, Wirtschaft u. Aristokratie gelegen, woran sich antiliberalistische Sentiments, die Ablehnung d. Demokratie nach westl. Vorbild („Massenzeitalter“) und Bindungen an den ital. Faschismus anlagerten. Mit Billigung Rohans veranstaltete die ital. Regierung 1932 etwa in Rom die sogenannte „Volta-Tagung“ in der Tradition der Kulturbundjahreskongresse, an der u.a. auch H. Göring u. A. Rosenberg teilnahmen und auf der die Frontstellung gegen das Europa-Memorandum des franz. Außenministers Aristide Briands u. gegen die parlamentarisch-demokrat. Staaten deutlich wurde.

Mit dem Jahr 1934, als im Rahmen des letzten Kulturbundkongresses in Budapest (Thema: Europa zwischen Tradition und Revolution) u.a. der Leipziger Soziologe Hans Freyer, ein Proponent der „Revolution von rechts“, referierte, endete die Arbeit des E.K. allmählich: Den aristokrat.-kath., österr. Hintergrund der Zentralfigur Rohan, allgemeiner den insg. bürgerl. bzw. neoaristokrat. Habitus (eines „Intellektuellenzirkels“) als dem NS-Regime Zuwiderlaufendes führt G. Müller als Gründe dafür ins Treffen.


Quellen und Dokumente

Hugo v. Hofmannsthal: Europäische Revue. (Eine Monatsschrift, herausgegeben von Karl Anton Rohan.) In: Neue Freie Presse (25.9.1926), S. 1-3.

Erwin Rieger: Der Kulturbundkongreß in Prag. Ein paar Randbemerkungen. In: Neue Freie Presse (8.10.1928), S. 6.

Literatur

Guido Müller: Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. Das Deutsch-Französische Studienkomitee und der Europäische Kulturbund (= Studien zur Internationalen Geschichte). München: Oldenbourg 2005. – Matthias Schulz: Der Europäische Kulturbund (2010-12-03), i.d.R. EGO | Europäische Geschichte Online, hg. v. Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) in Mainz (Online verfügbar) (Stand: Okt. 2015). – Murray Hall: Wiener Literarische Anstalt. (Online verfügbar) (Stand: Nov. 2015).0

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