Paul Busson: Gugu – Dada! (1919)

Paul Busson: Gugu – Dada!

Diese Anthologie (Anthologie Dada) ist nicht nur deshalb sehr interessant, weil Künstler aus aller Herren Ländern mitarbeiten, sondern auch, weil hier zum erstenmal der Versuch gemacht wird, den Dadaismus verstandesmäßig näherzubringen. (Mitteilung des Mouvement Dada, Zürich, Seehof.)

Nein, Spaß beiseite, ich habe zuerst geglaubt, daß es sich bei dem munter gefärbten Heft, das auf meinen Schreibtisch flatterte, um eine neue Zeitschrift für eben Entwöhnte, höchstens etwa Zweijährige handle, und nur deshalb ist mir der obenstehende Titel, dessen Lautfolge mir aus eigenen frühesten Jugendtagen noch dunkel erinnerlich ist, sozusagen ausgerutscht. Erst später habe ich wahrgenommen, daß hier offenbar ernstgemeinte Versuche von ihrer Bedeutung durchdrungener leider noch nicht ganz verstandener Künstler niedergelegt sind, die auf eine würdige und nachdenkliche Besprechung Anspruch erheben.

Zu meiner tiefen Beschämung ist es mir nicht gelungen, dem „Mouvement Dada“ standesmäßig nahe zu kommen. Da ich aber gleichwohl meine Pflicht erfüllen muß, diese Ergebnisse einer völligen Umwälzung in der Dichtkunst und Kunst überhaupt dem großen Leserkreis nahe zu bringen, habe ich mich in meiner Hilflosigkeit und in dem durchbohrenden Gefühl, einer nunmehr völlig veralteten Geschmacksrichtung anzugehören, entschließen müssen, das mir nicht mehr zustehende Urteil dem Leser selbst zu überlassen, ohne ihn durch meine sicherlich verständnislosen Randbemerkungen im Genuß zu stören.

Von der Wiedergabe der zahlreichen französischen Gedichte enthebe ich mich feierlich. Erstens gehöre ich zu jenen barbarischen und beschränkten Naturen, die für die gegenwärtigen Kunstäußerungen französisch eingestellter „Mentalitäten“ aber auch schon nicht das Geringste übrig haben, zweitens verfüge ich mit meinen Wald- und Wiesenkenntnissen der Sprache Clemenceaus nicht über die nötige Beherrschung des „Argots“ der Dadaisten. Es könnte mir geschehen, daß ich in aller Unschuld ein französisches Dada-Gedicht niederschreibe, dessen Inhalt dem jener deutschen Dada-Gedichte entspricht, die ich aus kleinlichen, gewiß für Dadaisten sehr lächerlichen Gründen einer — mein Gott, halt anerzogenen – Anständigkeit unterschlagen muß. Ich will es nur unternehmen, aus den auf blauem, weißem, rotem, orangefarbenem Papier gedruckten Schätzen ausgewählte Proben in deutscher (?) Sprache mitzuteilen, die ich – wie gesagt — dem Urteil des, wie man einst sagte, günstigen Lesers überlasse.

Das Heft trägt den rotgedruckten Kopf: „Dada 4-5.“ Das Titelbild ist eine Sammlung von Uhrenrädern und Strichen, die in losem Verhältnis zueinander stehen, und heißt: „Reveil matin.“ Der Künstler zeichnet sich: Francis Picabia und leitet die französische Sammlung ein.

Als erster unter den deutschredenden Dadas erscheint Walter Serner, von dem in allernächster Zeit ein Blatt mit dem eigenartigen Titel „Das Hirngeschwür“ erscheinen soll. Wenigstens ist diese Zeitschrift in der Anthologie als bevorstehend angekündigt. Ihre Luxusausgabe kostet 20 Franken. Hier der Anfang seines Gedichts:

Bestes Pflaster auch Roter Segen.

Bodenbepurzelndes Geschirr:

gar zu süß soffen Ninallas Lippen Pommery grenofirst.

Minkow, ein ganz ein Russischer, deroutiert nebengeleisig.

Vorüberflappernder Handteller: benützter Busen bläht blondes.

Pauschal Schal.

Schluck Wein (Länge: 63 centimetres) in rotverbesserte Nüstern gespieen.

Queen!!!

Ein andrer, Ferdinand Hardekopf, schließt ein längeres Gedicht mit der Strophe:

Hohe Hirnkraft wallt zu diesem Glase

             Da bestülpt der sachlichste Adept

             Das Gestirn mit einem Stengelglase

             Darin dottrig etwas Ei verebbt.

             Von den geheimnisvollen „Verwandlungen“ Richard Huelfenbecks erlaubt der Raum mir nur den Anfang hier zu sehen:

„Cacadoufarbige Butzenscheibenohren rennen um Klumbumbus gelber Stern Bauch quer durch Hunde zeilen platzen. Gut. Cacadou wird Butter Jamaika Cognac Stahl wird Tanz Butterweg ist. Korkenzieher für infantile Oteros in Säcken Chinesen speien Jahrelang nach Petrol. Einer aus Confidence mästet einen Strichpunkt rot. Apoplexie. Drachensalat, Telegraphisch, wie doch.“

             Wieder stoßen wir auf Walter Serner, der in einem längeren. Bezifferten Aufsatz: „Letzte Lockerung manifest“ unter anderm sagt:

„4. Napoleon, ein doch wirklich tüchtiger Junge, behauptete unverantwortlicher Weise, der wahre Beruf des Menschen sei, den Acker zu bestellen. Wieso? Fiel ein Pflug vom Himmel?

5. Alles ist nämlich rastaquerest, meine lieben Leute. Jeder ist (mehr oder weniger) ein überaus luftiges Gebilde, dieu merci.

6. Es ist allgemein bekannt, daß ein Hund keine Hängematte ist; weniger, daß ohne diese zarte Hypothese Malern die Schmierlaust herunterfiele: — — Weltanschauungen sind Vokabelmischungen.

In summa, meine Kleinen: Die Kunst war

eine Kinderkrankheit

12. Damenseidenstrümpfe sind unschätzbar.

Eine Vizekönigin ist ein Fauteuil. Weltanschauungen sind Vokabelmischungen. Ein Hund ist eine Hängematte. L’art est mort. Vive Dada!“

Der „Wolkenpumpe“ von „arp“ entnehme ich das folgende Gedicht und ein Stückchen Prosa, die sein Schaffen anschaulicher und besser künden, als es meine mühevollsten Bemerkungen zu tun vermöchten. (Wobei ich gestehe, daß mir die einfache Wiedergabe auch bequemer zu sein scheint.)

sankt ziegenzack springt aus dem ei

rumsdibums das gigerltum

vergißmeinnicht rollt um den stuhl

glocke schlägt nur eins und zwei

abgrund öffnet sich mit macht

stern rollt an den schönen mund

trauriger Hase hängt am berg

in den steinen ist schöne nacht

sankt fassanbaß springt aus dem ei

rumsdibums die liegenschaft

vergißmeinnicht rollt um den stuhl

glocke schlägt nur eins und zwei

Schwieriger ist die Prosa, da „arp“ auf Beistriche, Punkte, Anfangsbuchstaben und dergleichen Kram verzichtet.

„weh unser guter kasper ist tot wer trägt nun die brennende fahne im zopf wer dreht die kaffeemühle wer lockt das idyllische reh auf dem meer verwirrte er die schiffe mit dem wörtchen paraplui und die winde nannte er bienenvater weh weh weh. für gigimann das totem der besenden tiere erfüllt sich und wird die bahn der automobilen vögel gestört so verstummt das ländliche salem aleikum gummi arabikum“.

— — — —

Es geht noch ziemlich lange so weiter; aber ich muß mich erholen, um den „Geburtstagsgesang für Bijo Berry, z. Z. interniert“ (wo?) lesen und vielleicht wiedergeben können. Auch hat mich ganz plötzlich der Gedanke beschlichen, ob es sich bei diesem Heft nicht vielleicht um geheime Mitteilungen irgendeiner weitverzweigten Vereinigung handeln könne, die in diesen Gedichten und Prosastücken verborgene Nachrichten zu geben und zu finden versteht. Aber dieser noch auf den Kriegstagen herübergeisternde Verdacht erscheint mir bei längerem Sinnen doch nicht recht angebracht zu sein. Ich kann also – nachdem ich mich, wie der Wiener sagt, „verfangt“ habe – den Anfang von Huelsenbecks „Geburtstagsgedicht“ (es steht über einem mir unzugänglichen Bild von Paul Klee, „Ausblick aus einem Wald“, hieher setzen. Was das Bild anlangt, so habe ich wohl öfter aus einem Walde geblickt — aber, wie es halt schon so ist (die Augen werden auch nicht besser), niemals Tintenkleckse, schwebende Gitter, schiefe Vierecke, in der Luft hängende hausartige Gebilde und dergleichen in der Natur wahrnehmen können. Ja so, das „Geburtstagsgedicht“:

He du riesengroß in der verwaschenen Weste mit dem feisten Gesicht Spitzbauch glänzend frisiert

Hier muß ich schon wieder innehalten. Leider! Denn Huelsenbeck beginnt, gegen alle Dada-Gebräuche, eindeutig zu werden.

Die „Letzten Nachrichten aus Deutschland“ (quer gedruckt) werden gerade jetzt nicht unwichtig sein:

Berlin ist der Football einer herkömmlichen Jugend, die in hypothetischer Form das Sechstagerennen (match Groß-Herzfelde-Ruep-Mynona) jeden Sonnabend mit dem Erscheinen eines senilen Glotzauges praktisch bestirnert. — München ist die Gegend des Ararat und des Volksbildes von Schrimpf: nicht so, aber sol — Für das übrige Deutschland: die kommunistische Bewegung ist beinahe ganz eingedämmt, da jeder Deutsche mit der Herausgabe seiner eigenen Zeitung beschäftigt ist. Lebensmittel unnütz, alle schlucken Druckerschwärze.“

Hans Richter (junior, jedenfalls) druckt einige Mitteilungen ab, die dem Publikum

der 8. Dada-Soiree bereits mündlich gemacht wurden:

„Umst, Umst (?) ist nicht nur nicht dagewesen es ist auch unmöglich, daß es da ist. Dada ist es. Fluch auf Dada. (Wir übermitteln Ihnen diese Formel.)“

Nun sehe ich doch, daß ich meine Kräfte überschätzt habe. Es geht nicht weiter. Auch den Namen des Ober-Dada, den ich eben noch las, habe ich vergessen, und ich wage nicht mehr, in dem Wirrwarr der Papierfarben und verschieden großen Lettern nachzusehen. Denn das Schicksal des „z. Z. internierten“ Dada, dem der Geburtstagshymnus gilt, hat mich ängstlich gemacht. Es wäre mir keineswegs angenehm, schließlich besungen zu werden: „Mauer-Öhling-Dada“ oder so ähnlich. Ich weiß, daß ich veraltet bin, und es ist möglich, daß sich in meinem Innern vielleicht unbewußter Neid rührt, mein restliches Leben fern von diesem wundervollen Bunde verbringen zu müssen. Aber ich kann es nicht ändern.

Zweifellos handelt es sich dada (den also! Ich wollte nur „da“ schreiben), da um einen Umsturz auf geistigem Gebiete, um eine Revolution. Revolutionen sind im allgemeinen nicht heiter. Aber bei dieser, so scheint es mir, ist doch kein rechter Grund zur Traurigkeit vorhanden, dada. Im Gegenteil. Die Tatsache, daß es noch Menschen gibt, die in dieser immerhin trüben Zeit keine andern Sorgen haben, als diese „Anthologie“ herauszugeben und zu bereichern, wirkt ungemein beruhigend. Und schließlich: das Heft, so dünn es ist, kostet nur vier Schweizer Franken, also nach unsrer Münze etwas über zweiundzwanzig Kronen, was ja gar kein Geld ist. Und schließlich wollen die Herausgeber auch leben. Warum nicht?

Nur vor dem Schlafengehen scheint diese Sammlung ein gefährliches Lesefutter zu sein. Ich wenigstens verdanke ihr schwere Träume, und eine mir nahestehende Persönlichkeit war sehr erschrocken, als ich auf wiederholte Fragen nach der Ursache meines Stöhnens immer nur mit „Dada“ antwortete. Aber mit der Zeit gibt sich das auch. Man muß sich eben daran gewöhnen. Man muß sich jetzt ja überhaupt an vieles gewöhnen. Die Zeiten sind schon so. Und wie ich unsre Literaturjugend kenne, werden wir in Wien gewiß bald einen Ober-Dada haben. Oder gibt es schon einen? Dann möchte ich als erster ihm ein begeistertes „Dada“ zurufen. Ohne Scherz. Ich habe den lästigen Zwang, immer Gedanken hervorbringen und auf meinen Stil achten zu müssen, herzlich satt. Ich möchte auch einmal dichten, wie mir der Schnabel gewachsen ist, und lächelnd zusehen, wie sich andre den Kopf zerbrechen, was das Gedichtete eigentlich heißen soll. Im äußersten Fall lasse ich grünes und violettes Papier volldrucken und gründe selbst eine Schule, etwa mit „Lolo“ als Kennwort. Ich sehe gar nicht ein, warum sich ein Schriftsteller nicht auch selbständig machen soll — besonders, wenn es mit so einfachen Mitteln und mit einem entsprechenden Ausmaß von Frechheit geschehen kann. Einstweilen aber noch: Dada!

In: Neues Wiener Tagblatt, 22.6. 1919, S. 3-5.