A.F.S [Adalbert
F. Seligmann]: Die Frau als Künstlerin.
(Zur Ausstellung im Hagenbund.).
Der Weltkongreß der
Frauen, der in diesen Tagen wohl an tausend seiner Mitglieder und Gäste in
unserer Stadt versammelt, hat wie ein warmer Frühlingsregen auch auf dem bei
uns sonst nicht allzu ergiebigen Boden der bildenden Kunst – ergiebig im
materiellen Sinn! – ganze Pflanzungen aufsprießen lassen. Da ist zunächst eine
Ausstellung in den Terrassensälen der Neuen Hofburg, von der Gruppe „Wiener Frauenkunst“ veranstaltet – der
Bericht darüber ist eben erschienen -, die das Ewig-Weibliche in seinen radikal
modernen Spielarten vorführt; dann die von der Vereinigung bildender
Künstlerinnen Oesterreichs in den Räumen des Hagenbund (1. Zedlitzgasse 6)
unter dem Titel „Zwei Jahrhunderte Kunst
der Frau in Oesterreich“ kürzlich eröffnete, die auch höchst interessante
Blicke in die Vergangenheit tun läßt. Bald soll auch im Theseustempel
(Volksgarten) eine Nachlaßausstellung der Bildhauerin Anna Margarethe Schindler eröffnet werden, auf die man
gespannt sein darf, denn die kürzlich in jungen Jahren Verstorbene war ohne
Zweifel eine der stärksten Begabungen, die in letzter Zeit hervorgetreten sind.
Auch auf eine bescheidene, rasch improvisierte Schulausstellung der „Wiener Frauenakademie“ (1. Bäckerstraße
1) darf hingewiesen werden, weil aus dieser vor einem Menschenalter gegründeten
Anstalt zahlreiche namhafte Künstlerinnen hervorgegangen sind, die wir in den
beiden eben genannten Ausstellungen vertreten finden. Schließlich mag man auch
die prächtige Maria-Theresia-Ausstellung in Schönbrunn damit in einen gewissen
Zusammenhang bringen, da in ihr das Wirken einer der genialsten Frauen, die
jemals gelebt haben, auf imposante Weise vor Augen geführt wird.
Naturgemäß drängt sich hier die
Frage auf: Haben die in den erwähnten Kunstausstellungen gezeigten Werke etwas
Gemeinsames, das man als das spezifisch Weibliche in der Kunst bezeichnen
könnte? In dieser Hinsicht sind die Antworten lehrreich, die auf eine, von den
Veranstalterinnen der „Wiener Frauenkunst – Ausstellung“ an zahlreiche
Persönlichkeiten gerichtete Rundfrage: „Wie sieht die Frau?“ eingelaufen, im
Katalog dieser Ausstellung abgedruckt erscheinen. Während hier sonderbarerweise
die Aueßerungen einiger Kunstgelehrten nur ganz vage und allgemeine, zum Teil
ins Abstrakt – Nebelhafte sich verlierende Ansichten wiedergeben, sind es zwei
Frauen, Marianne Hainisch und Rosa Mayreder, die sich am präzisesten fassen
und meines Erachtens in der Hauptsache den Nagel auf den Kopf treffen. Beide
sagen kurz und bündig, daß die künstlerisch veranlagte Frau nicht als
Geschlechtswesen, sondern als Individuum ficht. „Je höher die Begabung, desto
weniger machen sich die spezifischen Geschlechtseigenschaften geltend. Ich
könnte nicht sagen,“ fährt Rosa Mayreder fort, „inwiefern die Werke der Rosa
Bonheur, der Tina Blau, der Käthe Kollwitz, der Feodorowna Ries“ – wir zitieren
nur einige der von ihr angeführten Namen – „spezifisch weiblich gesehen sind.
Früher einmal hat man das spezifisch Weibliche in der Neigung zur minutiösen
Durchbildung, zum Miniaturhaften, in der Vorliebe für das Detail erkennen
wollen – aber da müßte man die meisten Zeitgenossen Waldmüllers“ – und diesem
selbst, fügen wir hinzu! – „die Männlichkeit aberkennen … Die größte
Verherrlichung der Mutterschaft in der Malerei, die Darstellung der Madonna,
stammt nicht von Frauen“, usw. Auch Maler A.D. Goltz und der Schreiber dieser
Zeilen haben in ihren Antworten Aehnliches, wenn auch nicht so scharf
formuliert, gesagt. Es ist ja auch einleuchtend genug! Begegnen wir doch im
Leben nur zu oft Männern, die eigentlich alte Weiber sind und Frauen, die die
Hosen anhaben; in der Kunst sogar solchen, von denen das letztere auch im
wörtlichen Sinne gegolten hat, wie etwa von Rosa Bonheur, von George Sand und
auch von einer gelegentlich dieser Ausstellung für die weitere Oeffentlichkeit
neuentdeckten Wiener Künstlerin, Hermine Gartner,
die in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gelebt hat. Da in den
sechziger Jahren den Frauen das Kopieren in der Akademie nicht gestattet war,
zog sie Männerkleidung an und behielt diese auch später bei. Im Katalog der
„Zwei-Jahrhundert-Ausstellung“ wird ihr abenteuerlicher Lebenslauf und ihr
tragisches Ende kurz geschildert. Ihr ausgestelltes Selbstporträt ist eine
vortreffliche Arbeit, die aber keineswegs besonders „männlich“ anmutet.
So viel scheint sicher – von einem
gewissen Qualitätsniveau an spielt das „Weibliche“ oder „Männliche“ keine Rolle
mehr. Wenn man sich im Mittelsaal der Ausstellung im Hagenbund umsieht, wird
man vielleicht an den Werken aus dem achtzehnten und der ersten Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts, also an den Porträts der Carriera, der Angelika Kauffmann
(5, 6), der Vigee-Lebrun (9), an den
Blumenstücken der Pauline Koudelka-Schmerling
(11), den Miniaturen der Henriette v. Brevillier
(29) – wir haben gleich die besten
Stücke mit ihren Nummern bezeichnet – das Glatte, Gefällige, dem Auge
Schmeichelnde als „weiblich“ bezeichnen wollen; doch darf man nicht vergessen,
daß zu jener Zeit die Bilder der Grassi und Lampi, der F. X. Petter und anderer
Blumenmaler, die Aquarellporträts von Johann Ender usw. auf das heute
keineswegs „männlicher“ wirken. Das lag eben in der Zeit. Vor einem Gemälde,
wie es die wundervolle Praterlandschaft der Tina Blau (36) ist, denkt man überhaupt nicht daran, ob es ein Mann oder
eine Frau geschaffen hat. Das Bild ist nahezu fünfzig Jahre alt, zur selben
Zeit entstanden, wie die große Praterlandschaft, die im Belvedere hängt, und
wirkt in seiner unglaublichen, mit den einfachsten und ehrlichsten Mitteln
erzielten Lichtfülle als sei es eben von der Staffelei gekommen. Seinerzeit
wurde diese Malerei nur von wenigen ganz nach Verdienst gewürdigt, und ich
glaube, die bescheidene Künstlerin selbst war sich nicht klar darüber, was sie
da eigentlich geleistet hatte. Als das erwähnte große Praterbild – es dürfte im
Jahre 1881 gewesen sein – zur Ausstellung im Künstlerhaus eingereicht wurde,
wäre es bei einem Haar zurückgewiesen worden. Es war so rücksichtslos hell und
farbig, daß es zu den anderen Bildern absolut nicht passen wollte und überall
ein „Loch in die Wand“ riß. Damals legte sich Makart ins Mittel und erklärte
der Jury, dies sei das beste Bild der ganzen Ausstellung; so erhielt es
schließlich sogar einen besonders guten Platz und schon im folgenden Jahr im
Pariser Salon die mention honorable.
Denkt man, wie gesagt, vor den
Bildern der Blau gar nicht daran, ob ihr Schöpfer ein Mann oder eine Frau
gewesen, so möchte vor denen ihrer bedeutendsten Rivalin, Olga Wisinger-Florian (es sind drei Werke von
ihr im ersten Seitenraum linkt ausgestellt), jeder, der ihre Signatur nicht
kennt, darauf wetten, daß ein Mann sie gemalt habe. Sie sind mit einer so
draufgängerischen Verwegenheit hingespachtelt, daß niemand eine zarte Frauenhand
darin erkennen würde. Schade, daß nichts aus ihrer früheren Zeit hier zu sehen
ist, keines von den reizenden, ganz dünn und delikat gemalten Feldblumenstücken
mit Schmetterlingen und dunklem Grund! Der Katalog tut ihr ein wenig unrecht,
wenn er sie nur „als Blumenmalerin geschätzt“ sein läßt, und wenn die Selige
wüßte, daß besagter Katalog von ihren Auszeichnungen nur zwei anführt und
verschweigt, daß sie Officier de l’Academie gewesen, so würde sie sich im Grab
umdrehen, denn sie hielt etwas auf solche Dinge! Die unheimlich groß
gewachsene, fabelhaft häßliche, aber höchst geistreiche, amüsante und
redegewandte Frau war als Künstlerin vielseitiger, beweglicher, virtuoser als
Tina Blau (wenn mir die letztere gleichwohl als die bedeutendere Individualität
erscheint), auch stand sie beständig im Mittelpunkt eines regen geselligen
Großstadtlebens, während Tina Blau – zum Teil auch ihrer Schwerhörigkeit halber
– nur ungern unter Menschen ging, besonders seitdem sie nach einer
siebenjährigen, aber überaus glücklichen Ehe Witwe geworden war. Im
Menschlichen wie im Künstlerischen zwei Gegensätze, wie man sie ausgeprägter
wohl selten antreffen wird.
Die enorme technische Bravour der
späteren Wisingerschen Malerei erregte vor fünfundzwanzig, dreißig Jahren das
größte Aufsehen, gelegentlich sogar Widerspruch! Heute haben sich die Maßstäbe
verändert. Man sieht in dieser Ausstellung eine große Zahl von Arbeiten, die gerade
in dieser Hinsicht sehr weit gehen und dabei – was ja die Hauptsache ist – auch
qualitativ vortrefflich sind. So etwa – wir gehen in der vom Katalog
angezeigten Richtung durch die Säle – das breit hingestrichene Männerporträt
von Friederike v. Koch (98), die
„lettische Bäuerin“ (107) von Therese Mór,
ein Bild das in eine öffentliche Galerie gehört, den alle Zufälligkeiten
virtuoser Aquarelltechnik ausnützenden „Spaniel“ von Vilma Friedrich (109), die
koloristisch brillanten Blumenstücke von Marie Magyar (151, 153), die meisterhaften Hundebilder von Norbertine Breßlern-Roth (164, 166, 167), einer der
stärksten Individualitäten unter den lebenden österreichischen Malerinnen (die
sich nur davor hüten muß, in Manier zu verfallen!), das wuchtige Vernis-Mou-Blatt
von Pepi Weixlgärtner (200), die
geradezu ungestüm hingeworfenen Schneebilder der hochbegabten Katharina Wallner (220, 222), die freilich in
ihrer exzessiven Art schon an die äußerste Grenze gehen und denen ich darum
manche frühere Arbeiten der Künstlerin vorziehen möchte; die monumental
gesehenen Figurenstudien und das großzügig einfache Pastellporträt von Johanna
Kampmann-Freund; unter den Plastiken die imposante Halbfigur des Grafen Wilczek
von Feodorowna Ries (Saal II), ein Werk, das hier durch die zerstreute
Beleuchtung und das Material (getönter Gips) nicht so zur Geltung kommt wie in
Bronze an seinem Standort vor dem Haus der Rettungsgesellschaft; die
wundervolle „Schreitende“ von Anna M. Schindler
(Saal V), und die leider etwas zu tief placierte Marmorfigur der verstorbenen
Nora Exner, an herbe italienische
Renaissanceplastiken gemahnend. Alle die genannten und noch manche andere in dieser
Ausstellung gezeigten Werke, die zu erwähnen uns hier der Raum fehlt, enthalten
auch nicht die Spur irgendwelcher Süßlichkeit, Glätte oder gefälligen
Oberflächlichkeit. Auch dies ist ein Zeichen der Zeit. Für die künstlerisch
schaffende Frau von heute fallen zahllose psychische – und sogar physische! –
Hemmungen weg, die noch vor dreißig Jahren wirksam waren. Ja, in extrem
modernen Ausstellungen von Frauenkunst finden wir den Ausdruck dieses
Freiheitsgefühles oft zur forcierten und innerlich hohlen Kraftmeierei
ausgeartet.
Es wäre darum ganz falsch,
anzunehmen, daß eine losgeherische oder brutale Skizzenhaftigkeit an sich schon
etwas „männliches“ an sich habe. Wir brauchen da nur an Jan van Eyck, Memling,
Dürer, Holbein, Terboch, Ingres zu denken, um uns klar darüber zu werden, daß
auch die subtilste Durchbildung, die feinste Detailmalerei nicht den Eindruck
des Weiblichen oder sagen wir noch bezeichnender, des Frauenzimmerhaften zu
machen braucht. Es kommt eben auch hier wieder nur auf die Qualität an!
Erreicht diese eine besonders hohe Stufe, so denkt niemand mehr an solche
Unterscheidungen. Auch dafür bringt die hier besprochene Ausstellung einige
charakteristische Beispiele: im Mittelsaale das Obststilleben der Rosalie Amon (13), so gut wie ein Waldmüller, im
Seitenraum I, links das winzige Stilleben von Camilla Friedländer (67), das in Komposition und Haltung freier, daher
sozusagen „männlicher“ wirkt als die ähnlichen noch heute gut bezahlten
Bildchen von Max Schödl; ferner die geradezu mikroskopisch durch-geführten
Tierstudien von Hilde Gräfin Vitzthum
gebornen Goldschmidt (IV, 112 bis 114), die nicht nur als technische Leistungen
stupend sind, sondern ein Einfühlen in die Natur verraten, wie es in dieser
Intensität nur ganz selten zu finden ist. Auch der mit der Feder gezeichnete
Männerkopf von Martha E. Fössel (123)
oder die Pflanzenstudien von Mila v. Luttich
(121) wären etwa noch auszuführen und nochmals auf das schon erwähnte
Blumenbild der Baronin Koudelka
(Mittelsaal, Nr. 11) aufmerksam zu machen, eine Arbeit, die kurzweg als
Meisterstück bezeichnet werden muß. Hier sei auch noch auf das Mädchenbildnis
(VII, 206) von Luise Fränkel-Hahn
hingewiesen, ein Kniestück, das, obwohl lebensgroß, mit einer an die
Quattrocentisten erinnernden Subtilität aller Details durchgeführt, doch nichts
an Lebendigkeit und Bewegung verloren hat.
Werke dieser Art müssen besonders
hervorgehoben werden, weil sie gerade bei vielen sogenannten „Fachleuten“ heute
auf vollkommenes Unverständnis stoßen, ein Unverständnis, das erstaunlich wäre,
wüßte man nicht, daß diese Sorte von Kennern Bilder nicht mit dem Sehorgan,
sondern mit dem Literaturorgan betrachtet und dort wo sie ihr reichlicher
Fremdwörtervorrat im Stiche läßt, nichts mit dem Kunstwerk – und mit sich –
anzufangen weiß.
(Ein Schlußartikel
folgt.)
In: Neue Freie Presse (Morgenblatt.), 30.5.1930, S. 1-3.