Menkes, Hermann

geb. am 15.7.1869 (nach anderen Angaben auch 1863 bzw. 1865) in Brody (heute: Ukraine) – gest. am 11.6.1931 in Wien; Kunst- und Literaturkritiker, Redakteur, Schriftsteller

Als Sohn des wohlhabenden Verlegers von Talmud-Schriften Jakob I. Menkes u. seiner Frau Betty Lewin, die aus einer angesehenen Rabbinerfamilie stammte, konnte M. 1889 ein Studium in Berlin beginnen u. sich dabei seinen literar. Neigungen widmen. Er verkehrte im Umfeld der naturalist. Bewegung, wo er sich neben den Brüdern Hart, K. Alberti, O.E. Hartleben u. L. Jacobowski zu positionieren suchte, sehr bald auch H. Bahr kennenlernte u. versch. Publikationsprojekte, u.a. im feuilletonist. Bereich, erwog. 1891 erschien sein Skizzenbuch eines Einsamen, zeitgleich mit der Übersiedelung nach Wien, wo er Anschluss an die Jung-Wiener suchte u. Eduard M. Kafka kennenlernte.

Nach versch. wenig erfolgreichen Versuchen, eine feste Stelle im Feuilleton zu erreichen, wurde er 1907 Kunstkritiker u. später Redakteur des Neuen Wiener Journals, in dem er bis zu seinem Tod wirkte und das noch bis 1936 versch., im Nachlass aufgefundene Texte zum Abdruck brachte. Die anfängl. Unsicherheit über diese Anstellung ließ ihn 1908 in Lemberg die Advokatenprüfung nachmachen, über deren Erfolg die Czernowitzer Ztg. vom 20.3.1908 in einer kurzen Notiz berichtet. Etwa zur selben Zeit ersch. im NWJ die feuilletonist. Erz. Heimkehr, die M.s. Talent feiner psycholog. Zeichnung u. Verfremdung vertrauter Orte anzeigt. 1909 wirkte M. an der Anthologie Prinzessin Sabbat mit, Bd. eins der Reihe ›Jüdischer Novellenschatz‹, an dem u.a. auch H. Blumenthal beteiligt war. Seit 1911 finden sich unter den Feuilletons für das NWJ immer wieder Erzählungen, die sich mit seiner ostjüdischen Herkunftslandschaft befassen, mit jüdischen Frauengestalten wie z.B. die Leonora-Erz., oder, ins Melancholische getaucht, mit Aspekten künstlerischen Arbeitens und lebensphilos. Fragen. Daneben erscheinen auch literaturkrit. Feuilletons, wie z.B. zu Clara Viebig oder Ernst Weiß, dessen Romandebut Die Galeere von M. vor dem Hintergrund der Wiener Moderne, A. Schnitzlers insbes., vorgestellt wird.

Den Kriegsausbruch 1914 begleitete M. mit feuilletonist. Texten, die sich einerseits den ostgalizischen Grenzlandschaften zuwandten wie z.B. Das träumende Dorf oder programm. Bekenntnisse wie z.B. Galizien, um auf die auch kult. Bedeutung dieses Raumes aufmerksam zu machen, andererseits historische Stoffe aufgriffen oder stereotypenhafte, wenngleich keineswegs aggressive Russland-Zeichnungen beinhalteten (Russische Nester, An der russischen Grenze u.a.m.). M. war 1914 auch Beiträger zu dem im G. Müller-Verlag erschienenen Ghetto-Buch, zu dem u.a. Schalom Asch, David Pinski u.a. Texte beisteuerten. 1915 widmet sich M. erstmals der Frage nach der Haltung der Literatur zum Krieg. Dabei sympathisiert er sichtbar mit jenen, die sich der Schützengraben-Rhetorik fernhalten, widmet sich z.B. der Flüchtlingsthematik (s. Die Entwurzelten), eine Haltung, die sich in weiteren Beitr. 1916-1917 niederschlägt, in denen M. auch Autoren wie z.B. Ossip Dymow u. Ludwig Winder sowie den Roman Die Armen von H. Mann bespricht.

Ab 1918 deckt M. in seinen Beitr. ein weites Spektrum ab; neben den bekannten Themen vermehrt Kunst- und Ausstellungsberichte, Literaturkritik,  aber auch Aspekte, die sich mit dem republikan.-revolut. Umbruch in Österreich befassen wie z.B. in Die revolutionäre Jugend, sowie, immer wieder, mit seinem galiz. Herkunftsraum. Dabei entspannen sich auch Polemiken, z.B. hinsichtl. der Bewertung von Autoren wie Beirach Schafir  mit S. Meisels. In M.s Literaturkritik finden sich zudem immer wieder frappierende Nebeneinanderstellungen, so z.B. in einem Beitr. über das Verhältnis Erzählung-Kleiner Roman (mit Flake, Frank, H. Mann, Wedekind, Speyer einerseits, Perkonig, Heimann, N. Jacques andererseits) oder einem zu R. Auernheimers anekdotische u. H. Manns vom Alltäglichen ins Phantastische kippende Erzählungen bzw. Novellen. M. pflegte eine Reihe von Freundschaften, die auch in Feuilletonbeiträgen Eingang fanden, z.B. mit bed. Exponenten der Wiener Moderne seit 1907, darunter H.v. Hofmannsthal, oder, später, mit Th. Rittner u.a.m. u. förderte jüngere Schriftsteller u. literar. Publizisten wie M. Scheyer.

Ab 1924-25 widmet sich M. verstärkt dem Kunst- u. Ausstellungsbetrieb mit Beitr. über Birnbaum, Kokoschka, Kollwitz, Oppenheimer, wiederholt auch zu Klimt, sowie versch. Ausstellungen im Hagenbund (mit Akzent auf jüngere Künstler wie z.B. Tibor Gergely, Viktor Hammer, Felix Harta, Josef Ortloff, Viktor Tischler, Fred Taubes u.a.), ferner im Künstlerhaus, der Sezession (Clementschitsch, Faistauer, Gütersloh, Thöny u.a.), in der Neuen Galerie, der Buchhandlung Heller oder der Galerie Würthle (u.a. über die „Sensation“ G. Grosz). Er befasste sich ferner mit versch. europ. Malerei-Traditionen, bes. der französ., italien., tschech. u. ungarischen, schrieb aber auch über Isidor Kaufmann (Jüd. Malerei), über F. Maserel, dessen Holzschnittbücher M. als „Romane in Bildern“ auffasste (5.12.1926) u.a.m. Neben einer enthusiast. Bespr. des Romans Das Elend vom Lied (urspr.: Noch alemen, 1913) des russ.-jidd. Dichters David Bergelson, neben Büchern von M. Brod oder Aphorismen von Alfred Grünewald legte er 1924 auch eine Sammlung seiner eigenen Ghettoerz. unter dem Titel Die Jüdin Leonora (mit Impressum 1923) vor, eine Thematik, die ihn auch in den Folgejahren nicht losließ, wie Bespr. von Publikationen, z.B. von Finkelsteins Stürmer des Gettos zeugen. Aber auch Klassiker der englischen, französ. u. russ. Moderne neben aktuellen Neuerscheinungen zeugen von der Kenntnis u. Aufmerksamkeit für aktuelle Entwicklungen. So besprach M. z.B. im Dez. 1925 in einer Kritik Brods Reubeni-Roman, Kafkas Process u. Dörmanns Jazz, im Jänner 1926 einen Bd. Novellen Leonhard Franks, im März 1926 Klaus Manns Der fromme Tanz oder im Dez. 1926 Novellen von Walter Eidlitz u. Albert Ehrenstein. 1927 widmetet er sich u.a. auch der Architektur, z.B. dem Vermächtnis von Otto Wagner, ferner einer Neuaufl. von Sacher Masochs Novellen, J. Roths Flucht ohne Ende sowie in einer Sammelbespr. Kafkas Das Schloß.

Ab 1928 dominierten wieder die Ausstellungsberichte, u.a. auch zur sowjetruss. im Hagenbund, die auch M.s Kenntnis des zeitgenöss. sowjet. Theaters dokumentiert, über E. Orlik, aber auch über Ausstellungen Wiener Künstlerinnen wie Fraenkel-Hahn oder M. Lydis. Zwischendurch widmete sich M. auch der Theaterkritik u. bezog zu kontrovers disk. Stücken Stellung, z.B. 1929 zu L. Franks Kriegsheimkehrerdrama Karl und Anna oder zur Debatte um die Identität F. Bruckners anlässl. der Aufführung seines Stückes Die Verbrecher. 1930 veröffentl. M. wieder mehrere Ghetto-Prosa-Stücke u. besprach auch jüd.-jidd. Lit. wie z.B. Texte von Joseph Opatoschu. 1931 erschienen nur mehr wenige Texte von M. im NWJ; sein vermutlich letztes Feuilleton (Die verpönte Schönheit) am 5.4.1931.


Quellen und Dokumente

Leonora. In: Neues Wiener Journal, 25.6.1911, S. 7, Moderne Erzähler. In: Neues Wiener Journal, 8.8.1913, S. 5f., Das träumende Dorf. In: Neues Wiener Journal, 18.8.1914, S. 3, Galizien. In: Pester Lloyd, 23.9.1914, S. 1f., Russische Nester. In: Neues Wiener Journal, 20.9.1914, S. 7f., An der russischen Grenze. In: Pester Lloyd, 9.8.1914, S. 1f., Literatur in der Kriegszeit. In: Neues Wiener Journal, 8.1.1915, S. 19, Die Entwurzelten. In: Neues Wiener Journal, 16.11.1915, S. 5f., Bei Thaddäus Rittner. In: Neues Wiener Journal, 14.12.1916, S. 8, Moderne Erzähler. In: Neues Wiener Journal, 8.6.1916, S. 3f., Moderne Erzähler. In: Neues Wiener Journal, 8.6.1917, S. 3, Die Armen. Ein neuer Roman von Heinrich Mann. In: Neues Wiener Journal, 18.8.1917, S. 5f., Die revolutionäre Jugend. In: Neues Wiener Journal, 9.12.1918, S. 3, Psychologie des Republikaners. In: Neues Wiener Journal, 30.11.1918, S. 4f., Seide Borowitz. Ein Ghetto-Roman von Karl Hans Strobl. In: Neues Wiener Journal, 14.8.1918, S. 3f., Die Frau als bildende Künstlerin. Die Ausstellung im Künstlerhaus. In: Neues Wiener Journal, 12.12.1919, S. 4f., Wiener Erzählungskunst [Rez. zu Hugo von Hofmannsthal]. In: Neues Wiener Journal, 11.10.1920, S. 3, Kleine Romane. In: Neues Wiener Journal, 24.3.1920, S. 3, Zwei neue Dichtungen von Franz Werfel. In: Neues Wiener Journal, 2.3.1921, S. 3, Der „Landstreicher“ Beirach Schafir. In: Neues Wiener Journal, 24.9.1922, S. 11, P. Wertheimer über Menkes Novellenband Die Jüdin Leonora. In: NFP, 1.7.1923, S. 25-26; Ein Kleinstadtroman. David Bergelson: „Das Ende vom Lied“. In: Neues Wiener Journal, 16.6.1924, S. 6f., Zwei Ausstellungen. Oskar Kokoschka – Uriel Birnbaum. In: Neues Wiener Journal, 27.6.1924, S. 5, Lebensgeschichte eines Rebellen. Artur Holitschers Erinnerungen. In: Neues Wiener Journal, 12.12.1924, S. 4f., Zeitkunst. Die Ausstellung in der Sezession – Max Oppenheimer. In: Neues Wiener Journal, 23.9.1924, S. 6, Stürmer des Gettos. In: Neues Wiener Journal, 8.1.1925, S. 5f., Der Judenmaler Isidor Kaufmann. In: Neues Wiener Journal, 26.11.1925, S. 3f., Egger-Lienz-Ausstellung. Künstlerhaus. In: Neues Wiener Journal, 20.3.1925, S. 4, Neue Romane [u.a. Franz Kafka: Das Schloß]. In: Neues Wiener Journal, 4.1.1927, S. 3f., Roman eines Kulturpessimisten. Josef Roth: „Die Flucht ohne Ende“. In: Neues Wiener Journal, 27.11.1927, S. 18f., Egon Schiele. Gedächtnisausstellung im Hagenbund und in der Neuen Galerie. In: Neues Wiener Journal, 19.10.1928, S. 8f., Russisches und Westeuropäisches. Sowjetrussische Ausstellung im Hagenbund. In: Neues Wiener Journal, 10.3.1928, S. 4, Burgtheater. „Karl und Anna“, Schauspiel von Leonhard Frank. In: Neues Wiener Journal, 1.3.1929, S. 3, Ferdinand Bruckner: „Die Verbrecher“. Die Premiere im Theater in der Josefstadt. In: Neues Wiener Journal, 19.4.1929, S. 3, Emil Orlik. Zu seinem sechzigsten Geburtstag (26. Juli). In: Neues Wiener Journal, 22.7.1930, S. 5f., Der Wiener Don Juan. In: Neues Wiener Journal, 17.12.1930, S. 3, Ahasver im Getto. In: Neues Wiener Journal, 2.12.1930, S. 3f.

(PHK)