Hans Gastgeb: Panem et circenses

Hans Gastgeb: Panem et circenses (1933)

Anfang Dezember fand in London das Länderspiel der Fußballprofessionals zwischen England und Österreich statt, das England knapp gewonnen hat. Rund um dieses Spiel haben sich bemerkenswerte Ereignisse abgespielt, die es rechtfertigen, in diesem Rahmen darüber zu schreiben.

Der bürgerliche Sport und die bürgerliche Sportpresse leben vom Sensationssport und nehmen daher zum Professionalsport in allen Sportzweigen eine zustimmende Haltung ein. Der bürgerliche Amateursport in Österreich ist unbedeutend geworden. Mit dem fortschreitenden Wachstum des Arbeitersportes ist für das Bürgertum der Professionalsport die einzige wirkliche Domäne. Der Arbeitersport lehnt den Professionalismus im Sport und Sport als Selbstzweck ab. Das Bürgertum hingegen will durch Sport die Bevölkerung neutralisieren, um sie möglichst weit von politischer Betätigung abzuhalten. Auch der Arbeitersport veranstaltet Wettkämpfe innerhalb des eigenen Landes und auch internationale Wettkämpfe. Niemals aber ist es bei sportlichen Begegnungen der Arbeitersportler zu solchen nationalistischen Szenen gekommen, wie im bürgerlichen Sport. Der bürgerliche Sport ist und bleibt national eingestellt. Anläßlich des Länderspieles der Fußballprofessionals aber hat nicht nur die rein bürgerliche Presse und das Bürgertum, sondern auch die demokratische und zum Teil auch die sozialistische Presse tief bedauerliche Anwandlungen zum Nationalismus gezeigt. Daß man dazu nicht schweigen kann, ohne sich mitschuldig zu machen an einer vollkommen falschen Orientierung in der Sportpolitik, wie sie Sozialdemokraten zu vertreten haben, ist klar.

II.

Die bürgerliche Presse hat schon ein halbes Jahr vor dem Stattfinden des Englandspieles eine großangelegte Propaganda für das Spiel begonnen. Auch die demokratische Presse und Parteizeitungen haben sich in den Dienst dieser Propaganda für das Professionalspiel gestellt. 700.000 Kartenbestellungen für das Spiel wurden in die Welt hinausposaunt, in Wirklichkeit waren dann bei dem Spiel 42.000 Menschen anwesend, obwohl der Platz 80.000 faßt. Die Engländer haben dem Spiel nicht weniger und nicht mehr Interesse entgegengebracht als jedem Meisterschaftsspiel. Am Tage der Durchführung selbst

haben der Radioübertragung des Spieles tausende und aber tausende Menschen gelauscht und es hat sich sogar ergeben, daß der Finanzausschuß des österreichischen Parlaments an diesem Tage seine Sitzung unterbrochenhat, um den Abgeordneten die Möglichkeit zu geben, der Fußballübertragung zuzuhören. In der darauffolgenden Sitzung des Finanzausschusses hat sich weiter ergeben, daß der Sprecher der Partei (Otto Bauer) bei der Generaldebatte zum Budget erklärte, daß man dieser Regierung (Dollfuß) das Vertrauen versagen müsse, denn Herr Rintelen habe bei den Kreditanstaltsverhandlungen in London nicht „so ehrenvoll“ abgeschnitten wie die elf Wiener Jungen beim Fußballspiel. Die ehrenvolle Niederlage haben alle Zeitungen, auch die sozialistischen, zum Anlaß genommen, die elf Fußballprofis als Nationalhelden hinzustellen und diese Propaganda für Österreich durch das Fußballspiel zu betonen. Der Bundeskanzler Dollfuß hat es auch für notwendig

befunden, die elf Fußballspieler persönlich am Westbahnhof abzuholen und verschiedene Minister haben erklärt, daß man den arbeitslosen Profispielern (die nebenbei bemerkt gar nicht arbeitslos sind) Staatsanstellungen erwirken müsse, weil sie sich um das Ansehen Österreichs so verdient gemacht hätten. Der Bundesminister Jakoncig hat den Fußballern zu ihrer Niederlage, die so „ehrenvoll“ war, ein Glückwunschtelegramm gesandt, das die Führer der Delegation und die Spieler angeblich mit großer Begeisterung aufgenommen haben. Ein Glückwunschtelegramm vom Heimwehrminister in Österreich ist gewiß etwas wert.

Daß das Bürgertum für ihm nahestehende Sportler Begeisterung aufbringt, ist weiter nicht verwunderlich. Unverständlich ist und bleibt nur die Kurz-// sichtigkeit der Sozialdemokraten, die den nationalistischen Schwindel des bürgerlichen Sports nicht durchschauen und dem Sensationssport so wie andere erliegen. Es taucht dabei die Frage auf, wieso es möglich ist, daß Sozialisten ihre Grundsätze, die sie einmal als richtig erkennen, derart vergessen oder verleugnen können. Dazu muß man das Kulturprogramm der Partei in Erinnerung rufen.

III.

Die Befreiung der Arbeiterklasse von den Fesseln des Kapitalismus kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein. Deswegen richten sich die Sozialdemokraten eigene politische, wirtschaftliche und kulturelle Organisationen ein. Die Befreiung der Arbeiterklasse von der bürgerlichen Ideologie kann nicht allein auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet, sondern muß auch in allen gesellschaftlichen Erscheinungsformen vor sich gehen, wenn wir unsere Aufgabe ernst nehmen. Es kann daher auch der Sport nicht als neutrales Gebiet aufgefaßt werden, sondern als eines der vielen Gebiete, wo wir uns von bürgerlicher Ideologie loslösen und unsere eigene sozialistische Politik betreiben. Der Sport, der nur durch die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse zu einem Massensport werden konnte, hat in der Nachkriegszeit tausende und aber tausende Menschen angelockt. In Österreich ist es den im Askö vereinigten Arbeitersportverbänden gelungen, 300.000 Österreicher zu erfassen, die sich zum Arbeitersport, aber auch zum Sozialismus bekennen. Die grundsätzliche Einstellung des Arbeitersportes sagt, daß es keinen Arbeitersportler geben könne, der nicht Sozialist sei, daß es aber auch keinen Sozialisten geben dürfe, der Sport treibt und nicht Arbeitersportler sei. Man kann nicht auf politischem Gebiet sozialistische Tendenzen verfolgen und kulturell die bürgerliche Ideologie als richtig ansehen. Man kann aber auch nicht als Sozialist nur auf politischem Gebiet den Kampf gegen den Kapitalismus führen, wie dies gewiß von unserer sozialistischen Presse geschieht, aber auf kulturellen Gebieten Konzessionen an die Bürgerlichen und Kapitalisten machen. Daher ist nicht darüber zu klagen, daß die bürgerliche Gesellschaft und die bürgerliche Presse für ihre Auffassungen eintreten und Propaganda machen, sondern es ist darüber Klarheit zu schaffen, daß es keinesfalls angeht, daß die sozialistische Presse und sozialistische Kämpfer der bürgerlichen Tagesideologie erliegen und so zu Handlangern und Stützen der bürgerlichen Gesellschaftsordnung werden. Der Kampf um die sozialistische Auffassung muß auf allen Gebieten geführt werden und Presse und Funktionäre der Partei müssen beispielgebend wirken.

IV.

Man mißverstehe den Standpunkt der Arbeitersportbewegung nicht. Es wird kein Kampf gegen den Professionalspieler im Sport als Einzelspieler geführt, denn er ist genau so ein ausgebeutetes Objekt wie der Arbeiter in der Textilfabrik. Die bürgerliche Sportbewegung bedient sich aber der Professionalspieler, um ihre Klassenherrschaft im Sport aufrechtzuerhalten, was ihr ohne den Professionalsport in Österreich schwerlich mehr gelingen könnte. Man begreife daher den Kampf der sozialistischen Arbeitersportler; der sich gegen die bürgerliche Ideologie wendet. Wenn sie sich gegen die Unterstützung des Professionalsportes durch die Parteipresse oder einzelne Parteiangehörige wenden, so verteidigen sie den Klassenstandpunkt des Proletariats. Der Sport soll Volksgut sein und nicht zum Geschäft und nicht zum Beruf werden. In der sportlichen Betätigung liegt ein ungeheures Mittel, die physische Voraussetzung für die Kampffähigkeit des Volkes zu schaffen. Weil die Arbeiterklasse aber ein großes Interesse daran hat und haben muß, diese physische Kampffähigkeit des Volkes in den Dienst des Sozialismus zu stellen, so darf sie niemals zugeben, daß diese Kampffähigkeit zu politischer Indifferenz oder für die bürgerlich-kapitalistische Weltanschauung eingesetzt wird. Die Umwelteinflüsse sind neben den Erbmerkmalen und Bildungseinflüssen das Entscheidende in der Erziehung der Menschen. Das Proletariat hat von vornherein infolge seiner politischen und wirtschaftlichen Lage nicht die günstigsten Erbmerkmale und Bildungsmöglichkeiten. Die Lage des Proletariats wird durch // die herrschende Kapitalistenklasse noch eher ungünstig als günstig gestaltet. Das Wichtigste ist daher der Umwelteinfluß, der auf die sozialistische Gesinnung neben der verstandesgemäßen Aufklärung auf den Proletarier einwirkt.

Kann und darf die sozialistische Bewegung nationalistische und kapitalistische Umwelteinflüsse auf das Proletariat einwirken lassen, ohne sich aufzulehnen?

Daher kann auf so „scheinbar“ abliegendem Gebiet wie der Sport der Kampf gegen bürgerliche Ideologie und kapitalistische Erscheinungsformen nicht aufgegeben oder abgeschwächt werden. Die Grundsätze sozialistischer Auffassung müssen eben in jeder Lebenslage eingehalten werden.

V.

Die bürgerliche Welt bemüht sich, die Macht der Arbeiterklasse abzuschwächen. Das Proletariat hilft dabei mit, indem es den bürgerlichen Ideen, hauptsächlich auf kulturellem Gebiet, erliegt und keine klare sozialistische Kulturpolitik verfolgt. Der Kapitalismus hat ein großes Interesse daran, weite Kreise der Bevölkerung weit vom politischen Interesse abzutreiben und sie mit anderen Dingen zu beschäftigen. Brot und Zirkusspiele für das Volk, die Macht aber der Herrenklasse. Das Volk als Spielball kapitalistischer Wunschträume. Der Sport ist dank seiner physiologischen und psychologischen Vorzüge eine Massenerscheinung in allen Ländern geworden. Ganz selbstverständlich, daß das Bürgertum sich dieses Mittels bedient, um die allzu starke Politisierung der Masse zu sublimieren. Der Arbeitersport ist die wirksamste Form, dem Bürgertum auf diesem Gebiet seine Pläne zu zerstören. Der Arbeitersport will Massensport mit politischer Aufklärung vereint wissen. Nicht Spiel und Sport um der Ablenkung willen, sondern sportliche Betätigung in der Erkenntnis, ein geistig und physisch kampffähiges Proletariat zu erziehen, das imstande ist, die politische, wirtschaftliche und kulturelle Reaktion und den Kapitalismus zu überwinden.

In: Der Kampf, H. 1 (Jänner) 1933, S. 36-38.