Joseph Aug. Lux: Die vierzehn Punkte des Kunst- und Kulturrates

Joseph Aug. Lux: Die vierzehn Punkte des Kunst- und Kulturrates. Mit Anwendung auf alle Städte und Länder. (1919)

             Wenn die Dinge ihren bisherigen Gang gehen, dann ist leicht vorauszusehen, daß auch in der neuen Staatsform an der von den jetzigen Lebensmächtigen besetzten Tafel kein Platz für ideenschöpferischen, geistigen Menschen ist. Nur im Äußerlichen hat sich das Bild verändert; etliche Destruktionen, eine Revolution der Oberfläche, aber die Seelen sind unberührt geblieben von dem Sturmhauch der Freiheit, der die herrlichsten Hoffnungen auf eine neue, wahre Kultur erweckte – und schon enttäuschte. Aus unfruchtbaren Herzen keimt keine edle Saat; im tiefsten Kern steckt der alte verknöcherte Geist, die kompakte Majoriät philiströser Hierarchien, der Bureaukratismus, die Zünftelei der Ämter, Bauämter, Kunstämter, Schulämter, der Berufsorganisationen, der Vereinsmeierei, der sentimental gefärbte Materialismus, die ewige Verneinung verkrüppelter Seelen, die unfruchtbare Rückständigkeit, die im innersten nicht weniger reaktionär ist als früher, auch wenn sie jetzt demokratische Spruchbänder zum Halse herausreckt. Das System ist geändert, der Geist ist geblieben, mehr oder weniger bewußt verschworen – vielleicht nicht so sehr aus angeborener Bosheit, als mehr aus Trägheit oder Dummheit – gegen die Macht neuer Ideen, dieses gefürchtetste und darum gehaßte und doch so unentbehrliche Göttergeschenk und gegen dessen Träger, die freie geistige Persönlichkeit.

             Und abseits von dem Lärm steht das leidende, namenlose Volk, vielfach roh und unwissend ohne eigene Schuld, und der Künstler, scheinbar entgegengesetzte Pole und doch innerlich zusammengehörig, wurzeleins, wesensgleich und schicksalsverwandt, so verwandt wie der himmelwärtsstrebende Baum und die Erde, darin er wurzelt. Der Künstler sucht das Volk als platonische Idee und Menschheitsbegriff; das Volk ahnt den Künstler vielleicht aus seinem unbewußten Genius heraus, aber sie können nicht zueinander kommen; was dazwischen steht, sind die Macher und Makler, die Wechsler im Vorhof des Tempels; was dazwischen steht ist vielleicht auch das sogenannte P.T. „Publikum“, jene konventionelle Menge, die indessen im Grunde noch lange nicht so schlecht ist wie ihre gefälligen Diener, Verblender und Ausbeuter.

             Wann bilden Kunst und Volk eine Einheit? Sie bilden eine Einheit, wenn eine Kunstschöpfung, ein gefühltes Leid, ein edler Gedanke, eine schöne Tat die Seelen ergreift. Um aber ein Echo zu geben bedarf es einer unbefleckten Empfängnis der Seelen, einer inneren Vorbereitung und entwickelter Seelenorgane: Kunst und Kultur sind im richtigen Sinn kein Luxus für die Reichen, sondern eine Kultsache für die Menschheit, mit der Glück und Leben der Einzelnen und des ganzen Volkes zusammenhängt. Dazu bedarf es der Aufwärtsleitung, der Emporläuterung aller Kräfte nach dem Priestertum //der hohen Sache, nach den inneren, höheren Zielen, die das Antlitz des Lebens veredeln. Das Werk, die Tat wird von Einzelnen geboren, Träger und Vollender ist die Gesamtheit mit ihrer Resonanz; nur nach den Schöpfungen des Genius bemißt sich die Kulturhöhe eines Volkes. „Darum sind ja von jeher Sänger, Seher und Gotterleuchtete gewesen“, lautet ein Wort Grillparzers am Grabe Beethovens, „damit sich die Menschheit an ihnen aufrichte, ihres Ursprungs eingedenk und ihres Zieles.“

             Wann und Wo hat man je ein Wort auch nur annähernd dieses Sinns aus dem Munde eines Volksvertreters oder Politikers vernommen? Wann und Wo gab es ein Parlament, einen Landtag, einen Gemeinderat, eine Wählerversammlung, wo von dieser tiefsten Notwendigkeit der Volkswirtschaft der menschlichen Werte die Rede war? Heute wäre Zeit dazu.

[…]

Dem Zwang der Ideen, die überall ihre Träger und Verfechter haben, wird sich der Geist der Schwere und der Negation auf die Dauer nicht widersetzen können. Aus dieser idealen Gemeinsamkeit stellen wir zunächst die vierzehn Punkte unseres Programms auf, die den Machthabern zeigen können, was not tut, nicht um bloß zu regieren, sondern um gut zu regieren.

             Punkt 1. Gründliche Reform der Schulpläne und Volkserziehung. Die Schule entläßt den jungen Menschen mit einem Ballast toten Gedächtnisraums und einem falschen Weltbild im Hinblick auf Geschichte und Leben. Flickwerk an den Schulplänen für Volks-Bürger-, Mittel- und Gewerbeschulen ändert nichts an dem Übel. Der Unterricht muß mit der Werkfreude (Spieldrang) des Kindes beginnen und damit fortsetzen im Sinn einer Verlebendigung und Erweckung aller schlummernden, schaffenden und seelischen Kräfte des Kindes und seiner künftigen Stellung im Alltag. Die Bestrebungen des Professors Czischek [Cizek] in Wien und an der Wiener Kunstgewerbeschule unter Roller, die Schule Joseph Hoffmann und die früheren Kurse des Malers Böhm für Frauen und Mädchen, als Vorbild für viele ähnlichen Einrichtungen in Deutschland, besonders in Magdeburg, Köln und Düsseldorf, die Gewerbeschulreform in Bayern nach Arch. Zell, sind Vorbilder. Ähnliches wird in Salzburg ind en neuen kunstgewerblichen Lehrwerkstätten für Frauen und Mädchen in Anschluß an die Salzburger Werkstätten für Kunst und Mode eingerichtet. Eingehende detaillierte Pläne für // alle in Betracht kommenden Fälle werden ausgearbeitet und den neuen Regierungen vorgeschlagen.

             Den Überbau bildet die Volkshochschule, die wichtiger ist als der akademische Zopf der Universitäten, davon einige bereits obdachlos sind. Die Volkshochschule (freie Universität), die bedeutenden Lehrern und freien künstlerischen Persönlichkeiten eine Gaststätte für Vortragsserien und freie Kurse bietet, bildet die Centralstelle der Volksbildungsbestrebungen, nicht im Sinne von Verbreitung von abstrakten weit abliegenden Stückwerks akademischen Wissens, das nur Halbbildung im Volk erzeugt, sondern im Sinn wahrhaft geistiger und seelischer Vertiefung vom Standpunkt des praktischen Lebens und Berufes der Hörerschaft nach dem Beispiel der Volkshochschulen in Schweden und Dänemark.

[…]

             Punkt 2. Theaterkultur. Die vornehmste Bildungsstätte im künstlerischen Sinn ist die Bühne, aber nicht in ihrer bisherigen Verfassung, besonders was die Stadttheater, die Geschäftstheater, die früheren Hoftheater betrifft, von den wenigen Fällen einer wahrhaft künstlerischen Volksbühne abgesehen. Das Theater muß als künstlerische Erbauungs- und Bildungsstätte der Volksseele auf die Höhe zeitgemäßer Anforderungen gebracht werden, darüber sich die Denkschrift über die Probleme der Theaterkultur in diesem Heft genauer ausspricht. […]

Punkt 3. Der Kino. Die Kinolizenzen befinden sich fast ausnahmslos in den Händen unqualifizierter Elemente. Es ist daran zu denken, den Kinobetrieb zu verstaatlichen, da er nicht nur eine wichtige Geldquelle für höhere anderweitige Kulturzwecke erschließt, sondern auch die Aufsicht über seine Tendenzen als Kulturmittel erleichtert und überhaupt erst ermöglicht.

Punkt 4. Heimatschutz und Industrie. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die Heimatschutzvereine zur Ohnmacht verurteilt sind. Sie arbeiten in sich, eine erbaulicher Verein für die Mitglieder, aber die Stoßwirkung nach außen ist in vielen Fällen gleich Null. Das bedauerliche //Schicksal, überall zu spät zu kommen und sich mit einem wirkungslosen Protest begnügen zu müssen, wird behoben sein, wenn die öffentliche Meinung wieder für die Aufgaben des Heimatschutzes, der nicht das Neue verhindern, sollen wachen soll, daß es die Schönheit vermehre, im größeren Ausmaß wieder gewonnen sein wird, wozu wir helfen wollen. […]

Punkt 5. Stadtregulierung. Die Schandtaten der Stadtbauämter überall, wo nicht Künstler von Ruf am Werke sind, müssen aufgedeckt werden. So auch in Salzburg, in diesem Weltstelldichein, auf dessen Schönheit die Menschheit ein Recht hat. […]

Punkt 6. Bauordnung, Bauaufgaben.[1] […]

Punkt 7. Arbeiterhäuser. Das Proletarierviertel und die Mietkasernen als Schandprodukte der Ausbeutung müssen schwinden, Arbeiterkolonien sind aus den Schrebergärten als der gegebenen natürlichen Grundlage unter künstlerischer Bauberatung zu entwickeln. Der Ruf nach Kinderheimen, Invalidenheimen, Dienstbotenheimen ist ein Zeichen, daß etwas krank ist am Volkswirtschaftskörper. Nicht mit den – „Heimen“ ist es getan, sondern mit der Ausrottung des Grundübels, mit der Sanierung der Wohnstätten und mit der Sanierung der Gesinnungen und menschlichen Verantwortungen.

Punkt 8. Denkmäler – Museen. Kriegerdenkmäler, Helden- und Freiheitsbrücken sind zu verbieten. (Ausgenommen schlichte Denksteine, Totenmäler.) Wertlose Denkmäler sind zu beseitigen. Die Museumsfragen unterliegen einem besonderen Studium, wobei Gewicht gelegt wird auf Volksmuseen mit Abendbesuch und freiem Vortrags- und Diskussionsrecht.

Punkt 9. Volkslied, Volkstracht, Volksbrauch. Ihnen gehört eine besondere Pflege. Volkstracht ist zu verlebendigen in kleidsamen, kunstgewerblich betonten Formgebungen, um sie aus dem petrefakten Zustand, der ihr Verschwinden verschuldet, weiter zu entwickeln. //

Punkt 10. Volkstümliche Hausindustrie und Qualitätsarbeit in Handwerk und Industrie. Das Ziel ist die künstlerische und wirtschaftliche Hebung der Hausindustrie durch kunstgewerbliche Anregung und Organisation, die von der freien Arbeitsgemeinschaft unternommen wird.

[…]

Punkt 11. Volksgesundheit.

[…]

Punkt 12. Ausstellungswesen. Das Ausstellungswesen ist ein Mittel der Volkserziehung und der Kunsterziehung, der Fachkreise wie des Publikums. Künstler von europäischem Rang sind einzuladen; Malerei, Kunstgewerbe und Handwerk sollen sich im freien Wettbewerb mit den besten Kräften von auswärts messen und höherbilden dürfen.

Punkt 13. Kulturgemeinschaft der Völker. Nicht Fremdenindustrie im herkömmlichen Sinn, gegen den sich ein gesunder Volksinstinkt auflehnt, sondern Kulturgemeinschaft mit den Völkern und den besten in aller Welt ist unser Ziel als Valutaregulierung menschlicher Werte, davon Sein und Nichtsein abhängt. Austausch der Güter, der Werte, der Anregungen im freien Verkehr. Idealer Fremdenverkehr. Wie? Darüber Genaueres zur geeigneten Zeit.

Punkt 14. Der innere Mensch – sichtbare Seelenkultur.

Dies liegt uns vor allem als die Hauptsache am Herzen. An der persönlichen Verwirklichung zu arbeiten und ein eigenes Beispiel zu geben, ist der Anfang jeder Kultur. Von der Zündholzschachtel bis zum Haus und zum Stadtbild muß alles in Ordnung sein. Aber nicht mit dem Äußerlichen ist es getan. Das Sichtbare ist Seelenausdruck. Dieses Innerliche steht uns am Nächsten. Musik, Dichtung, geistige und seelische Pflege sind die Pfade zum Evangelium der Schönheit und zu dem Mysterium einer neuen kosmischen Weltanschauung als Religion, die wir kommen sehen und vorbereiten helfen wollen.

Es ist daran gedacht, die Richtlinien der einzelnen Programmpunkte, soweit sie allgemeine Interessen betreffen, genau auszuarbeiten, in unsern Heften zu erörtern und in Kommissionen, zu denen autoritative Persönlichkeiten, Korporationen ec. jeweils berufen werden, für die Durchführung, Gesetzgebung ec. vorzubereiten. Das kann nur nach und nach geschehen, man kann nicht alles auf einmal sagen. Aber wir werden nicht ruhen, bis das Ziel im Wesentlichen erreicht ist.

In: Kunst- und Kulturrat. Salzburg, H. 1/1919, S. 3-7 (Auszüge)


[1] Bei diesem Punkt, der sich vorwiegend mit Bauordnungs- und Regulierungen, die in nachfolgenden Heften präzisiert werden sollen, verweist Lux auf seine Schrift: Städtebau und die Grundpfeiler der heimischen Bauweise. Dresden 1908.