N.N. Die Rolandbühne – Jargontheater. (1921)

N.N. Die Rolandbühne – Jargontheater. (1921)

(Kunst und Literatur des Getto. – Von Morris Rosenthal zu Max Reinhardt. – Freundschaftliche Wechselgastspiele)

             Während in Amerika schon vor zirka 60 Jahren Morris Rosenthal das erste jiddische Theater gründete und so das Interesse für die Kunst eines Volks wachrief, das ungeachtet aller Bedrängnis seine Eigenart nie verlor, beginnt in Europa erst jetzt das Erkennen (nach all dem Suchen durch die ganze Welt – Indien, Siam, Japan und China – nach Neuem), daß da mitten unter uns eine bodenständig nationale Kultur lebt, die voll des Eigenartigen ist und ganz grundlos bisher unbeachtet blieb. In Amerika gibt es schon seit Jahren in jeder Stadt eine jiddische Bühne, im alten Kulturland Europa nur in London, Paris, Warschau und Lemberg. Und so bekannt in Amerika jüdische Literatur und Kunst geworden ist, so unbekannt ist sie hier geblieben, hier im Land der Gettos, in deren drangvoller Enge alle jene schwermütigen, tiefgefühlten Werke geschaffen wurden.

Nun aber beginnt auch bei uns das Verstehen für diese Kunst wach zu werden und mit der immerwährend steigenden Zahl jerer, die tiefer eindringen wollen in Wesen und Geist dieser Kunstgattung, wächst naturgemäß auch das Bedürfnis für ein jüdisches Theater, das doch besser als jede, wenn auch noch so ausführliche Monographie in Sprache und Sinn dieser Dichtungsweise einführt.

             Und diesem Bedürfnis entsprechend werden Wien und Berlin von dieser Saison an ihre großen jüdischen Theater haben.

             In Berlin gründet es Max Reinhardt, in Wien hat Direktor Richter-Roland die bisherige Rolandbühne zum Sprechtheater umgewandelt und eröffnet heute dort das jüdische Theater.

             Direktor Richter-Roland, dem als artistischer Direktor Herr Ferdinand Schmergel zur Seite steht, hat ein großzügiges Aktionsprogramm ausgearbeitet, von dessen Durchführung man sich sehr viel Gutes versprechen darf. Direktor Richter-Roland, dem als artistischer Direktor Herr Ferdinand Schmergel zur Seite steht, hat ein großzügiges Aktionsprogramm ausgearbeitet, von dessen Durchführung man sich sehr viel Gutes versprechen darf. Direktor Richter-Roland plant die Einführung von fremdsprachigen Wechselgastspielen und beginnt diese mit einem Ensemblegastspiel der jüdischen Bühne des Direktors S. Podzamcze. Im Rahmen dieser Bühne wird auch die nunmehr schon durch ihre Gastspiele in der Vorsaison gefeierte amerikanische Künstlerin Mali Picon und ihr Gatte Direktor J. Kalich aus Boston gastieren, die einen dreimonatigen Kontrakt geschlossen haben. Mali Picon, diese rassige, feinnervige Frau, die eine der besten jüdischen Schauspieler Amerikas ist, wird hier in einigen neuen Operetten und Volksstücken auftreten, die neuerdings die Vielseitigkeit dieser Künstlerin zur Geltung bringen werden.

             Direktor Kalich, der als Interpret und Rezitator jüdischer Poesie ebenso bedeutend ist, wie als Schöpfer typischer Gestalten des unrastig wandernden und sich nach einer eigenen Heimat sehnende Judenvolkes, wird den sicher schon großen Kreis seiner Verehrer erweitern.

             Aber auch das übrige Ensemble weist beachtenswerte Erscheinungen auf. So den Regisseur L. Jungwirth, der sich als Theaterleiter in Czernowitz und Lemberg erfolgreich bewährte und dessen vornehmes Spiel und kultivierte Sprechkunst ihn zu einem der hervorragendsten Schauspieler machen. Dann die blendend schöne Viera Kaniewska, die temperamentvolle Frau Laura Glückmann und die durch vorzügliche Charakterisierungskunst Frau Dreiblatt. Unter den Herren seien noch hervorgehoben: der Bonvivant S. Sinin, der nachgerade zum Frauenliebling wird und nicht nur durch die prachtvolle Stimme, sondern auch durch seinen eleganten Tanz beachtenswert ist, ferner Herr Breitmann und schließlich die beiden trefflichen Komiker Zucker und Katz.

             Das Orchester bleibt auch weiterhin unter der Leitung des Kapellmeisters Kuczynski, der sich in kurzer Zeit einen populären Ruf geschaffen hat.

             Zur Aufführung gelangen sowohl jüdische Volksstücke als auch moderne Literaten wie Schalom Asch, Pinski, Gordin und Rosenthal. Aber auch die sang- und klangvollen amerikanischen Operetten Rumschinskys werden gepflegt werden.

             Besonderes Augenmerk verdient aber auch die geplante Aufführung jener altjüdischen Legenden und Volksmythen, wie Der Golem von Prag und Sulamith, (Themata, die wie bei Meyrink und Hans Heinz Ewers schon Stoff boten für Romane und auch im Film verwendet wurden), die in Europa auf einer Sprechbühne noch nicht zu sehen waren, während in Amerika auch dieses Genre schon seit langem gepflegt wird und die Besten unserer Bühnenkünstler, ich nenne nur Schildkraut, an die Lösung dieser schwierigen Aufgabe gingen.

             Ganz neu und in seiner Anlage großzügig ist der Plan der Direktoren Richter-Roland und seines theaterkundigen Associés Ferdinand Schmergel, mit den bestehenden jüdischen Bühnen Wechselgastspiele zu vereinbaren, so daß Gelegenheit geboten wird, auch die Stars anderer Städte kennen zu lernen.

             Das Haus wurde seiner neuen Bestimmung entsprechend umgebaut und adaptiert und bildet durch den intimen Charakter einen wunderhübschen Rahmen für Milieustücke. Auch die Tische wurden entfernt, um bequemen Klappstühlen Platz zu machen.

             Die Notwendigkeit eines jüdischen Theaters in Wien kann wohl nicht angezweifelt werden, wenn man erfährt, daß hier nach geringster Schätzung an 300.000 Jargon sprechende Menschen leben, die Zahl jener aber, die aus künstlerischen oder ethymologischen Gründen sich für diese Kunst interessieren, gleichfalls dieser Zahl nahe kommt, ganz abgesehen von jenen, die durch die klangvolle, bildhafte Musik der Operetten Rumschinskys das Theater besuchen werden und deren Gemeinde auch nicht klein sein dürfte.

             Nach diesen Erwägungen kann man dem neuen Unternehmen eine glänzende Zukunft vorhersagen, In künstlerischer Beziehung sicher; das verbürgt das Programm, das Ensemble und die bewährte Leitung.

In: Neues Wiener Journal, 1.9.1921, S. 8.