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Sozialdemokratisches Frauenreichskomittee: Frauen und Mädchen des Proletariats!

Sozialdemokratisches Frauenreichskomittee: Frauen und Mädchen des Proletariats! (1918)

In ernster Stunde sprechen wir zu euch, um euch aufzufordern, die Notwendigkeit der Zeit zu erkennen. Alles Alte wankt und stürzt, Einrichtungen, die im Sinne des Volkes als ewig feststehend, als unab­änderlich galten, versinken, Neues entsteht und wächst heran. Die Wucht des schon über vier Jahre währenden schreckensvollen Krieges, unter der so viele Menschenleben verblutet sind, die Elternfreude und Eheglück begraben hat, die das Wohl von Millionen zerstampft und unermeßliche Werte vernichtet hat, diese Wucht zertrümmert auch Staaten und reißt auseinander, was ewig zusammenzugehören schien.

In dieser Zeit der Neugeburt von Nationen können und dürfen die einzelnen nicht untätig bleiben. Wenn aus Blut und Rauch eine neue Welt entsteht, dann muß es eine bessere Welt werden. Eine bessere Welt für das so lange gepeinigte Proletariat, für die in vielfacher Knechtschaft lebenden Frauen. Die Weltgeschichte kennt schon viele Umwälzungen, aber noch keine hat vermocht, die Frau zu einem gleich­berechtigten Wesen zu machen. Immer ist die Frau eine minderwertige Staatsbürgerin geblieben. Und weil sie als Staatsbürgerin minderwertig war und bis heute ist, ist sie auch als Arbeiterin unterdrückter, ausgebeuteter als der Arbeiter.

Überall, wo immer wir den Blick auf Frauen lenken, sehen wir sie in größerer Unfreiheit, Unterwürfigkeit und Abhängigkeit als den Mann. Das Zeitalter der Fabriken hat zwar der Frau das Recht eingeräumt, ihre Arbeitskraft zu verkaufen und überall tätig zu sein, wo menschliche Arbeitskraft notwendig ist. Aber die Frau ist überall eine schlechter bezahlte Arbeitskraft. Selbst wenn sie die gleiche Arbeit leistet, gibt es Mittel und Wege, ihr den gleichen Lohn vorzuenthalten.

Man hat mit dem System der schlechteren Ent­lohnung die Frauen zu größerer Genügsamkeit, zu größerer Entbehrung, und damit zur Schwächung ihres Körpers, zum früheren Schwinden der Jugendblüte und Gesundheit verurteilt.

Die Frauen sind durch Jahrhunderte zu Märtyrerinnen erzogen worden. Sie nehmen das Dulden und Entbehren als etwas hin, das nicht abzuändern ist. Damit werden aber die Frauen als Arbeiterinnen zu Schädigerinnen der Arbeiterschaft überhaupt. Die geduldigen und billigen Arbeiterinnen sind dem Arbeitgebereine willkommene Gelegenheit, um auch den Lohn der Männer zu drücken.

Arbeiterinnen! Wir stehen vor dem Ende des Krieges. Der Friede kommt endlich, endlich in sichtbare Nähe. Das Kriegselend wird ein Ende nehmen. Sollen wir es nur eintauschen gegen vermehrtes, ebenso drückendes, würgendes Elend im Frieden? Die Menschheit ist erschöpft, die Kraft jedes einzelnen durch die Hungerjahre geschwächt, nicht fähig, noch länger Elend zu ertragen.

Da ist es Pflicht, daß die Arbeiterinnen sich aufraffen, daß alle, die den Reihen der Organisation der sozialdemokratischen Partei noch fernstehen, das Versäumte nachholen. Jede Arbeiterin, die will, daß nach dem Krieg nicht wieder Ausbeutung und Hunger, Not und Elend die Welt beherrschen, muß Mitglied der sozialdemokratischen Frauenorganisation werden!

Jede Frau, die entschlossen ist, der knechtischen Stellung der Frau ein Ende zu machen, muß in den Reihen der sozialdemokratischen Partei für die neue Gesellschaftsordnung, für den Sozialismus kämpfen.

Man hat die Jahre des Krieges die „große Zeit“ genannt. Welch eine Verhöhnung, einen Zustand „groß“ zu nennen, wo Millionen Menschen hingeschlachtet werden und hunderttausende Frauen in den Dienst des Krieges gestellt werden, täglich, ja stündlich, ebenfalls dem Tode entgegensetzend.

Groß ist die Zeit, die jetzt angebrochen ist. Die Zeit der Umwälzungen, die Zeit, wo das Alte stürzt und das Neue geboren wird. Da wollen und müssen sich die Frauen der Aufgaben bewußt sein, die diese Zeit auch ihnen stellt. Wenn neue Staaten gebildet werden, wollen und müssen die Frauen mutig, entschieden und selbstbewußt sich erheben und für die Forderung, eintreten, daß die neue Zeit auch ihnen gibt, was ihnen nach Recht und Billigkeit zukommt. In den demokratischen Staaten, die im Entstehen sind und zu denen sich auch das alte Österreich umbildet, müssen Freiheit und Gleichheit, Bürgerrecht haben. Auch für die Frauen. Wenn gedrückte und geknebelte Völker auferstehen zur Freiheit, dürfen die Frauen dieser Völker nicht in Knechtschaft und Unfreiheit bleiben.

Frauen, wacht auf! Sammelt euch um die Fahne, die euch zur Gleichheit und Freiheit, zur Menschenwürdigkeit führen soll!

Frei und gleich sei das Ziel der Frauen!

Frei und gleich als Staatsbürgerin und Arbeiterin!

Wir laden euch ein, zu uns zu kommen, als unsere Mitglieder und Kampfgenossinnen.

Das sozialdemokratische Frauenreichskomitee

In: Arbeiterinnen-Zeitung, Nr. 21, 22.10.1918.