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Hugo Bettauer: Die Neujahrsnacht der Banknoten (1922)

Hugo Bettauer: Die Neujahrsnacht der Banknoten.

             Um einen grünen Tisch herum sitzen wohlbekannte Gestalten, um sich nach rastloser Wanderung einer kurzen Muße hinzugeben und bei Punsch und Krapfen den Eintritt des neuen Jahres abzuwarten; der Einser, der Zweier, der Zehner und Zwanziger, der Fünfziger und Hunderter, der Tausender und Zehntausender haben genau nach Rang und Wert ihre Plätze eingenommen. Zwei Stühle sind für weitere Gäste reserviert. Der Einser und der Zweier befinden sich in despektierlichem Zustand. Abgerissen, fetzig, schmutzig, klaffende Risse notdürftig mit Heftpflaster verklebt, in sich zusammengesunken sitzen sie da, als wollten sie demnächst verenden.

             Dem Zehner ist die Nachbarschaft ersichtlich unangenehm, er rümpft die Nase, schüttelt sich vor Ekel und brummt wütend:

             „Ihr hättet auch lieber zu Haus bleiben können. Ordentlich kompromittieren tut Ihr die ganze Gesellschaft!“

             „Na, na, spiel‘ dich nicht auf, Zehner,“ ruft der Hunderter höhnisch, „schaust ja selber schon wie ein Pülcher aus! Auf ja und nein wird sich nach dir auch keiner mehr bücken wollen.“

             „Mir alle san halt strapaziert,“ keucht der beleidigte Zweier!

             „Volksfreunde san mir,“ echot der Einser, „Kinderfreunde und Genossen der notleidenden Klassen!“

             Das war zu viel der Anstrengung, der Einser rutscht vom Stuhl hinunter und sein Oberkörper trennt sich vom Unterleib. Der Zweier bückt sich, um dem Genossen zu helfen, dabei kommt auch er zu Fall und der Zehner stoßt sie beide wütend mit dem Fuß beiseite.

             Der Tausender beschwichtigt die Aufgeregten. „Laßt’s die armen Hascher lieger! Sie haben ja eh‘ die längste Zeit schon kein Leben mehr g’habt! Wann i der Hausherr wär, tät ich sei im neuchen Krematorium verbrennen! Kosten eh‘ mehr, als sie wert san!“

             Der Zwanziger will sich noch nicht beruhigen! „Eine Schande ist es, so mit uns umzugehen! Auf ja und nein kann uns allen dasselbe geschehen! In den letzten Wochen habe ich schon genug Schimpf und Schande erleben müssen.“

             Der Tausender reckt sich, wirft funkelnde Blicke aus den braunen Augen und meint:

             „Es herrscht eben keine Achtung und Ehrfurcht mehr in diesem Lande, seit der gute Kaiser Karl…“

             „Nichts von Politik,“ brüllt der demokratisch gesinnte Hunderter dazwischen.

             Der Tausender begehrt auf: „Wer etwa behauptet, daß ich Monarchist bin, ist ein Verleumder! Aber einen Herrn brauchen wir, sage ich! Wissen Sie, was mir neulich beinahe geschehen wäre? Beim Heurigen war es, als nach kräftigem Genuß von neuem Wein und Powidlgolatschen sich so ein reich gewordener Selcher beinahe, weil er nichts anderes zur Stelle hatte, mit mir…“ Die anderen Worte flüsterte der Tausender indigniert den Nachbarn zu, von denen der Hunderter erbleichte, während der Zehntausender in schallendes Gelächter ausbrach.

             „Allerdings, mir könnte das nicht so leicht passieren! Na, ja, schließlich bin ich auch unter den geänderten Verhältnissen ein Wertfaktor, den man respektieren muß!“

             „An Schmarrn bis du,“ kreischt der kranke, schäbige Zehner im Bewußtsein, eh‘ auf dem letzten Loch zu pfeifen. „Du und der Tausender, Ihr seid nichts als Schwindler, besonders seitdem Ihr von hinten wie die Zwillingsbrüder ausschaut.“

             Mit philosophischer Ruhe mengt sich der Fünfziger ein. „Meine Herren, geben wir uns keinen Illusionen hin, Schwindler sind wir alle! Jeder von uns will etwas vorstellen, was er nicht ist, und ob einer sich Tausender nennt oder Zehntausender, in Wirklichkeit ist er ein Dreck!“

             „Da muß ich doch sehr bitten,“ meint scharf der Zehnstausender. „Ich als der Erste und Beste unter Ihnen denke in diesem Punkt wesentlich anders…“

             Die Tür geht auf und der Herr Fünftausender tritt ein. Einen Moment ist alles baff, der Glanz des nagelneuen Gewandes, das der späte Gast trägt, fasziniert, der Hunderter vergißt seine demokratische Gesinnung , der Zehner seinen beleidigten Zustand, beide springen auf, um den Fünftausender an die Spitze der Tafel zu führen. Da schlägt der Zehntausender mit der Faust wütend auf den Tisch.

             „Oha, das wär‘ noch schöner! Da links von mir ist der Platz für den neuen Herrn, denn ich bin noch immer der Rangältere.“ Und spitz wendet er sich an den verwirrt und verlegen ins Licht blinzelnden Fünftausender:

             „Der Herr hat wohl mit Erfolg in Valuta spekuliert? Unsereins kann sich nämlich nicht so ohneweiters ein neues Gewand leisten.“

             Verdrossen, geknickt, zerrissen wacht der Zwanziger aus dem Halbschlummer auf.

             „Tun’s Ihnern nix an, Herr Präses, Sie gehören ja selbst zu den neuen Reichen, die was im Jahr 1914 noch gar net auf der Welt waren!“

             Der Fünftausender setzt sich artig, fühlt die neidischen und bewundernden Blicke und denkt sich: In eine schöne Gesellschaft bin ich geraten! Wer weiß, vielleicht schau‘ ich bald auch so aus, wie der stinkerte Zehner da!

             Jetzt kommt aber breitspurig, mit wuchtigen Schritten, würdevoll der letzte Gast, der Kommerzialrat Fünfzigtausender. Vergebens hat er sich allegorisch einzukleiden versucht, er sieht entschieden „eingewandert“ aus und je vornehmer er sprechen will, desto mehr jüdelt er.

             „Platz da, meine Herren,“ ruft er und setzt sich breitspurig an die Spitze der Tafel. „Hast ä Hitz, was Sie da haben! Nü, Herr Tausender, Sie sehen auch schon etwas mitgenommen aus, von die anderen Herren gar nicht zu reden! Und Sie, Herr Zehntausender, Ihnen ist auch nicht ganz wohl? Also,ich sag‘ Ihnen, jetzt, wo ich da bin, wird ein neuer Zug in die Sache kommen! Reißen wird man sich um mich und was echter Kavalier ist, wird gar nicht ohne mir in die Bar gehen wollen!“

             Und schon schließt sich alles gegen den neuen Eindringling zusammen. Der Zehntausender rückt von ihm ab und vom unteren Ende der Tafel werden stürmische Rufe“ „Schieber! Schieber! Schieber“ laut. Der Zehner kreischt: „Haut’s den Hebräer tor“, der Hunderter brüllt: „Wart nur, bei der nächsten Plünderung!“

             Der Lärm wird so groß, daß im Café „Zentral“ am Literatentisch, wo eben heftig über Stendhal, Daimler, Goethe, Julisüd, Wildgans und Chemosan diskutiert wurde, Unruhe entsteht. Die Türe fliegt auf und der Hausherr, Herr Gürtler, kommt mit der Nachtmütze auf dem Kopf und einem Staberl in der Hand.

             „Ruhe, Bagage, elende! Wan i euch allemiteinander nur schon los wär, ös elendige Gauner, ös! Marsch ins Steueramt mit euch! Aber rasch, sonst hol i mein Freund, den Rosenberg, und lass‘ euch alle zusammen abstempeln!“

In: Der Morgen, 2.1.1922, S. 4.