Richard Kralik: Unsere Kunststelle (1920)

Richard Kralik: Unsere Kunststelle

             Es ist eine für das katholische Leben eminent wichtige Angelegenheit, die wir in ihrer vollen Bedeutsamkeit zu würdigen haben. Unter der Leitung von Hans Brecka, den unsere Leser als Kritiker, Dramaturgen und Dichter („Stiftegger“) sehr wohl kennen, wirkt seit März dieses Jahres die „Kunststelle für christliche Volksbildung“, hervorgegangen aus der bewährten Organisation des „Katholischen Volksbundes“, unterstützt von der Gemeinde Wien, im Zusammenhang mit unseren politischen und Berufsorganisationen, gefördert von so großen Vereinen wie dem herrlichen Sängerbund „Dreizehnlinden“ und von manchen begeisterungsvollen Mitarbeitern. In der kurzen Zeit der ihrer Wirksamkeit hat die „Kunststelle“ bereits Unglaubliches geleistet an Zahl und Gehalt der Aufführungen in größerem wie in kleinerem Rahmen. Klassische Dramen und Opern wurden in unseren ersten Theatern geboten, neuere Dichter kamen zur Geltung. Das katholische Kunstleben wurde so in einer bisher nicht gewöhnlichen Weise berücksichtigt, so bei den „Meisteraufführungen Wiener Musik“.

             Das christliche Publikum hat damit die ihm gemäße Kunst dargeboten erhalten. Es zeigt sich auch dafür dankbar, es strömt zu den billigen Aufführungen hinzu. Es ist aber auch die Pflicht der christlichen Intelligenz, besonders der Politik, die große Bedeutung der Sache zu würdigen, sich dieser glücklichen Entwicklung dankbar bewußt zu werden und sie auf jede Weise zu fördern.

             Es ist staunenswert, was da bereits geleistet wurde. Aus den Programmen von März bis Oktober, die 23 Veranstaltungen aufweisen, hebe ich hervor: Balladen und andere Rezitationen, Mozarts Requiem, Nestroys klassische Komödien, Kammermusik, Volkslieder zur Laute, Haydns „Schöpfung“, Orgelkonzert Springer, Kunstwanderung nach Klosterneuburg mit Orgelkonzert Goller, Veronika, „Die Kinderbergstadt“ von Rienößl, „Aus der Biedermeierzeit“, Beethovens „Fidelio“, „Aus Alt-Wien“, „Der Wafffenschmied“, „Das alte Spiel von Dr. Faust“, „Wilhelm Tell“, „Der Ackermann und der Tod“. Andere bedeutende Veranstaltungen sind für die Wintermonate vorbereitet.

             Die Arbeitslast dieser großen Serie ist ungeheuer. Es ist schier unglaublich, daß ein einzelner Mann wie der bewährte Leiter der Kunststelle sie bewältigen kann. Denn nur der Eingeweihte in dies Kunstleben weiß, welche neuen Mühen bei jeder neuen Veranstaltung immer wieder erwachsen, vom Drucklegen der Programme und Karten an bis zur künstlerischen Vollendung. Aber nach meiner eigenen früheren Erfahrung in diesen Dingen ist derlei wirklich nur ausführbar, wenn sich ein Mann wie Brecka findet, der alles unter eigener Verantwortlichkeit beherrscht, der auf sich selber in allen Einzelfragen zählen kann, der die Kenntnisse, die allseitige Befähigung, die vielseitigen Beziehungen zu Künstlern, Vereinen, Instituten hat, der als erprobter Mann deren volles Vertrauen besitzt.

             Man sagt so oft irrigerweise, daß wir keine Männer haben. Ich bin diesem Irrtum wiederholt auf jedem Gebiet entgegengetreten. Wir haben die Politiker, die wir brauchen, wir haben die Dichter, Künstler, Aesthetiker, Männer der Wissenschaft, wir haben die Organisatoren jeder Art. Wir müssen sie nur an ihrer richtigen Stelle einschätzen, uns dessen bewußt werden, was wir alles besitzen, um so unsere christliche Kultur zu jener Bedeutung in Gesellschaft und Staat zu bringen, die ihr von Rechts wegen gebührt.

In: Reichspost, 4.11.1920, S. 1.