Kralik, Richard
geb. am 1.10.1852 in Eleonorenhain (Böhmerwald) – gest. am 4.2.1934 in Wien; Schriftsteller, Historiker, Publizist, Philosoph
Nach seinem 1876 abgeschlossenen Jurastudium in Wien bewogen die Eindrücke eines Studienaufenthaltes in Bonn, bei dem er bedeutende Gelehrte, wie Mommsen, Lepsius und Grimm kennenlernte, sowie eine Italienreise 1877/78 K. dazu, die Laufbahn eines freien Schriftstellers und Privatgelehrten einzuschlagen, wozu ein gut dotiertes Legat seines Vaters die materiellen Voraussetzungen schuf. Mit Ausnahme einer längeren Griechenlandreise war K. fortan in Wien ansässig, wo er sich ab den 1880er Jahren intensiv mit der Konzeption eines „christlich-germanischen Kulturideals“ auseinandersetzte. Neben Antike, Klassik und Romantik bildeten germanische Folklore und das Christentum katholischer Prägung die Gravitationspunkte seines dichterischen Schaffens. 1906 gründete er die katholische Schriftstellervereinigung Gralbund, deren Zeitschrift Der Gral bis 1937 erschien. Diese Gründung, die sich innerkatholisch gegen den prominenten, reformorientierten Hochland-Kreis positionierte, ist im Kontext des kathol. Literaturstreits zwischen Carl Muth (Hochland) und stärker Rom-orientierten konservativen Vertretern angesiedelt zu sehen.
K.s produktivste Schaffensphase fiel mit der Zeit zusammen, als der Katholizismus nach einer Phase der Defensive in der Ära des polit. Liberalismus (in Ö bis 1879) einen Aufschwung nahm, der sich in Österreich vor allem in der Gründung der Leo-Gesellschaft1892 gegründeter, nach Papst Leo XIII. benannter Verein, dessen Zweck und Ziel die Förderung von Wissenschaft und Kuns... 1892 und der Christlichsozialen Partei 1893 sowie konservativ-klerikaler Regierungen niederschlug. Zu K.s bekanntesten Werken zählen sein Deutsches Götter- und Heldenbuch (6 Bände, 1900-04), die Heimaterzählungen (1909 f.), sowie die Allgemeinen Geschichte der Neuesten Zeit von 1815 bis zur Gegenwart (6 Bände, 1915–23), wobei die kompilatorische Arbeitsweise, die sich bereits in den Titeln andeutet, kennzeichnend ist.
In den weltanschaulich bewegten Jahren, die den politisch-sozialen Umwälzungen des ersten Weltkriegs folgten, galt K. als Wortführer des kulturpolitischen und literarischen Katholizismus in Österreich. Er publizierte in allen maßgeblichen Organen wie z.B. in der Reichspost, im Neuen Reich und in der Schöneren Zukunft sowie im Kunstgarten. In seinen zwischen 1920 und 1933 rund 700 Mal abgehaltenen Dienstagsvorträgen propagierte er seine auf konservativem Katholizismus beruhende antiliberale Weltanschauung, die sich von der Ästhetik moderner und avantgardistischer Bewegungen seit der Jahrhundertwende deutlich abgrenzte. Aus dieser Grundeinstellung ist auch sein Engagement für die Wiederbelebung von frühneuzeitlichen Moralitäts- und Mysterienspielen im Allgemeinen und Hans Sachs´ und Calderons Fastnachts- und Weihespielen im Besonderen zu verstehen. K.s. Texte, meist Nachbearbeitungen der Vorlagen, zählten ab 1924 jedenfalls zu den meistgespielten auf der Christlich-Deutschen Volksbühne1906 nach dem Vorbild der 1890 gegr. Berliner Volksbühne, die unter der Leitung von Otto Brahm u. Bruno Wille maßgebli...; in das Wiener Theaterprogramm fanden sie jedoch keinen Eingang. Symptomatisch für sein Literatur- und Kulturverständnis ist eine programmatische, offen einbekannte Ablehnung der Moderne, des Fortschritts und der urbanen Kultur; diese kam in seinen Kulturpolitischen Glossen in der Schöneren Zukunft, z.B. zu Kultur und Barbarei, sowie in seiner Tätigkeit im Verband katholischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen Österreichs deutlich zum Ausdruck.
Werke (Auswahl)
Das deutsche Götter- und Heldenbuch, (6 Bde 1900-03); Kulturstudien (4 Bde 1900-07); Hausbrot. Märchen und Sagen, Ritter- und Räuber-, Hexen- und Wildschützen-Geschichten (2 Bde 1907/08); Die katholische Literaturbewegung der Gegenwart (1909); Österreichische Geschichte 1914; Die Weltliteratur im Lichte der Weltkirche (1918); Die neue Staatenordnung im organischen Aufbau (1918);Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit von 1815 bis zur Gegenwart (6 Bde) 1915-23); Tage und Werke (Autobiographie 1922); Karl Lueger und der christliche Sozialismus (1923); Meine Stellung zum Karl May-Problem (Essay 1921) (Online verfügbar)
Quellen und Dokumente
Literatur und Politik. In: Das Neue Reich, Nr.27/1920, 541-542, Kulturpolitische Exkurse: Autor und Publikum. In: Schönere Zukunft; Nr. 7, 1925, 169-170.
Nachlass: Wien-Bibliothek im Rathaus (19 Archivboxen).
Literatur
K. Kraus: Kralikstag. In: Die Fackel, H. 604-607 (1922), 108-122; J. Hieronymus: Der vaterländische Dichter als Denker. Richard v. Kralik als soziologisches Problem. In: Der KampfGegründet im Okt. 1907, Wien bis H. 12/1933; ab H. 1/1934 vereinigt mit der Zs. Tribüne bis Mai 1938, Brünn/Brno; dan..., Juni 1925, 211-217; E. Handel-Mazzetti: Zum Verständnis Richards von Kralik. In: Schönere Zukunft, 7.3.1926, 557-558; R. Henz: Richard Kralik. Zum 75. Geburtstag am 1. Oktober 1927. In: Kunstgarten, Nr. 9/1927, 321-323; W. Pirkl: Weltgeschichte als Weltanschauung. Zur Rolle der katholischen Geschichtsschreibung am Beispiel Richard v. Kraliks. In: M. Heitger (Hg.): Verantwortung. Wissenschaft. Forschung (1981), 164-155; B. Doppler: „Ich habe diesen Krieg immer sozusagen als meinen Krieg angesehen“. Der katholische Kulturkritiker Richard von Kralikgeb. am 1.10.1852 in Eleonorenhain (Böhmerwald) - gest. am 4.2.1934 in Wien; Schriftsteller, Historiker, Publizist,&nbs... (1852-1934). In: K. Amann, H. Lengauer (Hgg.): Österreich und der große Krieg 1914-1918. Die andere Seite der Geschichte (1989), 95-104; J. Beniston: Welttheater: Hofmannsthal, Richard von Kralik and the Revival of Catholic Drama in Austria 1890-1934 (1998); R. S. Geehr: The Aesthetics of Horror: The Life and Thought of Richard von Kralik (2003).
Enzinger: Kralik von Meyrswalden, Richard. In: ÖBL 1815–1950, Bd. 4, S. 199f.
Mikoletzky, Nikolaus, “Kralik, Richard” in: Neue Deutsche Biographie 12 (1979), S. 663-666 [Onlinefassung]
(MA)