Kundgebung des geistigen Wien (1927)

Im Vorfeld der Nationalratswahl 1927, zugleich Wiener Gemeinderatswahl, erschien in der Arbeiter-Zeitung am 20.4.1927 auf der ersten Seite eine als Erklärung ausgewiesene indirekte Wahlempfehlung für die Sozialdemokratische Partei, in der auf die sozialen und kulturellen Leistungen der Wiener Stadtverwaltung hingewiesen wurde sowie auf die Notwendigkeit, die damit im Zusammenhang gesehene Freiheit, die es zu schützen gelte, zu verteidigen. Diese Erklärung, die von der AZ mit dem Titel Eine Kundgebung des geistigen Wien versehen wurde, unterschrieben knapp 40 z.T. sehr prominente Vertreter und Vertreterinnen des künstlerischen, literarischen und wissenschaftlichen Lebens. Dazu zählten Personen, die der SDAPÖ angehörten wie Alfred Adler, Anton Hanak, Oskar Strnad oder Anton Webern, aber auch prominente parteifreie Vertreter wie Siegmund Freud, der Burgtheaterdirektor Albert Heine, Robert Musil oder Hans Kelsen. Die Frauen waren in dieser Erklärung durch Fanina Halle, Alma Maria Mahler und Margarethe Minor vertreten.

Am 21.4. hat sich zu dieser Liste auch noch Alban Berg zugemeldet. Der christlichsoziale Unterrichtsminister Richard Schmitz (ab 1934 Bürgermeister der Stadt Wien und Leiter der Wr. Organisation der Vaterländischen Front) fühlte sich aufgerufen, darauf hinzuweisen, dass in dieser Liste viel mehr sozialdemokratische Parteigänger seien als in den Raum gestellt, dass der Großteil der Wissenschaft fehle und die Stadt Wien von Kultureinrichtungen wie Burgtheater und Oper ungebührlich hohe Steuerabgaben verlange. Polemisch reagierte erwartungsweise die RP in einem Leitartikel-Kommentar, in dem die Unterzeichner z.T. in ihren Leistungen geschmälert wurden (der renommierte Univ. Prof. Karl Bühler wurde z.B. zum Lehrer am Pädagogischen Institut der Stadt Wien ‚degradiert‘) und das Spektrum in unmittelbare Nähe eines Aufrufs der sozialdemokr. Gastwirte platziert erschien.


Quellen und Dokumente

Eine Kundgebung des geistigen Wien. Ein Zeugnis für die große soziale und kulturelle Leistung der Wiener Gemeinde. In: Arbeiter-Zeitung, 20.4.1927, S. 1, Eine „Kundgebung des geistigen Wien“. In: Wiener Morgenzeitung, 21.4.1927, S. 3, Geist, Spiritus und Bubikopf. In: Reichspost, 21.4.1927, S. 1, Zum 24. April. Eine Kundgebung Intellektueller. In: Wiener Zeitung, 22.4.1927, S. 2.

(PHK)