Die Radio-Verkehrs-Aktiengesellschaft, kurz RAVAG, wurde im Februar 1924 als erste österreichische Rundfunkgesellschaft gegründet und bildet damit die Vorläuferorganisation des heutigen ORF. Wesentlicher Impulsgeber war der Wiener Jurist Oskar Czeija (1887-1958), der, wie eine Reihe von anderen Radiopionieren (z.B. Emo Descovich, G.F. Helmut, Gustav Walter, Leopold Richtera), bereits kurz nach der Gründung der Ersten Republik die Idee verfolgte, den Rundfunk speziell für die Übertragung künstlerischer Darbietungen zu nutzen. Nach mehrjährigen Verhandlungen zur Ausräumung politischer und finanzieller Stolpersteine erhielt ein von Czeija begründetes Konsortium mit Unterstützung von Bundeskanzler Ignaz Seipel die notwendige Konzession zur Gründung eines Monopolrundfunks und setzte sich damit gegen die im Freien Radiobund sowie rund um die Zeitschrift Radiowelt organisierte unabhängige Radio-Amateur-Bewegung – beide bereits 1924 gegründet – durch. Als Gesellschafter traten neben dem Bund und der Gemeinde Wien unter anderem auch das Österreichische Creditinstitut für öffentliche Unternehmungen und Arbeiten, die Steirerbank AG Graz und die Österreichische Telephonfabriks-AG auf, eine Kooperation und personelle Verflechtung bestand von Anfang an auch mit dem ebenfalls 1924 gegründeten Internationalen Radio-Club.

Zunächst provisorisch im Dachgeschoß des Heeresministeriums am Stubenring untergebracht, nahm die RAVAG mit dem Sender Radio Wien am 1. Oktober 1924 den Sendebetrieb auf. Ab nun wurden den Hörern täglich, wenngleich nur für wenige Stunden, Musik- und Unterhaltungsprogramme, aber auch eine Reihe von Bildungssendungen geboten. Czeija, der der RAVAG jetzt als Generaldirektor vorstand, sah die Aufgabe des Österreichischen Rundfunks darin, „zu bilden und zu belehren, ferner zu unterhalten und schließlich für das geistige und kulturelle Niveau Österreichs […] im Auslande eine wirksame Propaganda zu machen.“ (Koboltschnig, S. 60). Die Zahl der Haushalte mit Empfangslizenz stieg bereits innerhalb des Jahres 1924 auf 80.000 und bis Mitte 1925 auf rund 130.000 an. 

Obwohl es dem jungen Medium zunächst aus Rücksicht auf die Presselandschaft untersagt war, über aktuelles Geschehen und politische Ereignisse zu berichten,  geriet der Rundfunk in der innenpolitisch aufgeheizten Atmosphäre der späten 1920er Jahre zunehmend in den Mittelpunkt und im Visier von Parteiinteressen. Sowohl die Sozialdemokraten als auch die christlich-soziale Regierung hatten erkannt, dass der Hörfunk mit inzwischen einer halben Million Teilnehmern im Begriff war, sich zu einem Massenmedium zu entwickeln und damit ein machtpolitisch wertvolles Instrument in den Händen des Staates bzw. einer politischen Partei darstellen konnte. Dies bewies sich besonders nach der Ausrufung des Ständestaates im Jahr 1933: Bundeskanzler Dollfuß stellte die RAVAG  umgehend und völlig in den Dienst seines autoritären Regimes. Dies zeigte sich auch im Verlauf des Putschversuchs vom 25. Juli 1934 („Juliputsch“), als bewaffnete Nationalsozialisten Dollfuß erschossen und anschließend das Rundfunkgebäude in der Johannesgasse stürmten, ehe sie schließlich überwältigt werden konnten. Am 11. März 1938 übertrug die RAVAG die letzte Rede von Bundeskanzler Schuschnigg; mit der Annexion Österreichs endete auch ihr Sendebetrieb. Im April 1945 wurde unter Anleitung von Oskar Czeija, der sich sowohl mit den Machthabern des Ständestaates als auch später mit den Nationalsozialisten arrangiert hatte, mit dem Wiederaufbau der RAVAG begonnen.


Literatur

Anne-Gret Koboltschnig, Radio zwischen den Zeiten. Das Wort-Programm der Ravag, Univ. Diss. Wien 1993; Reinhard Schlögl, Oskar Czeija. Radio- und Fernsehpionier, Unternehmer, Abenteurer, Wien 2005; Primus-Heinz Kucher, Radioästhetik, Kultur und Radiopolitik in Österreich 1924-1934. Zwischen Radiorundspruch, akustischen Bühnen, Bildfunk, Flugreportagen und vaterländischen Festspielen. In: Ders./Rebecca Unterberger (Hg.), „Akustisches Drama“. Radioästhetik, Kultur und Radiopolitik in Österreich 1924-1934, Bielefeld 2013, S. 11-39; Theodor Venus, Vom Funk zum Rundfunk – Ein Kulturfaktor entsteht. Rundfunkpolitische Weichenstellungen von den Anfängen des Funks bis zur Gründung der RAVAG. In: Geistiges Leben im Österreich der Zweiten Republik. Wien 1986, S. 379-415.

Quellen und Dokumente

Konstituierende Generalversammlung der Österreichischen Radio-Verkehrs-A.G. In: NFP, 1.10.1924, S. 9; Radio Wien, Wochenprogramm vom 28. Dezember 1924 bis 3. Jänner 1925; W. Scheida, Der internationale Radioclub (2012) [Online verfügbar].

(MK)