Scheyer, Moritz

geb. am 27.12.1886 in Focsani (Rumänien) – gest. 29.3.1949 in Belvès (Frankreich); Kritiker, Journalist, Pazifist, Schriftsteller

Der Sohn eines wohlhabenden Kauf- u. Geschäftsmanns wuchs zunächst in Rumänien auf, übersiedelte mit der Familie aber schon während der Gymnasialzeit nach Wien, wo er, nach einem Semester in Prag, die Universität zwischen 1906 u. 1909 besuchte u. 1911 in Jurisprudenz promovierte. Bereits 1909 erscheint ein erster literar. Text Sch.s. in der Anthologie Deutsche Arbeit, 1911-12 folgen weitere in der Zs. Ton und Wort, in der u.a. auch H. Hesse, F. Dörmann oder O. Wiener vertreten waren sowie erste Reisefeuilletons im Pester Lloyd. Er befreundete sich mit A. Schnitzler, St. Zweig u. B. Walter. Um 1914-1915 begann Sch. für das Neue Wiener Tagblatt zu arbeiten (NWTbl). Dem Kriegsausbruch trat er von Beginn an ablehnend gegenüber u. veröffentl. in der AZ am 17.11.1914 das kriegskritische Gedicht Einsames Schlachtfeld. Ab 1916 publiz. Sch. Reiseberichte, z.B. aus Südamerika, sowie (sporadisch) Kommentare zum Kriegsschauplatz Rumänien im NWTbl. Ende 1919 ersch. im E. Strache-Verlag ein Essaybd. Europäer und Exoten, den H. Menkes hymnisch besprach und als „Suche nach der leidvollen Seele“ würdigte. Zuvor veröffentl. Sch. im NWTbl. ein Feuilleton über Die Schweiz und der Bolschewismus, das u.a. interessante Facetten des Schweizer Exils von Lenin behandelte.

1923 verf. er zu einer Werkmappe des früh verstorb. galizischen Malers Malycy Gottlieb eine Einleitung, die er auch als Feuilleton veröffentl. Im Jahr 1925 ehelicht Sch. Margarethe Schwarzwald, Ende 1926 folgt der schmale Bd. Schrei aus der Tropennacht, den ein Rezensent als „an Flaubert geschult“ würdigt. Bald darauf folgt der Band Flucht ins Gestern, den A.Fr[iedmann] als „feingeschliffene Studien“ bezeichnet hat. Ab 1929 fand Sch. auch ins Radioprogramm Aufnahme, einerseits mit einer Eigenvorlesung, andererseits mit einleitenden Worten zu einer K. Hamsun-Sendung oder 1930 wieder mit Einleitungen zu einer G. Flaubert- bzw. F. Werfel-Sendung, 1931 mit der Vorrede zu einer Sil Vara-Lesung sowie mit mehreren Reiseskizzen. Während Sch. im NWTBl. 1931-32 kaum mehr veröffentlichte, brachte Radio Wien auch 1932 zahlreiche Einführungen oder eigene Beiträge, u.a. einen zu Schnitzlers Erzählungen seit Fräulein Else; eine Tendenz, die 1933-35 mit abnehmender Frequenz Fortsetzung fand, als er 1933 u.a. Leidenschaft in Algier von A. J. Koenig einleitete oder eine Stendhal-Lesung sowie eine V. Hugo- und eine L. Tolstoi-Sendung 1935. Sch. zählte auch zu den Unterzeichnern der von R. J. Kreuz vorgelegten Protestresolution des österr. PEN gegen die Unterdrückung der Geistesfreiheit im NS-Deutschen Reich vom 27.6.1933. In den Jahren 1936-37 stiegen seine Radiobeitr. wieder signifikant an, neben mehrmaliger Gestaltung der ›Bücherstunde‹ und des ›Feuilletons der Woche‹ stellte er so unterschiedl. Autoren wie P. Verlaine, O. Wilde und J.F. Perkonig vor. Nach dem Anschluss flüchtet Sch. nach Frankreich, wo er 1939 u.a. mit einem Nachruf auf J. Roth an der Zs. Nouvelles d’Autriche mitarbeitete u. den Krieg trotz Internierungen tw. in einem Kloster versteckt überlebte. Nach 1945 geriet Scheyer bald in Vergessenheit; nur wenige Bezugnahmen auf ihn (Volksstimme) sowie Abdrucke von Texten (Wiener Kurier) sind dokumentiert.


Werke

Tralosmontes (1922);  Menschen erfüllen ihr Schicksal (1930); Erdentage des Genies (1933); Asylum (2016, engl.) bzw. Selbst das Heimweh war heimatlos. Bericht eines jüdischen Emigranten 1938-1945 (2017)

Quellen und Dokumente

Notre Dame du sleeping car. Randglossen eines Alleinreisenden. In: Pester Lloyd, 14.2.1912, S. 5f., Einsames Schlachtfeld. In: Arbeiter-Zeitung, 17.11.1914, S. 4, Bulgarisches. Die Feinde ihres Volkes. In: Neues Wiener Tagblatt, 2.9.1916, S. 3f., Ein jüdischer Maler (über Maurycy Gottlieb). In: Neues Wiener Journal, 10.4.1923, S. 3f.,

Hermann Menkes: Europäische Persönlichkeiten. In: Neues Wiener Tagblatt, 7.2.1920, S. 5, Hans Wantoch: Schrei aus der Tropennacht. In: Wiener Sonn- und Montagszeitung, 14.2.1927, S. 6, A. Friedmann: Flucht ins Gestern. In: Wiener Zeitung, 6.1.1928, S. 6, PEN-Resolution des Jahres 1933, neu abgedruckt in: Wiener Zeitung, 5.7.1946, S. 3.

Literatur

M. Grill: Eintrag in: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 47, 1991), S. 102 [Online verfügbar], Eintrag zu M. S. bei pnsinger.com; Gavin Jacobson: Under the Protection of Holy Sisters. In: The New Republic, 31.3.2016.

(PHK)