Das Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich.

Das Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich (1918)

Wien, 11. November 

            Der deutschösterreichische Staatsrat hat in seiner heutigen Sitzung den Beschluß gefaßt, der morgen zusammentretenden provisorischen Nationalversammlung den folgenden Antrag zur Beschlußfassung vorzuglegen:

Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich.

            Artikel 1. Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volke eingesetzt.

            Artikel 2. Deutschösterreich ist ein Bestandteil der deutschen Republik. Besondere Gesetze regeln die Teilnahme Deutschösterreichs an der Gesetzgebung und Verwaltung der Deutschen Republik sowie die Ausdehnung des Geltungsbereiches von Gesetzen und Einrichtungen der Deutschen Republik auf Deutschösterreich.

            Artikel 3. Alle Rechte, welche nach der Verfassung der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder dem Kaiser zustanden, gehen einstweilen, bis die konstituierende Nationalversammlung die endgültige Verfassung festgesetzt hat, auf den deutschösterreichischen Staatsrat über.

            Artikel 4. Die k.u.k. Ministerien und die k.k. Ministerien werden aufgelöst. Ihre Aufträge und Vollmachten auf dem Staatsgebiete von Deutschösterreich gehen auf die deutschösterreichischen Staatsämter über. Den anderen Nationalstaaten, die auf dem Boden der österreichisch-ungarischen Monarchie entstanden sind, bleiben ihre Ansprüche an die erwähnten Ministerien wie auf das von diesen verwaltete Staatsvermögen gewahrt.

            Die Liquidierung dieser Ansprüche ist völkerrechtlichen Vereinbarungen durch Kommissionen vorbehalten, die aus Bevollmächtigten aller beteiligten Nationalregierungen zu bilden sind.

            Bis zum Zusammentreten dieser Kommissionen haben die deutschösterreichischen Staatsämter das Gemeinschaftsgut, soweit es sich auf dem Staatsgebiete der Republik Deutschösterreich vorfindet, als Treuhänder aller beteiligten Nationen zu verwalten.

            Artikel 5. Alle Gesetze und Gesetzesbestimmungen, durch die dem Kaiser und den Mitgliedern des kaiserlichen Hauses Vorrechte zugestanden werden, sind aufgehoben.

            Artikel 6. Die Beamten, Offiziere und Soldaten sind des dem Kaiser geleisteten Treueides entbunden.

            Artikel 7. Die Übernahme der Krongüter wird durch ein Gesetz durchgeführt.

            Artikel 8. Alle politischen Vorrechte sind aufgehoben. Die Delegationen, das Herrenhaus und die bisherigen Landtage sind abgeschafft.

            Artikel 9. Die konstituierende Nationalversammlung wird im Jänner 1919 gewählt. Die Wahlordnung wird noch von der provisorischen Nationalversammlung beschlossen, sie beruht auf der Verhältniswahl und auf dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Stimmrecht aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts.

            Artikel 10. Nach den gleichen Grundsätzen ist das Wahlrecht und das Wahlverfahren der Landes-, Kreis, Bezirks- und Gemeindevertretungen zu ordnen.

            Die Gemeindewahlordnung wird noch durch die provisorische Nationalversammlung festgesetzt, die Neuwahl der Gemeindevertretungen erfolgt binnen drei Monaten. Bis zur Neuwahl sind die bestehenden Gemeindevertretungen nach den Anweisungen des Staatsrates durch eine angemessene Zahl von Vertretern der Arbeiterschaft zu ergänzen.

            Artikel 11. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Kundmachung in Kraft.

            Dinghofer m.p.                       Hauser m.p.                Seitz m.p.

                                                           Präsidenten

                        Sylvester m.p.                         Renner m.p.

                        Staatsnotar                             Staatskanzler

Abram, Bodirsky, Ellenbogen, Fink, Freißler, Gruber, Guggenberg, Iro, Jerzabek, Luhsch, Miklas, Ofner, Prisching, Seliger, Teufel, Waldner, Wolf

                                               Mitglieder des Staatsrates

In: Neue Freie Presse, 12.11.1918, S.4