Richard A. Bermann: Die Aktivisten
R. A. B[ermann]: Die Aktivisten.
R. A. B[ermann]: Die Aktivisten. (1919)
Wer den Ideenkreis der aktivistischen Jugend in Deutschland kennen lernen will – und seine Prüfung, wie immer sie ausfalle, scheint unerläßlich –, der kann aus dem Jahrbuch der Aktivisten („Tätiger Geist!“, zweites der Ziel-Jahrbücher, hg. von Kurt Hiller, Doppelband 1917/18; Der Neue-Geist-Verlag, Leipzig) ein vollkommen klares Bild gewinnen. Es steht in dem Band jenes schon bekannte lodernde Manifest des Dichters Heinrich Mann: „– – Einige von uns bewahrten sich so rein, wie wir schnell Vergehenden uns rein bewahren können von dem Augenblick, mit dem wir vergehen. An sie nun hält sich das junge Geschlecht.
Denn es ist anderen Wesens. Es glaubt nicht, daß irgendein Talent genüge zur Beschönigung des Widergeistes. Es glaubt an das absolute literarische Kunstwerk, nicht aber, dies könne entstehen und nichts dahinter sein, als Selbstsaufgabe und Bankerott. Es will nicht spielen, sondern verwirklichen – – Werke des Geistes, seien sie Bücher, seien sie Taten.“
[…]
Ihr Weg ist: Zusammenschluß aller Geistiggerichteten. Der Geist, der zur Macht gelangen soll, das sind jene Geistiggerichteten. Nein, sondern ihre Führer, die „Geistigen“, denen die größere Menge der Geistiggerichteten treue Gefolgschaft zu leisten hätte.
Wer sind die Geistigen, die in den Stand der Macht gesetzt werden sollen, indem sie einen Bund schließen?
Kurt Hiller sagt:
„Die Befugten treten eines Tages zusammen und sagen: ‚Wir sind es.‘
Wir sind es. Keine falsche Bescheidenheit, Meister und ihr Kameraden!“
Er will den Bund der Aktivisten (sein Lehrer Kerr hat sie die Davidsbündler genannt) als „eine Armee Geistiggerichteter, geführt von einem Offizierskorps Geistiger, noch anders ausgedrückt: als eine Aristokrateia von Geistigen, hinter der ein treuer Demos von Geistiggerichteten steht“, und möchte nach dem Bild dieses Bildes die Gesellschaft, möchte Deutschland umwandeln.
An der Spitze des Bandes steht ein kraftvoller Aufsatz des Niederländers Frederik van Eeden, der den Geistigen schildert, den „königlichen“ Menschen: „Die Menge hat ihre Herdenbegriffe, ihre Traditionen und Konventionen, ihren Anstand, ihre Sitte. Der Königliche hat sein Verantwortlichkeitsempfinden. – – Er weiß, daß nur in seiner Göttlichkeit seine Macht liegt.
Den Bund oder vielmehr den Orden der Geistigen heischt Hans Blüher: „Wir aber sind Anhänger einer geistigen Katastrophentheorie. Wir meinen, daß kein Stein auf dem andern bleiben wird. – Wir glauben an einen geistigen Zusammenbruch und an Deutschland als dessen Kriegsschauplatz. – – In solchen Zeiten des hochgespannten geistigen Gradienten pflegen Johannesse zu erstehen, die den künftigen Propheten verkünden. Der große Mann wird erwartet. Einige meinen, er sei schon da, und zwar in Gestalt jenes großen Dichters. […]
Es scheint den Geistigen, wenn sie allen sind, nicht vergönnt zu sein, die Herrschaft an sich zu reißen. – – Aber nie kann man auch auf den Gedanken kommen, daß die Ideologie eines einzelnen abgerissenen Mannes zur Macht gelangt und den Staat umschafft, da ein solches Unternehmen bisher immer nur Männern gelungen ist, die den Fond einer Rasse hinter sich hatten. Herrenrassen unterwarfen die Völker und zwangen ihnen ihr Gesetz auf, das immer Laune war, und nur eine geistige Herrenrasse kann gleiches tun, freilich mit gebundenem und verantwortlichem Gesetz. – – Seit Vortagen des Menschengeschlechts wächst eine solche geistige Herrenrasse heran, und zwar ist es so, daß jede der physiologisch sichtbaren Rassen und ihrer Mischungen bestimmte, körperlich etwas geschwächte Individuen abwirft, die vorläufig, vom gewöhnlichen Rassestandpunkt aus, als Décadence gewertet werden, die aber sub specie Dei, Berufene sind. – – Und noch ein wichtiges Merkmal ist von dieser Rasse zu berichten: die Frauen, die diesen Männern innerlich gewachsen sind und ihnen genügen (es ist übrigens niemals je eine Frau), sind völlig ungeschwächt und stehen in üppigstem Wachstum. Das ist ein Trost für die Nachkommenschaft“
Wie diese halb mystische Rasse der „Geistigen“ es anfangen soll, in den Stand der Macht zu gelangen, das lehrt in einem Aufsatz der aktivste Führer der Aktivisten, Kurt Hiller: „Lüften wir nun kurz entschlossen den Schleier // unseres Geheimnisses! Geben wir ohne viel Federlesens das Verfahren preis, nach dem, wie wir nicht zweifeln, die wahrhafte Repräsentation des Volkes, das Haus der Aristoi, die Kammer der Geistigen gezeugt werden – nein, nach dem sie sich zeugen muß – –
Der Ruf nach Zusammenschluß, der Ruf einiger junger opponierender Leute verhallt nicht ungehört. Ein Bund oppositioneller, freilich auch der geeichten Opposition entsteht. Es gibt Satzungen, kraft deren in ihm nach menschlicher Voraussicht das beste Blut die stärkste Macht erhält und behält; er entwirft ein Aktionsprogramm von der Abschaffung der Wehrpflicht und den sonstigen Mitteln zur Entanarchisierung der Welt … über den Sturz und gerechten Aufbau der Wirtschaftsordnung, die vernuftmäßige Verfassung, das freiheitliche Strafrecht…
In der Gründungsversammlung äußert jemand: „Sagen Sie nicht: solche Bünde gibt es und wir täten unpolitisch daran, deren Zahl zu vermehren. Nein, solche Bünde gibt es nicht. Die Sozialdemokratie? Selbst ihre geistigste Gruppe will den Klassenkampf; wir kämpfen für keine Klasse und sind keine. Sie erwartet alles Heil von der Übernahme der Produktionsmittel durch den Staat, das heißt vom Umsturz der Wirtschaft; wir können diesen Umsturz aus Gründen menschlicher Gerechtigkeit fordern; wir werden ihn fordern und ihn beschleunigen helfen (wir sind, unter anderem, auch Sozialisten); aber er ist nicht unser Programm, sondern eine Ziffer unseres Programms.“ – –
Dieser Bund der Geistigen (der, unter anderm auch für Mutterschutz, den Weltfrieden, die Erziehungsreform eintreten wird) bemächtigt sich also der Leitung des Staates – tut es durch Manifeste, Flugblätter, ein Wochenorgan: „Kampf gegen den Schlaf“, und vermag schließlich dem Deutschen Reich eine neue Verfassung zu geben, nach dem Zweikammersystem: ein Volkshaus (das sich im wesentlichen um ökonomische Dinge zu kümmern hätte) und zweitens eine Deutsches Herrenhaus, eine Kammer der Geistigen, die „ein durchgreifendes Veto“ erhält. Es herrschen von nun ab die Geistigen; da sie das Beste wollen, geschieht natürlich das Beste.
Es ist eine Art Unfehlbarkeitsdogma. Einer der Geistvollsten unter den Aktivisten, Rudolf Leonhard, dagt allerdings: „Es ist nicht dasselbe, ob der Teufel oder der Erzengel Papst ist“ – und Kurt Hiller glaubt mit diesem Zitat Berthold Viertelgeb. am 28.6.1885 in Wien – gest. am 24.9.1953 in Wien; Schriftsteller, Kritiker, Dramaturg, Theater- und Filmreg... abführen zu können, der einmal geschrieben hat: „Die Herrschaft der ‚Geistigen‘? Oh, ich könnte an den Fingern herzählen, wer da zur Herrschaft käme, und ich sage nur: „Lieber die Soldateska über uns, als solche Tyrannis.“
Auf welche Weise die Geistigen zur Macht gelangen sollen, auf welche welchem politischen Weg, das scheint noch nicht ganz klar. Noch sind die tiefen Einwände Franz Werfels nicht völlig widerlegt, der den Geist vor geschäftiger Verweltlichung bewahren möchte (diesen schönen Brief in der Neuen Rundschau hat hoffentlich jedermann gelesen; wer es nicht tat, der lese deswegen das „Aktivistenjahrbuch“); auch herrscht ein recht gesunder Meinungsstreit darüber, ob die Geistigen sich des Parlamentarismus‘ und der Presse bedienen sollen. Rudolf Leonhard kommt zu dem Schluß: „Auf in die Parlamente!“ Hermann Kesser schreibt sehr Bemerkenswertes über und für den Journalismus: „Journalismus – – ist Mittel der geistigen Auskunft. Er hört auf, Lärm zu sein, wenn er entscheidende Stimmen gibt, wenn eine demokratische Presse die Zinsensumme nationaler Intelligenz und nicht einen zufälligen Auszug enthält, wenn die Presse die Energien eines Volkes, das sich vollenden will, aufsammelt und mit polemischer Würde zu politischen Zielen ordnet, wenn Ideen nicht mehr unschlüssig und nur theoretisch treiben, wenn sich Künstler und Denker das heilige Recht freier Einsamkeit wahren und doch im Gefühl mit der Gemeinschaft vereint sind, um den politischen Geist zu befruchten.“
Wogegen wieder Kurt Hiller zornige Worte zitiert, die Lassalle gegen die Presse schrieb.
Es kann nicht der ganze reiche Inhalt des Jahrbuchs eingehend dargestellt werden; es ist vieles so wichtig, daß man sich im einzelnen damit auseinandersetzen muß. Nur die Grenzen des aktivistischen Programms sollten hier umschritten werden.
Zweifellos enthält dieses Programm viel Sympathisches. Es ruft gegen die namenlose Verrottung der Welt den Geist und die Jugend zur Tat auf; daß die Aktivisten mit Bewegungen wie der Freien Schulgemeinde, mit Männern wie Gustav Wyneken, mit helläugigen Wandervögeln und Studenten in naher Berührung stehen, spricht für sie.
Aber eine ernstliche Gefahr kann auch in dieser kurzen Darstellung nicht verschwiegen werden: Wehe, wenn es sich herausstellen sollte, daß persönliche Eitelkeiten literarischer Cliquen hier mit im Spiele sind! Von dieser Bewegung der Geistigen muß eine fast übermenschliche Selbstaufopferung strenge gefordert werden; wenn diese jungen Menschen, die da rufen: „Wir sind es!“ – wenn sie nicht die Reinsten und Demütigsten sein sollten, sondern eben nur kluge Köpfe aus einem Kaffeehaus – dann wird nicht nur die Bewegung der Aktivisten unrettbar kompromittiert sein, sondern mit ihnen die ganze geistige Opposition in deutschen Landen, die deutsche Jugend wird den Schaden tragen.
Nur an ihren Werken wird man sie erkennen.
Man sollte meinen: Genug der Aufrufe und Programme. Was haltet ihr von der letzten Rede Kühlmanns? Wie greift der Bund der Aktivisten in diesem konkreten Falle aktiv ins deutsche Leben ein? Fanget an! Fanget sofort an! Seiet heute aktiv und nicht übermorgen!
Und wenn ihr uns statt dessen erzählt, alles werde besser werden, wenn ihr uns einmal beherrschen werdet, ja, dann werden wir achselzuckend vorbeigehen.
In: Der FriedeWochenschrift für Politik, Volkswirtschaft und Literatur. (1918-19; Reprintausg. 1975) Die im Januar 1918 begründete,.... Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft und Literatur, Nr. 26, 19.7.1928, S. 611-12.

