Der Friede

Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft und Literatur. (1918-19; Reprintausg. 1975)

Die im Januar 1918 begründete, von Benno Karpeles herausgeg. und als verantwortl. Redakteur vom 26.1. 1918 bis zum 22. August 1919 durch 83 Ausgaben hindurch erschienene Zs. verstand sich von Beginn an als kritisches, pazifistisch orientiertes Sprachrohr gegen den Krieg, als „aus dem Geist der Empörung gegen das Bestehende“ gerichtete Plattform. Sie orientierte sich an den Ideen der bürgerl. Revolution von 1848 u. hoffte daraus eine „Verjüngung des Staates“ auf der Grundlage der „inneren Freiheit“, so R. Charmatz in Märzgedanken (15.3.1918),  mit dem Ziel der Begründung „einer neuen Weltordnung“, die dezidiert antinational sein müsse, herbeizuführen. Der Umfang eines Heftes betrug 24 Seiten; die Redaktionsadresse lautete: Wien, I, Renngasse 13.

Für den literarischen Teil zeichnete Alfred Polgar hauptverantwortlich, dem es gelang zahlreiche, bereits prominente wie auch jüngere Schriftsteller (z.B. G. Fröschel, H. Janowitz, A. Kuh, A. Wallis) zu bewegen, Texte für die Zs. bereit zu  stellen bzw. zu verfassen. Zu den bereits Etablierten zählten etwa Franz Blei, E. E. Kisch, A. P. Gütersloh, R. Müller, R. Musil, E. A. Rheinhardt, O. Soyka, K. Tschuppik, B. Viertel, E. Weiß oder F. Werfel, aber auch internationale Namen wie H. Barbusse, A. Gide, M. Gorki, Th. Mann, J. Wassermann oder H.G. Wells, um nur die vielleicht bekanntesten zu erwähnen. Polgar beschrieb die Anforderung an eine „gute Zeitschrift“ in H. 2/1918 dergestalt, dass sie „vor allem eine Zeit-Schrift sein müsse. Eine Art Uhr, die die politische, soziale, literarische Stunde schlägt“.

Der Großteil der Debatten-Beiträge bis zum Nov. 1918 konzentrierte sich auf die künftige Gestalt des Staates, die durchaus kontrovers und schillernd erschien, jedoch zumindest in einem Punkt große Übereinstimmung aufwies und zwar in jenem der Ablehnung des Status quo, der deutsch-zentralistischen Habsburgermonarchie. Sie reichten von Repliken auf bzw. Varianten einer mitteleuropäischen Wirtschafts- und Staatenunion bis hin zur Umgestaltung in einen demokratisch-föderalistischen Bundesstaat, dem die einzelnen Völker frei beitraten (mit Austrittsoption), aber auch hin zu einem neutralen Kleinstaat oder zur Anschlussoption der deutschsprachigen Territorien an das Deutsche Reich bzw. eine Deutsche Republik. Aber auch noch kurz vor Kriegsende wurden gelegentlich imperialistische Visionen (z.B. Kolonien, austropolnische Lösung ) zu Papier gebracht. K. Tschuppik verfasst im Okt. 1918 unter dem Ps. Kajetan eine Rede an die Totengräber; R. A. Bermann/A. Höllriegel diagnostizierte schon am 11.10. 1918 in einem Beitrag über das Selbstbestimmungsrecht und die Sprachenkarte mögliche künftige Nationalitätenkonflikte (z.B. in der Tschechoslowakei), welche durch die Zerschlagung der Gesamtmonarchie in manchen Nachfolgestaaten entstehen könnten.

Nach der Republikgründung bot sich die Zs. auch als Plattform für kontroverse Beiträge zur sog. Anschluss-Debatte an wiewohl die Redaktion sich zu einer grundsätzlichen Anschlussgegnerschaft bekannte. Der Aktivist R. Müller bezweifelt auch schon im Jänner 1919 eine demokratische, postrevolutionäre Wende in Deutschland und konstatierte vielmehr eine Kontinuität zur militarisierten Wilhelminischen Reichsidee, weshalb „der gefährliche deutsche Nationalismus […] Österreich nicht betören“ dürfe, eine Position, die recht ähnlich auch der deutsche Expressionist und Friede-Mitarbeiter Karl Otten vertrat. Konträr dazu R. Musil, der in seinem ebf. in der Zs. erstveröffentl.  Essay Buridans Österreicher  den abwägenden Österreicher eher auf Richtung Großdeutschland einschwor. Auch in der Schuldfrage und der bald aufbrechenden Revanche-Überlegungen positionierte sich der Friede eindeutig: zu einem Bekenntnis zu ihr – „der ungeheuren Schuld muß ungeheure Sühne entsprechen“ (K. Tschuppik, 6.12.1918) und der „gellende Schrei nach Revanche“ angesichts des sog. Diktats von St. Germain dürfe nicht „ jedes Wort der Vernunft“ übertönen. A. Loos schließlich veröffentlichte in der Zs. seinen programmat. Essay Der Staat und die Kunst, in dem er die Forderung nach Einrichtung eines Kunstamtes forderte; einen weiteren Schwerpunkt bildete die Diskussion der ‚jüdischen‘ Frage angesichts aufkeimenden Antisemitismus u. Pogromhintergrund in den Nachkriegskonfrontationen in Polen oder der Polarisierungen im Hinblick auf Assimilations- und Zionismus-Debatten, an denen sich u.a. M. Brod, B. Viertel oder R. Weltsch beteiligten. Auch in Bezug auf die zeitgenöss. (spezif. Wiener) Expressionismus-Debatte (mit seiner Anbindung an den Aktivismus) war die Zs. ein wichtiges Publikationsforum mit Beiträgen von M. Brod, K. Edschmid, A. P. Gütersloh, J. Gumperz oder P. Hatvani.


Literatur

K. Amann: Staatsfiktionen. Bilder eines künftigen Österreich in der Wiener Wochenschrift Der Friede (1918/19); in: ders.: Die Dichter und die Politik. Essays zur österreichischen Literatur nach 1918, S. 15-30 (1992), A. A. Wallas: Der Friede. In: Ders.: Zeitschriften und Anthologien des Expressionismus in Österreich. Analytische Bibliographie und Register. Bd. 1, S. 34-38 (1995).

Eintrag bei austria-forum.org.

(PHK)