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Franz Blei: Das Geheimnis der Liebe

Erotisierung der Mode

Jemand hat bei der heutigen Frauenmode an eine, was die Verkleinerung der erotischen Oberfläche betrifft, ganz ähnliche Mode erinnert, die Sansculotte und das Directoire, die unmittelbar auf eine Mode folgten, die sich in der Vergrößerung der erotischen Oberfläche nicht genug tun konnte. Und er brachte diese verringerte Reizwirkung des weiblichen Körpers, von dem viele Partien als erotisch nicht mehr wirksam freigegeben werden, da und dort mit den Kriegen in Zusammenhang. Der Mann verliere im Kriege, also in bloßer Männergesellschaft, die Geduld, sich bei Kleiderbarrieren aufzuhalten, ebenso sehr wie die Sensibilität, die das Vorher verlange. Er werde stürmischer, brutaler, sexueller. Und die Frau folge dem Wink solcher andern männlichen Einstellung, gebe alle Außenposten wie Fuß, Fußknöchel, Wade, Arme, Nacken, Busen durch Unbedeckung als nicht mehr erotisch wirkend preis. Auch das Haar, das sie sich kurz schneide wie in der Directoirezeit. Es bleibt als das Bedeckte, weil allein noch Anziehende, nur mehr das Geschlecht und seine nächste vordere und hintere Umgebung übrig.

Vielleicht ist das so. Vielleicht ist die Krinoline, also ein Maximum an erotischer Oberfläche der Frau, friedlichen Zeiten eigentümlich, die Zeit haben, sich einer Erotisierung hinzugeben, wie es das Ancien régime tat und das zweite Kaiserreich. Gewiß ist der heutige Mann von zwanzig bis dreißig weit weniger mit der Frau und seiner erotischen Beziehung zu ihr beschäftigt, als er es zu irgendeiner Zeit war. Und umgekehrt, was aber nicht Rückschlag bedeuten muß. Es könnte die Frau aus Ermüdung an dieser etwas steril gewordenen Rolle ganz von sich aus das alte Kostüm abgeworfen haben, nicht weil sie Sport treibt oder einen Beruf ausübt oder aus sonst so praktischen pragmatischen Anlässen, sondern weil sie es einfach müde ist, oder weil sich nicht lohnt, oder aus Mangel an Phantasie, oder weil sie den raschen Wechsel des Genusses einer Dauer vorzieht, die einige Anstrengungen verlangt. Oder weil dieser merkwürdige Männerfall eines vierjährigen Krieges die Akten dieser ganzen Angelegenheit so in Unordnung gebracht hat, daß man besser die Geschichte so adamitisch von vorne anfängt, als es die Polizei erlaubt. Denn daß heute die Frau, setzte es die Mode gegen die Polizei durch, auch splitternackt gehen könnte, daran ist nicht zu zweifeln.

Wenn die Pfarrer aller Konfessionen genau wüßten, wofür sie da sind und was in ihren Theologien steht, müßten sie diese Enterotisierung des weiblichen Körpers, wie sie kürzester Rock und kurzes Haar ausdrücken, mit allen Sympathien begleiten. Wie es jeder saubere Mann und jede saubere Frau tut. Daß die Pfarrer das Gegenteil tun, verrät nur eine etwas trübe Sinnlichkeit, die immer in einer schwülen Wolke wandelt. Oder eine so große berufsmäßige Fremdheit, daß schon das bestrumpfte Knie einer Frau genügt, ihnen das Blut in den Kopf zu treiben. Aber schließlich sind nicht die meisten Menschen Pfarrer und leben in einem natürlicheren Ablauf ihres funktionellen und emotionalen Lebens. Schon die durchaus fehlende Kompetenz sollte jene, die aus Gelöbnis nie eine Frau berührt haben, noch berühren werden, davon abhalten, hier ein Urteil zu haben, außer ein ästhetisches. Aber man könnte auch sagen, es liege den Kirchen sehr viel an diesen erotischen Reizmitteln und sei nur ihr Wort falsch, wenn sie einem jungen Mädchen predigen, es sei sittlich, sich das Haar zu Zöpfen wachsen zu lassen. Und sei, was sie in Wahrheit meinen, dieses, daß die Frau keines ihrer Reizmittel aufgeben dürfe, um den Mann zum Geschlechtsakt zu bringen, mit Kinderfolge natürlich. Aber es dürfte eine vergebliche Predigt sein wie immer. Nach Vorstellungen, und seien sie auch von Händeringen begleitet und der Bedrohung mit Höllenstrafen, hat sich das Leben noch nie gerichtet. Weil es dann rational wäre, also nicht wäre.

Die Phantasie der Umarmung

Es ist in der sich verhüllenden und oft auch noch verhüllten Materie jener Affekte, welche man insgesamt die Liebe nennt, nicht zum Nachteil dieser Affekte, wenn sie in eine mentale Kohärenz mit den andern Äußerungen des Lebens gestellt werden oder mindestens der Versuch dazu immer wieder gemacht wird und von jedem. So verschieden sich auch ein jeder das Erlebnis der Liebe nach der Art seines geistigen Habitus integrieren wird, bleibt die Bedeutung dieses Erlebnisses, an dem immer zwei beteiligt sind, auch dann bestehen, wenn der Betroffene nachher nur dieses davon hat, daß er sagt: „Das ist alles?“

Wer mit diesem Sprung sich auf die Klippe seiner Geistigkeit rettet, der hat, ganz unsentimental geboren, keinerlei Anstrengungen gemacht, jenen lyrisch-pathetischen Mythus der Liebe zu schaffen, der rechtfertigt, daß sich das Fleisch in Nehmen und Geben ohne jede Scham gebärdet oder doch ohne jene soziale Scham, welche die falsche ist. Denn die echte Scham ist eine ganz geistige Qualität und unbesiegbar.

Die Schöpfung dieses rechtfertigenden Mythus der Liebe ist immer jedes Betroffenen eigenstes Werk. Die eigene Liebesangelegenheit wird man immer so logisch finden wie idiotisch die andere, die man mit kühlem Auge ansieht. Die Menschen wissen das und vermeiden es, sich vor aller Augen zu lieben. Auch alle Institutionen, die sich in Staat und Gesellschaft gegeben haben, sind wenig freundlich dem menschlichen Vergnügen gegenüber, außer in dem einen Falle, wo die Gesellschaft die Liebe anerkennt und mit den heute etwas komischen Formalien als Zeichen dieser Approbation begleitet. Welche Approbation die Liebespaare dennoch immer wieder suchen, weil sie, wie es scheint, erfreut und erschüttert sind, das ihnen nun die ganze große Gesellschaft alles erlaubt und sie dazu anfeuert, wo sie sonst verbietet. Aber selbst hier wird für den dritten das „junge Ehepaar“ immer etwas komische Vorstellungen auslösen. Und auch das Paar selber kommt sich etwas geniert und lächerlich vor, mitten auf dem ausgeräumten Platze zu stehen, den in weitem Kreise die Zuschauer umgürten. Aber ist ehrend zugleich.

Es gibt keine menschliche Umarmung, die ohne Phantasie zustande käme. Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß die Ehelichkeit des Pares solche Phantasie-Bestandteile enthält und daß daraus ihre Dauer als Institut kommt, trotzdem die mißglückten Ehen oder was man die unglücklichen nennt, an Zahl die andern übertreffen dürften. Unter den vielen Gründen mißglückter Ehen ist nur ein einziger in Hinsicht auf die wesentlichen Konsituentien bemerkenswert: wenn sie aus sinnlichem Appetit, aber mit schwachen Sinnen geschlossen sind. Denn schwache Sinne werden diese nötige Phantasmagorie des Geistes nicht erzeugen, ohne welche der Mythus der Liebe nicht zustande kommt. Solche Liebesleute hätten richtiger getan, ganz auf ihre Sinne zu verzichten und aus nichts als praktisch-sozialen Gründen zu heiraten. Was sie da in ihrem dunklen Schlafzimmer treiben, ist so erbärmlich, wie das Kind, das sich solchem Schoß entwindet und auch bei geraden Gliedern eine Mißgeburt ist. Pastorsfrauen, die von der Vorstellung, daß ihre Sinne brennen sollen, schockiert sind, seien erinnert, daß sie sich doch mit dem Gebären und Aufziehen ihrer Kinder eine leidenschaftliche Arbeit machen – warum nicht mit dem Erzeugen?

Die kurzen Werke des Fleisches über das Geistige zu setzen – man hält das für antikisch und damit für das rechte und schöne Leben. Natürlich hat man in keiner Antike und in keinem Heidentum je so gelebt oder solches Leben als das rechte und schöne auch nur gedacht. Das sind so Rokoko-Vorstellungen. Wie in der Revolution der Brutus für das Sinnbild einer republikanischer Würde stand. Es gibt keinen Liebhaber, den nach getanem fleischlichen Werke die Küsse seiner Geliebten auch nur um eine Stunde länger zurückhalten könnten als er mag. Frauen, die sich das anders einreden lassen, werden um ein hysterisches Schmachten und Augenverdrehen jene Luzidität verlieren, die auch der Akt der Liebe bewahren muß, um effektiv zu werden. Diese trüben Spasmen der Bacchantin widersprechen der Eurhythmie eines schönen Leibes, und dem vollendeten Musikwerk des Aktes hat nicht das Geseufze und Gekratze der Instrumente zu folgen, – Noten, im Spiel vergessen und jetzt nachgeholt.

In: Die Bühne (1928), H. 206, S. 23f.

Elsa Tauber: Neu-Oesterreich und die Frauen

Umgestaltung, wohin man blickt und hört. Alles Alte ist unbrauchbar geworden, der Umsturz hat kommen müssen, nicht weil ihn einzelne oder selbst ganze Völkerklassen gewollt haben, sondern weil er ein Zwang der Notwendigkeit war. Alle traditionellen Begriffe von Herren und Dienern, von niedriger und höherer Bevölkerungsschichte haben ihre Geltung verloren, das Volk läßt sich nicht mehr regieren, will nicht mehr blindlings gehorchen müssen, wenn man das Blut seiner Kinder für imaginäre Werke von ihm fordert. Selber will es sein Schicksal bestimmen und nur seine  seine eigenen Beschlüsse sollen maßgebend sein für die Gestaltung seiner Zukunft. Das Volk – es besteht aus Männern und Frauen. Schon ist an bedeutungsvoller Stelle das Wort ausgesprochen worden, ein von Männern und Frauen gewählter Rat soll Oesterreichs Geschicke steuern. Ob  auch ein von Männern und Frauen zusammengesetzter Rat? Es liegt kein Grund vor, an dieser Annahme zu zweifeln. Der heilsame Sturm, der jetzt durch das Bestehende fährt und alte Traditionen umreißt, daß sie an ihrer Morschheit krachend zusammenbrechen, wird hoffentlich auch die unsinnigen und und unbegründeten Vorurteile gegen die offizielle Bestätigung der Frauen hinwegfegen.

Seien wir ehrlich: Schlechter hätte es auch dann nicht kommen könne, wenn Frauen schon bisher ein mitbestimmendes Wort zu reden gehabt hätten. Auch sie hätten nicht kurzsichtiger und verständnisloser den unausweichlichen Anforderungen des Tages gegenüberstehen können, als es gewiegte österreichische Staatsmänner taten. Wenn es froh macht, nicht mitverantwortlich an schlechten und falschen Maßnahmen zu sein, dann können Oesterreichs Frauen heute jubeln. Aber sie sind viel zu lange schon politisch reif, als daß sie sich darüber freuen könnten, unbeteiligt an dem gegenwärtigen Debacle zu sein. Denn diese Frauen sind auch Hausfrauen, die jetzt mit vorwurfsvollsten Zweifeln fragen: Wäre es so weit mit unserer Ernährung gekommen, wenn wir im Rate der Gemeinde und des Staates eine Stimme gehabt hätten? Diese Frauen sind Mütter, deren verzweifelte Anklage dahin geht, daß sie ihre Söhne widerspruchslos für längst entwertete Phantome opfern mußten.

Das alte Oesterreich ist tot. Niemand wird dem, was damit starb, eine Träne nachweisen, es sei denn jene Kaste, der nun die Führung aus den längst altersschwachen Händen genommen wurde. Aus den Ruinen soll neues Leben entstehen und nun harren die Frauen, ob sich die Erkenntnis Bahn brechen wird, daß auch sie ihren Platz in der Oeffentlichkeit verdienen. Die Erkenntnis besteht eigentlich längst. Aus ihr stammt die immer lauter zum Ausdruck gelangende Sorge, die Frauen würden sich mit dem bescheidenen Platz in der Häuslichkeit nicht mehr begnügen, nachdem sie einmal im Erwerbsleben ihre Kräfte erprobt haben. Nur Böswilligkeit kann der Frauenarbeit Unzulänglichkeit nachsagen. Und wenn nicht jede einzelne ihren Platz musterhaft ausfüllte, so liegt dies daran, daß nicht jeder Mensch ein Muster an Pflichterfüllung ist, die Männer genau so wenig wie die Frauen. Der Beweis aber, daß der Durchschnitt der Frauen ihre Arbeit schlechter versieht als der Durchschnitt der Männer bei gleichem Alter und gleicher Bezahlung – dieser Beweis wäre erst zu erbringen.

Jene Demokraten, die Oesterreichs Verwaltung jetzt hoffentlich in die Hand nehmen und zum allgemeinen Heile durchführen werden, schätzen Frauenarbeit und Frauenverständnis schon lange richtig ein. In ernster Stunde sei es aber in Erinnerung gebracht, daß die Frauen nicht mehr und nichts anderes sein wollen, als das was sie sind. Den Frauen ist es nicht darum zu tun, den Mann vom Arbeitsmarkt zu verdrängen und sich dadurch jede Aussicht auf eine gutfundierte Ehe zu zerstören. Sie will nur nicht als Hausfrau in die vollständige Abhängigkeit vom Manne geraten, und weil die richtige Wertschätzung der Frau offiziell noch nicht besteht, versuchen die meisten instinktiv oder bewußt, sich im Kleinkampf persönlich die Stellung zu erwerben, die ihnen zukommt. Eine politische Anerkennung der Frauenrechte würde daher nicht, wie häufig befürchtet, eine Vernichtung aller vielgerühmten weiblichen Eigenschaften, sondern deren neuerliche Entfaltung bringen. Der Besitz überhebt des Kampfes darum, und eine Selbstverständlichkeit, wie es die anerkannten politischen Frauenrechte in absehbarer Zeit hoffentlich sein werden, verursacht nicht einmal Aufmerksamkeit, geschweige denn Beachtung.

Es widerstrebt beinahe heute schon, die Widersinnigkeit der Verknüpfung politischer Rechte mit dem Geschlecht an dem Analphabeten irgendwo in einer Dorfhütte des Hochgebirges und der akademisch graduierten Frau zu beweisen. Dieses Beispiel hat jedoch im Laufe der letzten Jahre nur an Schlagkraft gewonnen, denn immer größer wird die Anzahl der Frauen, deren geistige Entwicklung steigt, immer größer wird leider auch die Zahl derer, die nicht mehr damit rechnen können, in der Ehe Schutz und Zuflucht zu finden, sondern den Kampf ums Dasein auf eigenen Füßen stehend ausfechten müssen. Sie alle haben ein Recht darauf, als vollwertige Staatsbürger endlich auch in anderer Weise anerkannt zu werden, als dadurch, daß sie die volle Steuer plus 10% für Alleinstehende zu entrichten haben. Sie dürfen in einer Volksvertretung einen Platz für sich fordern, ebenso die Frauen, die in ihren Haushaltspflichten aufgehen, und alle anderen, die einer Kategorie von Männern mit politischen Rechten entsprechen. Das Dienstmädchen, das zur Wahlurne geht, bietet dem logischen Denker nicht mehr Stoff zur Verspottung wie der Hausknecht im gleichen Fall, und schon oft hat eine Sache von der Karikatur in den Witzblättern aus ihren Siegeszug durch die Welt genommen.

Ueber die politischen Forderungen der Frauen wird übrigens schon lange nicht mehr gelacht. Sie sind gewissen Kreisen höchstens so unangenehm gewesen wie die Forderungen der Demokraten. Mit diesen zugleich werden sie hoffentlich jetzt anerkannt werden.

In: Neues Wiener Journal, 26.10.1918, S. 4.