Franz Theodor Csokor: Ballade von der Stadt. Eine Vorbemerkung
Der Versuch, ein kollektiv gedachtes Drama ins Hörspielmäßige zu formen, wird hier gewagt. Gerade das kollektive Drama wäre ja wie kaum ein anderes zum Hörspiel vorbestimmt, da es ja auch durch das gewaltigste Kollektivmittel, den Sender, verbreitet wird. Doch erhebt seine Gestaltung in solchem Sinne besondere Ansprüche, die sich von einer bühnenmäßigen Interpretation scharf scheiden. Die Urelemente eines Hörspiels: Verwiesenheit auf das Wort, Bestimmung des Schauplatzes durch akustische Mittel, Übertragung der optischen Räumlichkeit in eine akustische, zu der das Ohr als als räumlich denkendes Organ erzogen werden müßte, architektonische Stufung der Vorgänge durch musikalische Cäsuren, die zugleich den Vorhang des Theaters ersetzen [‚Tonvorhang‘], Verflechtung psychologischer Rezitative und Leitmotive zur Verdeutlichung der Geschehnisse, und Lösung der notwendigen Geräusche vom zufällig Naturalistischen ins stilhaft Schicksälige, all das fordert, daß dem Text eine Art Partitur1 beigegeben sei, die ihm Satz um Satz begleite. Für die Wahrnehmung des Schauplatzes – hier herrscht Einheit des Ortes, der nur seine Züge in dem mehr als ein Jahrtausend umfassenden Ablauf des Werkes vollendet, – griff der Verfasser zu der Figur des „Ansagers“, wie er auch im Kollektivdrama der Mysterienspiele, im Hans-Sachs-Stück und als „aboyeur“ der „Beller“ bei der französischen Komödie heimisch war. Mit einer der Dichtung angeglichenen gebundenen Strophe gibt er jeweilig die erforderlichen Erläuterungen über Szene und Vorgang in einer geistigen Synthese aus beiden.
Nun zu den Vorgängen: Ursprung, Wuchs, Blüte, Gipfel, Verfall und Untergang einer Riesenstadt über dem Giftkeim des Goldes, also ein von Gier nach Macht und Besitz gestacheltes Werden, ausgedrückt durch die an dem Goldschacht aufwachsende Stadtmauer über dem bleibenden Schauplatz des Werkes, ist das Motiv der in balladesker Verkürzung geschürzten Handlung. Den Gegenspieler macht der Uralte, das ruhige, für alles Lebende gerechte und gleichmäßige Sein der Erde, die Frucht und Freude für jedermann hätte, wäre nicht Wahn und Hast jenes Werdens mit seinem wuchernden Kampf um das Gold. Der Uralte, – er ist die Erde selbst, die in sich Kraft und Willen hätte zu einem künftigen Paradies, das nicht erst jenseits des Lebens liegt, würde der Mensch sie nicht nur als Wert und Besitz begreifen wollen.
Eine Art Calderonsches Welttheater also ist // dieses Stück, nur ohne eigentlichen ‚deus ex machina‘; die Lösung heißt hier; der höhere Mensch! Mensch in Gemeinschaft und Arbeit so streng gegen sich, als drohten noch alle Höllenstrafen, aber aus sich so, um des Menschen willen, stets inne der heiligen Einmaligkeit des irdischen Lebens, das befreit sein muß von aller Zweckversklavung zugunsten Einzelner. Das ist das Ziel, wie es das letzte Bild dieses Werkes aufreißt; es steht damit in Antithese zu dem Beginn.
Im Anfang fährt das Gold im Blitze zur Erde nieder und weckt den Uralten als Wächter. Aber das Unheil muß ausreifen, wie alles. Ein Menschenpaar in bäuerisch mythischer Urzeit findet das Gold und umarmt sich über ihm, der Wurzel der Stadt, die von da ihren Ursprung nimmt. Doch beide, die nun mit dem Mauerbau beginnen, erfreuen sich nicht lange ihrer Macht; von ihren Knechten werden sie getötet. An der Mauer geraten die beiden Mörder in Streit; der eine erschlägt den andern und wirft sich zum Despoten auf. Er möchte die Mauer bis an den Himmel heben und über die ganze Erde herrschen kraft seines Goldes. Als er die ihm von der Natur gesetzten und durch den Uralten verkündeten Grenzen seiner Macht erkennt, will er sich auch ihrer Zeichen begeben, – aber die Menge, die er sich selbst zu Sklaven gezüchtet hat, zerreißt ihn im gleichen Augenblick, da er die Geißel über sie zerbricht. Die früheste Äußerung der Massenherrschaft, die über ihn gesiegt hat, wird, ehe sie sich ihrer bewußt ist, von den eben so einfachen Urformen des Unternehmertumes, den Herren der Elemente, mit dem Symbol des geheiligten Königtums gebändigt. Das Bündnis von Krone und Gold erweckt den Krieg, und durch ihn gerät mit dem Sturz des Königtums der alte noch im Ständewesen fußende Reichtum in eine Krise. Die Revolution gärt auf, befehdet von der Gegenrevolution, – es ist eine Revolution, die noch um die Macht in der Stadt geht, nicht um die Befreiung des Menschen; sie, die auf dem verdorbenen Grunde des Goldes sich entzündet hat, führt mit unabweislicher Notwendigkeit die nackte Plutokratie herbei, die Herrschaft des Händlers. Die Menschheit der Stadt, nun selbst zur ruhelosen Maschine geworden, erliegt der Despotie ihrer Mittel.
Der Kampf um das Gold geht in rücksichtslosester, durch keinerlei Traditionsehrfurcht mehr gehemmter Art weiter. In der Figur des Händlers ist der neue Reichtum erstanden, in dessen Anfang nicht einmal mehr die eigene Arbeit wirkt wie den früheren Herren der Elemente, sondern die mühelose geschickte Ausnützung und Vergleichung von Angebot und Nachfrage. Das führt zu noch tieferer Versklavung; die Mauer hinter dem Goldschacht wird schließlich zu einer riesigen Klagemauer, an der die rettungslos an das Gold verhaftete Menge sich wütend die Fäuste wund schlägt, um so, – sei es auch über den selbstmörderischen gemeinsamen Untergang, – ins Freie zu gelangen. Verkündiger solcher stets schicksalshafter begehrter Zerstörung wird ein Schreiber, dessen Berufung zum Dichter an der Stadt verdorrte, und ein im Goldbergwerk irrsinnig gewordener Roboter des Reichtums. Der Schreiber erkennt im Sehergeist seines verstümmelten Künstlertums den Uralten, der durch alle Geschehnisse gewandert ist, als den letzten über die Stadt: Die Erde selbst schaut er in ihm, die Erde, die nach langer Duldung üb er der verkrampften Unnatur einer unlösbar dem Gold verdingten Gemeinschaft zusammenschlägt, angerufen von jener Gemeinschaft selbst, die ihres Daseins überdrüssig geworden ist. Eine furchtbare Katastrophe schlagender Wetter, die sich der Irre entfesselt zu haben rühmt, zermalmt die Stadt und alles, was in ihr lebte, also zu schwach für wirkliches Leben wurde. Und die Stimmen aller, die an der Stadt gestorben sind, mengen sich in diesen Untergang. Und wieder wird Acker wie zu Beginn. Wieder steht ein Menschenpaar darauf, Mann und Weib, dieses Mal Pioniertypus des neuen Menschen, des tektonischen, der sich jetzt Glied einer höheren Gesamtheit fühlt als einer durch Gold und Stein verpflichteten. Wieder findet die Frau das Gold, aber sie wirft es von sich. „Euer Siegt!“ ruft es ihnen aus dem Dickicht zu; dort entdecken sie den Uralten, wie im Schlafe liegend. Sie berühren ihn und er zerfällt zur Erde, die er ist, denn sein Hüteramt ging jetzt zu Ende mit der Absage der beiden an das Gold. Die neue
Stadt braucht nicht Stein noch Erz zu ihrem die Welt umspannenden Bau. Hände, die einander fassen, sind ihre Mauer; Herzen, die einander finden, sind ihre Gassen; Geist, der sich brüderlich erkennt, ist ihr Gold. Und die Dinge sind ihnen untertan, nicht zu Gewalt, Schlacht und Mord, – sondern zu wechselseitiger Hilfe.
Dies der Sinn meiner Dichtung, die so um einen sozialethischen, also von welcher Weltanschauung immer: kollektiv gebotenen Ausklang bemüht ist.
In: Radio Wien, 15.2.1929, S. 328-329.
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