Leo Lania: Dichter für das revolutionäre Proletariat
- Emile Zola von Max Herrmann (Neiße). Verlag Die Aktion, Berlin.
- Martin Andersen Nexö. Bornholmer Novellen. I .H. W. Dietz-Verlag, Berlin.
- Arno Holz. Phantasus (In Einzelausgaben). I. H. W. Dietz-Verlag, Berlin.
- Heinrich Zille von Adolf Behne. Verlag Neue Kunsthandlung, Berlin.
Max Herrmann (Neiße) unternimmt den begrüßenswerten Versuch, eine proletarische Literaturgeschichte aufzubauen: In einer Sammlung von Schriften soll das wichtigste Lesematerial propagiert werden für ein Publikum, das klassenbewußt, mit revolutionärem Temperament Lektüre aufnimmt, also eine Art Klassikerbibliothek der proletarischen und revolutionären Dichtung gegeben werden. Das erste Bändchen liegt jetzt vor. Es ist Emile Zola gewidmet und stellt eine interessante, leicht faßliche, für den Arbeiterleser sehr wertvolle Einführung in das Schaffen und die Persönlichkeit des großen Romanciers dar. Max Herrmann verzichtet bewusst auf jede gelehrte literarische und kunstkritische Würdigung des Werkes Zolas ; ihm geht es darum, dem einfachen Menschen der Gegenwart sinnfällig aufzuzeigen, auf welchem historischen Hintergrund das gigantische Epos der Rougon-Macquart entstanden ist, welch tiefen inneren Beziehungen zwischen jener Epoche des zweiten Kaiserreichs und dem Heute bestehen, und welche Bedeutung so Zola nicht nur als unerbittlicher Sittenschilderer seiner Zeit, sondern auch als Kämpfer gegen die bürgerliche Gesellschaft für das revolutionäre Proletariat der Gegenwart besitzt. Die unerhörte Aktualität des großen Franzosen wird an dreien seiner berühmten Romane : „Das Glück der Familie Rougon“, „Rana“, „Die Sünde des Abbè Mouret“ exemplifiziert, „denn von diesen Bänden scheint am sinnfälligsten der Blick auf unsere aktuelle Gegenwart möglich, weil sie fundamental die fasslichen Elementarbegriffe, die Grundlagen geben, drei Voraussetzungen des Uebels festhämmern: die verräterische, gewissenlose Praktik der nach Einfluß, Reichtum, Macht um jeden Preis (den andere zu zahlen haben) Gierenden ; den würde- und bedenkenlosen Tanz ums goldene Kalb, um die augenblickliche Genußmöglichkeit, den die zur Herrschaft gelangten auszuführen pflegen ; den kirchlichen Köder, die Verquickung von Geschlechtlichem mit anmaßend Moralischem, wodurch die Autoritätsgläubigen vollends in Schrecken gehalten werden. Von allen drei Fällen ist die Parallele zu heutigen deutschen Verhältnissen leicht zu ziehen ; das durch Hinterhalt, Verrat und Ermordung so vieler echter Revolutionäre durchgesetzte Führertum deutschen Zustandes ; die übermütige Fallreife, im Kern faule Ueppigkeit unserer Luxuselite, das heuchlerische und stupide Sittlichkeitsgeschnüffel und Staatsmoralgetue klerikaler oder reaktionärer Bevormundung – sie entsprechen akkurat den von Zola gezeigten Typen.“ Max Herrmanns temperamentvolle Schrift – der ein packender Abschnitt aus dem „Glück der Familie Rougon“ angefügt ist, – erscheint gerade zur rechten Zeit, da endlich auch in deutscher Sprache das Gesamtwerk Zolas – in einer ersten sorgfältigen Uebersetzung bei Kurt Wolff, München – vorliegt ; möge Herrmanns Büchlein breitesten Schichten der Arbeiterschaft Anreiz und Wegweiser zur näheren Bekanntschaft mit Zolas universalem und einzigartigen Gesamtwerk werden!
Martin Andersen Nexös Romane und Erzählungen sind heute Gemeingut aller literarisch Interessierten, dem Proletariat aber als Schöpfungen eines wahren Arbeiterdichters besonders wert und teuer. Dem Dietz-Verlag gebührt daher Dank, daß er eine Reihe kürzerer Erzählungen in einem besonderen Bändchen vereinigt hat, die ein anschauliches Zeugnis von des Dichters gediegener Kunst geben und so auch Arbeitern, die nicht über die Mittel verfügen, Andersen Nexös große proletarische Romane „Pelle der Eroberer“ und „Stine Menschenkind“ zu erwerben, eine intime Kenntnis seines Wesens und Schaffens vermitteln. Unwillkürlich wird man an Gorki erinnert, mit dem der Däne manchen Zug gemeinsam hat: die proletarische Abstammung, die tiefe Verbundenheit mit den Armen und Elenden seiner Klasse, die monumentale Realistik. Aber Andersen Nexö ist robuster, geschlossener als Gorki. Er hat etwas von einem Bauern, obwohl er aus einer Arbeiterfamilie stammt, die Menschen seiner Erzählungen scheinen wie aus Holz geschnitzt, die Schicksale, die er gestaltet, primitiv, düster, und so ist er auch selbst: sachlich, herb, kein Grübler, fest in dem steinigen Boden seiner meer- und sturmumtosten Insel wurzelnd. Eine kleine Erzählung „Todeskampf“ ist in dem Bändchen, eine Meisterleistung in der psychologischen Durchleuchtung eines Menschen, an Dostojewski gemahnend – der Atem stockt, wenn man diese Seiten liest. „Schicksal“ heißt ein andrer, und ihr letzter Satz ist typisch für diese von aller Sentimentalität frei, grandiose Realistik des Dänen: „Das Schicksal selbst kennt keine Nerven: Es geht über einen Menschen hinweg wie ein Eisenbahnzug, und man merkt nur ein weiches Wiegen.“
Ein besonderes Lob gebührt der sorgfältigen Ausstattung des Bändchens.
Der gleiche Verlag gibt jetzt einzelne größere Abschnitte aus dem „Phantasus“ des Arno Holz in kleinen Bändchen gesondert heraus. „Taten und Träume“ heißt der eine, „Ueber die Welt hin“ der andre Band. Auch hier ist die Ausstattung mustergültig, die gewiß für die Verbreitung der billigen Bändchen ein Anreiz sein wird. Es ist zu begrüßen, daß auf solche Art Holz` berühmte Dichtung auch weiten Schichten der Arbeiterschaft zugänglich gemacht wird.
Zum Schluß sei noch auf ein Buch hingewiesen, daß eigentlich nicht in diese Reihe gehört: In einer Sammlung von Künstlermonographien, „Grafiker der Gegenwart“, erscheint eine Würdigung Heinrich Zilles von Adolf Behne mit vielen Reproduktionen der Graphiken Zilles. Hier wird uns kein Dichter, aber ein Maler des Proletariats vorgestellt: „Heinrich Zille ist weder der erste Künstler, der Proletarier zeichnete, noch der erste Künstler, der aus dem Proletariat kam. Aber durch ihn stellt sich zum erstenmal das Proletariat selbst dar. Denn Heinrich Zille hat sich nicht vom „Proleten“ zum „Künstler“ entwickelt, sondern der Proletarier ist schöpferisch geworden und ist Proletarier geblieben.“ Zille hat nicht die edle Sentimentalität der Käthe Kollwitz, nicht die aggressive Schärfe und die politische Aktualisierung von George Grosz, er zeichnet nur unerbittlich „sein Milljöh“, die Straßen des Berliner Nordens, dies Proletarierviertel mit seinen Typen und Gestalten; aber wie ergreifend ist diese sachliche Objektivität, wie fühlt man aus jedem Blatt die menschliche Güte, das tiefe Empfinden dieses „besten Berliners“, und wie einfach ist das gezeichnet, wie erschütternd sein trockener Witz. Zille hat das Epos des Großstadtproletariats gezeichnet, aber er spiegelt nicht weniger treffend „das Gesicht der herrschenden Klasse“, wie die Blätter von George Grosz und wie die Gestalten der Kollwitz, wenn es auch meist nur das Lumpenproletariat und nicht die klassenbewußte Arbeiterschaft ist, die in Zilles Mappen eingefangen wird: „Kampf um Arbeit und Bleibe, Kampf ums Brot, Abwechselnd Kinderwagen und Leichenwagen – und dazu weggeschleppt werden als Kanonenfutter in den Weltkrieg.“ Aber es ist auch bei allem ein lachend überlegenes und „Und doch“, ein energiereicher Optimismus. Wo wäre denn auch sonst der Mut zur Revolution?“