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El Lissitzky: Die elektro-mechanische Schau

             Vorliegendes ist das Fragment einer Arbeit, die aus der Notwendigkeit, den geschlossenen Kasten des Schaubühnentheaters, den geschlossenen Kasten des Schaubühnentheaters zu überwinden, entstanden ist (Moskau 1920-21.)

             Die großartigen Schauspiele unserer Städte beachte niemand, denn jeder „jemand“ ist selbst im Spiel. Jede Energie ist für einen eigenen Zweck angewendet. Das Ganze ist amorph. Alle Energien müssen zur Einheit organisiert, kristallisiert und zur Schau gebracht werden. So entsteht ein WERK – mag man das KUNSTwerk nennen.

             Wir bauen auf einem Platz, der von allen Seiten zugänglich und offen ist, ein Gerüst auf, das ist die SCHAUMASCHINERIE. Dieses Gerüst bietet den Spielkörpern alle Möglichkeiten der Bewegung. Darum müssen seine einzelnen Teile verschiebbar, drehbar, dehnbar usw. sein. Die verschiedenen Höhen müssen schnell ineinander übergehen. Alles ist Rippenkonstruktion, um die im Spiele laufenden Körper nicht zu verdecken. Die Spielkörper selbst sind je nach Bedarf und Wollen gestaltet. Sie gleiten, rollen, schweben auf, in und über dem Gerüst. Alle Teile des Gerüstes und alle Spielkörper werden vermittels elektro-mechanischer Kräfte und Vorrichtungen in Bewegung gebracht, und diese Zentrale befindet sich in Händen eines Einzigen. Sein Platz ist im Mittepunkt des Gerüstes, an den Schalttafeln aller Energien. Er dirigiert die Bewegungen, den Schall und das Licht. Er schaltet das Radiomegaphon ein, und über den Platz tönt das Getöse der Bahnhöfe, das Rauschen des Niagarafalles, das Gehämmer eines Walzenwerkes. An Stelle der einzelnen Spielkörper spricht der SCHAUGESTALTER  in ein Telephon, das mit einer Bogenlampe verbunden ist, oder in andere Apparate, die seine Stimme je nach dem Charakter der einzelnen Figuren verwandeln. Elektrische Sätze leuchten auf und erlöschen. Lichtstrahlen folgen den Bewegungen der Spielkörper, durch Prismen und Spiegelungen gebrochen. So bringt der SCHAUGESTALTER den elementarsten Vorgang zur höchsten Steigerung.

             Für die erste Aufführung dieser elektro-mechanischen SCHAU habe ich ein modernes Stück, das aber noch für die Bühne gedichtet ist, benutzt. Es ist die futuristische Oper „Sieg über die Sonne“ von A. Krutschonich, dem Erfinder des Lautgedichtes und Führer der neuesten russischen Dichtung. Die Oper wurde 1913 in Petersburg zum ersten Male aufgeführt. Die Musik stammt von Matjuschin (Vierteltöne). Malewitsch malte die Dekorationen (der Vorhang – schwarzes Quadrat). Die Sonne, als Ausdruck der alten Weltenergie, wird vom Himmel gerissen durch den modernen Menschen, der kraft seines technischen Herrentums, sich eine eigene Energiequelle schafft. Diese Idee der Oper ist in eine Simultaneität der Geschehnisse eingewoben. Die Sprache ist alogisch. Einzelne Gesangspartien sind Lautgedichte.

             Der Text der Oper hat mich gezwungen, an meinen Figurinen einiges von der Anatomie des menschlichen Körpers zu bewahren. Die Farben der einzelnen Teile meiner Blätter sind, wie in meinen Proun-Arbeiten, als Materialäquivalent zu betrachten. Das heißt: bei der Ausführung werden die roten, gelben oder schwarzen Teile der Figurinen nicht entsprechend angestrichen, vielmehr in entsprechendem Material ausgeführt, wie zum Beispiel blankes Kupfer, stumpfes Eisen usw.

             Die Entwicklung des Radio in den letzten Jahren, der Lautsprecher, der Film- und Beleuchtungstechnik und einige Erfindungen, die ich selbst inzwischen gemacht habe, das alles macht die Realisierung dieser Ideen noch viel leichter, als mir das 1920 vorgeschwebt hat.

In: MA (9), H. 8/1924, S. 5.

N.N.: Radio, Politik und Radiopolitik

Seit einiger Zeit hören wir, wenn wir Radio hören wollen, ein merkwürdiges Nebengeräusch. Es handelt sich um ein überaus schrilles und hartnäckiges Geräusch von scharf ausgeprägtem Charakter, den man nicht vergißt, wenn man ihn einmal begriffen hat. Nicht genug an der Straßenbahn, nicht genug am Fading-Effekt, jetzt tritt noch dieses Neue hinzu, jetzt bestürmt, jetzt verfolgt man uns von allen Seiten mit Politik.

So etwa könnte heute der reine Radioamateur, der Radioamateur an sich sprechen, dann nämlich, wenn dieses Wesen anders als in der Theorie vorstellbar wäre. Die Theorie würde obendrein falsch sein. Radio ist auch theoretisch unfähig, den Typ eines Radiosportfexen hervorzubringen, der für nichts als Radio Sinn hat und für alles auf der Welt, was nicht Radio heißt, verloren ist. Radio ist vielzu intim und legitim mit allen Kräften des Lebens verbunden, als daß seine besten, seine wirklichen Anhänger sich auch nur für die Zeit, da sie Radio treiben, aus dem Zusammenhange mit dem Lebendigen lösen könnten, namentlich aus jenem allerstärksten, der Politik heißt.

Nein, nein: für alle Radiofreunde – und je treuer sie in ihrer Freundschaft sind, desto mehr – gilt es, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Radio Österreich in seiner politischen Periode angelangt ist. Radio marschiert durch einen gefährlichen Engpaß. Wachsamkeit ist nun erste Radiopflicht.

Man wird von uns, die wir unsere Einsicht in das politische Wesen des Radio niemals verborgen haben, nicht billig verlangen können, den politischen Streit, der es nun umtobt, der politischen Sphäre ganz entrückt zu betrachten. Wir geben zu, daß dieser Streit vom Standpunkt des Radio beklagenswert ist, wir behaupten, daß er nicht ganz unvermeidlich war. Wohl nicht für immer; eines Tages mußte er ausbrechen. Es steht nun sichtbar im Kräftespiel der Parteien. Man muß zusehen, wie jene Kräfte ihr Gleichgewicht in bezug auf Radio untereinander wieder herstellen. Wie es ohne sein Hinzutun Streitobjekt geworden ist, muß es gewärtig sein, Kompensationsobjekt zu werden. Die Parteien haben den Wert des Radio als Waffe schon zu gut begriffen, als daß sie es jemals halb oder ganz aus der Hand zu geben gesonnen wären. Die eine Partei gibt die Parole aus: „Wer an Gottesfrieden rührt, wird auf Granit beißen.“ Die andere Partei pflanzt ein Kampfpanier auf, darauf steht zu lesen die Parole: „Steuerbegünstigung für Radiokultur.“ Der Brief des Stadtrates Breitner besagt nicht mehr noch weniger, als daß die Gemeinde Wien ihre nicht unbeträchtlichen Kräfte zur Kontrolle Radio-Wiens einzusetzen entschlossen ist. Ihr formales Recht, eine Lustbarkeitssteuer aufs Radio zu legen, ist eine vielumstrittene juristische Frage. Mit ihrem moralischen Recht, das hier ganz wesentlich in Frage ist, steht es nach unserem Dafürhalten folgendermaßen: Die Gemeinde Wien hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, darauf einzuwirken, daß die Leistung des Wiener Senders die beste sei, denn sie ist die natürliche Vertreterin der allgemeinen Interessen der Wiener, zu denen auch der Ruf dieser Stadt gehört.

Soweit wäre die Sache in Ordnung. Wir behaupten, und zwar nicht leichtsinnig, daß eine Verständigung darüber, was gute Sendung, erreicht werden kann. Das Niveau Radio-Wiens muß gehoben werden. Darin sind Wiener Stadtverwaltung und Direktion der Ravag eines Sinnes.

Wer wagt es übrigens schon, mit einiger Genauigkeit anzugeben, was der Mehrzahl der Hörer recht ist? Wenn irgend ein Faktor Verlangen danach trägt, nicht ganz auf Vermutungen angewiesen zu sein, so steht ihm schon heute das vorläufige Material der Abstimmung der „Radiowelt“ zur Verfügung, das nicht Agitationsmaterial, sondern Studienmaterial ist. Wir wollen die Hauptsache verraten: Soweit sich heute das Ergebnis bereits ablesen läßt, schaut es etwa so aus: Keine Politik und keine Predigt. Wir sind überzeugt, daß die Richtung, die in diesen Worten ausgedrückt ist, sich noch stärker akzentuieren wird. Eine solche Stellungnahme des Publikums aber könnte, obschon sie nur negativ ist, das Übereinkommen über das große positive Programm Radio-Wiens, das wir Radioamateure sehnlich wünschen müssen, nicht unwesentlich erleichtern.

Vorläufig wird gekämpft und zum Kampfe gerüstet.

In: Radiowelt, 1925, H. 2.

Oskar Maurus Fontana: Radio-Kulturbeirat und Schriftsteller

Daß den Schriftstellern für ihre Arbeit ein Honorar, auch beim Rundfunk, gebührt, darüber besteht kein Zweifel mehr. Auch die Ravag hat nach der Protestversammlung der Schriftsteller sich zu den Verhandlungen bereit erklärt. Damit aber, daß einige Honorare bewilligt werden, kann die Grundforderung der Schriftsteller nicht erledigt werden, denn diese Grundforderung, die aus dem Verantwortungsbewußtsein der Schriftsteller gegenüber dem Geist kommt, sie lautet: Dem bisherigen administrativ-technischen Beirat der Ravag muß ein Radio-Kulturbeirat ehestens angeschlossen werden und in ihm muß der Schriftsteller Sitz und Stimme haben.

Diese Forderung wird nicht zum erstenmal erhoben und auch nicht von den Schriftstellern allein. Daß sie trotzdem noch immer nicht gehört wird, das ist zumindest merkwürdig. Man begreift nicht, wieso eine Zeit, eine Gesellschaft auf ihr bestes Wissen verzichten, warum jede Mitwirkung des schöpferischen Geistes schon im Keim erstickt wird. „Alle unsere Würde besteht im Gedanken. Richtig zu denken, ist das Prinzip der Moral“, hat Pascal gesagt. Und das heißt, daß mit dem Maß des richtigen Denkens auch das Maß der Sittlichkeit erhöht würde. Sollte die höhere Sittlichkeit, die das bessere Denken verbürgt, nicht gewünscht werden? Stören am Ende die besten Köpfe? Freilich, dem Geschäft tut das Dunkel des Nichtwissens, des halben Wissens, gut.

Aber das Radio ist so wenig nur ein Geschäft, wie es bloß eine technische Angelegenheit ist. Es ist ein Mittel des Geistes oder (für Pessimisten gesagt) es könnte eines sein. Ein solches Mittel des Geistes bloß auf die Berufsinteressen einzuschränken und jede Mitarbeit der geistig Schöpferischen auszuschließen, ist eine Unmöglichkeit. Trotzdem geschah sie, geschieht sie.

Als die Verordnung, die den Ausbau eines der wichtigsten geistigen Hilfsmittel unserer Zeit regeln sollte, in Österreich geschaffen wurde, arbeitete ein Bundesministerium mit, die Parteien wurden gehört, die verschiedensten Kammern – zum Schluß hatten sich alle placiert, nur den Geist hatte man vergessen, den hatte man ausgeschlossen.

Dieses Unrecht, das bei der Schaffung des Radiobeirats passierte, muß wieder gutgemacht werden. Man kann den Geist nicht ausschließen, er ist stärker als eine jede Macht, die ohne ihn auszukommen glaubt. Im heutigen Radiobeirat sitzt kein Schriftsteller, kein Musiker, kein Wissenschaftler. Solche Ausschaltung des Geistes ist, falls man aus ihr ein Prinzip zu machen gesonnen ist, beschämend nicht bloß für den Schriftsteller, sondern für die Kultur unseres Landes.

Darum: Ohne jedes weitere Zögern muß der Radio-Kulturbeirat geschaffen werden. Das deutsche Beispiel muß befolgt werden. (Hätte man ihm schon früher gehorcht, solche unerquickliche Streitigkeiten über ein paar schäbige Honorare wären der Öffentlichkeit erspart geblieben!)

Dieser Radio Kulturbeirat soll keine Versammlung von Würdeträgern sein, sondern eine elastische Rückendeckung gegen das Leben, das sich immer ändert. Darum kann der Radio-Kulturbeirat keine Ernennungen auf Lebensdauer kennen, die Mandatsdauer der einzelnen Mitglieder muß begrenzt sein, sein äußeres Bild muß sich so ändern können, wie es dem Ablauf geistiger Bewegungen entspricht. Keine Erstarrung! Denn sie ist geistfeindlich. Kein Beamtentum! Denn das entfernt vom Leben.

Man sieht aus solchen Andeutungen, wie notwendig dem Rundfunk ein solcher Radio-Kulturbeirat sein müßte. Den Rundfunk nur auf die Arbeit seiner Angestellten beschränken, heißt, ihn zur Erstarrung, zur Lebensfremdheit verurteilen. Das Radio braucht die Mitarbeit des Geistes, wie das Ackerland Sonne und Regen.

In: Radiowelt, 1927, Nr. 49, S.8

N.N. (= Franz Anderle): Radiofreiheit

Über Nacht, wie das bei allem, was mit Radio zusammenhängt, schon zu sein pflegt, hat  unsere politische Einstellung zu ihm eine Wandlung erfahren: Seit ein paar Tagen stehen wir in Österreich im Vorstadium

des Kampfes um die Radiodemokratie,

eines Kampfes, der überall ausgefochten werden muß und der bei uns scharf zu werden verspricht.

Unser Standpunkt in diesem Kampfe ist bald gewählt: wir treten aus allgemeinen und aus besonderen Gründen als Menschen, als Österreicher und als Radiobeflissene

für die Radiodemokratie

ein. Wir wollen unsere besten Kräfte im Kampfe für sie einsetzen, denn wir wissen, daß hier Entscheidendes auf dem Spiel steht.

            Es wäre zu wenig gesagt, wenn man den Kampf für Radiofreiheit einen Teilkampf im großen Kampfe für Preßfreiheit nennen wollte. So verhalten sich die Dinge nicht. Der Kampf für Preßfreiheit, der sein Heldenzeitalter und seine Helden, seine Opfer und seine Verräter gehabt hat, war eine der Formen, in denen sich der Auftrieb, der Selbstbefreiungswille des Bürgertums bestätigt hatte. Er war eine typische Erscheinung des XIX. Jahrhunderts, die diesem ihren Stempel aufgedrückt hatte. Der Kampf um die Radiofreiheit ist echtestes XX. Jahrhundert [gesp. im Orig.], untrennbar von diesem und nur in dessen Rahmen verständlich. Es handelt sich vor allem um ein wesentlich

technisches Problem.

Das war die Preßfreiheit ja auch, ebenso wie auch die Radiofreiheit ihrerseits neben dem technischen Moment auch ein nicht zu übersehendes Machtmoment enthält. Aber das Verhältnis dieser beiden Momente verschiebt sich bei dem Problem der Radiofreiheit entscheidend zugunsten der technischen. Es handelt sich, wie bei allem, was mit Radio nur im entferntesten zusammenhängt, auch hier um ein Problem sui generis, das nach den eigenen Voraussetzungen betrachtet werden will.

Über das Ideal sind wir uns ja klar und hoffentlich sind wir darin mit den meisten unserer Leser einig:

Der ideale Zustand wäre der, daß jeder mit jedem auf dem Radiowege frei und ungehindert verkehren kann.

Ebenso klar müssen wir uns aber darüber sein, daß dieser Zustand heute unerreichbar ist. Heute liegen die Dinge vielmehr so, daß

wenn jeder frei funken könnte, unweigerlich ein Chaos entstehen müsste. 

Das Chaos im Äther ist gewiß nicht das, was wir wünschen. Wir wünschen vielmehr das Chaos zu organisieren, wir wünschen aus dem Chaos einen Kosmos zu machen.

Radio dürfe nicht das Monopol einzelner, auch nicht das Monopol einer Partei werden.

Gewiß: Radio muß allen gehören. Aber wie es einrichten, daß diese Erfindung, deren Wesen das Monopolisiertwerden auszuschließen scheint, wirklich allen ohne Unterschied zugute komme? Es ist schwer, hier einen umfassenden, praktischen, befriedigenden positiven Vorschlag zu erhalten.

            Es ist nun einmal so, daß einer praktischen Radiodemokratie im oben definierten utopischen Sinne von vornherein

natürliche Schranken

gezogen sind. Die hauptsächlichste liegt vielleicht nicht einmal in der Natur der Hertzschen Welle, sondern in der Beschaffenheit der menschlichen Seele hinsichtlich ihrer          Aufnahmefähigkeit  für das gesprochene Wort,

eine Tätigkeit, die nicht unbeschränkt ist. Wenn Mannigfaltigkeit der Preßprodukte, wenn eine Vielzahl der Zeitungen wesentlich für die praktische Wirkung der Preßfreiheit ist, so kann das aus dem Wesen der Radiofreiheit schon deshalb nicht als Forderung abgeleitet werden, weil man beim Hören schneller ermüdet als beim Lesen, weil man gedruckte Zeitungen durcheinander lesen, aber

            gesprochene Zeitungen nicht durcheinander hören kann,

zumindest heute noch nicht. Die Regelung des Radiowesens auf eine immerhin mögliche Anpassung unserer Sinnesorgane einzustellen, hätte aber keinen Sinn.

            Aus diesem Sachverhalte geht für die Radiozeitung eigentlich eine überraschende Forderung hervor:

Sie sollte eine kurze, gedrängte, sich auf die möglichst gewissenhafte Meldung der Tatsachen beschränkende Zeitung sein: so objektiv wie keine der gedruckten Zeitungen ist.

Objektivität und Tatsachenfülle scheint uns der eigentliche Stil der Radiozeitung zu sein.

            Aber wir sehen voraus, daß diese Objektivität, so ehrlich sie auch angestrebt werden sollte, immer angezweifelt werden wird (und auch die Zweifler werden möglicherweise ehrlich sein), namentlich, wenn die Herausgeber jener objektiven Zeitung, der Radiozeitung, im Zusammenhang mit irgendeiner Partei, mit irgendeiner Richtung gebracht werden können. Ob diese Frage überhaupt zu denjenigen gehört, die der Radiogesetzgeber einmal gerecht wird lösen können, lassen wir dahingestellt.

[…]

Wer aber soll ordnend, gebietend, verbietend, strafend eingreifen? Wir glauben doch: der Staat. Die anderen Lösungen dürfen wir für den Augenblick außer Acht lassen. Nun gut also, der Staat. Aber welcher Staat?

In: Radiowelt, H. 3, 23.3.1924, S. 1.

Es war vorauszusehen. Das Radio wird den Menschenkindern eine neue Kunstgattung. Denn eine neue Technik, die etwas auf sich hält, kann sich nicht damit begnügen, bescheiden der Verbreitung und Vermittlung alter Künste, so da sind Musik und ihre Rezitation, zu dienen. Sie will ihre eigene Muse ins Parlament auf dem Parnaß entsenden. Das gehört auch zum guten Ton. Wie ein neuer Reicher solange gesellschaftlich nicht ganz arriviert ist, bis in seinem Salon keine Literaten und Künstler verkehren, so wird auch einer neuen Technik nur die Verbindung mit einer eigenen Kunst die notwendige mondäne Eleganz verleihen.

Nun ist das Radio so weit. Es hat sich seine eigene, neue Spezialkunst erschaffen, die bald Mode und mit der Zeit sogar Volksbedürfnis werden kann, wie das Kino. Die Erfindung der Kinematographie brachte die Filmkunst; die Darstellung des Lebens nur fürs Auge. Das Radio bringt die neue, die nur hörbare Kunst: das akustische Drama. Die Darstellung des Lebens, nur für das Ohr. Wie in der Zeitschrift ‚Die Radiowelt’ zu lesen ist, hat eine Sendestation einen großen Preis für so eine ‚Tondichtung’ ausgeschrieben, die irgend eine Handlung, eine Geschichte mittels Tönen und Geräuschen deutlich und spannend darstellen soll. So wie sie ein Blinder erleben würde. Also keine gesprochene Beschreibung, in der etwa gesagt wird: „Sie kamen ans Meer. Da brach ein Sturm los.“ Sondern ein unmittelbares Drama, in dem bei dieser Stelle das Brausen der Wellen und das Pfeifen des Windes zu vernehmen ist.

Denn das Radio ist in der Lage, wie der Film, auch die Natur auf seine Art darzustellen. Die sichtbaren Kulissen der Bühne werden sozusagen ins Akustische übersetzt. Wir hören das Knarren einer Türe, das Rücken eines Stuhles, das Ticken einer Wanduhr und hören die intime Stimmung einer stillen Szene im Zimmer. Dann hören wir den Lärm der Straße einer Großstadt, der die Worte zerreißt. Dann hören wir die Dorfglocke läuten, den Hahn krähen, die Schafe blöken und wir sind auf dem Lande. Dann nähern sich Schritte durch den dumpf widerhallenden Korridor, ein Schlüsselbund klirrt, ein Schrei, ein Schuß und es wird still. 

Ja, es ist möglich. Das Radiodrama wird eine eigene Kunst werden und sich, wie der Film durch Kitsch, triviale Rohheit und Stumpfsinn, einmal zu hohen poetischen Möglichkeiten emporringen. Das Radiodrama muß sich zu einer bedeutenden Kunst entwickeln, weil es – wie der Film – aus technischen Gründen eine billige und allgemeine Volksunterhaltung werden kann. Es wäre schade, wenn die berufenen Anwärter der Kunst auch diesmal zu spät kämen. Denn die Technik geht voran. Die Kunst ist überhaupt nur eine Begleiterscheinung. Der Kinematograph wurde nicht erfunden, um der Asta Nielsen die Möglichkeit zu ihren mimischen Offenbarungen zu schaffen. Die Möglichkeiten werden erst im nachhinein erkannt und verwertet. Vielleicht wurde auch der Pinsel erst zu anderen Zwecken erfunden und dann kam man auf die Malerei. Bei der Kunst ist es eben so, sondern daß man die Suppe erfindet, weil es schon Löffel gibt, mit denen man sie essen kann.

Also nach dem Film, nach der Kunst für Taube, kommt das Radiodrama: Kunst für Blinde. Eigentlich ist das nichts Neues. Die Künste waren ja von jeher Krüppelperspektiven. Die Malerei ist nur für das Auge und die Musik nur für das Ohr. Kunst entsteht überhaupt nur durch das Ausschalten einiger Sinne, und jedes Mal war noch das Gesamkunstwerk ein dilettantisches, unerfreuliches Unternehmen. Die Welt ist irgendwie zu viel für den Menschen und leitet seine Empfindung in die Breite, wo sie verflacht. Man kann nicht in ein Gebäude durch fünf Tore auf einmal und nicht durch fünf Sinne auf einmal eingehen in die Welt. Für die Seele sind die Fünfe nur zur Auswahl da. Denn die Dinge sind zwar zu sehen und zu hören, zu riechen, zu tasten und zu schmecken. Aber – und das ist das Geheimnis – was wir hören und was wir sehen, ist nie dasselbe Ding. Doch dieses Geheimnis soll jetzt nicht gelüftet werden.

In: Radiowelt. Illustrierte Wochenschrift für Jedermann (Wien), Nr. 14, 1924, S. 14 (ED gem. Angabe der RW in der Ztg. Der Tag)