eigentlich Friedrich Stüber, geb. am 22.3.1872 in Gaudenzdorf – gest. am 15.9.1922 in Wien; Schriftsteller, Beamter

Der Beamtensohn trat nach der Matura als Rechnungspraktikant in den Staatsdienst ein und erlangte später eine hohe Stellung im Finanzministerium. Als Feuilletonist trat er ab 1893 mit Erzählungen über das Wiener Alltagsleben in Erscheinung, vorrangig im Neuen Wiener Tagblatt, der Volkszeitung, später auch in der Reichspost; für die Ostdeutsche Rundschau verfasste St.-G. Theaterkritiken. 1902 wurde seine Posse Die gute alte Zeit mit der Unterstützung Adam Müller-Guttenbrunns uraufgeführt. 1910 erhielt St.-G. gemeinsam mit Vinzenz Chiavacci und Eduard Pötzl als Wiener Lokalfeuilletonisten im Geiste Friedrich Schlögls den renommierten Bauernfeldpreis. Ebenfalls ab 1910 trat er mit populären, mitunter auch durch Lichtbilder und Musik unterstützten Lesungen und literaturhistorischen Vorträgen in der Wiener Urania auf, u.a. zu Wilhelm Busch, Ferdinand Raimund und Johann Nestroy; ab 1917 fungierte er als Schriftleiter der Wochenschrift Urania, 1922 stieg er in die Betriebsleitung auf. Freundschaftlich verbunden, erfuhr St.-G. die Förderung durch Peter Rosegger und dessen Sohn Hans Ludwig und veröffentlichte mehrere Arbeiten in deren Zeitschrift Heimgarten. Die letzte zu Lebzeiten, anlässlich seines 50. Geburtstags erschienene Feuilletonsammlung Wiener Wandelbilder zeugt nicht nur von milieusatter „Heimatkunst im besten Sinne des Wortes“ (Reichspost, 18.9.1922, S. 1), sondern auch von St.-G.s kritischer Zeitdiagnose zur Wiener Gesellschaft der Kriegsjahre bzw. der Nachkriegszeit. Im selben Jahr starb St.-G. fünfzigjährig kurz nach seiner Pensionierung an den Folgen eines Schlaganfalls. Die Neue Freie Pressewürdigte in ihrem Nachruf St.-G. als einen Autor, der mehr als bloß „Epigone jener klassischen Schilderer der Wiener Eigenart von gestern und vorgestern“ war, er sei „niemals zum Chlichée erstarrt. […] Sentimentale Schwächlichkeit und hochtrabende, den Mund vollnehmende Erbitterung waren ihm fremd“ (NFP, 16.9.1922, S. 7).

Neben den feuilletonistischen Arbeiten und dem Wirken in der Urania trat St.-G. auch mit Wiener Romanen hervor, darunter der 1907 erschienene Wiener Studentenroman C. i. (Cum infamia) und die 1922 veröffentlichte Raimund-Hommage Rappelkopf, die von der Kritik als psychologische Studie und Epochenroman deutlich über die Raimund-Romane Adolf Bäuerles gestellt wurde. Ab 4. April 1944 druckte das Wiener Tagblatt, das auch die Veröffentlichung mehrere Feuilletonsammlungen verantwortete, den 1919 veröffentlichten Roman Gottsmann der Engel als Fortsetzungsroman ab.

St.-G. Sohn war der Politiker und Schriftsteller Fritz Stüber (1903-1978).


Werke

Feuilletonsammlungen zu Lebzeiten (Auswahl): Auf dem Küniglberg (1901), Das Durchhaus (1905), Der Stellwagen (1909), Die untere Million. Gestalten und Geschichten vom Donaustrand (1910), Wien, wie es war (1916), Wiener Kinder (1920) und Wiener Wandelbilder (1922)

Romane: C. i. (Cum infamia, 1907, später neu aufgelegt mit dem Titel Das Band ist zerschnitten), Schwiegersöhne (1910), Der Schönheitspreis (1912), Gottsmann der Egoist (1919, später neu aufgelegt unter dem Titel Der stille Freund), Rappelkopf (1922, Digitalisat)

Quellen und Dokumente

Transkripte bei Projekt Gutenberg: Die Sammlung Vom alten Schlag. Kleine Wiener Geschichten und die Erzählung Das Durchhaus.

Seelenheilmittel. In: Heimat, 21.3.1918, S. 5-6, Frau Resis Ostergewinst. Eine altmodische Geschichte. In: Neues Wiener Tagblatt, 20.4.1919, S. 18-20, Sodom und sein Gerechter. In: Neues Wiener Tagblatt, 11.5.1919, S. 2-4, Ein Schlaumeier. In: Das interessante Blatt, 23.3.1922, S. 6, Das Durchhaus. In: Reichspost, 17.9.1922, S. 1-2, Puppentheater. In: Neues Wiener Tagblatt, 17.9.1942, S. 2, Gottsmann der Engel. In: Neues Wiener Tagblatt, 4.4.1944, S. 5 bis 11.6.1944, S. 7.

Rudolf Holzer: „C. i.“ Roman von F. St.-G. In: Wiener Abendpost. Beilage zur Wiener Zeitung, 1.5.1907, S. 5, Adolf Fröden in der Urania. In: Neues Wiener Abendblatt, 23.1.1917, S. 4, N.N.: F. St.-G. In: Das interessante Blatt, 16.3.1922, S. 11Otto Koenig: „… Ins alte, romantische Land.“ [Rez. zu Rappelkopf]. In: Arbeiter-Zeitung, 11.7.1922, S. 5-6, o.: Rappelkopf. Roman von F. St.-G. In: Linzer Tages-Post, 30.8.1922, S. 7, N.N.: † F. St.-G. In: Neue Freie Presse, 16.9.1922, S. 7, B. (Hans Brecka?): F. St.-G. In: Reichspost, 18.9.1922, S. 1-2, H. M. (Hermann Mailler?): Nestroy. In: Reichspost, 10.10.1922, S. 5, Rudolf Zauzal: Rappelkopf [Rez.]. In: Badener Zeitung, 10.11.1922, S. 5, N.N.: Wiener Mittelstandssommer. Ein Führer durch die Sommerfrischen Oesterreichs [Rez. zu Das Wirtshaus an der Gams]. In: Neues Wiener Journal, 4.6.1923, S. 3, Eduard P. Danszky: F. St.-G. In: Neues Wiener Tagblatt, 21.3.1942, S. 3.

Literatur

Reinhard Müller: St.-G., F. In: ÖBL 1815-1950 (Onlinefassung), Eintrag bei wien.gv.at.

(ME)

geb. am 12.7.1882 in Wien – ermordet im Sept./Okt. 1942 in Auschwitz; Tanzpädagogin

Die Tochter von Julius Hirschler (Komorn/Komárom 1858 – Wien 1937), der als Violinist, Komponist und Musikpädagoge am Konservatorium der ›Gesellschaft der Musikfreunde‹ in Wien seine Ausbildung absolviert hatte, und seiner Frau Amelie begann vermutlich 1920 sich systematisch mit dem Tanz und seiner Vermittlung zu befassen. Ein erster Auftritt als Leiterin einer Gruppe von Mädchen, die Turn- und Tanzübungen im Delacroz-Stil in der Urania zur Vorführung brachten, ist durch eine Notiz in der Ztg. Der Tag vom 16.12.1920 belegt. Weitere erschließen sich durch eine Replik auf einen AZ-Bericht vom März 1925: „Der Verein für rhythmische Gymnastik, Wien X. weist darauf hin, daß seine Gründung im Sommer 1921 erfolgt ist. Während wir anfangs die Baracken des Vereines Freie Schule-Kinderfreunde benutzen durften, ist es uns seit Jänner dieses Jahres [1925] durch die Munifizenz der Gemeinde Wien ermöglicht“. 1926 würdigte der Kunst- und Musikkritiker P. Pisk die Arbeit von Suschitzky trotz Skepsis hinsichtl. der eklektischen Methode im Zuge einer Vorführung im Arbeiterheim Favoriten und berichtete davon, dass der Verein bereits über 100 Mitglieder aufweise. Ab 1927 sind Auftritte ihrer Gruppe auch in der Steiermark, in Baden sowie bei verschiedenen Veranstaltungen, z.B. im Juli 1928 auf der ›Ausstellung Frau und Kind‹ im Messepalast nachgewiesen oder im Februar 1929 im Zuge eines Nachmittags der Ullstein-Zeitschrift ›Blatt der Hausfrau‹, 1930 wiederum im Arbeiterheim Favoriten.

Die Tanz- und Körperausbildung bzw. -ästhetik baute auf Lehren von Bess M. Mensendieck (1864-1957), dem Delsartismus (Schauspielpädagoge F. Delsarte) sowie der Rhythmischen Gymnastik von Émile Jaques-Dalcroze (1865-1950, der das Bildungs- und Tanzinstitut Hellerau bei Dresden, ab 1925 in Laxenburg führte) auf, die Olga explizit vertrat. Sie suchte damit klassische und proletarische Körperkultur-Konzepte sowie die aufblühende Wiener Tanzmoderne (etwa in Kooperationen mit G. Bodenwieser oder E. Tordis) zusammenzuführen und band auch sehr früh, d.h. ab 1922, ihre hochbegabten Töchter Karla und Ruth in die Vorführungen ein. Beim Internat. Jugendfest der Kinderfreunde im Juli 1931 in Wien wirkte die „Genossin“ O. Suschitzky gemeinsam mit anderen künstler. Einrichtungen des Roten Wien (Sprechchor, Arbeitersänger u.a.m.) am Rahmenprogramm dieses Festes mit, wie die AZ berichtete. 1932, am Höhepunkt der Wirtschaftskrise, beteiligte sich Suschitzky sowohl am Festwochenprogramm mit ihrer Kindertanzgruppe als auch bei karitativen Veranstaltungen (z.B. zugunsten der Arbeitslosen in Steyr und ihrer Kinder am 30.10.1932 im Apollokino). Begleitend zum Internat. Tanzkongress Ende Mai 1934 in Wien trat Suschitzky mit ihrer Kindertanzgruppe in der Urania auf, ebenso an dem von der Regierung Dollfuß Anfang Juli organisierten Kinderfestzug.

In den Jahren des Austrofaschismus verringerten sich allerdings die Möglichkeiten, öffentlich tätig zu bleiben und die kulturell wie auch sozialpolitisch emanzipatorischen Konzepte weiterzuentwickeln. Ihr letztes Auftreten (wie manche zuvor in verschiedenen Rahmenprogrammen) ist im Zuge des Faschingsfestes der Kunstgewerbeschule Ende Februar 1938 nachgewiesen.


Quellen und Dokumente

Verein rhythmische Gymnastik. In: AZ, 29.3.1925, S. 15; pp[isk]: Rhytmische Gymnastik bei Proletariern. In: AZ, 3.12.1926, S. 8; Tanzabend Februar 1929 (Foto), in: Der Tag, 9.2.1929, S. 12; Gymnastik-Tanz, Arbeiterheim Favoriten (Foto). In: Der Tag, 25.2.1930, S. 12; Die Internationale vor der Wiener Jugend. In: AZ, 29.7.1931, S. 9; Festwochenprogramm. In: Das kleine Blatt, 5.6.1932, S. 13; M. Neuhäuser: Rhythmnisch-gymnastische Bewegungskunst. In: Die Unzufriedene, 17.12.1932, S. 7; Das Faschingsfest der Kunstgewerbeschule. In: Neues Wr. Tagblatt, 23.2. 1938, S. 32.

Literatur

G. Oberzaucher-Schüller: „Beim Südtiroler Platz“: Das Wirken der Suschitzky-Frauen (2017); online verfügbar unter: http://www.tanz.at/index.php/wiener-tanzgeschichten/1692-beim-suedtirolerplatz-das-wirken-der-suschitzky-frauen-i-2

(PHK)

(Lebensdaten nicht ermittelt; konstruktivistischer Maler, Redakteur, Schriftsteller)

(in preparation)

Geb. als August Popp, 3.10. 1873 in Wscherau/ Vseruby, k.k. Österreich-Ungarn, heute Tschech. Republik; gest. 4.9. 1943 in St. Veit im Mühlkreis, Oberösterreich. (Weltpriester, Redakteur, Schriftsteller.

Materialien und Quellen:

(in preparation)

geb. am 1.8.1905 in Wien – gest. am 4.5.1940 im KZ Buchenwald; Journalist, Schriftsteller

Ps.: Walter Sweet

Nach dem Besuch der Bürger- sowie Handelsschule veröffentlichte S. bereits 19-jährig in Die Leuchtrakete einen Nachruf auf Ferdinand Lasalle sowie wenig später mehrere Beiträge in der sozialdemokratischen Programmzeitschrift Bildungsarbeit, darunter eine auf der Titelseite platzierte umfassende Rededisposition zum Gedenken an die Bürgerliche Revolution 1848; zudem trat in Wiener Arbeiterheimen regelmäßig als Redner auf. 1927 schloss er sich nach kurzer Arbeit für Der Abend dem neugegründeten und von Julius Braunthal geleiteten sozialdemokratischen Boulevardmedium Das Kleine Blatt an, für das er zunächst vor allem als Redakteur und Gerichtssaalreporter tätig war, aber auch Film- und Theaterkritiken sowie Reportagen und Glossen verfasste. Bald versuchte sich Süß zudem literarisch, u.a. mit den Wiener Kriminalromanen Zwischen 5 und 12 Uhr, Die graue Katze sowie Die Perlen des Herrn Samuel. 1932 wurde Die graue Katze von S., der wegen seines Vaters jüdische Wurzeln besaß, ohne Honorar und Angabe des Autors im Illustrierten Beobachter, einer wöchentlich erscheinenden Ergänzung des Völkischen Beobachters als Teil der NS-Propaganda, abgedruckt, wie er in der Arbeiter-Zeitung berichtete.

Bis 1935 veröffentlichte S. rund 480 Beiträge im Kleinen Blatt, zudem publizierte er einzelne Beiträge in der Arbeiter-Zeitung, den Zeitschriften Der Sozialdemokrat und Bunte Woche sowie vor allem in der Wochenzeitung Der Kuckuck, in der mehrere phantastische Erzählungen erschienen. In den Jahren des Austrofaschismus schrieb er vereinzelt noch für die Zeitungen Telegraf und Das Echo. 1938 als Kommunist verhaftet, wurde S. im Juli ins KZ Dachau deportiert und im Oktober desselben Jahres nach Buchenwald überstellt, wo er 1940 starb.


Quellen und Dokumente

Beiträge von W. S.: In memorian Ferdinand Lasalle. In: Die Leuchtrakete 3 (1925), Nr. 5, Beilage Licht übers Land, S. 2, Achtzehnhundertachtundvierzig. Eine Rededisposition. In: Bildungsarbeit XIII (1926), Nr. 2, S. 21-25, Mehr Versammlungskultur! In: Bildungsarbeit, XIII (1926), Nr. 9, S. 153, Mariahilfer Straße. Die Herzader der Großstadt. In: Das Kleine Blatt, 19.5.1928, S. 3f., Die Perlen des Herrn Samuel. Eine Kriminalnovelle [Beginn des Fortsetzungsromans]. In: Das Kleine Blatt, 19.5.1929, S. 23, Die Männer im Mond. Ein phantastischer Kriminalroman. In: Der Kuckuck, 22.12.1929, S. 11f., Die graue Katze [Beginn des Fortsetzungsromans]. In: Das Kleine Blatt, 17.8.1930, S. 17, Der jüdische Roman im Hakenkreuzblatt. In: Arbeiter-Zeitung, 19.2.1932, S. 3, Fahrt ins Blaue. In: Der Kuckuck, 30.10.1932, S. 13, Sir Casanova steigt von der Leinwand. Eine phantastische Erzählung. In: Der Kuckuck, 24.9.1933, S. 6, „Mord in Trinidad“. Detektivgeschichte nicht ganz nach der Schablone. In: Das Kleine Blatt, 2.9.1934, S. 17f., Wie Herr Wendelin zum zweitenmal starb. In: Das Kleine Blatt, 4.1.1935, S. 3f.

N.N.: Am nächsten Sonntag beginnen wir mit der Veröffentlichung eines neuen Kriminalromans von Walter Süß. In: Das Kleine Blatt, 14.8.1930, S. 5.

Spuren und Überbleibsel: W. S.: Verlorenes Land der Jugend.

Literatur

Eckart Früh: Walter Süß. gratis und franko: Wien 1999, Rebecca Unterberger: „Hochbetrieb im Redaktionssekretariat: Die Mordpost läuft ein!“ Zu Walter Süß’ Wiener Kriminalromanen für das Kleine Blatt, nebst Seitenblicken auf sensationalistische Gerichtssaalreportagen, Rundfunkgerichtsspiele und programmatische Stellungnahmen zum Krimi im Feuilleton der 1920er und 1930er- Jahre. In: Aneta Jachimowicz (Hrsg.): Gegen den Kanon – Literatur der Zwischenkriegszeit in Österreich. Frankfurt/M.: Peter Lang 2017, S. 193-227, R. U.: Wo „alles erhältlich ist, was es in dieser Welt gibt: Ware, Vergnügen, Elend, Liebe und Seelenheil“: Das Warenhaus als Kult(ur)-Tempel. In: Martin Erian, Primus-Heinz Kucher (Hrsg.): Exploration urbaner Räume – Wien 1918-1938. (Alltags)kulturelle, künstlerische und literarische Vermessungen der Stadt in der Zwischenkriegszeit. Göttingen: v&r unipress 2019, S. 165-181.

Eintrag in ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 63, 2012), S. 36, online verfügbar.

(ME)

Geb. 7.2.1879 in Nyíbáto (Österreich-Ungarn), gest. 15.7. 1934 in Seini (Rumänien)

Publizist, Soziologe, Parteigründer, (ungar.) Minister, Exilant

Der aus einer bürgerlichen jüdischen und somit auch deutschsprachigen Familie kommende Paul Schwarz bzw. Szende studierte ab 1896 bis 1902 in Budapest Staats- und Rechtswissenschaften und schloss diese Studien mit einer Promotion in beiden Fächern ab. Daraufhin arbeitete er zunächst als Rechtsanwaltskonzipist und ab 1908-1918 zuerst als Sekretär, bald aber als Generalsekretär der Ungarischen Handelsvereinigung (Országos Magyar Kereskedelmi Egyesülés). Zugleich war er auch als Redakteur bzw. als Mitarbeiter in soziologischen ungarischen Zeitschriften tätig, in deren Umfeld er den Schriftsteller, Soziologen und späteren Politiker Oszkár Jászi (1875-1957) kennen lernte, der mit der Künstlerin Anna Lesznai zu jener Zeit verheiratet war. Mit ihm gründete er 1914, knapp vor Kriegsbeginn die Radikale Partei (Országos Radikális Párt). Am Ersten Weltkrieg nahm Szende bis Ende 1915 an den Kämpfen an der Ostfront teil. Wie Jászi so gehörte auch Szende im Zuge der sog. Asternrevolution seit Ende Oktober 1918 dem Ungarischen Nationalrat an und wurde vom ersten demokratischen Ministerpräsidenten Mihaly Karoly als Staatssekretär ins Finanzministerium berufen. Nach Ausrufung der Räterepublik im März 1919 musste sich Szende zurückziehen und floh mit seiner Familie nach Wien.

Weitere Werke und Texte:

Materialien und Quellen:

Teilnachlass: International Institute for Social History (Amsterdam): The Paul Szende Papers.

A.Z. Bernard: Pál Szende. In: ÖBL: hier.

(PHK, in Vorber.)

Geb. 18.8.1886 in Budapest, gest. 26.11.1964 in Paris. Schriftsteller, Zeitschriftenherausgeber, Kritiker, Maler, Reisender, Vagabund.

Materialien und Quellen:

Manfred George: Der [beinahe] Letzte der alten Bohemiens. In: Aufbau, New York, 18. 12. 1964, S. 21-22.

(PHK, in Vorbereitung)

Geb. 5.7. 1898 in Innsbruck, gest. 29.12.1956 in Mauer/Melk (Österreich). Kritiker, Redakteur.

Materialien und Quellen:

Eintrag auf literaturtirol.at: hier.

(in preparation)

auch Tairov, Tairoff, als A. Kornblit geb. am 24.6./6.7. (gregor. Kal.) 1885 in Kowno (heute: Ukraine) – gest. am 25.9.1950 in Moskau; Theaterregisseur, Dramaturg, Theoretiker des modernen Theaters

1904 begann Tairow mit einem juristischen Studium und arbeitete gleichzeitig an verschiedenen Laienbühnen als Schauspieler und Regisseur; 1905/06 erhielt er ein Engagement in St. Petersburg. Dort lernte er die Regiearbeit von Stanislavski und V. Mejerchol’d (Meyerhold) kennen und schätzen. Seit 1906 war er zudem mit Anatoli Lunatscharsky befreundet und entwickelte in den Folgejahren ein Theaterkonzept, in dessen Mittelpunkt der Schauspieler stand. 1912 war Tairow in Riga im Zuge einer Gastregie antisemitischer Hetze ausgesetzt; er konvertierte daraufhin zum Protestantismus. 1914 gründete er mit seiner Frau, der Schauspielerin Alissa Koonen das Moskauer Kammertheater, an der auch die bekannte Malerin u. Bühnenbildnerin Alexandra Exter bis Anfang der 1920er Jahre mitwirkte. 1917 bekannte er sich zur Revolution und konnte seine experimentelle Theaterarbeit fortsetzen. Eine der ersten typischen Tairow-Inszenierungen war die Bearbeitung der Salome von O. Wilde.

1921 legte er seine seit 1915 verstreut veröffentlichten Überlegungen in der Schrift Zapiski reshissiëra vor, die 1923 unter dem Titel Entfesseltes Theater auf Deutsch erschien und schlagartig das Interesse an ihm und seinem Theater in Berlin und Wien erweckte, etwa bei B. Balázs oder M. Reinhardt.

1923 unternahm er mit seinem Kammertheater eine erste Europa-Tournee, die ihn nach Frankreich und Deutschland führte. Seine Aufführungen, u.a. Giroflé, Giroflà, Prinzessin Brambilla, Salome oder Phädra, stießen durchwegs auf positive Resonanz, z.B. durch S. Jacobsohn in der Weltbühne (19.4. 1923) und sind erstmals auch in einem Beitrag im NWJ, einem bearb. Interview mit Tairow, fassbar.

Aus: Neue Freie Presse, 18.6.1925, S. 1

Im Juni und Juli 1925 kam es im Zug der nächsten Europatournee auch zum ersten Gastspiel in Wien (Raimundtheater, Dt. Volkstheater), das großes Interesse hervorrief. Am Programm standen die Operette Giroflé, Giroflà von Charles Lecocq, O. Wildes Salome, G.B. Shaws Heilige Johanna, K.G.  Chestertons Der Mann, der Donnerstag war (in einer Bearbeitung durch S. Krzhizanovsky), A. Ostrowskis Das Gewitter und A. Schnitzlers Pantomime Der Schleier der Pierette. Während die Rote Fahne das Tairowsche Theater keineswegs als Höhepunkt des proletarisch-revolutionären Theaters einstufte und bloß die technische Leistung (d.h. das exakte Arbeiten) positiv herausstrich, schrieb F. Salten dazu in einem NFP-Feuilleton: „hier nimmt Tairow den alten Fetzen einer Lecoqschen Operette her und spielt Tairow damit, nichts als Tairow“, womit Salten einen totalen Bruch mit der Tradition von Bühnenbearbeitungen anzeigen will und Tairow als „eine der intensivsten Naturen“ vorstellt, als „wahrhaft großen Aufreger“, bei dem alles Tempo habe. Im Zuge dieser Tournee hielt Tairow auch einen Vortrag über seine Theateridee am 30.6. 1925, über den die Ztg. Rote Fahne kurz berichtete. 1926 befasste sich Tairow auch mit Revue-Konzepten wie z.B. in Kukirol.

Aus: Die Bühne (1926), H. 88, S. 19

Ausgewählte Rezensionen zu den Wiener Aufführungen des Jahres 1925 finden Sie hier.

1929 geriet Tairow erstmals ins Visier der stalinistischen Kulturpolitik im Zuge einer Aufführung eines Stückes von Bulgakow. Trotzdem konnte er 1930 zu einer neuerlichen Europa-Tournee aufbrechen, mit zwei Gastspielen von O’Neill am Neuen Wiener Schauspielhaus im April und nachfolgender Amerika-Tournee. 1933 geriet Tairow nach einer Inszenierung von V. Vishnewskiys Revolutionsstück Optimistische Tragödie wieder ins Visier der stalinistischen Literaturzensur und wurde bis 1935 nach Sibirien verbannt; er entging dadurch weiteren Repressionen. Nach seiner Rückkehr produzierte er die russ. Erstaufführung der Dreigroschenoper. 1936 folgte ein neuerlicher Formalismus-Vorwurf und einschlägige Untersuchungen. 1941 wurde sein Kammertheater aufgrund des Krieges nach Sibirien evakuiert; er trat dort in Kontakt mit versch. Künstlern, u.a. auch jiddischer Provenienz. 1945 mit dem Leninorden ausgezeichnet, hatte er ab 1946 neuerlich Schwierigkeiten mit seiner Theaterarbeit. Diese führten 1949 zur Schließung des Moskauer Kammertheaters.


Aus: Die Bühne (1935), H. 399, S. 43

Quellen und Dokumente

-s: Das entfesselte Theater. Berliner Gastspiel des Moskauer Kammertheaters. In: Neues Wiener Journal, 25.4.1923, S. 5, E. Ditlein: Alexander Tairoff: Das entfesselte Theater. In: Salzburger Volksblatt, 14.6.1923, S. 3, Felix Salten: Tairow. (Raimund-Theater.) In: Neue Freie Presse, 18.6.1925, S. 1-3, er.: Gastspiel des Moskauer Kammertheaters. Tairoffs Truppe im Raimund-Theater. In: Die Rote Fahne, 17.6.1925, S. 3, Alfred Markowitz: Tairoffs Moskauer Kammertheater. Der Mann, der Donnerstag war. In: Arbeiter-Zeitung, 28.6.1925, S. 10f., Tairoff über „Die Bühne unserer Zeit“. In: Die Rote Fahne, 2.7.1925, S. 6, Tairoffs Neuinszenierungen. In: Die Bühne (1926), H. 88, S. 19.

Literatur

James Roose-Evans: Experimental Theatre. From Stanislavsky to Peter Brook (1970, 132004) 31-34 (Online verfügbar); D. Krijanskaia: A. Tairow. In: S. Mitter, M. Shertsova (ed.): Fifty Key Theatre Directors (London-New York 2005) 37-40 (Online verfügbar).

Eintrag bei yivoencyclopedia.org. Bericht zum DFG-Projekt Aus dem Geiste der Bewegung geboren. Moskauer Kammertheater von Aleksandr Tairov im Spannungsfeld zwischen Russland und dem Westen (Online verfügbar).

(PHK)

geb. 16.2. 1869 in Iglau/Jihavla (Mähren) –  gest. 25.8. 1936 in Moskau; Mediziner (Anatom), Universitätsprofessor, sozialdemokratischer Sozialpolitiker

Tandler wurde 1869 in Iglau/Jihlava (Mähren) geboren, wo sein jüdischstämmiger Vater als Kaufmann tätig war. Nach geschäftlichen Turbulenzen zog die neunköpfige Familie 1871 nach Wien, lebte jedoch im Gefolge des Börsenkrachs und der anschließenden ökonomischen Rezession wie weite Teile der Bevölkerung in  ärmlichen Verhältnissen und ohne soziale Absicherung, was prägend für sein späteres Wirken werden sollte. Tandler besuchte zunächst die israelitische Volksschule in der Leopoldstadt, anschließend das k. u. k. Staatsgymnasium im 9. Bezirk sowie ab 1882 das Leopoldstädter Communal-Real- und Obergymnasium. Seine Ausbildung finanzierte er sich großteils selbst und konnte 1895 sein Medizinstudium mit der Promotion abschließen. 1899 habilitierte er sich und trat im selben Jahr aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus.  

Nach der Übernahme des Lehrstuhls für Anatomie an der Universität Wien 1910 trug er in der Folgezeit mit seinen anatomischen Studien wesentlich zum Weltruf der Wiener medizinischen Schule bei. Während des Ersten Weltkriegs fungierte er als Dekan der Medizinischen Fakultät und schloss sich im Zuge seiner Bekanntschaft mit Viktor Adler der Sozialdemokratischen Bewegung an, wo er im Verlauf der Zeit mit Theodor Körner, Karl Seitz und Ferdinand Hanusch in näheren Kontakt trat. 

In der Ersten Republik engagierte sich Tandler abseits seines medizinischen Berufs bald auch politisch, behielt dabei aber innerhalb der Partei bis zuletzt eine Randstellung inne. 1919 in den Wiener Gemeinderat gewählt, berief man ihn im selben Jahr zum Unterstaatssekretär und Leiter des Volksgesundheitsamtes. Als solcher sorgte er mit dem 1920 erlassenen Krankenanstaltsgesetz dafür, dass Krankenhäuser künftig durch die öffentliche Hand finanziert wurden und nicht mehr auf Spendengelder angewiesen waren. Ab November 1920 übernahm er den Posten des Amtsführenden Stadtrates für das Wohlfahrts- und Gesundheitswesen und machte in den folgenden Jahren die Stadt Wien in vielen Bereichen der Gesundheitspolitik zu einem internationalen Vorreiter. So stabilisierte er die nach dem Krieg stark beeinträchtigte medizinische Versorgung, forcierte besonders die Bekämpfung der weitverbreiteten Tuberkulose und der Säuglingssterblichkeit, aber auch des in der Arbeiterschaft weit verbreiteten Alkoholismus. Mit dem Ankauf von Radium zur Durchführung von Bestrahlungen im Krankenhaus Lainz und der Errichtung einer Beratungsstelle für Tumorerkrankungen setzte die Stadt Wien unter seiner Ägide Maßstäbe in der frühen Krebstherapie. 

Als Mediziner wusste Tandler um die Bedeutung der sozialen Verhältnisse auf die individuelle Gesundheit und stellte den Ausbau der öffentlichen Fürsorge, besonders im Hinblick auf das Kindeswohl, in den Mittelpunkt seines Wirkens: In den zwanziger Jahren entstanden auf sein Betreiben Kindergärten und -horte, Schulzahnkliniken sowie Mutter- und Eheberatungsstellen. Zudem wurde die Zahl der städtischen Gartenanlagen und Sportplätze bedeutend ausgeweitet und eine Reihe von öffentlichen Bädern errichtet, darunter das europaweit richtungsweisende Amalienbad in Favoriten, das bis zu 1.300 Besucher aufnehmen konnte. 1925 wurde die von Tandler initiierte Kinderübernahmestelle für elternlose Minderjährige als erste Einrichtung ihrer Art in Europa eröffnet. 

Abseits seiner sozial- und gesundheitspolitischen Erfolge sei kritisch angemerkt, dass Tandler Befürworter des damals in allen politischen Lagern verbreiteten Eugenik-Gedankens war: Vor allem die Förderung von „erbgesundem Nachwuchs“ und die Verhinderung von „unwertem Leben“ durch Beratung und Aufklärung der Bevölkerung stand im Mittelpunkt seiner höchst problematischen Überlegungen. Aufgegriffen wurde dieses Thema auch in dem im November 1922 erstmals in Wiener Kinos gezeigten „populär-wissenschaftliche[n] Erkenntnisfilm“ (AZ, 3.11.1922, S. 10) Hygiene der Ehe, in dem Tandler an der Seite zahlreicher anerkannter Ärzte selbst mitwirkte. 

Neben seinem politischen Engagement betrieb Tandler weiterhin wissenschaftliche Studien, aus denen zahlreiche Veröffentlichungen hervorgingen, so etwa sein Lehrbuch zur systematischen Anatomie in vier Bänden (1918-1929). Zu Beginn der dreißiger Jahre fungierte er außerdem als Berater der Hygienesektion des Völkerbundes, sah sich zu diesem Zeitpunkt aber aufgrund seiner jüdischen Herkunft an der Wiener Universität wiederholten Diffamierungen und tätlichen Angriffen durch rechtsgerichtete Studenten ausgesetzt, die zunehmend eskalierten. Er ließ sich daraufhin beurlauben und folgte einer Berufung nach China, wo er an den Universitäten Shanghai und Peking Anatomie-Vorlesungen hielt. Die Nachricht über die Februarkämpfe 1934 ließ ihn nach Wien zurückkehren, wo er vorübergehend inhaftiert wurde. Nach dem Verlust seiner Professur wählte Tandler den Weg in die Emigration. Er starb am 26. August 1936 in Moskau.


Werke (Auswahl):

Anatomie des Herzens (1913); Ehe und Bevölkerungspolitik, In: Wiener Medizinische Wochenschrift 5 (1924), Sp. 262-266; Krankenhauswesen und offene Fürsorge in Wien. In: Der sozialistische Arzt II/4 (1927), S. 27-29; Das Wohlfahrtsamt der Stadt Wien (1931).

Literatur

Karl Sablik, Julius Tandler. Mediziner und Sozialreformer: Eine Biographie, Frankfurt a. Main 22010; Melinz Gerhard, „Tandler, Julius“ in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 776f. [Online verfügbar]; Eintrag bei dasrotewien.at; K. Sablik, „Tandler, Julius“. In: Österreichisches Biographisches Lexikon, Bd. 14 (2013), 194f. [Online verfügbar]

Quellen und Dokumente

Michael Schacherl, Rezension zu „Hygiene der Ehe“. In: AZ, 29.9.1922, S. 6; „Hygiene der Ehe“. Der Schundfilm im Dienste des Rathauses. In: Reichspost, 13. 10.1922, S. 4f; Die neue Kinderübernahmestelle auf dem Alsergrund. In: AZ, 4.7.1925, S. 10; Die feierliche Eröffnung des Amalienbades. In: AZ, 9.7.1926, S. 9; Das Wiener Radiuminstitut wird heuer eröffnet. In: Die Unzufriedene, 2.5.1931, S. 4; Das Wiener Radium für Lainz. In: Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 10.8.1931, S. 5f; Tandler geht – nach China. In: Die Rote Fahne, 11.6,1933, S. 6; Genosse Julius Tandler gestorben. In: AZ, 2.9.1936, S. 11; Film über den Besuch der Erziehungsanstalt Eggenburg von Karl Seitz sowie Julius Tandler (1926) [Online verfügbar]

(MK)