Geb. 23.11. 1871 in Teschen (k.k. Österreich-Ungarn, heute Cieszyn, PL), gest. (ermordet) 3.3. 1943 im KZ Theresienstadt (Terežin). Frauenrechtsaktivistin, Feuilletonistin, Politikerin, Schriftstellerin.

Als G. Stern in eine jüdische Kaufmannsfamilie geboren, wuchs in gesicherten Verhältnissen auf und absolvierte eine Handelsschule, bevor sie um 1900 zunächst in der Administration der Zeitschrift Wiener Mode und ab 1905 ebendort auch journalistisch sich zu betätigen begann. 1902 wird sie, bereits vorher offenbar aktiv geworden, in die Preßkommission des Bundes österreichischer Frauenvereine (Vorsitz: Marianne Hainisch) gewählt (Blatt der Hausfrau, H. 43/1902, S. 5) und dabei als „Schriftstellerin“ ausgewiesen. Ab 1903 nahm sie auch im „Damenkomitee“ des Österreichischen Automobil Clubs („einem der vornehmsten unserer Metropole…“, Wiener Salonblatt, 21.3.1903, 8) an verschiedenen ‚gesellschaftlichen‘ Aktivitäten teil. 1907 gründete sie die Wiener Konsumentenliga und war wesentlich in die Organisation des Frauentags eingebunden (Die Zeit, 7.5. 1907, 13).

Materialien und Quellen:

Eintrag von Lydia Jammernegg auf: fraeuen in Bewegung: hier

Eintrag von Th. Vernus in ÖBL: hier

(in preparation)

geb. am 9.7.1891 in Linz – gest. am 4.11.1974 in Thonex (Schweiz); Schriftstellerin, Redakteurin, Literaturagentin

Das Porträtmodul von Veronika Hofeneder finden Sie hier.

Nach dem Besuch eines Lyzeums in Linz und eines Gymnasiums in Zürich, beginnt U. ebendort Naturwissenschaften und Philosophie zu studieren. Ihr Universitätsstudium bricht U. jedoch ab, als sich erste schriftstellerische Erfolge einstellen, und sie übersiedelt 1909 nach Wien. In rascher Folge ist sie zweimal kurz verheiratet und bald wieder geschieden, mit der Schwester ihres zweiten Mannes, Mia (Maria) Passini, verbindet sie eine lebenslange Freundschafts- und Arbeitsbeziehung. Passini redigiert die Arbeiten der Freundin, begleitet U. auf deren Reisen und lebt bis zu ihrer eigenen Heirat im Jahr 1945 mit ihr zusammen.

1911 erscheint U.s erste Publikation, der Sammelband Sehnsucht, zwei Jahre später folgt dann der theoretisch-programmatisch ausgerichtete Band Wenn die Weiber Menschen werden… Gedanken einer Einsamen (1913), der in direkter Anlehnung an O. Weiningers Geschlechterdichotomie verschiedene Frauentypen konstruiert. Während des Ersten Weltkrieges und in den ersten Nachkriegsjahren publiziert sie zahlreiche Texte in Zeitungen und Zeitschriften vorwiegend deutschnationaler Ausrichtung, u.a. in der Ztg.  Freie Stimmen (Klagenfurt), in denen sie völkisch-nationales und rassistisches Gedankengut formuliert. U.s politische Einstellung ist stark durch ihr enges Verhältnis zu ihrem Vater geprägt, der Anhänger der deutsch-nationalen Bewegung Georg von Schönerers war. Dementsprechend ist sie dem völkisch-nationalen Lager dieser Zeit auch durch kulturpolitische Aktivitäten eng verbunden: Sie veranstaltet Lesungen im „Deutschen Schulverein“, einem Verband zum Schutz der deutschen Sprache, beteiligt sich an A. Trebitschs Anthologie Deutscher Geist aus Österreich (1920) und verfasst ihre völkisch-nationalen Romane Das andere Blut (GU 1920), Die Auswanderer (GU 1921) und Die goldene Peitsche (GU 1922).

Porträt Grete von Urbanitzky als Garçonne 1926, © Foto Fayer, Bildarchiv Austria.

Us. Rolle im Wien der Zwischenkriegszeit ist jedoch so ambivalent wie vielseitig, denn ihr Engagement geht über das völkisch-nationale Lager hinaus: So verfasst die umtriebige U. auch wirtschaftswissenschaftliche und finanzpolitische Artikel (z. B. für die Österreichisch-Ungarische Finanz-Presse), schreibt Gedichte, Lied- und Operettentexte und betätigt sich als Kabarettistin. 1923 gründet sie gemeinsam mit R. Auernheimer, A. Schnitzler, S. Trebitsch und dem Verleger E. P. Tal die österreichische Sektion des internationalen P.E.N-Clubs und wird dessen Generalsekretärin. In dieser Phase relativer Liberalisierung entstehen auch ihre Romane Mirjams Sohn (1926) sowie Der wilde Garten (1927). Letzterer stellt das in den 1920er-Jahren provokative – und von U. selbst erlebte – Thema der lesbischen Liebe in den Mittelpunkt und begründet ihren Ruf als „unmoralische“ Schriftstellerin.

U.s Arbeitspensum ist bemerkenswert; neben ihrer beachtlichen belletristischen Produktivität (bis 1943 erscheinen 32 Romane von ihr, die in rascher Folge hohe Auflagen erleben) arbeitet sie als Pressechefin der Wiener Volksoper, betreibt eine eigene Literaturagentur und gibt die Zeitschrift Roman der Millionen heraus. Von 1925 bis 1928 ist sie Redakteurin für die linksliberale Tageszeitung Der Tag, außerdem ist sie Mitarbeiterin des antimarxistischen Neuen Wiener Journals. Privat pflegt sie sowohl Kontakte zum nationalen Lager wie z.B. zu A. Trebitsch oder R. Hohlbaum als auch Freundschaften mit liberalen, jüdischen und nichtjüdischen Schriftstellern wie z. B. mit R. Specht, H. Walden und F. Salten.

Diese ideologische Ambivalenz manifestiert sich auch auf literarischer Ebene; ihre in den frühen 1930er-Jahren erschienenen Erfolgsromane Eine Frau erlebt die Welt (1931) und Karin und die Welt der Männer (1933) lassen sich politisch nicht eindeutig festlegen. Eine klare Parteinahme für den Nationalsozialismus erfolgt dann auf real-biographischer Ebene: Im Mai 1933 solidarisiert sich U. beim internationalen P.E.N.-Kongress in Ragusa (Dubrovnik) als österreichische Delegierte mit der gleichgeschalteten deutschen Delegation und verlässt mit dieser aus Protest den Saal, als der internationale P.E.N.-Kongress die Bücherverbrennungen in Deutschland verurteilen will. In Folge der daraus resultierenden Auflösung des von ihr begründeten Wiener P.E.N.-Clubs und der medialen Kritik an ihrer Solidarisierung mit der deutschen Delegation sowie aus Furcht, in Österreich wegen ihrer Mitgliedschaft (seit 1932) und ihres offenen Engagements für die verbotene NSDAP in Österreich strafrechtlich verfolgt zu werden, emigriert U. 1933 nach Berlin. Hier ruft sie in Zeitungsartikeln und Radiointerviews zum Boykott jüdischer und anderer liberaler österreichischer Schriftsteller auf und trägt damit wesentlich zu den von der NS-Kulturpropaganda verhängten Publikationsverboten auf dem deutschen Buchmarkt bei. Doch U. fällt auch in Deutschland bald in Ungnade: 1934 wird sie gemeinsam mit ihrer Freundin Passini von der Gestapo verhaftet, ihre Romane werden verboten und 1936 übersiedelt sie infolge einer anonymen Anzeige bei der Berliner Gestapo, die Gerüchte über die jüdische Herkunft ihrer Mutter aufgreift, nach Paris. Hier schreibt sie ihr nach Eigenaussage wichtigstes Buch, den historischen Roman Unsere Liebe Frau von Paris (1938). Bei Kriegsausbruch befindet sich U. mit Passini in der neutralen Schweiz, wo die Freundinnen eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung bekommen. Im Vergleich zu anderen exilierten SchriftstellerInnen kann U. zunächst noch unbehelligt publizieren und sich damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Erst 1941 wird anlässlich des Erscheinens ihres Romans Miliza, dem pazifistische Tendenzen vorgeworfen werden, ihr Gesamtwerk auf die „Schwarze Liste“ der Nationalsozialisten gesetzt.

Auf die zunehmenden Schwierigkeiten im Dritten Reich zu publizieren, reagiert U. nun mit bewusst „unpolitischen“ Unterhaltungsromanen, in denen sie sich zur Frankophilie, einer klaren Antikriegshaltung sowie einem internationalen Europäertum bekennt. Explizit gegen den Nationalsozialismus stellt sich U., der bis heute der Vorwurf des ideologischen Opportunismus anhaftet, jedoch erst, als die Publikation ihrer Werke in Deutschland endgültig unmöglich geworden ist: In Der große Traum (1942) sowie Der Mann Alexander (1943) distanziert sie sich immerhin von jeglicher Form totalitärer Herrschaft.

Nach 1945 blendet U. ihr eigenes nationalsozialistisches Engagement völlig aus und stilisiert sich mit der Berufung auf das Verbot ihrer Bücher und ihrer Emigration als Verfolgte und Opfer des NS-Regimes. Sie lebt nun in der Schweiz von den Einkünften ihrer wieder gegründeten Literaturagentur. An ihre schriftstellerischen Erfolge kann sie jedoch nicht mehr anknüpfen; geplante Buchprojekte im Desch Verlag scheitern aufgrund des Einspruchs von E. Castonier, die auf U.s nationalsozialistische Vergangenheit hinweist. Am 4.11.1974 stirbt U., alkoholkrank und fast blind, völlig vereinsamt in Thonex in der Schweiz.


Weitere Werke (Auswahl)

Des Kaisers junge Soldaten. Gedichte (1915); Das Jahr der Maria. Gedichte (1921); Masken der Liebe. Novellen (1922); Sekretärin Vera (1930); Durch Himmel und Hölle (1932); Ursula und der Kapitän (1934); Heimkehr zur Liebe (1935); Begegnung in Alassio (1937); Das Mädchen Alexa (1939); Es begann im September (1940).

Quellen und Dokumente

Nachlass in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek.

Bestand G.U. im Tagblattarchiv der Wienbibliothek.

Volltext online von Der wilde Garten und Die goldene Peitsche.

Die Revolution gegen die Naturwissenschaften. In: Grazer Tagblatt, 27.7.1919, S. 1-3.

Ankündigung eines Urbanitzky-Abends im Konzerthaus. In: Neues Wiener Tagblatt, 3.12.1919, S. 6; Rezension von Gisela Berger über U.s. Roman Die Auswanderer. In: Neue Freie Presse, 19.6.1921, S. 33; Rezension von F. Salten über U.s Roman einer Frau sowie über seine Beziehung mit U.: Felix Salten: ,Roman einer Frau. In: Neue Freie Presse, 25.10.1931, S. 28f.

Literatur

Christa Gürtler/Sigrid Schmid-Bortenschlager: Grete von Urbanitzky. In: dies.: Erfolg und Verfolgung. Österreichische Schriftstellerinnen 1918-1945. Fünfzehn Porträts und Texte. Salzburg u. a. 2002, S. 135–144; Ursula Huber: Die Frau als „Künstlerin“. „Klugrednerei“? Fragen der weiblichen Identität und Macht in einigen Romanen Grete Urbanitzkys. In: Zeitgeschichte 16, 11/12, 1989, S. 387–395; dies.: „Frau und doch kein Weib“. Zu Grete Urbanitzky. Monographische Studie zur Frauenliteratur in der österreichischen Zwischenkriegszeit und im Nationalsozialismus. Diss. Wien 1990; dies.: Grete von Urbanitzky – ungeliebte Parteigängerin der Nationalsozialisten. In: L’Homme: Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 4, 1, Juni 1993, S. 74–88; Verena Humer: Das vergessene Werk der Grete von Urbanitzky. Eine (Ausnahme-)Frau zwischen Anpassung und Subversion. In: Aneta Jachimowicz (Hg.): Gegen den Kanon – Literatur der Zwischenkriegszeit in Österreich. Peter Lang 2017, S. 315–326; Michaela Lehner: Das Wort als Tat. Grete von Urbanitzky und Gertrud Fussenegger im Kontext völkisch-nationaler und nationalsozialistischer Literatur. In: „Kulturhauptstadt des Führers“. Kunst und Nationalsozialismus in Linz und Oberösterreich. Weitra 2008, S. 185–196.

(VH)

Geb. 24.12.1895 in Wien (Favoriten), gest. 20. 2. 1962 in Wien. Fußballspieler, Trainer

Materialien und Quellen:

Josef Uridil: Was ich bin und wie ich wurde. Die Lebensgeschichte des berühmten Fussballspielers, von ihm selbst erzählt. Wien: R. Löwit 1924.

(PHK, in preparation)

Geb. 27.6.1863 in Tulln (Niederösterreich); gest. 29.10. 1932 in Wien. Politiker, bekennender Antisemit.

Materialien und Quellen:

(in preparation)

geb. am 3.2.1896 in Prag – gest. am 2.11.1970 in Rom; Schriftsteller, Kritiker, Übersetzer, Kulturhistoriker, Exilant

Ps.: Hans Elmar

Urzidil, Sohn eines kathol. deutschsprach. Eisenbahningenieurs u. einer urspr. jüdischen, zum Katholizismus konvertierten Mutter (geb. Metzeles, verwitw. Steinitz) wuchs seit seinem vierten Lebensjahr aufgr. neuerl. Verehelichung seines Vaters mit einer sprach- u. nationalbewussten Tschechin zweisprachig auf, was sein späteres Werk und Wirken wesentl. prägen sollte. Bereits 1913 veröffentl. U. (unter seinem Pseud.) Gedichte im Prager TbBl., befreundete sich mit M. Brod, F. Kafka, P. Kornfeld, F. Werfel u.a. und frequentierte das Café Arco. Ebenfalls früh schloss er Freundschaften zu tschech. Schriftstellern wie den Brüdern Čapek, P. Bezruč u.a. und übersetzte Gedichte von O. Březina. Von 1914 bis 1918 studierte U. an der deutschen Karlsuniversität Prag Germanistik, Slawistik u. Kunstgeschichte, wurde 1916 kurz zum Militärdienst eingezogen, aber bald freigestellt.

Seit Nov. 1918 arbeitete U. als Übersetzer für die Deutsche Botschaft und war auch Korrespondent des Prager TgBl., ab 1921 auch noch für den Berliner Börsen Courier u. in der Folge für weitere Zeitungen. 1919 erscheint im Verlag K. Wolff sein erster Ged.Bd. Sturz der Verdammten, der in die Reihe ›Der jüngste Tag‹ aufgenommen wurde. 1922 ehelicht Urzidil Getrude Thieberger (1898-1977), Tochter des bekannten Prager Rabbiners Karl Thieberger, die ab den 1930er Jahren auch als Lyrikerin tätig ist. Im Februarheft 1922 der Neuen Rundschau ersch. sein Beitrag Deutsche und Tschechen; U. tritt ab März dess. Jahres wiederholt in der Lesungsreihe ›Abend der Zwölf‹ auf, einem Kreis, dem u.a. die Schriftsteller Friedrich Adler, Oskar Baum, Max Brod, Paul Leppin, Hugo Salus, Ludwig Winder u.a. angehören. Neben seiner Tätigkeit als Pressebeirat der Deutschen Botschaft ist Urzidil gelegentl. auch als Kritiker oder Feuilletonist tätig. Anlässl. der Trauerfeier für F. Kafka in der Prager ›Kleinen Bühne‹ am 19.11.1924 sprachen Brod u. Urzidil Worte des Gedenkens (M. Brod, Streitbares Leben). 1925 wird er zum Geschäftsführer des ›Schutzverband deutscher Schriftsteller‹ in der Tschechoslowakei gewählt (PTBl. 8.5.1925). 1926 verf. U. einen neuen Text zu Beethovens Die Ruinen von Athen, die im Nov. dess. Jahres am Neuen Deutschen Theater in Prag unter der Leitung von A. Zemlinsky uraufgeführt u. von der Universal Edition in ihr Programm aufgenommen werden. Im Mai 1929 widmet Radio Prag erstmals Urzidil Aufmerksamkeit, als im deutschsprach. Programm seine Novelle Schicksal im Walde gelesen wird; noch im selben u. im darauffolgenden Jahr kam es zu weitere Lesungen u. Vorträge, u.a. auch zu kunstgeschichtl. Themen. 1930 wurde U. in seiner Funktion als Geschäftsführer des Schutzverbandes, dessen Präsident F. Adler  war, bestätigt. 1930 erscheint auch sein zweiter Ged.bd. Die Stimme. Anlässl. der Goethefeiern 1932 in Marienbad hielt U. die Festrede u. legte die erste Fassung seiner Studie Goethe in Böhmen vor. Am 28.2. 1932 war U. erstmals auch in Radio Wien mit einem Vortrag über Goethe, Beethoven, Mozart, Kleist und andere zu hören.

Im Zuge der Machtergreifung des Nationalsozialismus verlor Urzidil seine Stellung an der Deutschen Botschaft u. seine weiteren Verdienstmöglichkeiten bei deutschen Zeitungen und Radiosendern. In den Folgejahren widmete er sich vorwiegend kunstgeschichtl. Studien sowie Vortragstätigkeiten für Radio Prag. 1939 flüchtete Urzidil mit seiner Frau via Italien nach Großbritannien, wo er in Kontakt zur tschech. Exilregierung unter Präs. E. Beneš kam. 1941 emigrierten die Urzidils in die USA weiter, wo sie in bescheidenen Verhältnissen lebten u. U. selbst u.a. als Lederkunsthandwerker tätig wurde (und sein musste), was er später auch in Essays beschrieb. 1945 ersch. in New York die A. Stifter gewidmete Erz. Der Trauermantel.

Ab 1951 arbeitete U. für die Österreich-Abteilung des Senders ›Voice of America‹. Ab Ende der 1950er Jahre erscheinen schließlich eine Reihe von Erzählungen, Essays und Romane, darunter Die verlorene Geliebte (1956), Prager Triptychon (1960), in dem sich „Altes mit revolutionären Ausdrucksformen vermischte“ (Magris, 307)  oder Da geht Kafka (1965), die seinen Nachruhm als „Troubadour jenes für immer versunkenen Prag“ (M. Brod) begründet hat. Von Urzidil stammt auch die Selbsteinschätzung als „hinternational“.


Weitere Werke (Auswahl)

Wenceslaus Hollar. Der Kupferstecher des Barock (1936, engl. Ausg. 1942). Zeitgenössische Maler der Tschechen: Čapek, Filla, Justitz, Špála, Zrzávy (1936); Über das Handwerk (1954); HinterNational – Johannes Urzidil. Ein Lesebuch von Klaus Johann und Vera Schneider, m. Audio-CD (2019)

Quellen und Dokumente

Inserat zu Die Ruinen von Athen. In: Signale (1927), H. 4, S. 125, Berühmte Deutsche als Gäste. In: Radio Wien 8 (1932), H. 22, S. 12, Ein Weltmeister. In: Prager Tagblatt, 1.1.1937, S. 2.

Mediathek: „Hier spricht Johannes Urzidil aus New York“ (Online verfügbar)

Teilnachlass: Österreichischische Nationalbibliothek

Literatur

G. Trapp: Die Prosa Johannes Urzidils. Zum Verständnis eines literarischen Werdegangs vom Expressionismus zur Gegenwart. Franfkfurt/M.-Bern 1965; C. Magris: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur. Salzburg 1966; J. Lachinger, A. Schiffkorn, W. Zettl (Hgg.): Johannes Urzidil und der Prager Kreis. Vorträge des röm. J. Urzidil-Symposiums 1984; Linz 1986; A. Schiffkorn: Böhmen ist überall. Int. J. Urzidil-Symosium in Prag; Linz 1999; K. Johann: Bibliographie der Sekundärliteratur zu Johannes Urzidil. In: Brücken. Germanistisches Jahrbuch Tschechien-Slowakei N.F 13/2005, 383-428; A. Bischof: Funktion und Bedeutung von Erinnerung im erzählerischen Werk Johannes Urzidils. Hamburg 2012; St. Höhne, K. Johann M. Nĕmec (Hgg.): Johannes Urzidil (1896-1970). Ein „hinternationaler“ Schriftsteller zwischen Böhmen und New York. Wien-Köln-Weimar 2013; G. Trapp: Jüngste Forschungsergebnisse zum Werk von J. Urzidil. In: Brücken, Bd. 23(2105), 315-320.

Eintrag zu Urzidil eines Projekts der Univ. Bonn.

Tschechische Website (mit Bibliographie)

(PHK)

eigentlich László, geb. am 19.8.1877 in Eger (Kgr. Ungarn, Österreich-Ungarn) – gest. 10.3.1933 in Berlin; Drehbuchautor, Theaterregisseur, Dramaturg

Vajda begann als Schauspieler auf Bühnen der ungar. Provinz und arbeitete dann als Journalist in Budapest für das illustr. Wochenmagazin Tolnai Világlapja. Ab 1908 war er als Regisseur am Ungarischen Theater tätig, 1920 als dessen künstlerischer Direktor. Er verfasste einige Theaterstücke, ab 1916 auch Drehbücher; so kam im Jänner 1917 im Nationaltheater das mit A. Kárpati verf. Drama Kömüves Kelemen zur Aufführung (Pester Lloyd, 5.1.1917, 11). 1918 bearbeitete er wichtige Autoren bzw. Texte aus der ungar. Literatur für den Film, u. a. Romane von M. Jókai wie Der Goldmensch oder Molnars Stücke Liliom bzw. Der Gardeoffizier, bei denen Alexander (Sándor) Korda die Regie führte. 1919, zur Zeit der Ungarischen Räterepublik, war Vajda in dem die Filmpolitik bestimmenden Filmrat tätig, trat aber auch als Regisseur von Bühnenstücken, z.B. von F. Karinthy, in Erscheinung. Ende 1921 emigrierte er nach Wien, wo er bis 1924 für mehrere Produktionen der Sascha-Film die Drehbücher schrieb, beginnend mit dem Monumentalfilm Sodom und Gomorha (EA 16.10.1922) über Der junge Medardus bis hin zu Harun al Raschid, Die Lawine u.a.m. (Script, alle 1923-24) . Bei den meisten dieser Filme führte M. Kértesz (später: M. Curtiz) Regie und G. Ucicky die Kamera. Anfang 1925, bereits in Berlin ansässig, hatte er im Raimundtheater die Regie für M. Lengyels Lustspiel Antonia inne, dessen ungar. UA in Budapest ebf. von ihm stammte. 1927 verfasst er Scripts zu Unterhaltungsstummfilmen wie Madame will einen modernen Mann (Die Bühne, H. 123/1927, 29) oder Heute tanzt Mariette und wurde enger Mitarbeiter von G. W. Papst in dessen Stumm- und frühen Tonfilmen. Gemeinsam mit R. Leonhard verf. er für ihn auch die deutsche Bearbeitung von Ilja Ehrenburgs Die Liebe der Jeanne Ney, die in den Wirren des russ. Bürgerkriegs angesiedelt ist. 1928 folgte mit Abwege ein, wie die Kritik einhellig meinte, „meisterhaft“ inszeniertes Ehedrama. Einen auch internat. Achtungserfolg erzielte er 1929 mit dem Bergfilm Die weiße Hölle vom Piz Palü (mit L. Riefenthal in der Hauptrolle); als gehaltvoll galten auch die Bearbeitung von Wedekinds Die Büchse der Pandora (F. Rosenfeld in der Rubrik Der gute Film) und jene für Eine Frau, nach der man sich sehnt… von M. Brod (mit M. Dietrich u. F. Kortner in den Hauptrollen). 1930 folgten Zwei Krawatten (nach G. Kaiser) mit Songs von Robert Gilbert, das aufsehenerregende Antikriegsdrama Westfront 1918 sowie das strittige wie filmgeschichtlich wegweisende Vorhaben der Verfilmung von Brechts Dreigroschenoper (am Drehbuch wirkten auch B. Balázs u. L. Lania mit). Neben Drehbüchern und Scripts für Papst arbeitete Vajda gelegentlich auch mit Robert Wiene zusammen, z.B. für dessen Film Der Liebesexpreß (1931). Im selben Jahr legte er mit dem Manuskript für Kameradschaft den Grundstein für einen hochpolitischen Film von Papst, der die Solidarität der deutschen und französischen Bergarbeiter zum Thema macht und von Rosenfeld als „pazifistisches Manifest“ gewürdigt wurde.


Weitere Scripts, Drehbücher und Bearbeitungen (Auswahl):

Rutschbahn (1928); Die sieben Sünden einer schönen Frau (1929); Nur Du! (1930); Die Herrin von Atlantis (1932)

Quellen und Dokumente

A.Z. Bernád: L. Vajda. In: ÖBL 1815-1850, Bd. 15. 67 Lfg/ 2016, S. 153-154; Programmheft: Die Frau, nach der man sich sehnt (1929);

(Plakat) M. Jókai: Der Goldmensch. In: Neue Kino-Rundschau, Nr. 64/1918, S. 33; (Plakat) F. Molnár: Der Gardeoffizier/Liliom. In: Neue Kino-Rundschau, 25.8. 1918, S. 35; K. Sebestyen: F. Karinthy als Dramatiker. In: Pester Lloyd, 16.3.1919, S. 8; (Plakatankündigung:) Sodom und Gomorrha. In: Wiener Montags-Journal, 24.12.1921, S. 11; (Plakatankündigung:): Der junge Medardus. In: Der Filmbote, 23.12.1922, S. 21; F. Rosenfeld über: Die Büchse der Pandora. In: AZ, 3.3. 1929, S. 19; (Ankündigung:) Die weiße Hölle vom Piz Palü. In: Österreichische Filmzeitung, 8.6.1929, S. 17; F. Porges über: Die weiße Hölle vom Piz Palü. In: Der Tag, 13.10.1929, S. 8; (Plakat:) Die Frau, nach der man sich sehnt… In: Das Kino-Journal, 26.10.1929, S. 21; N.N.: Zwei Krawatten. In: Mein Film. Nr. 252/1930, S. 13; E. Kondor: Die Hölle im Westen (Über: Westfront 1918). In: NWJ, 30.5.1930, S. 5; F. Rosenfeld: Die Dreigroschenoper im Film. In: AZ, 29.5.1931, S. 9; F. Rosenfeld: Kameradschaft. Ein Film der proletarischen Solidarität. In: AZ, 7.1.1932, S. 7.

(PHK)

Geb. 8.7. 1873 in Wien, gest. 10.6. 1949 in Krems (Niederösterreich). Beamter, Minister, christlichsozialer Politiker.

Der Sohn eines Juweliers wollte nach seinem Einjährig-Freiwillenjahr zunächst Berufsoffizier werden, wurde aber als untauglich befunden und schlug danach eine Beamten- und (bald) Politikerlaufbahn bei der Christlichsozialen Partei ein. Im Ersten Weltkrieg übernahm er nach kurzem Front-Einsatz die Leitung von Werkstätten im Hinterland, v.a. in Scheibbs, brachte es aber dennoch bis zum Rang eines Rittmeisters. Diese Erfahrung qualifizierte ihn nach kurzer Tätigkeit als Stadtrat der Gemeinde Wien (1918-20) für Höheres: ab 1921 wurde er fast durchgehend der Heeresminister der Ersten Republik (in fünfzehn Kabinetten). Sein Hauptanliegen war dabei die Neutralisierung der Volkswehr-Ausrichtung in die eines traditionellen hierarchisch-konservativen Heeres. Im Dez. 1930 wurde er Bundeskanzler.

Materialien und Quellen:

(PHK, work in progress)

auch Dsiga Wertow, eigentl.: Dawid Abelewitsch Kaufmann; geb. am 21.12.1895 in Bialystock – gest. am 12.2.1954 in Moskau; sowjet. Filmemacher

Aufgewachsen als ältester Sohn eines Buchhändlers im multikulturellen, jedoch jüdisch-jiddisch dominierten Bialystock, das um 1900 zugleich als das ‚Manchester Russlands’ (N. Leskov) galt und bei rund 80.000 Einwohnern auch fünf Kinos und fünf Büchereien besaß, besuchte Vertov ab 1914 das Bechterev-Institut für Psychoneurologie in St. Petersburg. Seit Ausbruch der russisch- bolschewistischen Revolution 1917 wird V. aktiv im Bereich des neuen sowjetischen Kinos tätig, zunächst im Bereich der Wochenschau und des Agitations- und Propagandafilms (Kinopravda). V. vertrat dabei experimentelle Positionen und entwickelte die Montagetechnik als tragendes Prinzip seiner Filmästhetik. Als bedeutende, international wahrgenommene Produktionen gelten Kino-Auge (Kinoglaz, 1924) sowie vor allem Der Mann mit der Kamera (1929), in dem das Leben in einer sowjetischen Großstadt mit der Geschichte der Kameralinse parallelisiert wird. Überhaupt galt der Bewegung V.s. Aufmerksamkeit, wobei er seine zahlreiche Reisen ebenfalls als Material in die Filmarbeit integrierte und diese über mobile Kino-Züge (agit poezda) und transportable Projektoren auch an ein Publikum brachte, das keine Kinoinfrastruktur hatte. Daraus entwickelte V. das Genre der >Kino-Fahrt< (kino-probeg) und einen räumlich experimentellen, ambitionierten Film: Šestaja čast’ mira (1926, ein vergleichender Streifzug durch Sowjetrussland und einem Land des Kapitals). Im Zeichen der Bewegung steht auch der Film Entuziasm (1930) mit starken simultanen Einstellungen und Effekten. In mehreren z.T. nicht realisierten Projekten rückte V. die moderne sowjeitische Frau in den Vordergrund, z.B. im Filmprojekt über einen Non-Stop-Flug von Moskau in den Fernen Osten durch Pilotinnen. Weitere Filme waren: Die Donbaß-Sinfonie (1930), Drei Lieder über Lenin (1934) sowie sein letzter realisierter Film über Kasachstan Tebe, front! (1943). V. lehnte den Spielfilm strikt ab, geriet aber mit seiner Vorstellung von der Montagetechnik auch in Kollision mit der sich durchsetzenden Realismus-Konzeption und dem Stalinismus.

In Wien fielen die meisten Vertov-Filme der Zensur zum Opfer und damit auch ein geplanter Aufenthalt im Jahr 1930, während Vertov 1929 in Berlin und München Vorträge halten konnte. Erst 1932 gelang es Josef Szende, einem kommunistischen Aktivisten, Entuziasm unter dem Titel Das Lied vom Aufbau als „Wahlpropagandafilm“ durch die Zensur zur Aufführung zu bringen, die sofort eine scharfe Reaktion in der konservativen Presse (Reichspost, 21.5.1932) mit Aufrufen zur Störung der Filmvorführung zur Folge hatte.

Aus: Reichspost, 21.5.1932, S. 5

Quellen und Dokumente

N.N.: Der Sowjet-Tonfilm startet und übernimmt die Führung. Das bürgerliche “Berliner Tagblatt” zur Auslandspremiere des Tonfilmes “Enthusiasmus”. In: Die Rote Fahne, 30.8.1931, S. 8, N.N.: Enthusiasmus / Das Lied vom Aufbau. In: Die Rote Fahne, 15.5.1932, S. 9, N.N.: Gottlosenpropaganda in einem Wiener Kino. Ein aufreizender russischer Film / Verspottung des christlichen Glaubens. In: Reichspost, 21.5.1932, S. 5, Hans Maier: Aufbau – konfisziert. In: Die Rote Fahne, 5.6.1932, S. 8.

Literatur

Thomas Tode, Alaxandra Gramatke (Hg.): Dziga Vertov: Tagebücher/Arbeitshefte (2000), Wolfgang Beilenhoff (Hg.): Poetika Kino. Theorie und Praxis des Films im russischen Formalismus (2005), Klemens Gruber: Kinopravda Nr. 16. Serialität bei Vertov. In: Daniel Winkler, Martina Stemberger, Ingo Pohn-Lauggas (Hg.): Serialität und Moderne. Feuilleton, Stummfilm, Avantgarde, S. 193ff. (2018), Österr. Filmmuseum, Thomas Tode, Barbara Wurm (Hg.): Dziga Vertov. Die Vertov-Sammlung im Österreichischen Filmmuseum (2006)

(PHK)

Geb. 18.6. 1867 in Wien, gest. 4.5. 1942 in Wien. Beamter, (Kultur)Funktionär, Fachbuchautor.

Materialien und Quellen:

Eintrag auf ÖBL;

(PHK, in preparation)

geb. am 28.6.1885 in Wien – gest. am 24.9.1953 in Wien; Schriftsteller, Kritiker, Dramaturg, Theater- und Filmregisseur

Der Sohn des aus Tarnow zugewanderten Möbelhändlers Schlomo V. und der Inhaberin eines Schirmgeschäfts begann nach seiner Schulausbildung am k.k. Gymnasium Mariahilf in Wien u. nach einem fluchtartigen Ausbruch nach Paris mit seinem Freund Karl Adler, einem Sohn von Viktor Adler, sowie 1903 in Zürich abgelegter Matura an der Univ. Wien das Studium der Philosophie, das er jedoch zugunsten einer Laufbahn als Regisseur und Schriftsteller 1910 abbrach. Im selben Jahr veröffentl. er sein erstes Gedicht in der Fackel von Karl Kraus, dem er bereits 1905 anlässl. der Erstaufführung von Frank Wedekinds Büchse der Pandora vorgestellt worden war. Er trat in den Kreis der von ihm geförderten jungen Autoren ein, befreundete sich mit Peter Altenberg u. Alfred Polgar u. inszenierte ab 1911 an der Freien Volksbühne Stücke von Goethe, Sternheim, Strindberg, Turgenjew sowie Fontana. Den Ersten Weltkrieg übersteht er als (Reserve)Offizier in einer Versorgungs- und Traineinheit in Galizien, wird Augenzeuge von Choleraepidemien, Überlebensprostitution und Hinrichtungen. Zugleich schreibt er für die Schaubühne und den Simplicissimus, heiratet im April 1918 die Schauspielerin Mea Steuermann, genannt Salka, erlebt die Rückkehr von Thomáš G. Masaryk nach Prag u. die Gründung des tschechoslowak. Staates als Augenzeuge ebenso mit wie die Proklamation der Räterepublik in München. Im Juni 1918 nimmt V. das Angebot zur Leitung des Hoftheaters in Dresden an, das im Nov. 1918 in das ›Sächsische Staatstheater‹ umbenannt und nach dem Rätemodell kollektiv geführt wird, u.a. auch von Kurt Wolff. Bis 1921 kommen dort unter seiner Regie achtzehn Ur- und Erstaufführungen zustande, insbes. von naturalist. und expressionist. Stücken, aber auch zeitgenössischen wie z.B. August Stramms Drama Die Haidebraut oder Friedrich Wolfs Das bist du. 1920 veröffentlicht V. mit Vom Regisseur aus gesehen einen programmat. Beitrag zur mod. Regiearbeit, legt mit Die Bahn seinen zweiten Gedichtband sowie 1921 die Kraus-Hommage Karl Kraus: Ein Charakter und Die Zeit vor. St. Großmann lobt Viertels Arbeit (bes. die Judith-Inszenierung) 1922 im Tage-Buch und bezeichnet ihn als einen „Regisseur, der in der höchsten Atmosphäre der Dichtung heimisch ist“, als demütigen Arbeiter, „der sein Werk, nicht sich, inszenieren will“ (TB, 12/1922, 458). Im April 1922 übersiedelt V. dann auch nach Berlin, wo er schon im Jänner 1922 am ›Deutschen Theater‹ R. Rollands Die Wölfe und anschließend genau die von Großmann gerühmte Judith Hebbels inszeniert hatte und zog danach an der ›Jungen Bühne‹ mit Vatermord von Arnolt Bronnen nochmals die Aufmerksamkeit der Kritik, „ein Ereignis, das nicht ohne Folgen bleiben kann“ (H. Ihering), sowie jene von Max Reinhardt auf sich. 1922 hatte V. mit Nora auch sein (Stumm)Filmregie-Debut. Mit dem genossenschaftlich organisierten, 1923 aus der Berliner Theaterkrise hervorgegangenen Ensemble Die Truppe erlebte er nach weiteren wegweisenden Inszenierungen u. einer letzten grandiosen Ibsen-Aufführung am ›Staatstheater‹ jedoch finanziell herbe Rückschläge, die ihn 1926 ein Engagement am Düsseldorfer Schauspielhaus annehmen lassen.

1927 ergibt sich nach erster Zusammenarbeit mit Fox Europa, für die er den Film Die Abenteuer eines Zehnmarkscheins nach dem Drehbuch von Bela Bálazs inszeniert und mit Carl Mayerdas Drehbuch zu Friedrich W. Murnaus Four Devils verfasst hatte, die Möglichkeit, nach Hollywood zu gehen, um die Filmregiearbeit bei Fox, dann bei Paramount und zuletzt bei Warner Brothers weiter zu entwickeln, mit mäßigem Erfolg trotz neun realisierter Projekte, wie er in seiner Autobiographie festhält. Er erlebt dabei mit, wie das beinahe fertige Mexiko-Projekt von Sergej Eisenstein abgesetzt wird und welche Macht der Broadway auf die Regiepraxis ausübt. Im Juli 1932 kehrt V. nach der Trennung von Salka nach Europa zurück, zuerst nach Paris u. verhandelt dort mit Alexander Korda Filmprojekte, besucht anschließend seinen gelähmten Vater, bevor er wieder nach Berlin geht, um an der Verfilmung von Hans Falladas Kleiner Mann was nun? mitzuwirken u. diese Arbeit angesichts des erstarkenden NS-Drucks abbrechen zu müssen. Mitte Februar 1933 flieht Viertel über Prag nach Großbritannien, wo er 1934 mit Christopher Isherwood eines seiner bekanntesten Filmprojekte realisiert: Little friends.

Bis 1936 folgen weitere Filme, die es ermöglichen, in Europa zu bleiben, neue Freundschaften im Umfeld der jungen engl. Schriftstellergeneration des ›New Writing‹ (Isherwood, John Lehmann, W. H. Auden, Stephen Spender) zu schließen u. in maßgebl. Exilzeitschriften wie Das Neue Tagebuch oder Die Neue Weltbühne wichtige Essays zu den durch den Nationalsozialismus u. das Exil veränderten kulturell-künstlerischen Arbeitsbedingungen zu publizieren. In London, wo er mit L. Feuchtwanger, O. Kokoschka, H. Mann u. St. Zweig dem Präsidium des 1938 gegr. ›Freien Deutschen Kulturbundes‹ angehörte, inszen. V. bis 1939 auch engl. Stücke von Rosamund Lehmann oder Max Catto u. begann sich, knapp vor seiner Abreise in die USA, mit Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches zu befassen, das 1942 in New York auf Deutsch und 1945 bei Piscator auf Englisch aufgeführt wurde. In den USAarbeitet V. an wichtigen Exilzeitschriften wie Der Aufbau oder Austro- American Tribune mit u. stellt seine Kontakte, z.B. zu Charlie Chaplin, Greta Garbo, Arthur Miller, Upton Sinclair, Dorothy Thomson u.a. zur Rettung bedrohter Künstler aus Europa sowie zur Unterstützung von Exilprojekten zur Verfügung. 1944 war er mit Ernst Bloch, Ferdinand Bruckner, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Ernst Waldinger u.a. Mitbegründer des ›Aurora Verlags‹. 1947 wurde er von der BBC als Radioregisseur verpflichtet u. zu einer Reportagereise ins Ruhrgebiet geschickt. Zugleich bemühte sich die Burgtheaterdirektion um eine Rückkehr V.s., die unter schwierigen Rahmenbedingungen im Dez. 1948 zustande kam. 1949 heiratete V. die Schauspielerin Elisabeth Neumann; daneben musste er den ehemal. NS-Star Werner Krauß in einer Strindberg-Inszenierung beschäftigen, arbeitete mit Brecht am ›Berliner Ensemble‹ zusammen u. unterstützte das von (R)Emigranten und der KPÖ gegr. ›Neue Theater in der Scala‹ in Wien, was ihm mehrere Denunziationen eintrug u. die Wiedererlangung der österr. Staatsbürgerschaft erst nach persönl. Intervention durch Bundespräsident Theodor Körner möglich machte.


Werke

Das Gnadenbrot (Roman, 1927), Der Lebenslauf (Ged. 1946), Studienausgabe Bd. 1-4 (1989)

Quellen und Dokumente

Der Verführer. In: Die Muskete, 26.7.1917, S. 6, Das Geschenk. In: Prager Tagblatt, 23.5.1923, S. 3, Solidarität. In: Prager Tagblatt, 22.11.1924, S. 3. Zu den Filmen Nora (1922-23) und City Girl (1930). Edith Kramer: Porträt (1942). Nachlass: DLA Marbach.

Literatur

Stefan Großmann: Berthold Viertel. In: Tagebuch H. 12/1922, S. 456-458; Salka Viertel: Das unbelehrbare Herz. Ein Leben in der Welt des Theaters, der Literatur und des Films. (1970); S. Bolbecher, K. Kaiser, P. Roessler (Hgg.): Traum von der Realität. Berthold Viertel. = Zwischenwelt Bd.5 (1998); J. Holzner: Berthold Viertels ‚Kalifornien‘-Gedichte. In: J. Thunecke (Hg.): Deutschsprachige Exillyrik 1933 bis zur Nachkriegszeit (1998), 171-180; N. Weiß (Hg.): Berthold Viertel zum Hundertzwanzigsten Geburtstag. = Signum Sonderheft 2005; P. Roessler, K. Kaiser: Berthold Viertels „Überwindung des Übermenschen“. In: K. Kaiser: Ohnmacht und Empörung. Schriften 1982-2006 (2008), 143-167; K. Prager: Berthold Viertel und die Möglichkeiten einer biographischen

Analyse österreichischer und deutscher kultureller Identität [Online verfügbar], Eintrag bei filmportal.de.

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