Bettauer, Hugo

geb. als Hugo Maximilian Bettauer am 18.8.1872 in Baden – gest. am 26.3.1925 in Wien; Schriftsteller, Journalist, Herausgeber.

B., Sohn eines ostjüdischen Börsenarrangeurs, konvertierte noch vor Vollendung des 18. Lebensjahres zur Evangelischen Kirche. Nach fünf Monaten vom Einjährig-Freiwilligen-Militärdienst desertiert, wanderte B. nach ersten journalistischen Versuchen in Zürich in die USA aus, wo er durch Fehlinvestitionen sein väterliches Erbe verlor und 1899 als mittelloser amerikan. Staatsbürger nach Europa zurückkehrte.

Bereits im Zuge der darauffolgenden redaktionellen Übernahme des Lokalteils der Berliner Morgenpost erregte B. durch reißerische und dekuvrierende Texte öffentliche Aufmerksamkeit, die 1901 zu einer Verbannung aus Preußen führte. Nach einem weiteren Aufenthalt in Amerika und Veröffentlichung erster erfolgreicher Fortsetzungsromane im New Yorker Morgenjournal, ausgerichtet auf Schicksale deutschsprachiger Einwanderer, kehrte B. 1910 nach Österreich zurück und fand nach Mitarbeit bei der Zeit in der Redaktion der Neuen Freien Presse von 1914 bis 1918 Anstellung. B.‘s Aufenthalte in den USA veranlassten ihn als einen der ersten deutschsprachigen Autor des 20. Jhds. sich dem Diskurs der ‚Rasse‘ in den USA (Das blaue Mal, 1922) einlässlicher zuzuwenden.

Ab Anfang der zwanziger Jahre widmete sich B. neben journalistischen Arbeiten wie sozialen Feuilletons für den Morgen und den Tag erneut meist als Fortsetzungen abgedruckten Romanen, u.a. im Tagblatt. Diese waren auch in ihren filmischen Adaptionen erfolgreich u. z.T. Meilensteine für Filmkarrieren, z.B. für G. Garbo. Klare, zeithaltige Sprache und dynamische urbane Topographien kennzeichnen B.s. Werke, in denen Fiktion und Realität eng verwoben werden. Erkennbar ist dies etwa am häufig genutzten Motiv des Verlustes aller Privilegien bzw. Sicherheiten wie bereits in seinem 1920 ersch. Roman Hemmungslos, der 1921 in der Regie von Karl Ehlich auch als (Sensations)Film angekündigt und zu sehen war. In den durch präzise Beobachtungsgabe geprägten Zeitromanen (Das entfesselte Wien. Ein Roman von heute oder Die Freudlose Gasse. Ein Wiener Roman aus unseren Tagen, beide 1924) lässt sich durch die Spiegelung der Atmosphäre Wiens samt ihren gesellschaftl. Polarisierungen neben einfachen Bürgern, neben Deklassierten, Kriegsopfern u. Hasardeuren auch Repräsentanten der zeitgenöss. Tagesprominenz finden, deren offensichtliche Bloßstellung den öffentlichen Diskurs anfachte. Die daraus entstehenden Kontroversen verschärften sich durch den als satirisch-kritische Antwort auf den gängigen Antisemitismus gedachten, aus heutiger Sicht erschreckend visionären und gleichzeitig meistverkauften Roman B.s Die Stadt ohne Juden (1922) und spitzten sich mit Erscheinen der Zeitschrift Er und Sie. Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik (1924), nach Beschlagnahmung derselben als Bettauers Wochenschrift. Probleme des Lebens fortgeführt, weiter zu. Insbesondere christlichsozial und deutschnational gesinnte prangerten das von B. und Rudolf Olden herausgegebene sexualaufklärerische Magazin, das sich u.a. dem Recht auf Abtreibung und Straffreiheit für Homosexualität verschrieb hat, an.

B. wurde am 10. März 1925 vom Nationalsozialisten Otto Rothstock in seiner Redaktion in der Langen Gasse niedergeschossen und erlag zwei Wochen später seinen Verletzungen. Er ist somit das erste Opfer von NS-motivierter politischer Gewalt in Österreich, was auch in Nachrufen u. der publizistischen Debatte explizit zum Ausdruck kam.


Weitere Werke (Auswahl)

Im Banne von New York (1907); Aus den Tiefen der Weltstadt (1907); Faustrecht (1919); Bobby oder die Liebe eines Knaben (1921); Die drei Ehestunden der Elizabeth Lehndorff (1921); Der Herr auf der Galgenleiter (1922); Der Frauenmörder (1922); Der Kampf um Wien. Ein Roman vom Tage (1923); Der Tod einer Grete und andere Novellen (1926); Geschichten aus dem Alltag (1926)

Quellen und Dokumente

(Plakat zu: Hemmungslos-Verfilmung) In: Neue Kino-Rundschau, 5.3.1921, S. 9; H. Bettauer: Sie will filmen (Feuilleton, mit Bezug auf M. Neufeld). In: Der Morgen, 17.10.1921, S.5-6; Aus dem Nachlass Franz Brümmer: Hugo Bettauer. Autobiographie, Kritik zu Drei Ehestunden der Elisabeth Lehndorff. In: Wiener Montags-Journal, 25.07.1922, S. 5, Sternberg, Julian: Bücher, von denen man spricht. Hugo Bettauer: „Die Stadt ohne Juden“. Ein Roman von übermorgen. In: Die Moderne Welt, 5.Jg., Heft 9, 1923, S.18 und 31, Ankündigung des Roman-Abdrucks Die freudlose Gasse. In: Der Tag, 17.10.1923, S. 5; Kritik zu Die freudlose Gasse. In: (Linzer) Tages-Post, 02.03.1924, S. 22, Hugo Bettauer über Die freudlose Gasse. In: Tagblatt, 15.03.1924, S. 6, Der Pornograph Bettauer. In: Reichspost, 19.03.1924, S. 6, Über einen Vortrag Bettauers in der „Urania“. In: Prager Tagblatt, 09.11.1924, S. 8, Kritik zu Hemmungslos. In: Wiener Montags-Journal, 24.12.1924, S. 17, Hugo Ignotus (Béla Balázs): Bettauer – eine Wiener Erscheinung. In: Die Bühne 1925, H.20, S.20f., Hedda Wagner: Hugo Bettauer, der Vielgehaßte. In: Tagblatt, 11.01.1925, S. 17, Mörder und sein Ende. Das Attentat gegen den Schriftsteller Bettauer. In: Neue Freie Presse, 11.03.1925, S. 1, Der Tod Hugo Bettauers. In: Neue Freie Presse, 16.03.1925, S. 18, Max Winter: Zum Tode Hugo Bettauers. In: Die Unzufriedene, 11.04.1925, S.2f.

Nachlass: Teilnachlass Rudolf Olden

Literatur

Wolfgang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 7: Film, Theater, Literatur, Kunst. (2015), Guntram Geser: Hugo Bettauer: Journalist, Unterhaltungsliterat und „Film-Autor“. In: Die Stadt ohne Juden. Österreich 1924. Regie: Hans Karl Breslauer. Hrsg. Guntram Geser und Armin Loacker (2000), 37-54, Murray G. Hall: u.a. Der Fall Bettauer (1978), Hugo Bettauer. In: Das jüdische Echo (Wien), 1, September 1983, 91-93; Peter Herz: Leben und Tod von Hugo Bettauer. In: Illustrierte Neue Welt 3 (1982); Peter Höyng: „Ich seh‘ schwarz“ – „Ich weiß“. Zum rassischen Diskurs der Moderne anhand von Hugo Bettauers Bildungsroman Das blaue Mal. In: P.-H. Kucher, Julia Bertschik: Baustelle Kultur. Diskurslagen in der österreichischen Literatur 1918-1933/38 (2011), 435-452; Siegfried Mattl: Hugo Bettauers Roman „Das blaue Mal“ – Afro-Amerikanismus als Wiener Utopie. In: Zeitgeschichte 35.2 (2008), 80-88; Stephanie Müller: Ein Provokateur aus Leidenschaft. Der österreichische Schriftsteller Hugo Bettauer. In: Kritische Ausgabe 21 (2011), S. 93-98; Clemens Peck: Hugo Bettauer (1872-1925). In: Literatur und Kritik 46 (2012), 3, S. 101-109; Evelyne Polt-Heinzl: Hugo Bettauer: Hemmungslos. In: Österreichische Literatur 2009. Ein Pressespiegel. Zusammengestellt von Sabine Schuster und Astrid Wallner (2010), S. 17; Alexandra Rabl: Hugo Bettauers Wien: Stadtromane der Zwischenkriegszeit. Dipl.Arbeit, Wien, 2013 [Online verfügbar]; Sigurd Paul Scheichl: Judentum, Antisemitismus und Literatur in Österreich 1918-1938. In: Hans Otto Horch u.a. (Hg.): Conditio Judaica. Teil 3: Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom Ersten Weltkrieg bis 1933/1938 (1993), 55-90.

Murray G. Hall: Ein Abend für Hugo Bettauer; Über Leichen. In: Der Spiegel, Nr. 7, 1982, S.189-191; Gerald Lind: Hugo Bettauer: Die freudlose Gasse. Literaturhaus.at, 10.10.2011; Elena Messer: Hugo Bettauer: Stadt ohne Juden. Literaturhaus.at, 03.05.2012; Evelyne Polt-Heinzl: Hugo Bettauer: Der Frauenmörder. Literaturhaus.at, 03.12.2002.

(SK)