Jonny-Skandal

Klavierauszug, Titelbild von Arthur Stadler (1928)

Nach dem großen Bühnenerfolg von Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf (UA 10. Feb.1927, Leipzig, zahlreiche Aufführungen an gut 50 deutschen Bühnen im Lauf des Jahres 1927) entschloss sich die Wiener Operntheater (= Staatsoper), diese Zeit-Oper, die u.a. auch (zeitgenössische) Jazz-Partien aufweist sowie einen farbigen Protagonisten, auf das Programm zum Jahresausklang zu setzen. Bereits im Vorfeld versuchte Krenek über Interviews und Selbstdarstellungen, z.B. in Der Tag oder in der Bühne, klarzustellen, dass es sich hierbei nicht primär um eine Jazz-Oper handelte, sondern um eine dem Geist der Zeit verpflichtete Komposition, zu der als Requisiten der Jazz ebenso wie die Technik oder das Hochgebirge, die Unterhaltungskultur ebenso wie die Sehnsucht nach Klassizität zählten. Die Reaktionen auf die Aufführung waren sehr kontrovers: konservative Zeitungen und ihre Kritiker verdammten das Werk, die ihm zugrundeliegenden Ideen und erblickten in der Wahl des Spielortes einen Affront der etablierten Kunst- und Musiktradition gegenüber. Neben der Reichspost exponierte sich vor allem die Neue Freie Presse in Gestalt ihres Musikkritikers Julius Korngold. In seiner Kritik vermengten sich persönliche Aversion der Neuen Musik und dem Jazz gegenüber mit einer geradezu diffamierenden Zeichnung des Komponisten sowie rassistischen Ausfällen gegen die schwarze, amerikanische Jazz-Musikpraxis, die wiederholt als „korrumpierte Geräuschmusik“ Revue- oder „Niggerkultur“ herabgewürdigt wurde. Weitaus zurückhaltender, wenngleich auch mit skeptischen Tönen, reagierte die Wiener Zeitung, vergleichsweise hymnisch dagegen das Neue Wiener Tagblatt, in dem Heinrich Kralik die Aufregung unverständlich, das Werk selbst und die Aufführung an sich „überfällig“, im Einzelnen zwar ins „Phantastisch-Burleske“ und in den Schlusspointen ins Tendenziöse geratend, aber im Musikalischen eine „köstliche Improvisation“ fand, insbesondere die Integration von „Jazzband und aktuellen Schlagerweisen“. Am 6.1. 1928 setzte die NFP, vermutlich auf Drängen Korngolds, mit einem Leitartikel zur ‚Jonny-Affäre‘ nach, in dem das Werk nicht nur als schlechte Operette klassifiziert wurde, das kein „Empor aus dem Dschungel des Afrikanertums“ andeute und eine „Entweihung“ der Oper wie des Opernhauses im anbrechenden Schubertjahr bedeute, während andrerseits erstmals auch die Arbeiterzeitung in der Person von David J. Bach dezidiert für Krenek und die Anliegen seines Werks Stellung bezog. Kurz danach nahm  auch der junge Ernst Fischer im Grazer Arbeiterwillen Krenek und seinen Jonny in Schutz und lobte ausdrücklich den Umstand, dass er „den Jazz opernfähig“ gemacht habe, „wie vormals Mozart das Menuett oder Richard Strauß den Walzer“. Die Jonny-Erregung in Wien fand auch ein Echo an der Bayrischen Staatsoper in München, wo sie verboten wurde, sowie in Budapest im März 1928 in Form von Protesten gegen drei Gastspiele. In Wien selbst blieb die Oper nach einer kurzen Unterbrechung auch im Jänner, Februar und März 1928 im Programm.


Quellen und Dokumente

Weitere Zeugnisse: Jonny spielt auf. Zur ersten Aufführung der Jazz-Oper Ernst Kreneks an der Wiener Staatsoper. Selbstbiographische Skizze von Ernst Krenek. In: Die Bühne, 29.12.1927, S. 7, E.C.: Was geschieht in „Jonny“? In: Die Bühne, 29.12.1927, S. 8-11, Heinrich Kralik: „Jonny spielt auf“. Oper in zwei Teilen. Erstaufführung im Operntheater. NWTBl. 1.1.1928, S. 2-4, Ferdinand Scherber: „Jonny spielt auf.“ In: Wiener Zeitung, 3.1.1928, S. 2-3.

Literatur

E. Krenek: Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne. Aus dem Amerikan. von F. Saathen, rev. Übersetzung von Sabine Schulte. Hamburg 2. Aufl. 1998, Kap. 4, S. 628-668; P-H. Kucher: Die Wiener Bühne(n) als moralische Anstalt? Das (Opern)Theater-Jahr 1928. In: J. Bertschik, P.-H. Kucher, E. Polt-Heinzl, R. Unterberger: 1928. Ein Jahr wird besichtigt. Wien 2014, S.201-237, bes. 201-203; R. Unterberger: Zwischen den Kriegen, zwischen den Künsten. Ernst Krenek – „Beruf: Schriftsteller und Komponist“. Diss.phil. Klagenfurt 2014, 176-204.   

(PHK)