Mayer, Carl

geb. am 20.11.1894 in Graz – gest. am 1.7.1944 in London; Dramaturg, Drehbuchautor

Nach dem Freitod seines Vaters, der als Börsenspekulant und Spieler sein Vermögen verloren hatte, musste M. bereits sechzehnjährig seinen Lebensunterhalt und den seiner jüngeren Geschwister durch versch. Arbeiten selbst verdienen, u.a. als Hausierer, Statist auf Bauernbühnen, Zeichner u.a.m. 1915 kam M. nach erstem Schauspielunterricht an das Stadttheater Innsbruck, wo er als dramaturg. Berater tätig war, inszenierte u. Bühnenbilder gestaltete. Bereits 1917 gelang ihm der Sprung ans Residenztheater in Berlin, aber auch die Ernennung zum Direktor einer Filmgesellschaft. Ab 1919 verf. M. vorwiegend Drehbücher für den aufstrebenden (Stumm)Film, die meist von literar. Vorlagen ausgingen (E.T. A. Hoffmann, Stendhal, L. Fulda, Molière, F. Wedekind u.a.) und expressionist. Züge aufwiesen. Mit dem aus Prag stammenden Hans Janowitz verf. er 1919/1920 gemeinsam das Drehbuch zu einem der wichtigsten Stummfilme jener Zeit: zu Das Cabinet des Dr. Caligari (Regie: Robert Wiene) Er  gilt als Meilenstein in der Filmgeschichte und wurde später von S. Kracauer als Modell tyrannischer wie kollektiver Dispositionen gedeutet. Aus der Zusammenarb. mit R. Wiene stammt auch das Drehbuch Genuine (1920). M. arbeitet in der Folge für weitere bed. Regisseure wie z.B. für Lupu Pick (z.B. Scherben, 1921), Leopold Jessner (z.B. Erdgeist, 1923), Arthur v. Gerlach, für den er 1921 Vannina verfasste  und v.a. Friedrich Wilhelm Murnau (Schloß Vögelöd,1921; Der letzte Mann, 1924, Tartüff, 1925). 1927 wirkte M. auch an der Produktion von Walther Ruttmanns Berlin – Symphonie der Großstadt mit, wirkte dabei maßgeblich auf das film. Montagekonzept und verfasste für Murnau das erste Drehbuch, das in den USA realisiert wurde: Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen/ Sunrise. A Song of Two Humans.

Ab 1929 arbeitete M. stärker mit Paul Czinner zusammen, u.a. in Fräulein Else (1929) und Ariane (1931, mit Elisabeth Bergner in der Titelrolle), von dem auch eine englisch- und französischsprachige Fassung etwa zeitgleich hergestellt wurde. Nach dem Abschluss der offiziell nicht belegten Mitarbeit am Drehbuch für Leni Riefenstahls Das blaue Licht (1932) und dem NS-Machtantritt sah M. aufgrund seiner jüd. Herkunft in Berlin keine Wirkungsmöglichkeit mehr. Er emigrierte zuerst nach Prag, von dort nach Paris und 1935 nach London. Dort schrieb er für Czinner 1937 das Drehbuch zu Dreaming lips, für Anthony Asquith 1938 jenes zu Pygmalion. Mit dem Dokumentarfilmer Paul Rotha verband  ihn in den Londoner Jahren eine enge Freundschaft, für ihn verf. er u.a. das Drehbuch für The Fourth Estate (1940); 1942 erkrankte M. jedoch an Krebs und verstarb 1944 völlig mittellos.


Literatur

Siegfried Kracauer: Von Caligari zu Hitler (1947); H. G. Luft: Notes on the World and Works of Carl Mayer. In: The Quarterly of Film and Radio (1954) 375-393; Rolf Hempel: Carl Mayer. Ein Autor schreibt mit der Kamera (1968); Jürgen Karsten: Carl Mayer, Filmpoet: Ein Drehbuchautor schreibt Filmgeschichte (1994); Michael Omasta, Brigitte Mayr, Christian Cargnelli (Hg.): Carl Mayer. Scenar(t)ist (2003); Brigitte Mayr: Carl Mayer: Years of Exile in London. In: Tim Bergfelder, Christian Cargnelli (Hg.): Destination London. German-speaking Emigrés and British Cinema 1925-1950 (2008), 195-203; Olaf Brill: Carl Mayrer – der Filmdichter. In: K. Acham (Hg.): Kunst und Geisteswissenschaften aus Graz (2009), 285-286; Ders.: Der Caligari-Komplex (2012).

Eintrag auf der Seite des Kultamtes der Stadt Graz, Eintrag im ÖBL, Eintrag bei Filmhistoriker.de.

(PHK)