Wassermann, Jakob

geb. am 10.3.1873 in Fürth b. Nürnberg – gest. am 1.1.1934 in Altaussee, Steiermark; Schriftsteller, Essayist

Nach Absolvierung erst der jüdischen, dann der Realschule im fränkischen Fürth begann W., Sohn eines kleinen Kurz- bzw. Gemischtwarenhändlers, 1889 eine Lehre in der Wiener Fächerfabrik seines Onkels Alfred Traub. Nach Abbruch der Lehre hielt sich W. abwechselnd in München und Würzburg auf, wo er auch seinen Militärdienst (1891/92) ableistete. Bei Erreichen der Volljährigkeit kündigte er eine 1892 angenommene Stellung als Büroschreiber bei einer Nürnberger Versicherung; aus einer Beamtenstelle in Freiburg i. Breisgau war er aufgrund antisemit. Ressentiments eines Vorgesetzten entlassen worden.

Seit 1893 veröffentlichte W., der noch als Realschüler – zum Missfallen von Eltern und Lehrerschaft – im Fürther Tagblatt Auszüge aus seinem ersten (verschollenen) Roman platzieren hatte können, in der polit.-satir. Münchner Zeitschrift Simplicissimus, 1896 erschien sein erster Roman Melusine. Den Kontakt zum Verleger Albert Langen hatte der von W.s literarischem Talent eingenommene Ernst v. Wolzogen, als dessen Sekretär W. seit 1895 tätig war, hergestellt. 1896 wurde W. von Langen angestellt, bald auch als Simplicissimus-Lektor. W. suchte intensiv Anschluss an die Münchner Literaturszene, verkehrte mit Autoren wie Th. Mann und R.M. Rilke, den er mit Lou Andreas Salomé bekannt machte. Als er 1898 als Theaterkorrespondent für die Frankfurter Zeitung nach Wien übersiedelte, fand er schnell Zugang zu dem im Café Central konzentrierten Literaten-Kreis von „Jung-Wien“, v.a. zu R. Beer-Hofmann und A. Schnitzler; mit Hugo v. Hofmannsthal war er seit 1896 persönlich bekannt: Auf W.s Betreiben hin war dessen Erzählung Das Dorf im Gebirge unter dem Ps. „Loris“ im ersten Jg. des Simplicissimus erschienen.

Durch den 1897 veröffentlichten Roman Die Juden von Zirndorf wurde Samuel Fischer auf W. aufmerksam; nachdem sich denn auch noch A. Schnitzler für W. bei dem Verleger verwendete, konnte der Roman Die Geschichte der jungen Renate Fuchs 1900 (mit der Jahreszahl 1901) in dem renommierten S. Fischer Verlag (Berlin) erscheinen. Auf großes Echo stieß von W.s in regelmäßiger Folge erscheinenden essayistischen und erzählerischen Arbeiten der noch vor Kriegsbeginn vollendete Roman Das Gänsemännchen (1915), ein Künstlerroman, in dem W. „das ewige Kleinbürgertum in seiner Flachheit, Bösartigkeit“ (A. Schnitzler) demaskierte. Bis 1933 erschien der Roman in 91 Auflagen (291.000 Exemplaren).

Im Erscheinungsjahr von Das Gänsemännchen trennte W. sich von seiner ersten Gattin, der aus einer wohlhabenden Wiener Familie stammenden Julie Speyer: Durch die Heirat mit der Tochter eines Textilfabrikanten und Ks. Rates hatte W. sich 1901 endgültig in der Wiener Gesellschaft etabliert, augenscheinlich durch die 1914 nach Plänen von Oskar Sternad errichtete Wassermann-Villa im Nobelviertel Grinzing. Ende 1918 trug W. als Unterzeichner (neben W. Bonsels, H. Johst, R.v. Schaukal u.a.) einen Warnruf mit, der sich gegen den Verlust deutscher Städte wie Straßburg oder Danzig, aber auch Landschaften wie Deutschkrain (!) aus- u. die Gefahr des Aufkommens revanchistischer Strömungen ansprach u. in der AZ wie in der NFP veröffentl. wurde. 1919 verzog W. gemeinsam mit der Schriftstellerin Marta Stross (geb. Karlweis), einer Tochter des Komödienautors Carl Weiss, nach Altaussee. Trotzdem war W. in Wien stets präsent, z.B. in Form von Lesungen wie z.B. in der Schwarzwald Schule im März 1919 oder im Rahmen der Kollektivausstellung von Johannes Itten im Mai 1919. Im selben Jahr ersch. der Roman Christian Wahnschaffe, der im Wr. Feuilleton, u.a. bei R. Auernheimer oder R. Holzer, auf großes Echo stieß u. 1920 durch die Terra –GmbH zum Monumentalfilm Weltbrand in der Regie von Urban Gad u. unter Mitwirkung von Fritz Kortner verfilmt wurde u. im Herbst 1921 in die Wiener Kinos kam. Im Aug.-Sept. 1920 druckte die NFP die Novelle Jost noch vor ihrem Erstdruck im Bd. Wendekreis als Fs-Feuilleton ab. Wie gewichtig seine Stellung im Wiener Kulturleben war, zeigen mehrfach ausverkaufte Vortragsveranstaltungen, z.B. am 1.12.1921 in der Hofburg über die Bedeutung der Gestalt (1922 auch in Prag) oder seine Rede über Humanität im Okt-Nov. 1922. Zum 50. Geburtstag ersch. im März 1923 zahlr. Würdigungen (NFP, NWJ, Wr.Ztg. etc.) sowie ein Widmungsbuch seiner Frau Julie J.W. und sein Werk. Im März 1924 widmete ihm der österr. P.E.N-Club gem. mit Paul Géraldy einen von A. Schnitzler präsidierten Leseabend. Radio Wien brachte am 8.1. 1925 den von H. Nüchtern für die Radiobühne aufbereiteten Einakter Gentz und Fanny Eißler als eines der ersten Radiostücke. 1927 protestierte er gegen das Todesurteil im Fall Sacco-Vanzetti. 1926 wurde die Ehe mit Julie geschieden, die W. u.a. in dem Eheroman Laudin und die Seinen verarbeitet hatte; bis zu W.s Lebensende strengte Julie Speyer jedoch noch mehrere Scheidungs- und Unterhaltsprozesse mit W. an, der für das Auskommen von vier Kindern aus erster und den Sohn aus zweiter Ehe mit M. Karlweis aufzukommen hatte.

Als „Welt-Star des Romans“ (Th. Mann) stand W. in den 1920ern und frühen 1930ern am Zenit seines Erfolgs: Mit seinen „voluminöse[n] Sitten- und Seelentableaus aus Geschichte und Gegenwart“ (Müller-Kampel) in Romanform genügte er den Ansprüchen sowohl des (Massen-)Publikums als auch des (Bildungs-)Bürgertums sowie seiner KünstlerkollegInnen. Seinen größten Erfolg verbuchte W., seit 1926 Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, mit dem 1928 ersch. Roman Der Fall Maurizius, dem er mit Etzel Andergast u. Joseph Kerkhovens dritte Existenz zwei Fortsetzungen 1931 u. 1934 folgen ließ.

Bis zu seinem Tod 1934 brachte W. alle zwei bis vier Jahre umfängliche Romane zur Veröffentlichung. Seit Erscheinen der Geschichte der jungen Renate Fuchs (1901) rezensierten W.s Prosawerke regelmäßig Autoren wie R.M. Rilke, St. Zweig, Th. Mann, F. Salten oder H.v. Hofmannsthal, v.a. für die dem Fischer Verlag eigene Zeitschrift Neue Rundschau. Von W.s Arriviertheit zeugen auch seine z.T. als bibliophile Sonderdrucke veröffentlichten Nachrufe auf Walther Rathenau (1922), Ferruccio Busoni (1924), H.v. Hofmannsthal (1929) u. A. Schnitzler (1932), ferner seine Präsenz als Vorlesender und Vortragender, auch im nicht-deutschsprachigen Ausland: in Brüssel, der Schweiz, Schweden, Dänemark, den Niederlanden, den USA (1927) und Riga (1931).

Die Machtergreifung der Nazis setzte W.s Reüssieren ein jähes Ende: Seine Werke wurden verboten, was für den jüd. Autor (auch) den materiellen Ruin bedeutete. Er selbst wirkte an einer der ersten Exil-Zs., K. Manns Die Sammlung mit, wo er schon im ersten Heft (Sept.1933) mit dem Beitr. Meine Landschaft, innere und äußere vertreten war. Unter Patronanz der sozialdem. Kunststelle wurde im Mai 1933 sein Schauspiel Lukardis im Dt. Volkstheater aufgeführt. Mit nur 60 Jahren verstarb Wassermann 1934. Im Vorjahr noch war er dem Ehrenpräsidium des Kulturbundes deutscher Juden beigetreten. Jüd. Figuren u. Milieus räumte W. in seinen erzählerischen Werken breiten Raum ein, und seine zahlreichen Abhandlungen über Judentum und Antisemitismus, darunter Das Los der Juden (1904) u. Die psychologische Situation des Judentums (1928), wurden bei Erscheinen mitunter heftig (u. kontrovers) diskutiert, allen voran seine u.a. mit antisemit. Ressentiments befasste Autobiografie Mein Weg als Deutscher und Jude (1921), „ein erschütterndes Zeitdokument, […] Bekenntnis und Darstellung, Klage und Anklage in einem“ (M. Reich-Ranicki).


Werke

Romane: Die Juden von Zirndorf (1897) – Die Geschichte der jungen Renate Fuchs (1900) – Der Moloch (1902) – Alexander in Babylon (1905) – Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens (1908) – Faustina (1912) – Der Mann von vierzig Jahren (1913) – Ulrike Woytich (1923) – Faber oder Die verlorenen Jahre (1924).

Novv., Erzz.: Schläfst du, Mutter? (1897) – Die Schaffnerin (1898) – Der nie geküsste Mund (1903) – Die Schwestern (1906) – Die Gefangenen auf der Plassenburg (1909) – Der goldene Spiegel (1911) – Geronimo de Aguilar (1911) – Oberlins drei Stufen (1922) – Sturreganz (1922) – Das Amulett (1926) – Der Aufruhr um den Junger Ernst (1926) – Das Gold von Caxamalca (1928).

Essays, Abhandlungen, (auto)biograf. Schriften: Die Kunst der Erzählung (1904)– Imaginäre Brücken (1921) – Christoph Columbus. Eine Biographie (1929) – Selbstbetrachtungen (1931).

Schauspiel: Die Prinzessin Girnara. Weltspiel und Legende (1919).

Quellen und Dokumente

Warnruf. In: Arbeiter-Zeitung, 27.12.1918, S. 5f., Jost. In: Neue Freie Presse, 15.8.1920, S. 15,

Raoul Auernheimer: W.s neuer Roman. In: Neue Freie Presse, 4.1.1919, S. 1-3, Rudolf Holzer: Neue Romane. In: Wiener Zeitung, 31.1.1919, S. 3-5, Karl Marilaun: Gespräch mit J. W. In: Neues Wiener Journal, 11.2.1919, S. 3f., Filmankündigung zu Weltbrand. In: Neue Kino-Rundschau, 4.12.1920, S. 25Richard Guttmann: J. W., der Bekenner. In: Der Morgen, 23.5.1921, S. 4f., Siegmund Wiener: Ein Lebensweg. In: Neues Wiener Tagblatt, 7.6.1921, S. 24, Moritz Heimann: J. W. [zum 50. Geburtstag]. In: Neue Freie Presse, 10.3.1923, S. 1-3Oskar Maurus Fontana: J. W. In: Radio Wien, 9 (1933), H. 25, S. 6.

Literatur

Peter Czoik (für die Bayerische Staatsbibliothek): Wassermann, Jakob. (Online verfügbar); Beatrix Müller-Kampel: Jakob Wassermann (1873–1934) im literarischen Feld seiner Zeit [2005]. (Online verfügbar); Marcel Reich-Ranicki: Über Jakob Wassermann (i.d.R. Fragen Sie Reich-Ranicki). In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (22.01.2006), S. 25.

(RU/PHK)