Widmar, Josefine

geb. 21.3.1886 in Deutsch-Brod/Havlíčkúv Brod (Böhmen) – gest. am 11.5.1975 in Hall i. Tirol; Dr. phil. Mittelschullehrerin, Autorin, Journalistin, Redakteurin

„Wenn man Josefine Widmar an ihrer Arbeitsstätte aufsucht – einer sehr großen und sehr mühereichen Arbeitsstätte, in der Redaktion einer der ersten Zeitungen Wiens – dann hat man augenblicklich den unverkennbaren Eindruck einer Persönlichkeit“, ist 1936 in einer der raren biografischen Notizen zu J.W. in der ZS Radio-Wien gelegentlich einer ihrer zahlreichen Radio-Auftritte zu lesen: „Zuerst das Studium, Erlangung des Doktorgrades, dann Tätigkeit als Mittelschullehrerin“ werden als die ersten Lebensstationen „dieser Sudetendeutschen“ in Wien genannt, denen die Mitarbeit als Redakteurin bei der Tageszeitung Reichspost nachfolgt (Radio-Wien 20.3.1936, S. 8f.). Beiträge v. W. erschienen erstmals 1919 in dieser maßgebenden kath. Tageszeitung, für deren Feuilleton-Teil sie gemeinsam mit Hans Brecka verantwortlich zeichnete: In einem weiteren Radio-Wien-Beitrag wird 1933 auf ihre bereits dreizehn Jahre andauernde Tätigkeit als Reichspost-„Feuilleton-Redaktrice“ hingewiesen. W., die auch in der Zeitschrift Schönere Zukunft (vgl. Kogler) bzw. Der Kunstgarten, dem Organ der kath. Kunststelle, Beiträge zur Veröffentlichung brachte, war im konservativ-katholischen (Presse-)Spektrum behaust. In ihren journalistischen Arbeiten widmete sie sich schwerpunktmäßig dem Themenfeld („Neue“) Frau, v.a. den (politischen) Aufgaben der Frauen und deren (spezifischen) Rechten u. Pflichten, Frauenberufstätigkeit, Mädchenerziehung u.ä.; so polemisierte sie etwa u.d.T. Falsche Wege der Mädchenerziehung (Reichspost 17.5.1919) gegen den sogenannten Glöckel-Erlaß, gegen Koedukation an Gymnasien – und damit gegen die Agenden des Roten Wien. Laut Castle, der W. in seiner kompendiösen Deutsch-Österreichischen Literaturgeschichte von 1937 jener durch „das christliche Lebensgefühl“ geeinten „Gruppe von Schriftstellern“ zuschlug, die „in einem betont katholischen, übervölkisch gerichteten, selbständigen Staat Österreich die Erfüllung ihres Lebensideals [erkennt]“, widmete sich W. auch als Romanautorin vorzüglich der „Frauenfrage“, namentlich der „Problematik der Kameradschaftsehe (‚Die Kameradin‘ 1930 und ‚Eheprobe‘ 1932)“ (S. 1496 bzw. 2261f.). Seitens der Reichspost wurde man nicht müde auf W.s Verdienste bzw. Erfolge als Schriftstellerin hinzuweisen: R. Henz äußerte sich nachgerade hymnisch zum „Frauenroman“ Die Kameradin und R. List würdigte Eheprobe als Weiterführung der von W. „gewissermaßen“ begründeten „neuen Form des katholischen Zeitromans“ („Synthese journalistischen Scharfblicks und erzählerischer Tiefe“). Einer 1932 veröffentlichten „Umfrage bei Wiener Buchhandlungen“ zufolge rangierte W. unter den maßgebenden, gerne gelesenen katholischen und österreichische AutorInnen (als Alternative zu „gesinnungsfremde[n] Autoren“; Reichspost 18.12.1932), insbesondere mit dem als eine Art kath. (Frauenlit.-)Kassenschlager gehandelten Roman Die Kameradin, der, da „acht Wochen nach seinem [ersten] Erscheinen vergriffen[en]“, bereits im Oktober 1930 in zweiter Aufl. bei Tyrolia (Innsbruck) veröffentlicht wurde (Reichspost 17.10.1930) und für den Anfang 1931 die Übersetzungsrechte vom holländischen Verlag Het Nederlandsche Boekhuis erworben wurden: „ein schöner Erfolg eines katholischen Zeitromanes“ (Reichspost 1.2.1931). V.a. als Beitrag zur „Frauenfrage“ wurde zeitgenössisch auch Drei gehen aus dem Parlament (1931) gehandelt: als „Mahnung […], daß es zwar das gute Recht der Frauen ist, sich wie Männer politisch zu betätigen, daß aber das wahre Glück der Frau, ihr eigentlicher Lebensberuf die Familie, die Häuslichkeit bildet“. Schließlich handle es sich bei der „Hauptperson“ um „die geschiedene Gattin eines Salzburger Hofrates, die nun als Frauenrechtlerin und Abgeordnete in Wien wirkt“, um sich nach mannigfachen „Enttäuschungen“ wieder mit ihrem Gatten zu versöhnen (Volksfreund 8.8.1931). Der „Zeitroman“ wurde aber auch als Fortführung der „von Edith Salburg […] gepflegte[n] Gattung des österreichischen politischen Romans“ rezipiert (Castle, S. 1496 bzw. 2262), etwa von R. Hohlbaum, demzufolge W. v.a. „ein[en] tiefe[n] Pessimismus, die Erkenntnis, daß unser ganzes politisches Leben einer Reform bedarf, daß oft die Besten, wenn schon nicht ‚aus dem Parlament gehen‘, so doch nur mit verbissenem Pflichtbewußtsein, ohne Hoffnung und Freude auf ihrem Platz bleiben, keiner Zukunft gewiß“, gestaltet habe. Als „one of the literary precursors of fascism“ rief Jo Catling 2000 W.s ‚Zeitroman‘ jedenfalls in Erinnerung (vgl. S. 140) – ein Befund, der sich unschwer auf die Autorinnen-persona ausdehnen lässt: 1933 war W. in dem DICHTERBUCH. Deutscher Glaube, deutsches Sehnen und deutsches Fühlen in Österreich, einer im Nahverhältnis zum Nationalsozialismus bzw. zur (illegalen) NS-Bewegung in Österreich stehenden Adolf Luser Verlag verantworteten Anthologie, neben R.H. Bartsch, F.K. Ginzkey, R. Greinz, P. Grogger, E.v. Handel-Mazzetti, R. Hohlbaum, R.v. Kralik, M. Mell, A. Müller-Guttenbrunn, H.H. Ortner, J.F. Perkonig, A. Petzold, K. Schönherr, E. Spann-Rheinsch, H. Stiftegger (d.i. Hans Brecka), D. Stockert-Meynert, K.H. Strobl, A.v. Trentini, K.H. Waggerl, J. Weinheber, A. Wildgans, G. Zernatto u.a. vertreten: ein „‚arisches‘ Großwerk […] mit Beiträgen (Prosa und Lyrik) von 65 Autoren, alle der ‚deutschen Rasse‘ zugehörig“ (Hall). Fabris/Hausjell führen W. als eine jener kath. AutorInnen, die 1938 „mit fliegenden Fahnen ins Lager der Nationalsozialisten über[gelaufen sind]“ (Fabris/Hausjell). Die „fromme Frau Widmar“, deren „Enunziationen“ seitens der soz.dem. Presse als pars pro toto für „den sonstigen Konjunkturkram der Reaktion“ (O[tto] K[önig]: Gesprochener Funk. Arbeiter-Zeitung 4.12.1933, S. 5) gehandelt wurden, hatte im ersten Hj. 1933 einen – so der Titel eines ihrer Reichspost-Beiträge – „Kehraus auf dem deutschen Parnaß“ (Reichspost 12.4.1933) und damit auch die Bücherverbrennungen (vgl. Reichspost 17.5.1933) begrüßt.


Quellen und Dokumente

Rudolf Henz: „Die Kameradin“. Vorwort zu einem Frauenroman. In: Reichspost (23.5.1930), S. 2f.; N.N.: Neuerscheinungen auf die Gebiete der katholischen Literatur. In: Reichspost (17.10.1930), S. 7; N.N.: Holländische Uebersetzung eines Wiener Romans. In: Reichspost (1.2.1931), S. 7; Robert Hohlbaum: „Drei gehen aus dem Parlament.“ In: Neues Wiener Tagblatt (4.7.1931), S. 25; N.N.: Die Frau im öffentlichen Leben. In: Volksfreund (8.8.1931), S. 5; Rudolf List: „Eheprobe.“ Zu einem neuen Roman von Josefine Widmar. In: Reichspost (13.5.1932), S. 6; N.N.: Man schenkt wieder Bücher. Aus einer Umfrage bei Wiener Buchhandlungen. In: Reichspost (18.12.1932), S. 12; Josefine Widmar. Eigenvorlesung am Sonntag, 26. November, 18.35 Uhr. In: Radio-Wien (24.11.1933), S. 6f.: O[tto] K[oenig]: Gesprochener Funk. In: Arbeiter-Zeitung (4.12.1933), S. 5.

Literatur

Eduard Castle (Hg.): Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Dichtung in Österreich-Ungarn. Unter Mitwirkung hervorragender Facahgenossen nach dem Tode v. Johann Willibald Nagl u. Jakob Zeidler hg. v. E. Castle. Vierter Bd. Von 1890 bis 1918. Wien: Carl Fromme 1937. – Jo Catling: A History of Women’s Writing in Germany, Austria and Switzerland. Cambridge University Press 2000. – Hans Heinz Fabris/Fritz Hausjell: Die Vierte Macht. Zu Geschichte und Kultur des Journalismus in Österreich seit 1945. Verlag für Gesellschaftskritik 1991. – Murray G. Hall: Adolf Luser Verlag (Eckardt-Verlag Adolf Luser, Wiener Verlagsges.m.b.H.) (Wien-Leipzig). (Online unter). Nina Kogler: GeschlechterGeschichte der Katholischen Aktion im Austrofaschismus. Wien: LitVerlag 2014. – Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Begründet von Wilhelm Kosch. Dritte, völlig neu bearb. Auflage. 31. Bd.: Werenberg-Wiedling. Berlin-Bosten: de Gruyter 2012.

(RU)