, , ,

El Lissitzky: Die elektro-mechanische Schau (1924)

El Lissitzky: Die elektro-mechanische Schau

             Vorliegendes ist das Fragment einer Arbeit, die aus der Notwendigkeit, den geschlossenen Kasten des Schaubühnentheaters, den geschlossenen Kasten des Schaubühnentheaters zu überwinden, entstanden ist (Moskau 1920-21.)

             Die großartigen Schauspiele unserer Städte beachte niemand, denn jeder „jemand“ ist selbst im Spiel. Jede Energie ist für einen eigenen Zweck angewendet. Das Ganze ist amorph. Alle Energien müssen zur Einheit organisiert, kristallisiert und zur Schau gebracht werden. So entsteht ein WERK – mag man das KUNSTwerk nennen.

             Wir bauen auf einem Platz, der von allen Seiten zugänglich und offen ist, ein Gerüst auf, das ist die SCHAUMASCHINERIE. Dieses Gerüst bietet den Spielkörpern alle Möglichkeiten der Bewegung. Darum müssen seine einzelnen Teile verschiebbar, drehbar, dehnbar usw. sein. Die verschiedenen Höhen müssen schnell ineinander übergehen. Alles ist Rippenkonstruktion, um die im Spiele laufenden Körper nicht zu verdecken. Die Spielkörper selbst sind je nach Bedarf und Wollen gestaltet. Sie gleiten, rollen, schweben auf, in und über dem Gerüst. Alle Teile des Gerüstes und alle Spielkörper werden vermittels elektro-mechanischer Kräfte und Vorrichtungen in Bewegung gebracht, und diese Zentrale befindet sich in Händen eines Einzigen. Sein Platz ist im Mittepunkt des Gerüstes, an den Schalttafeln aller Energien. Er dirigiert die Bewegungen, den Schall und das Licht. Er schaltet das Radiomegaphon ein, und über den Platz tönt das Getöse der Bahnhöfe, das Rauschen des Niagarafalles, das Gehämmer eines Walzenwerkes. An Stelle der einzelnen Spielkörper spricht der SCHAUGESTALTER  in ein Telephon, das mit einer Bogenlampe verbunden ist, oder in andere Apparate, die seine Stimme je nach dem Charakter der einzelnen Figuren verwandeln. Elektrische Sätze leuchten auf und erlöschen. Lichtstrahlen folgen den Bewegungen der Spielkörper, durch Prismen und Spiegelungen gebrochen. So bringt der SCHAUGESTALTER den elementarsten Vorgang zur höchsten Steigerung.

             Für die erste Aufführung dieser elektro-mechanischen SCHAU habe ich ein modernes Stück, das aber noch für die Bühne gedichtet ist, benutzt. Es ist die futuristische Oper „Sieg über die Sonne“ von A. Krutschonich, dem Erfinder des Lautgedichtes und Führer der neuesten russischen Dichtung. Die Oper wurde 1913 in Petersburg zum ersten Male aufgeführt. Die Musik stammt von Matjuschin (Vierteltöne). Malewitsch malte die Dekorationen (der Vorhang – schwarzes Quadrat). Die Sonne, als Ausdruck der alten Weltenergie, wird vom Himmel gerissen durch den modernen Menschen, der kraft seines technischen Herrentums, sich eine eigene Energiequelle schafft. Diese Idee der Oper ist in eine Simultaneität der Geschehnisse eingewoben. Die Sprache ist alogisch. Einzelne Gesangspartien sind Lautgedichte.

             Der Text der Oper hat mich gezwungen, an meinen Figurinen einiges von der Anatomie des menschlichen Körpers zu bewahren. Die Farben der einzelnen Teile meiner Blätter sind, wie in meinen Proun-Arbeiten, als Materialäquivalent zu betrachten. Das heißt: bei der Ausführung werden die roten, gelben oder schwarzen Teile der Figurinen nicht entsprechend angestrichen, vielmehr in entsprechendem Material ausgeführt, wie zum Beispiel blankes Kupfer, stumpfes Eisen usw.

             Die Entwicklung des Radio in den letzten Jahren, der Lautsprecher, der Film- und Beleuchtungstechnik und einige Erfindungen, die ich selbst inzwischen gemacht habe, das alles macht die Realisierung dieser Ideen noch viel leichter, als mir das 1920 vorgeschwebt hat.

In: MA (9), H. 8/1924, S. 5.