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Hans Ankwicz-Kleehoven: Kunstausstellungen II (1924)

                           II.[1]

Die 23. Hauptausstellung des Albrecht Dürer-Bundes (Zedlitzhalle) überschreitet nur an wenigen Stellen die übliche, gut bürgerlichem Geschmack angepaßte Mittellinie. Eine dieser Ausnahmen ist die Kollektion des Bildhauers Josef Josephu, dem man das ehrliche Bestreben anmerkt, sich wirklich künstlerische Probleme zu stellen und sie in temperamentvoller Weise zu lösen. Vieles ist ihm dank seinem großen technischen Können gelungen, und es ist darum durchaus berechtigt, daß ihm heuer der Preis der Stadt Wien zuerkannt wurde; häufig aber fehlt seinen Plastiken die große, edle Linie, die man von echten Kunstwerken verlangt, und die auch bei stärkster Leidenschaftlichkeit nicht ganz verloren­ gehen soll. Seine Skulpturen scheinen alle auf Vorderansicht berechnet zu sein, in Kontur be­trachtet, büßen sie viel von ihrer Wirkung ein. Auch der Maler Anton Filkuka beschränkt sich nicht darauf, bloß gefällige Verkaufsware zu liefern wie die meisten andern. Sein Greisenbildnis hat einen Zug ins Große, sein Alter Lungauer mit Urenkel erinnert ein wenig an die farbenfreudigen polnischen Bauernbilder Vlastimil Hofmanns, seine Schneeschmelze und Verschneite Mulde sind prächtige Winterbilder und der pastos gemalte Grüne See in der Tatra zeugt von einer Zunahme an Energie, die wir in seinen früheren Arbeiten oft vermißt haben. Freilich dürfen die kräftigeren Töne, die er jetzt an­zuschlagen beginnt, nicht zum Aufgehen aller maleri­schen Feinheiten führen, die seine Bilder bisher auszeichneten. Gemälde wie die Wiesenkapelle und Partie aus Mauterndorf z.B. sind von einer banalen, grellen Farbigkeit, die keineswegs als Fortschritt zu werten ist. Fritz Lach‘s virtuose Aquarelltechnik bleibt stets auf gleicher Höhe und bietet immer wieder eine rechte Augenweide. Diesmal ist es neben Greiner und Kärntner Motiven namentlich eine Studie aus Torbole am Gardasee, die als Kabinettstück exquisiter Wasserfarbenmalerei gelten kann.  Von dem kürzlich verunglückten Rudolf Vodicka ist eine Kollektion von farbigen Zeichnungen und Ölbildern zu sehen, die den vorzeitigen Tod dieses begabten und strebsamen Malers herzlich bedauern lassen, Alexander Scherban vertieft sich nicht ohne Erfolg in die malerischen Reize eines Stahlwerkes, Hans Götzinger und Otto Elsner wissen allerlei Freundliches aus der Wachau zu erzählen, Gustav Feith hat, nicht am wenigsten durch fleißiges Zetsche-Studium, eine so große technische Fertigkeit erlangt, daß er nunmehr auf eigenen Füßen stehend, wie ein Tableau mit Aquarellen zeigt, ganz nette Leistungen zuwegebringt. Lea Reinharts in der Wiedergabe des Stofflichen vortreffliche Stilleben ermangeln zu­weilen der räumlichen Tiefe, Gertrude Danner-Dehne hat sich auf dem Gebiete der Hundedarstellungen spezialisiert und liefert in einigen Lithographien sehr ergötzliche Tierporträts. Auch Renate Tetmajer und Flori Scholl zeigen viel Geschick als Graphikerinnen, während uns die Radierungen Richard Lux‚ ziemlich enttäuschen.

*

Die Versorgung des Wiener Kunstmarktes mit moderner ausländischer Kunst lag vor dem Kriege durch lange Jahre fast ausschließlich in den Händen der Galerie H. O. Miethke, die durch ihre Aus­stellungen in der Dorotheergasse den Wienern die Be­kanntschaft mit verschiedenen neuen Kunstrichtungen vermittelte und sich namentlich um die Einbürgerung der nachimpressionistischen französischen Kunst in Wien (Van Gogh, Gauguin u. a.) nicht zu unterschätzende Verdienste erwarb. Nach dem Umsturz war es zunächst der Kunstsalon Würthle (Weihburggasse), der die bei dem Konservativismus der Wiener nicht immer dankbare Aufgabe übernahm, neben modernen einheimischen auch fremde Künstler zu propagieren, und in jüngster Zeit ist ihm in der Neuen Galerie (Grünangergasse) ein nicht minder rühriges Unternehmen an die Seite getreten, das ungefähr die gleichen Ziele verfolgt.

Im Februar konnte man in beiden Galerien Ver­treter jener gegenwärtig modernsten Kunstrichtung studieren, die sich selbst als „Konstruktivisten“ zu be­zeichnen pflegen. Im Würthleschen Parterrelokal hatte der Ungar Ludwig Kassák seine Versuche auf dem Felde der „Bildarchitektur und Raumkonstruk­tion“ als „Erste konstruktivistische Ausstellung in Wien“ zusammengefaßt und zum näheren Verständnis seiner Bestrebungen folgende Charakteristik// der dem Konstruktivismus vorangehenden Strömungen im Ausstellungslokal angebracht: „Expressionismus – Kubismus: Befreiung der Farb- und Formelemente vom Assoziationsbereiche der vergangenen Kulturepoche. Abstraktismus – Suprematismus:

Erfassung der befreiten Elemente. Konstruktivismus: Organisation der befreiten Elemente.“ Während ich mich bemühte, die Richtigkeit dieser Thesen, soweit dies überhaupt möglich war, an Kassáks zumeist aus geradlinigen geometrischen Formen und reinen Farben aufgebauten „Konstruktionen“ nachzuprüfen, hörte ich in meiner Nähe die Äußerung, daß Kassáks Arbeiten ausgezeichnet Plakate ergeben würden. Diese Bemerkung, die sich mit meinem eigenen ersten Eindrucke deckte, daß hier eine Begabung am Werke sei, die auf Grund einer mühsam aufgezäumten Theorie doch zu keinen anderen realen Effekten gelange als etwa der an konstruktiven Ideen so produktive Plakatzeichner Julius Klinger, war sicherlich richtig und rührt unwillkürlich an die Frage nach den schließlichen Ergebnissen der „gegenstandslosen Kunst“. Sind wir auch weit da­von entfernt, die außerordentlichen Anregungen zu verkennen, die wir in einer Zeit recht geistlos ge­wordenen Kunstbetriebes gerade den durchaus verstandesmäßig eingestellten radikalen Künstlergruppen verdanken, so müssen wir doch, wollen wir nicht in den törichten Fehler verfallen, sie allein wegen ihrer naturfeindlichen Haltung von vornherein abzulehnen, schon jetzt versuchen, uns über den faktischen künstlerischen Wert ihrer Leistungen ein unbefangenes Urteil zu bilden. Und da sind wir der Ansicht, daß diese „Konstruktivisten“ trotz aller tiefsinnigen und spitzfindigen Dogmatik, der sich die Anhänger der „abstrakten Kunst“ entgegen dem Goetheschen „Bilde, Künstler, rede nicht“, in so reichem Maße befleißen, für uns niemals mehr bereuten können, als ein bloßes Augenerlebnis, beziehungsweise ein interessantes Rechenexempel für den nachwägenden oder nachmesserischen Kunstverstand. Tiefere Wirkungen werden damit kaum zu erzielen sein, denn der Mensch denkt und fühlt nun einmal anthropomorph,

Menschliches läßt sich nur durch Menschliches wecken, mit Dreiecken, Rechtecken und Kreisen, Zylindern, Kuben und Prismen kann man niemand ans Herz greifen. Wohl aber wird uns der Kubis­mus, Kinetismus, Konstruktivismus und wie all diese jüngsten Richtungen sonst  noch heißen mögen, ein neues Form- und Raumgefühl, ein neues Farbenempfinden, vor allem aber eine neue Ornamentik bringen, die dem technischen Charakter unserer Zeit viel näher stehen wird als das bisherige, noch immer von der Antike oder der Renaissance beein­flußte naturalistische Ornamentik. Die Auswirkung dieser sehr wichtigen Errungenschaften wirb sich vorzugsweise dort zeigen, wo es sich nicht um „Gegenständliches“, sondern um formale, dekorative oder um Stimmungswerte handelt, wie im Kunstgewerbe, in der Bühneninszenierung oder in der Architektur. In der eigentlichen „bildenden Kunst“ werden dadurch vielleicht die Darstellungsmittel mancherlei Wandlungen erfahren, am naturgebundenen Inhalt der Malerei und Plastik aber wird wohl nicht viel geändert werden, da ja hier die Ewigkeitswerte nach wie vor den künstlerischen Verkörperungen reinen Menschentums vorbehalten bleiben, die in ihrer unmittelbaren Wirkung aufs Gemüt nicht durch „Konstruktionen“ zu ersetzen sind.

Im Hinblick auf das eben Gesagte haben wir auch die in der Neuen Galerie zur Zeit der „Russischen Kunstwoche“ von der „Gesellschaft zur Förde­rung moderner Kunst in Wien“ veranstaltete „Russische Ausstellung“, welche Arbeiten Wassili Kandinskys, E. Lissitzkys, Iwan Punis, Marc Chagalls, Elisabeth Epsteins und des Bildhauers Alexander Archipenko vereinigte, zwar ohne innere Ergriffenheit, aber doch mit angeregtem Interesse gesehen. Während Chagall in seinen Radierungen mit den Dingen seiner Umwelt ein geistreiches Spiel treibt, Archipenko in seinen Plastiken den menschlichen Körper auf eine möglichst einfache Formel zu bringen sucht, Kandinsky in seinen bunten Formphantasien augenblicklich eine Kombination von Picasso und Paul Klee anstrebt, ist Lissitzky Konstruktivist strengster Observanz und arbeitet seine komplizierten technischen Zeichnungen gleichenden Einfälle wie ein Ingenieur fein säuberlich mit Tusche, Lineal und Zirkel am Reißbrette aus. Nach der Flüchtigkeit expressionistischer Graphik muß man über die penible Ausführung dieser „Konstruktionen“ staunen und seine Verwunderung darüber aussprechen, wie rasch heutzutage ein Extrem dem andern folgt.

Gegenwärtig beherbergt die Neue Galerie eine ungemein reichhaltige Sammlung von Ölgemälden und Graphiken des berühmten norwegischen Malers Edvard Munch, dessen grandioser Pessimismus nur in August Strindbergs Werken eine Parallele findet. Wie ein dumpfes Verhäng­nis, wie ein unentrinnbares Geschick lastet es meist auf seinen Menschen, doch der hinreißende Schwung, der namentlich durch Munchs Lithographien und Holzschnitte geht, wirkt befreiend und erlösend. Es sind zum Teil frühere Arbeiten, die die Neue Galerie zur Ausstellung bringt, aber gerade aus ihnen läßt sich der große Einfluß ermessen, den der große Norweger auf die Entwicklung der modernen, insbesondere der expressionistischen Malerei und Graphik ausgeübt hat.

Kehren wir nochmals zum Kunstsalon Würthle zurück, um auch auf die übrigen Ausstellungen, die dort — ebenso wie in der Neuen Galerie — in etwas allzu kurz bemessenen Fristen stattfanden, einen raschen Blick zu werfen. Den bemerkens­werten Kollektionen der Maler Leopold Gottlieb und Fritz Groß, der mit großem Erfolge als Zeichner debütierte, sowie des begabten Bildhauers Jakob Löw reihte sich jüngst in den Atelierräumen eine Ausstellung französischer Impressionisten an, in der wohl alle signifikanten Namen von Manet bis Matisse zu finden sind, ohne daß sich jedoch die Bedeutung der ausgestellten Werke immer völlig mit dem Rang dieser Namen decken würde. Außer einzelnen Graphiken besitzen bloß eine gute Studie von G. Courbet und eine schöne Landschaft von E. Pissarro wirkliche Qualität, in den meisten anderen Fällen liegt der Wert des Bildes oder der Zeichnung vornehmlich in der Echtheit der Signatur. Dagegen verdiente die im Parterre untergebrachte Kollektivausstellung des Wiener Malers Carry Hauser, der uns hier eine Auswahl seiner letzten Aquarelle, Zeichnungen und Lithographien darbot, allgemeinere Beachtung, weil wir da Zeugen eines erfolgreichen Ringens künstlerischer Vervollkommnung wur­den, wie es uns in gleicher Intensität nicht häufig begegnet. Mit eisernem Fleiß, einem scharfen In­tellekt und einem ungewöhnlichen zeichnerischen und malerischen Talent begabt, hat sich dieser junge Künstler binnen wenigen Jahren einen ganz eigen­artigen Stil zurechtgezimmert, in welchem Lyrik mit Satire, Keuschheit mit Unmoral, Linie mit Form und Farbe in seltsamem Wechsel stehen. Die stark literarische Färbung seiner Kunst befähigt ihn in besonderem Maße zur Illustration, wofür die Ausstellung in einer Anzahl seiner Holzschnittbücher und Lithographienserien hinlängliche Beweise erbrachte. Auf Hauser ist vor einigen Tagen im selben Lokal eine Sammlung vorzüglicher Probedrucke Daumierscher Steinzeichnungen gefolgt, die noch durch einige Zeit der Besichtigung zugänglich sein wird.

[…]

Zum Schlusse noch ein Hinweis auf die Ausstellung „Phantastische Kunst“, mit welcher die Kristallgalerie (Währinger Straße 4) kürzlich in den Kreis der sich von Jahr zu Jahr ver­mehrenden Wiener Kunstsalons trat. Es war keine üble Idee, die dieser Veranstaltung zugrunde gelegt wurde: aus der Kunst verschiedener Epochen einiges von dem, was die Bezeichnung „phantastisch“ verdient, zu einem wirksamen Ensemble zu vereinigen. Daß diese Ausstellung keine lückenlose sein konnte, ist selbstverständlich, immerhin hätte man aber die zum Teil sehr interessanten und wirklich phantasti­schen Arbeiten Dagobert Peches, Richard Teschners, Oskar Laskes, Paul Scheurichs, Alfred Kubins, Julius Zimpels, Lotte Pritzels usw. zusammen mit den peruanischen Grabgefäßen, chinesischen Bronzen, persischen Miniaturen und modernen Keramiken zu einer viel einheitlicheren Gesamtwirkung bringen können, als es tatsächlich geschah. Allein für den Mangel einer entsprechenden künstlerischen Aufmachung entschädigt die Fülle reiz­voller Einzelobjekte, unter denen wir gerne auch die phantastischen Bilder Franz Waciks und Doktor Franz Sedlaceks gesetzt hätten.

In: Wiener Zeitung, 24.3.1924, S. 1-3.


[1] [Orig. FN]: Siehe „Wiener Zeitung“ Nr. 63 vom 15. März 1924.

Richard Guttmann: Expressionisten

Vor einigen Jahren brachte der Hagenbund eine Ausstellung der Werke Eduard Munchs, in der die Entwicklung dieses Meisters zum Expressionisten genetisch dargestellt war. Selber ist dieses Schlagwort auch bei uns nicht verklungen und mit dem Auftreten der extremen Richtungen des Expressionismus, des Kubismus und des Futurismus, gebrauchten es nicht nur die Snobs, sondern auch Leute, die einer Sache gerne auf den Grund gehen. Der Kubismus ist russisch-französischen Ursprunges. Er reduziert die Formen der dargestellten Dinge auf ihre primären euklidischen Bestandteile, Kreisstücke und Vielecke, und geht jeder sonstigen Wiedergabe peinlich aus dem Wege. Der Futurismus ist eine italienische Angelegenheit. Auch er weicht dem empirisch Gegenständlichen aus und sucht die den Formen zugrundeliegenden seelischen Ereignisse, mit Umgebung der sichtbaren Gestalt, auszudrücken. Als drittes Extrem erscheinen die Primitiven, als deren Führer der Russe Kandinsky galt – – aber halt! Ich spreche zu den Lesern einer Zeitung und darf nicht wissenschaftlich deduzieren. Das Deutsche an der Sache war zunächst die bei uns beliebte Ruchässerei alles Fremdländischen, aber dann begann man – zur Ehre unserer Künstler! – ernsthaft nachzudenken. Das Bezeichnende aller Richtungen, die Abkehr vom sinnlich Wahrgenommenen und von dessen Einordnung in das konventionelle Geben, hatte seine tiefe, innere Richtigkeit. Die äußeren Mittel der Malerei und Plastik sind vollkommen ausgeschöpft und die Großstadt – hier handelt es sich nur um Großstädter – bringt keinen großen Bildner mehr hervor. Die mechanische Wiedergabe der gesamten Welt und ihres äußeren Geschehens durch die Photographie, die moderne Reproduktionstechnik und die Kinematographie haben der effektiven Intelligenzschwäche des Gegenwartsmenschen das naive Verhältnis zur Kunst genommen und je größer sein Bildungsdünkel ist, je mächtiger das scheinwissenschaftliche Gebäude der Ästhetik anschwillt, umso dürftiger und dürrer wird die ganze Kunst. Die Einführung der seinen Abstraktion in das künstlerische Schaffen ist somit ein wohl verständlicher Ausweg, aber mit zweifellos negativem Ergebnis. Ich behaupte, im Gegensatz zu dem leider gefallenen Fritz Burger, daß das Bestreben formal und graphisch zu abstrahieren, entweder zu primitiven algebraischen Symbolen oder zu einer neuen, absoluten Ornamentik führt. „Ursache und Wirkung der Kunst gehen über alle Begriffe“, hat schon der weise Feuchtersleben gesagt und wenn die künstlerische Gestaltung den ganzen Gefühlsprozess von vorneherein in Begriffe preßt, dann wird die Kunst ein Zweig der Logik oder der Mathematik. Wenn mir einer die Appassionata oder die F-moll Phantasie von Chopin erklären will, weil ich sonst nicht hören und genießen könnte, würde ich ihn für einen dummen Kerl halten.

Das Ohr ist der Weg zu einer ungeheuren Gefühlswelt, während, die Kunst, die durch das Auge geht, knapp ist und mit der Gegenständlichkeit steht und fällt. Die Expressionisten kämpfen gegen diese tragische Grenze mit allen geistigen und ungeistigen Mitteln und weil sich die ganze Sache, wie alles im menschlichen Leben, auf die Persönlichkeitsfrage zuspitzt, hört der Kampf mit der Erscheinung des großen Meisters auf. Ist vielleicht das Juwel deutscher expressionistischen Malerei, die Auferstehung Christi auf dem Flenheimer Alter des Grünenwald, mit allen unsern Gescheitheiten und Abstraktionen erreicht worden?

Es macht nichts, wenn der Künstler nach innen blicken lernt. Futurismus und Kubismus werden so vielleicht einen fruchtbaren Niederschlag zeitigen. Besonders was die Läsung des Raum- und Zeitproblems in der Malerei betrifft. Als selbständige Formungsmethoden in der Richtung vollkommener Abstrahierung des Gegenständlichen können sie nicht beliehen.

Man hört auch öfters die Frage, ob solche Bilder schön seien. Geschäftige Vielredner haben bei uns in den letzten Wochen bewiesen, daß die Schönheit nicht zur Kunst gehöre. Die Schönheitsempfindung ist für jeden normalen Menschen der unsagbare, innere Ausbruch des Rassengefühls. Schönheit und Rasse gehören deshalb zur Kunst und der unverdorbene Instinkt wird die naive Frage nach der Schönheit nie unterlassen. Für den in Abstraktionen wühlenden rasselosen Literatenkaffehausköter besteht die natürlich nicht.

Selbstverständlich falle ich den Herrschaften, die jetzt im ersten Stock des Künstlerhauses ausstellen, nicht hinein. Mir imponiert der kopierte Expressionismus und der Kubismus aus zweiter Hand nicht. Die genetische Anordnung fehlt und man weiß nicht, was Ernst und was Gschnas ist. Ich warne Neugierige vor den mündlichen Erklärungen der Künstler, denn sonst könnte man die Ausstellung für ein Dokument der Hauptkrankheit unserer Zeit: der Verbomanie, halten. Zweifellos! Die Leute können malen und zeichnen. Das ist aber nicht alles. Die Vergangenheit einzelner weist auf eine gewisse durchschnittliche Züchtigkeit. Und das ist wenig. Denn Meister ist keiner unter ihnen. Aber dafür mancher tragische Clown. Der fatale „Bund der geistig Tätigen“ hat die Armen als seine Kunstgruppe in die Manege geführt. Das soll er künftig nicht mehr tun. Mit solchen Geistestalern renommiert man nicht.

In: Der Morgen, 12.5.1919, S. 11.

A.F.S. [Adalbert Franz Seligmann]: Kunstausstellungen (1921)

Im neuen Trakt des Oesterreichischen Museums (Eingang von der Wollzeile aus) ist, wie wir bereits angezeigt haben, eine Ausstellung eröffnet worden, die einen Ueberblick über die Wirksamkeit der Wiener „Gesellschaft für vervielfältigende Kunst“ während des letzten Halbjahrhunderts gibt, zugleich aber, wie man sagen darf, einen Ueberblick über die gesamten modernen Graphik während dieser Zeit […]

Im Erdgeschoß des nämlichen Traktes ist jetzt eine Ausstellung von Schülerarbeiten (Ornamentklasse Cizek) der Kunstgewerbeschule zu sehen, am Stubenring eine solche der Klassen Hoffmann (Architektur), Stark (Email), Rothansl und Wimmer (Textilien). Hier sieht man das Neueste vom Neuen. Bei Cizek wird der Futurismus, Kubismus, Kinetismus und was es sonst auf diesem Gebiet gibt, offiziell gelehrt. Man sieht da „Studien über die kubische Existenz der Dinge, – wobei die Frage offenbleibt, ob diese Existenz auch wirklich existiert! – ferner ornamentale Kompositionen, die die ‚Sehnsucht‘, die Musik, den Brandgeruch und dergleichen darstellen. Wir erwarten, daß demnächst als Aufgaben für eine musikalische Kompositionsklasse Themen gegeben werden wie zum Beispiel „Zitronengelb mit karmoisinroten Streifen“, „Spirale“, § 31 des bürgerlichen Gesetzbuches“ und so dergleichen. Ein Riesenapparat wird aufgeboten, Philosophie, Religion und Wissenschaft werden zu Hilfe gerufen; die Berge kreißen und es kommt im besten Fall ein neues Tapeten- oder Krawattenmuster heraus. Es ist jammerschade, daß so viel Mühe, Intelligenz, Fleiß und wohl auch Talent an solche unfruchtbaren Spielereien des Geistes und der Hand verschwendet werden; und das noch dazu in einer Zeit, da sich überall die Anzeichen mehren, daß der Bolschewismus – dessen Spiegelungen in der Kunst ja diese neuesten Manieren sind! – sich selbst ad absurdum führt. Allerdings wird das Absurde in der Sozialpolitik durch den ungeheuren wirtschaflichen Zusammenbruch mit der Zeit jedermann offenbar; in der der Kunst ist die Absurdität nicht zu beweisen. Daher wird diese Richtung in der Kunst auch ein längeres Leben haben als in der Politik, wo sich ja die Umkehr schon vorzubereiten scheint. Indes ist es doch symptomatisch, daß auch hier an allen Fronten abgeblasen wird und in allen führenden deutschen Kunstzeitschriften warnende Stimmen sich erheben. So dürften die noch überall pilzartig aufschießenden expressionistischen Ausstellungen und Revuen nicht als Zeichen des endgültigen Erfolges gedeutet werden, sondern vielmehr als letztes – oder vorletztes Aufflackern vor dem Erlöschen einer Bewegung, die nur in einer Zeit möglich war, in der Intelligenz und Neurasthenie an Stelle eines spezifischen Kunstempfindens getreten sind.

            Ganz und gar im modernsten Fahrwasser bewegt sich O.R. Schatz, ein junger Kunstbeflissener, der eben bei Hevesi (Mariahilferstraße 13) eine Kollektivausstellung veranstaltet hat. Immerhin ist trotz aller karikaturenmäßiger Verzerrung, namentlich in einigen Holzschnitten und Kreidezeichnungen, außer dem jetzt so häufigen – und recht billigen! – Rhythmus ein gewisses Verständnis für die Formen des menschlichen Körpers zu spüren., Auf einer Linie zwischen Expressionismus und Impressionismus sucht dann ein junger russischer Maler, A. Akidos, seinen Weg; er hat in seiner Werktstatt (9. Bezirk, Spittelauer Weg 1) eine Auswahl seiner Arbeiten zur Schau gestellt, unter denen manche Landschaften und ein Blumenstück seinen Farbensinn erkennen lassen.

            Eben da wir diese Zeilen beschließen wollen, erhalten wir die Nachricht, daß im unteren Belvedere die neuen Erwerbungen der Staatsgalerie, untermischt mit manchem aus den älteren Beständen, dem Publikum zugänglich gemacht worden sind. Darüber demnächst ein Mehreres; einstweilen nur so viel, daß neben einigen sehr hübsch und geschmackvoll aufgestellten, in Hinsicht der Qualität im allgemeinen nicht eben aufregenden Plastiken und Gemälden der Gotik und Barocke namentlich Wiener Künstler des verflossenen Jahrhunderts mit zum Teil vorzüglichen Arbeiten zu Wort kommen. So Waldmüller, Fendi, Pettenkofen, Tina Blau (das prachtvolle Praterbild aus dem Hofmuseum, ein Clou der Ausstellung), Klimt; die vielumstrittene „Medizin“ und einige Landschaften werden manchen enttäuschen. Von Neueren und Neuesten ist gleichfalls allerlei da: sehr schön der „Eselreiter“ von Gaul (Berlin), einem künstlerischen Verwandten unseres Barwig, von dem einiges Treffliches zu sehen, wenn auch nicht sein Bestes. E. Schiele ist ganz gut vertreten; von anderen aus diesem Kreise manches, dem man nicht ansieht, daß es unter dem Einfluß des Modegeschmacks etwas übereilt erworben worden ist. Ob eine sogenannte „Aktstudie“ von einem sicheren Böckl (Nr. 13) als abschreckendes Beispiel ausgestellt ist oder ob man sich hier mit dem Publikum einen schlechten Witz gemacht hat, ist nicht klar. Vielleicht soll auch nur die fortschrittliche Gesinnung der Galerieverwaltung – etwas heutzutage scheinbar Unerläßliches! – dadurch dokumentiert werden, daß dergleichen Zeit ernst genommen, angekauft und ausgestellt wird. Jedenfalls wäre es besser gewesen, den Beschauer nicht vor dieses Dilemma zu stellen. Solche Mißgriffe dürfen aber nicht hindern, festzustellen, daß die ganze Ausstellung gut gehängt ist, einen vortrefflichen Eindruck macht, in jeder Hinsicht als Sehenswürdigkeit gelten kann und daß der gründlich illustrierte Katalog der Galerieverwaltung das ehrenvollste Zeugnis ausstellt.

In: Neue Freie Presse, 17.6.1921, Abendblatt, S. 5.

Rudolf Lothar: Der Dadaismus

Kubismus? Längst überwundener Standpunkt. Futurismus? Kunst von vorgestern, beinahe schon Philistergeschmack. Wir stehen schon viel weiter. Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag. Es sind die Ufer einer neuentdeckten Märcheninsel, und die Sonne, die sie bescheint, ist nicht etwa die gute, alte, brave, goldgelbe Sonne, sondern ist grün oder blau oder violett. Die Märchen aber, die auf der Insel erzählt werden, sind vorläufig noch allen Profanen unverständlich. Nur die Entdecker, die Eingeweihten, die Priester und Eroberer zugleich sind, deuten die Wunderrätsel.

Es ist zweifellos, daß der Dadaismus, der in Zürich seine Hochburg hat, vom Futurismus ausgegangen ist. Die ersten Gemälde, die man mit den Dadaistenausstellungen sah, bemühten sich, der Geometerie pittoreske Eindrücke nach futuristischem Rezept zu entlocken. Aber bald stürmten die Dadaisten über die bunte Fauna der aufs malerische angewendeten Geometerie hinaus und hißten das eigene Banner des Nochnichtdagewesenen. Vom Nochnichtdagewesenen kann man im Grunde genommen beim Dadaismus noch nicht sprechen. Denn die Wurzeln des Dadaismus – das muß man ihm einräumen – stecken in jedem Menschenleben.

Man kann es ohne Übertreibung sagen, daß jeder Mensch einmal ein Kind gewesen ist und als solches einmal „Dada“ gesagt hat. Nur blieb es der Zürcher Gemeinde vorbehalten, in diesem „Dada“ das Symbol heiligster Kunstäußerung zu erblicken. Der Dadaismus stellt sich uns also vor als die wahre Rückkehr zur äußersten Ursprünglichkeit, zur idealsten Primitivität. Lasset uns sein wie die Kinder! Im kindlichen Spiel erblicken die Dadaisten ehrfurchterschauernd die heiligsten Offenbarungen der Kunst. Und darum sind die Gemälde, Holzschnitte und Zeichnungen, die man in den dadaistischen Zeitschriften und auf den dadaistischen Ausstellungen sieht, nur den Malereien und Zeichnungen eines Kindes vergleichbar, das zum ersten Mal Tinte, Bleistift oder Farbe in die Hand bekommt. Ich habe lange darüber nachgedacht, welcher kindlichen Kunstäußerung die zehn Holzschnitte gleichen, mit denen H. Arp die „25 Gedichte von Tristan Tzara“ illustriert hat. Nun weiß ich es. Es ist die Technik der Klecksographien mit denen ein Justinus Kerner sich einst vergnügte. Man macht Tintenkleckse auf Fließpapier und legt dann das Blatt zusammen. Auf diese Weise kann man ein Raffael der Dadaisten werden. Die Dadaisten haben übrigens eine sehr entwickelte Kunsttheorie. Sie wollen die Überlieferungen der Negerkunst, der alten Ägypter und Byzantiner fortsetzen und vor allem die atavistische Empfindlichkeit ausrotten, die uns aus den hassenswerten Tagen der Renaissance im Blute stecken geblieben ist.

In erster Linie führen sie in ihrem Schrifttum einen erbitterten, ja geradezu berserkerhaften Kampf gegen Syntax und Interpunktion. Sie haben das prachtvolle Schlagwort vom „Antisyntarismus der freigelassenen Worte“. Und damit kommen wir dem Wesen ihrer Dichtungen nahe. Fort mit dem Unsinn der sinnvollen Sätze, fort mit der Schnürbrust des Satzbaues, fort mit den Eselsbrücken der Interpunktion! Worte, Worte, Worte in Freiheit! …  Ich könnte hier ins Unendliche fortschreiben, ohne meinen verehrten Lesern auch nur den leisesten Begriff dadaistischer Kunst beibringen zu können. Darum lasse ich die Dichter der dadaistischen Schule selber sprechen: Im September 1916 erschienen die „phantastischen Gebete“ von Richard Hülsenbeck. Das schmächtige Bändchen beginnt mit folgender Hymne:

Ebene

Schweinsblase Kesselpauke Zinnober cru cru cru

Theosophia pneumatica

Die große Geistkunst = poème bruitiste aufgeführt

zum ersten Mal durch Richard Huelsenbeck DaDa

oder oder birribum birribum saust der Ochs im Kreis herum oder

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Vorstehund damo birridamo holla di funga qualla di mango

damai da dai umbala damo

brrs pffi commencer Abrr Kpppi commence Anfang Anfang

sei hei fe da heim gefragt

Arbeit Arbeit

brä brä brä brä brä brä brä brä brä

sokobauno sokobauno sokobauno

Schikaneder Schikaneder

Schikaneder

Man darf aber ja nicht glauben, daß dieses Gedicht einen Höhepunkt der neuen Poetik bilde. Da kenne ich ganz andre Höhepunkte! Ich möchte am liebsten das ganze Büchlein zur Erbauung des Lesers abschreiben! Eine ganze Flut von neuen Bildern stürmt auf uns ein. Wortbildungen schießen vulkanisch aus den Hirnen der Dadaisten. Und man muß gestehen, in ihrem Bilderreichtum übertreffen sie alles, was Menschenkunst je geschaffen hat. Paraffinflüsse fallen aus den Hörnern des Mondes, der See Drizunde liest die Zeitung und verspeist dabei ein Beefsteak, über den Spiegel deines Leibes saust der Jahrhunderte Geschrei, zwischen den Intervallen deines Atems fahren die bewimpelten Schiffe, Luftschlangen und Flittergold sind in den Runzeln deiner Stirne, Larven von Wolkenhaut haben die Türme vor die blendenden Augen gebunden, Zylinderhüte riesige o aus Zinn und Messing machen ein himmlisches Konzert, usw. . . . Und wie überraschend in ihrer Plastik sind die Verse:

                vom Himmel fä-ällt das Bockskatapult, das

Bockskatapult

wir blasen das Mehl von der Zunge und schrei’n

und es wandert der Kopf auf dem Giebel

Aber in diesen „Gebeten“ ist immerhin noch eine Spur von Wortverbindungen. Es ist, als ob der Fluch des Satzbaues von der neuen Kunst wie eine Eierschale abgestreift werden müsste. Das ist restlos gelungen in dem unvergleichlichen Chorus Sanctus.

            a a o                      a e i                        i i i                          o i i
                u u o                      u u e                      u i e                       a a i       

ha dzk                   drrr bn                 obn br                  buß bum

ha haha                hihihi                    lilili                        leiomen

Dieser Chorus ist offenbar vierstimmig gedacht. Als Schlachtgesang der Dadaisten gilt aber, wie ich mir sagen ließ, der Cantus: Die Primitiven. Er lautet:

Indigo indigo

Trambahn Schlafsack

Wanz und Floh

Indigo indigai

Umbaliska
Bumm DADAI

Der richtige Dadaist dichtet in allen Kultursprachen. Mit Hülsenbeck um die Palme ringt ein junger französischer Poet Pierre Albert = Birot, der in Nr. 2 der Dadaistenzeitschrift einige Verse „Pour Dada“ veröffentlicht hat. Sie lauten:

AN         AN         AN          AN         AN         AN         AN         AN

AN         AN         AN

IIII          I              I

POUH-POUH POUH-POUH                          RRRA

si                            si                             si            

drrrrr                                                                   oum                      oum

AN         AN         AN          AN

Aaa                        aaaa                      aaa                        tzinn

UI                           I I I I

HA          HA          HA          HA          HA          HA          HA

rrrrrr      rrrrrrrrrrrrrrrrrrrr

Auf den Vortragsabenden der Dadaisten soll dieses Gedicht von Birot ganz besondere Wirkung geübt haben. Denn natürlich sind alle diese Verse, die ich eben zitierte, nicht nur für das Lesen im stillen Kämmerlein, vor dem Kamin und im blühenden Garten bestimmt, sondern, sie werden auch bei den Zusammenkünften der Dadaisten von Rhapsoden kunstvoll vorgetragen. Ich bin nur ein Laie im Dadaismus, und trotz aller Bemühungen ist es mir noch nicht gelungen, alle Feinheiten dieser Buchstabenlyrik und Begriffsphantastik zu enträtseln. Aber auch auf meine Philisterseele wirken die Verse Hülsenbecks, die unter dem Titel „Schalaben Schalabei Schalamezomai“ erschienen sind. Ist Tristan Tzara der Goethe der neuen Richtung, so ist Hülsenbeck das Haupt ihrer Romantik. Auch aus diesem Büchlein muß ich ein paar Verse anführen. Sie gehen mir nicht aus dem Kopfe, seitdem ich sie gehört habe. Und ich setzte sie hieher, auf die Gefahr hin, daß sie auch meine Leser nicht loslassen und sie bis in ihre Träume verfolgen werden:

der Phosphor leuchtet im Kopf der Besessenen

schalamezomai

und die Säue stürzen in den See der Lamana

heißt

schlage an deine Brust die aus Gumme ist laß

flattern

deine Zunge über die Horizonte hin
wedele mit deinen Ohren so die Eisgrotte zerbricht
ich sehe die Leiber der Toten über die Teppiche zerstreut

die Toten fallen von den Kirchtürmen und das

Volk

schreiet zur Stunde des Gerichts
ich sehe die Toten reiten auf den Baßtrompeten

am Tage des Monds

rot rot sind die Köpfe der Pferde die in der

Ebene schwimmen.

Mein lieber alter verstorbener Freund, der Dichter Heinrich Bulthaupt in Bremen, hatte einen Talisman gegen jeden Aerger. Es waren vier Verszeilen, die er dann vor sich hinsagte: „Con el ay, con el marabay, con el u, con el marabu.“ Ich habe das Rezept selbst oft angewendet und es hat seine Wirkung nicht verfehlt. Nun aber bin ich im Zweifel, ob nicht die Zauberformel Hülsenbecks noch bessere Dienste leistet:

Schalaben schalabai schalamezomai.

Man sage sich diese Formel, wenn man sich ärgert, ein paar tausendmal laut vor, und die aufgeregten Wogen des Gemütes werden sich glätten.

Die Dadaisten haben in Zürich ihre Zeitungen und Zeitschriften, sie veröffentlichen Bücher und halten Vorträge, sie veranstalten Bilderausstellungen. Es scheint, daß die Gemeinde sehr groß ist, denn manche dieser Bücher sind vollkommen vergriffen. So zum Beispiel das erste Heft der Monatsschrift „Dada oder La première aventure céleste de Mr. Antypirine“ von Tr. Tzara. Die Dadaisten dichten in mehreren Sprachen. Französisch, italienisch und deutsch. In Frankreich und Italien erscheinen auch Bruderorgane, Revuen, Wochen- und Monatsschriften. Sie alle kämpfen für die von Syntax und Kultur befleckte Reinheit der Buchstaben und Worte. Es wäre jammerschade, wenn man nicht auch in Wien von dieser Bewegung Kunde hätte. Die Zeiten sind düster und schwer, und ich weiß kein besseres Mittel, sich über das Chaos des Tages zu erheben, als eine Lektüre dadaistischer Kundgebungen.

In: Neues Wiener Tagblatt, 3.10.1918, S. 2-3.