Hermann Menkes: Romako, Kokoschka, Masereel
Drei Ausstellungen
Ein
Malergenie und ein ganz besonderer tragischer Fall, das ist Anton Romako. Ein
„verrückter Maler mit verrückten Bildern“, mit diesem Stigma verbrachte er in
Wien die letzten unglücklichen Jahre seines Lebens. Und weit über seinen 1889
erfolgten Tod hinaus dauerte sein Bekanntsein, dieses uns jetzt unbegreifliche
Unverständnis seiner offenkundigen Genialität gegenüber. Romako brauchte
ungefähr ein Vierteljahrhundert nach seinem Dasein, um in der österreichischen
Kunstgeschichte den Platz zu erreichen, der ihm schon während seiner ersten
Schaffensperiode zugebilligt werden mußte. Jetzt bricht sich die Ueberzeugung
durch, daß wir in ihm unser stärkstes malerisches Temperament besaßen, einen
Koloristen von unerhörter visionärer Kraft, die ihn oft in die Nähe eines
Tintoretto, aber auch der großen französischen Impressionisten brachte. Die
Tragik seines Künstlertums lag in erster Reihe darin, daß er der Zeitgenosse
von Makart war, dessen blendende Malerei die seine eine Zeitlang zu verdunkeln
vermochte. So wurde Romako von den Kunstvereinigungen zurückgewiesen, vom
akademischen Geist der tonangebenden Kritik abgelehnt, vom Publikum verhöhnt.
Ein tragischer, aber auch ein beschämender Fall, der sich in Wien leider zu oft
wiederholte. Romako war ein bahnbrechender Revolutionär, ein rastloser Sucher
nach malerischen Ausdrucksmitteln und vor allem ein unsteter Geist, und das
alles mußte er in schwerster Weise büßen. Ganz verzweifelt in grauenhafter
Armut machte er seinem Leben durch Selbstmord ein Ende.
Dr.
Oskar Reichel erzählt vom Auf und Ab dieses Lebens im Katalog zu der nahezu
sechzig Werke umfassenden Ausstellung im Kunsthause Würthle. Vom glanzvollen
Aufstieg Romakos während seines vieljährigen italienischen Aufenthaltes und den
Pariser Auszeichnungen wird berichtet. Nach dieser glückvollen Episode und
einem blühenden Schaffen kamen die Wiener Unglücksjahre. Sie begannen mit einer
verfehlten Ehe und einem vergeblichen Ringen um die bescheidenste Anerkennung.
Kein Mensch wollte seine Bilder kaufen, die er um fünf Gulden das Stück in
einer von ihm selbst veranstalteten Auktion anbot. Seine Armut wurde so groß,
daß er in einem Frack, dem einzigen Kleidungsstück, das er noch besaß, herumlaufen
mußte. Und man versagte sich diesem früheren Porträtisten von Königen und
Kirchenfürsten. Er war dem traditionellen Geschmack eben nur ein verrückter,
neuerungssüchtiger Maler. Jetzt besitzt unsere moderne Belvederegalerie eine
große Anzahl seiner Meisterwerke und vieles, vieles ist in Wiener
Privateigentum übergegangen. Wenn Romako irrsinnig war, woran kein Mensch mehr
glaubt, so war er ein verrücktes Genie. Und das wollte noch vor zwanzig Jahren
in Wien kein Mensch zugeben.
Dieses
Schaffen war für die verhältnismäßig kurze Lebensdauer Romakos ungewöhnlich
reich. Sein Werk umfaßt ungefähr 1500 bis 2000 Bilder. Darunter selbstverständlich
manches Minderwertige als Anpassung an den damaligen Publikumsgeschmack. Er,
der den Impressionismus genial vorausahnte, blieb von einer vergänglichen
Zeitmode nicht ganz unberührt. Aber nicht unbeeinflußt auch von
Marées-Stimmungen, von Feuerbach und den Franzosen. Er war kein
„bodenständiger“ Künstler, sondern als solcher ein Weltbürger. Und trotz
mancher Verwandtschaft und Beziehung gab er im Besten seines Schaffens eine
eigene Anschauung, eine ganz eigene, ganz starke Note. Er sah und erlebte in
Farben von seltener Magie, verfügte über eine eben so starke Gestaltungskraft.
Er war Romantiker wie lebensstrotzender Realist, konnte sich in die
künstlerischen Geheimnisse der klassischen Meister Italiens wie in die Welt
Rembrandts hineinfühlen, ahnte aber auch schon die späteren Entdeckungen eines
Manet, Rivoir und Courbet in vielen Darstellungen voraus.
Man
ist von der Sinnlichkeit seiner Farbe, seinen flimmernden Visionen und von all
den Finessen und Schönheiten fasziniert, wenn man die Ausstellungsräume
betritt. Er malt zu weilen ein menschliches Gesicht mit einer solchen Fülle von
Vitalität, mit so blühendem Inkarnat, als ob er ein Nachkomme von Tizian wäre,
mit einer solchen Einfühlungsfähigkeit wie ein nächster Verwandter Leibls. Man
sehe sich daraufhin seine Schwabach-Bildnisse, das Porträt der Kaiserin
Elisabeth, der Frau Stern, von Sophie und Luise Romako und eines Sängers an.
Das klassische Italien ist in bezaubernden Farbenstimmungen und Linien in
seinen Bildern wie in den eines Marées. Ruhevoll hier, ist er anderwärts von
vibrierender Nervosität, immer ein Bekenner seines Phantasie- und Innenlebens,
immer bezwingend, ob er in der Wirklichkeit sich bewegt oder über diese
hinausgeht.
Oskar
Kokoschka, von dem Werke aus verschiedenen Abschnitten seines Schaffens im
Künstlerhaus, in der Sezession wie in einer ganz ihm gewidmeten Ausstellung in
der Neuen Galerie zu sehen waren, hat sich eines bedauerlichen Vorfalls wegen
in einem veröffentlichten Brief in etwas brüsker Weise von Wien und seinem
Publikum losgesagt. Wohl ist es zu seinen Anfängen auch ihm gar arg in Wien
ergangen. Aber er gehört längst nicht mehr zu den verkannten Oesterreichern,
mag auch eine Beurteilung, die virtuoses Handgelenk oder gar nur zeichnerische
Korrektheit mit Kunst verwechselt, auch jetzt noch ablehnend sich ihm gegenüber
verhalten. Dieser eigenwillig neurasthenische Künstler hat das Verständnis auch
dem Willigen schwer gemacht, wie seine eigene Entwicklung es gewesen. Kokoschka
hat in schwerem Ringen durch Stile und künstlerische Zeiteinflüsse sich erst
durchschlagen müssen, ehe er zu seiner harmonischen Synthese und zu einer rein
persönlichen Kunst gelangte. Lange haben die verschiedensten Elemente vom
Kubistischen bis zum Expressionismus seinem Schaffen den Charakter des
Experiments verliehen. Ein pathologischer Einschlag, die Neigung zum
charakteristisch Häßlichen, machte dem ästhetisch Befangenen seine Kunst nur
schwer zugänglich. Kokoschka setzt jetzt noch alles Gestaltete ins Morbide um.
Seine Reize fließen aus der Linie oder der Farbe. Mit dem koloristischen Medium
hat er am längsten gerungen, ehe er zu seiner jetzigen Noblesse und Ausdrucksfähigkeit
gelangte. Ein Beweis hiefür ist sein einst vielumstrittenes „Stilleben mit dem
Hammel“, das noch in einem koloristischen und gegenständlichen embarras de
richesse schwelgt und in dieser Nuancenüberfülle verwirrt. Aber wir wissen
heute, daß er in seinen Bildnissen ein tiefgründiger Seelendeuter ist, auch
wenn er aus eigener Verfassung vieles in seine Darstellung hineinfließen läßt;
daß seine Malerei eine ungemein vergeistigte, seine Farbenvision von magischem
Reiz ist. Oft erreicht seine Koloristik die große Noblesse eines Velasquez.
Ueberaus geistvoll ist seine lineare Eleganz, so besonders in seinem mit vielen
ornamentalen Wirkungen verbundenen „Irrenden Ritter“. Da, wie in einigen seiner
eindrucksvollen wie reizenden Frauen- und Kinderbildnisse ist bereits der
gefestigte, synthetische Stil eines ganz individuellen Meisters. Ein Glanz, den
allerdings nur ein ebenso verfeinertes Auge wahrnimmt.
Frans
Masereel, der niederländische Künstler, der mit einigen Bildern, vielen
Zeichnungen und Holzschnitten im graphischen Kabinett der „Bukum“ jetzt
repräsentiert wird, ist, wenn auch am hervorragendsten im Holzschnitt und im
Zeichnerischen von einer Größe und Vielfältigkeit des Ausdrucks und einer fast
religiösen Inbrunst, daß wir in ihm einen der großen europäischen Meister
unserer Tage zu sehen gezwungen sind. Die Stärke und Innigkeit seines Gefühls
ist wie aus der Welt Memlings, seines großen Vorgängers. Dieser jetzt sich in
das tiefe Mitleid mit allen Beladenen und Mühseligen um und selbst das Laster
wird unter seiner Hand zu reiner, leidender Menschlichkeit umgewandelt.
Masereel gibt in seinen Holzschnitten und Zeichnungen die tragische Epopöe
unserer an Elend so reichen Zeit. So überwältigend ausdrucksvoll ist seine bis
ins Minuziöseste gehende Handschrift, daß er in einer textlosen Bilderfolge
Lebensdramen und Romane zu geben vermag, wie in seiner soeben im Verlag Kurt
Wolff, München, erschienenen „Passion eines Menschen“ (25 Holzschnitte), ein
Werk, das man mit ebenso tiefer Ergriffenheit wie mit hohem künstlerischen
Genuß durchblättert. Aber Masereel ist nicht nur der große Verkünder tiefen
Menschenleids, er verfügt als Zeichner auch über die genial markante Linie
eines Toulouse Lautrec. Es scheint, daß er bei einer erstaunlichen Produktion
eine unerschöpfliche Phantasie besitzt, und seine Kunst ist gleich stark in der
Darstellung des Intimen wie Monumentalen, in der Sphäre des Elends wie in einer
mondänen Welt. Und sie ist in sparsamer Andeutung so großzügig und von
technischer Brillanz, wie in seiner wundersam feinen und stilvollen Akribie. In
seinen wenigen Bildern ist seine Farbe weniger Ausdrucksmittel als Ergänzung:
ein noch äußerliches Element.
In: Neues Wiener Journal, 28.10.1924, S. 4-5.