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Claire Patek: So sieht die schöne Frau von heute aus

Fotos: Kitty Hoffmann

             Seitdem man von den Rubens-Idealen abgekommen ist, hat sich der Geschmack in bezug auf die Frauenschönheit einige Male geändert. Allerdings ist der Übergang nicht kraß vor sich gegangen, sondern milde; man konnte doch nicht alle üppigen Frauenschönheiten plötzlich aus der Welt schaffen. Von Rubens bis zu Makart wurde der Schönheit, nach unseren Begriffen, Arges zugemutet. Es war eine Zeit, die viel Unnatur mit sich brachte. Das einzige, was unserem Geschmack näher kommt, ist die Abkehr von der Vollbusigkeit. Allerdings wußte man damals nicht, wie den Massen beizukommen wäre, und einigte sich auf die hohen Panzer, die die Unformen der damaligen Modezeit ausmachten. Man gefiel sich darin, ein unnatürliches Taillenmaß zu erreichen. Heute kann man nicht begreifen, daß Frauen, die sich solchem Zwang fügten, nur um dem damaligen Schönheitsideal, überhaupt lebensfähig waren. Wie arm waren die inneren Organe behandelt, im ewigen Druck konnten sie sich gar nicht entwickeln. Nach oben und nach unten war der Üppigkeit keine Grenze gezogen, nur die Taille mußte daran glauben, daß es nun ernst wird mit der Änderung der Figur!

             Es gab damals noch keine Hungerkuren, sondern nur Panzer, in die man sich einengte;  heute noch existiert in Wien eine Dame, die man hie und da mit einem großen Hund an der Leine über den Ring oder durch die Stadt wandeln sieht, an der die Zeit wohl nicht spurlos vorübergegangen ist, die aber in der Mode stehen geblieben ist und heute noch das Schönheitsideal der Achtzigerjahre vertritt. Alt und Jung dreht sich nach der „Wespentaille“ um (wie sie im Volksmund heißt), // wenn sie mit einem großen Hut, der auf einem großen Schopf balanciert, durch die Straßen geht: Jung spottet über die Taille, die so eng ist, daß man 49cm Höchstausmaß vermutet, Alt lächelt wehmütig, da man sich an bessere Zeiten erinnert, wo man an derartigen Gestalten hunderte Male vorüberging.

             Und dann kam eine Zeit, in der man es endlich einsah, daß der Fuß der Frau, wenn er hübsch ist – und er ist es bei den Meisten – zu sehen sein sollte: der Rock wurde also kürzer. Dann kam eine Zeit, die mit dem Fischbein-Panzer abzuschließen begann, die Vollbusigkeit verlor sich in eine alles gleichmachende Linie, die Taille sank fast bis zum Knie, und der hohe Kragen gehörte der Vergangenheit an, die noch nicht lange zurücklag, die man aber aus dem Gedanken verbannte. Es gab damals in allen Zeitungen viele Rundfragen – „Für und gegen den hohen Kragen“ –, es stritten die Ästheten wegen der Länge des Rockes, es gab Kämpfe wegen der nun beginnenden Miederlosigkeit, die gerade Front verschwand und die Modeideale: Turnen, Schwimmen, Touristik, Auto, Tennis und, vor allem Tanzen trainierten die Körper. Natürlich wollten viele Frauen mit den Hungerkuren alles erreichen, was ihnen an Schlankheit vorschwebte, aber diese Frauen erreichten neben der Schlankheit auch noch recht viele Falten im Gesicht, und das gehörte gerade nicht zum neuen Schönheitsideal. Als erst wieder die jüngste Jugend herangewachsen, und zwar im Sporttraining groß geworden war, begann der neue Frauentypus großes // Gefallen zu erregen, – das neue Schönheitsideal war mit einem Male gefunden.  Die edle schlanke Rückenlinie, die feste kleine Form des Busens, die Gelenkigkeit aller Glieder, der schlanke Hals und die Schönheit der Beine; bei aller Schlankheit keine Hagerkeit oder unschöne Magerheit – das ist die moderne Frau, die sich im Wandel der Zeiten zur begehrenswerten Schönheit herausgebildet hat.

             Wenn die Rubens-Frauen sehen könnten, wie sehr sich der Geschmack verkehrt hat, sie würden sehr traurig sein über all ihre Fettpolster und es nicht begreifen, wie die moderne herbe Grazie über ihre Lässigkeit, die damals Schönheit nannte, siegen konnte… Auch die Wespentaillen würden kein Verständnis für die heutigen Ideale haben, denn auch sie glaubten ja mit ihrer Geziertheit und Unnatürlichkeit der Inbegriff weiblicher Anmut zu sein. Heute gilt noch immer Grazie und Schick, aber er muß ein wenig preziöser, ein wenig eigenartiger, herber sein als früher – das ist dann die Frau, deren Schönheit bewundert wird und die den Typus von heute repräsentiert.

             Unsere Bilder zeigen die modernen Frauen, die heute als vollendet schön gelten: den Typus, der sich von Rubens über Makart bis zum heutigen Tag ausgebildet hat.

In: Die Bühne, H. 137/1927, S. 22-23 und S. 47.

Hermann Menkes: Romako, Kokoschka, Masereel

Drei Ausstellungen

            Ein Malergenie und ein ganz besonderer tragischer Fall, das ist Anton Romako. Ein „verrückter Maler mit verrückten Bildern“, mit diesem Stigma verbrachte er in Wien die letzten unglücklichen Jahre seines Lebens. Und weit über seinen 1889 erfolgten Tod hinaus dauerte sein Bekanntsein, dieses uns jetzt unbegreifliche Unverständnis seiner offenkundigen Genialität gegenüber. Romako brauchte ungefähr ein Vierteljahrhundert nach seinem Dasein, um in der österreichischen Kunstgeschichte den Platz zu erreichen, der ihm schon während seiner ersten Schaffensperiode zugebilligt werden mußte. Jetzt bricht sich die Ueberzeugung durch, daß wir in ihm unser stärkstes malerisches Temperament besaßen, einen Koloristen von unerhörter visionärer Kraft, die ihn oft in die Nähe eines Tintoretto, aber auch der großen französischen Impressionisten brachte. Die Tragik seines Künstlertums lag in erster Reihe darin, daß er der Zeitgenosse von Makart war, dessen blendende Malerei die seine eine Zeitlang zu verdunkeln vermochte. So wurde Romako von den Kunstvereinigungen zurückgewiesen, vom akademischen Geist der tonangebenden Kritik abgelehnt, vom Publikum verhöhnt. Ein tragischer, aber auch ein beschämender Fall, der sich in Wien leider zu oft wiederholte. Romako war ein bahnbrechender Revolutionär, ein rastloser Sucher nach malerischen Ausdrucksmitteln und vor allem ein unsteter Geist, und das alles mußte er in schwerster Weise büßen. Ganz verzweifelt in grauenhafter Armut machte er seinem Leben durch Selbstmord ein Ende.

            Dr. Oskar Reichel erzählt vom Auf und Ab dieses Lebens im Katalog zu der nahezu sechzig Werke umfassenden Ausstellung im Kunsthause Würthle. Vom glanzvollen Aufstieg Romakos während seines vieljährigen italienischen Aufenthaltes und den Pariser Auszeichnungen wird berichtet. Nach dieser glückvollen Episode und einem blühenden Schaffen kamen die Wiener Unglücksjahre. Sie begannen mit einer verfehlten Ehe und einem vergeblichen Ringen um die bescheidenste Anerkennung. Kein Mensch wollte seine Bilder kaufen, die er um fünf Gulden das Stück in einer von ihm selbst veranstalteten Auktion anbot. Seine Armut wurde so groß, daß er in einem Frack, dem einzigen Kleidungsstück, das er noch besaß, herumlaufen mußte. Und man versagte sich diesem früheren Porträtisten von Königen und Kirchenfürsten. Er war dem traditionellen Geschmack eben nur ein verrückter, neuerungssüchtiger Maler. Jetzt besitzt unsere moderne Belvederegalerie eine große Anzahl seiner Meisterwerke und vieles, vieles ist in Wiener Privateigentum übergegangen. Wenn Romako irrsinnig war, woran kein Mensch mehr glaubt, so war er ein verrücktes Genie. Und das wollte noch vor zwanzig Jahren in Wien kein Mensch zugeben.

            Dieses Schaffen war für die verhältnismäßig kurze Lebensdauer Romakos ungewöhnlich reich. Sein Werk umfaßt ungefähr 1500 bis 2000 Bilder. Darunter selbstverständlich manches Minderwertige als Anpassung an den damaligen Publikumsgeschmack. Er, der den Impressionismus genial vorausahnte, blieb von einer vergänglichen Zeitmode nicht ganz unberührt. Aber nicht unbeeinflußt auch von Marées-Stimmungen, von Feuerbach und den Franzosen. Er war kein „bodenständiger“ Künstler, sondern als solcher ein Weltbürger. Und trotz mancher Verwandtschaft und Beziehung gab er im Besten seines Schaffens eine eigene Anschauung, eine ganz eigene, ganz starke Note. Er sah und erlebte in Farben von seltener Magie, verfügte über eine eben so starke Gestaltungskraft. Er war Romantiker wie lebensstrotzender Realist, konnte sich in die künstlerischen Geheimnisse der klassischen Meister Italiens wie in die Welt Rembrandts hineinfühlen, ahnte aber auch schon die späteren Entdeckungen eines Manet, Rivoir und Courbet in vielen Darstellungen voraus.

            Man ist von der Sinnlichkeit seiner Farbe, seinen flimmernden Visionen und von all den Finessen und Schönheiten fasziniert, wenn man die Ausstellungsräume betritt. Er malt zu weilen ein menschliches Gesicht mit einer solchen Fülle von Vitalität, mit so blühendem Inkarnat, als ob er ein Nachkomme von Tizian wäre, mit einer solchen Einfühlungsfähigkeit wie ein nächster Verwandter Leibls. Man sehe sich daraufhin seine Schwabach-Bildnisse, das Porträt der Kaiserin Elisabeth, der Frau Stern, von Sophie und Luise Romako und eines Sängers an. Das klassische Italien ist in bezaubernden Farbenstimmungen und Linien in seinen Bildern wie in den eines Marées. Ruhevoll hier, ist er anderwärts von vibrierender Nervosität, immer ein Bekenner seines Phantasie- und Innenlebens, immer bezwingend, ob er in der Wirklichkeit sich bewegt oder über diese hinausgeht.

            Oskar Kokoschka, von dem Werke aus verschiedenen Abschnitten seines Schaffens im Künstlerhaus, in der Sezession wie in einer ganz ihm gewidmeten Ausstellung in der Neuen Galerie zu sehen waren, hat sich eines bedauerlichen Vorfalls wegen in einem veröffentlichten Brief in etwas brüsker Weise von Wien und seinem Publikum losgesagt. Wohl ist es zu seinen Anfängen auch ihm gar arg in Wien ergangen. Aber er gehört längst nicht mehr zu den verkannten Oesterreichern, mag auch eine Beurteilung, die virtuoses Handgelenk oder gar nur zeichnerische Korrektheit mit Kunst verwechselt, auch jetzt noch ablehnend sich ihm gegenüber verhalten. Dieser eigenwillig neurasthenische Künstler hat das Verständnis auch dem Willigen schwer gemacht, wie seine eigene Entwicklung es gewesen. Kokoschka hat in schwerem Ringen durch Stile und künstlerische Zeiteinflüsse sich erst durchschlagen müssen, ehe er zu seiner harmonischen Synthese und zu einer rein persönlichen Kunst gelangte. Lange haben die verschiedensten Elemente vom Kubistischen bis zum Expressionismus seinem Schaffen den Charakter des Experiments verliehen. Ein pathologischer Einschlag, die Neigung zum charakteristisch Häßlichen, machte dem ästhetisch Befangenen seine Kunst nur schwer zugänglich. Kokoschka setzt jetzt noch alles Gestaltete ins Morbide um. Seine Reize fließen aus der Linie oder der Farbe. Mit dem koloristischen Medium hat er am längsten gerungen, ehe er zu seiner jetzigen Noblesse und Ausdrucksfähigkeit gelangte. Ein Beweis hiefür ist sein einst vielumstrittenes „Stilleben mit dem Hammel“, das noch in einem koloristischen und gegenständlichen embarras de richesse schwelgt und in dieser Nuancenüberfülle verwirrt. Aber wir wissen heute, daß er in seinen Bildnissen ein tiefgründiger Seelendeuter ist, auch wenn er aus eigener Verfassung vieles in seine Darstellung hineinfließen läßt; daß seine Malerei eine ungemein vergeistigte, seine Farbenvision von magischem Reiz ist. Oft erreicht seine Koloristik die große Noblesse eines Velasquez. Ueberaus geistvoll ist seine lineare Eleganz, so besonders in seinem mit vielen ornamentalen Wirkungen verbundenen „Irrenden Ritter“. Da, wie in einigen seiner eindrucksvollen wie reizenden Frauen- und Kinderbildnisse ist bereits der gefestigte, synthetische Stil eines ganz individuellen Meisters. Ein Glanz, den allerdings nur ein ebenso verfeinertes Auge wahrnimmt.

            Frans Masereel, der niederländische Künstler, der mit einigen Bildern, vielen Zeichnungen und Holzschnitten im graphischen Kabinett der „Bukum“ jetzt repräsentiert wird, ist, wenn auch am hervorragendsten im Holzschnitt und im Zeichnerischen von einer Größe und Vielfältigkeit des Ausdrucks und einer fast religiösen Inbrunst, daß wir in ihm einen der großen europäischen Meister unserer Tage zu sehen gezwungen sind. Die Stärke und Innigkeit seines Gefühls ist wie aus der Welt Memlings, seines großen Vorgängers. Dieser jetzt sich in das tiefe Mitleid mit allen Beladenen und Mühseligen um und selbst das Laster wird unter seiner Hand zu reiner, leidender Menschlichkeit umgewandelt. Masereel gibt in seinen Holzschnitten und Zeichnungen die tragische Epopöe unserer an Elend so reichen Zeit. So überwältigend ausdrucksvoll ist seine bis ins Minuziöseste gehende Handschrift, daß er in einer textlosen Bilderfolge Lebensdramen und Romane zu geben vermag, wie in seiner soeben im Verlag Kurt Wolff, München, erschienenen „Passion eines Menschen“ (25 Holzschnitte), ein Werk, das man mit ebenso tiefer Ergriffenheit wie mit hohem künstlerischen Genuß durchblättert. Aber Masereel ist nicht nur der große Verkünder tiefen Menschenleids, er verfügt als Zeichner auch über die genial markante Linie eines Toulouse Lautrec. Es scheint, daß er bei einer erstaunlichen Produktion eine unerschöpfliche Phantasie besitzt, und seine Kunst ist gleich stark in der Darstellung des Intimen wie Monumentalen, in der Sphäre des Elends wie in einer mondänen Welt. Und sie ist in sparsamer Andeutung so großzügig und von technischer Brillanz, wie in seiner wundersam feinen und stilvollen Akribie. In seinen wenigen Bildern ist seine Farbe weniger Ausdrucksmittel als Ergänzung: ein noch äußerliches Element.

In: Neues Wiener Journal, 28.10.1924, S. 4-5.