Alfred Polgar: Burgtheater. Die Schönbrunner Dependance – Blätter des Burgtheater (1919)

A[lfred] P[olgar]: Burgtheater. Die Schönbrunner Dependance – Blätter des Burgtheater.

             Das Schönbrunner Schloßtheater ist ein entzückendes Theater. Der Zuschauerraum, von lachend Rot und Gold überflossen, ein Gleichnis pretiöser Heiterkeit und spielerischer Grazie. Ein Raum in C-Dur, unzeitgemäß wie Erdennot-Ferne, durchatmet von Luxus, Sinnlichkeit, genießerischer Laune. Ein unvergleichliches Bühnchen für zartest-heitere Musik, für subtile Kleinliteratur, für lieblichen Spuk aus Ariels schwereloser Welt.

             Diesem koketten Mozart-Etui jedoch zuzumuten, das Überinventar des Burgtheaters zu bergen, aus diesem Schächtelchen ökonomische Rettung für den wankenden Prunkkasten auf dem Fanzensring gewinnen zu wollen, wäre eine Bieridee, eine Bierersatzidee lächerlichster Art. Durch einen Stacheldraht hoher Billettpreise unzugänglich gemacht, zu Stunden spielend, deren Anfang noch der Werktag schneidet, deren Schluß schon jenseits des Augenblicks, in dem alle gemeinen Möglichkeiten der Fütterung enden, weitab vom Stadtkern gelegen, heute, da Lohnfuhrwerk eine Theorie, und der armen, ihr Tagespensum abkeuchenden Straßenbahn, schief und krumm vor Alter und Überarbeit, jeden Augenblick für kürzer oder länger der Atem ausgeht: wie kann ein so bedingtes Luxustheater auf Gedeihen hoffen? Was soll überhaupt ein Luxustheater in dieser zerbrochenen Stadt und Zeit, an diesem Ort der Krätze, des Hungers, der sauer gewonnenen Witzigkeit, der Angst und der hoffnungslos zerrissenen Stiefel?

             Nach langem höfischen Schlaf ist das Schönbrunner Schloßtheater wieder zum Leben, zu „Tristans Tod“, erwacht. Mit einem ähnlich pappigen Schmatz ist noch nie ein Dornröschen geweckt worden. Wenn es klug ist, legt es sich auf die andere Seite und schläft weiter.

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             Es ist die Nummer eins einer neuen Zeitschrift erschienen, die „Blätter des Burgtheaters“ heißt, von Albert Paris Gütersloh gezeichnet. Drei konzentrische Kreise. Der innerste exprimiert, rot auf graublau: Logos, der mittlere: Vita, der Randkreis, also der größte: Ars. Der Kreis „Logos“ ist tiefer Gleichnisse gedrängt voll; der Kreis „Leben“ enthält leicht und gern einschlägige Symbole: Pflug, Grabfahrt, Sonne, Mond, ein sinnendes Mädchen; der Kreis „Kunst“ bietet, konzilianterweise, einen geflügelten, kranzreichenden Genius.

             Einen einleitenden Essay: „Grundsätze“ schrieb Hermann Bahr. Der abgegangene Oberhirt des Burgtheaters bespricht die unlösbare Mischung von Hohem und Gemeinem, als welche das Wesen des Theaters sei. Er redet hievon in jener gütigen Sorgenfalte und Lächeln, Weisheit und Schlichtheit vereinigenden, ein wenig pastoralen, ein wenig tändelnden Freundlichkeit, die seines Geistes Idiom die Charakterfarbe gibt. Von doktrinärer Schwere keine Spur: Wort so biegsam wie Ansicht. Sie würden, das ist das Bezaubernde, mit derselben klugen, seherisch-milden Eindringlichkeit das Gegenteil dieser „Grundsätze“ grundsätzlich bekennen, wären Standpunkt und Gelegenheit andere. Die Welt ist ein farbiger Ball, der sich um viele Achsen dreht, je nach Belichtung oder Verdunkelung jede Farbe des Spektrums als seine Fundamentalfarbe zeigend. Und das Leben, nebst dem, was darunter, nebst dem, was darüber, ist eine Angelegenheit der Dialektik. Sie ist der vierte, inner-innerste Kreis, der Kern des Logos.

             Hermann Bahr hofft, „daß wir nächstes Jahr, nach Verrichtung unserer metaphysischen Andacht durch Claudel und Kornfeld oder Goethes „Pandora“, auch wieder Stücke finden, die, den Tagessinn unbedenklich vergnügend, den Hunger unserer Raben stillen“ Beim Wort „Pandora“ entfährt ihm der Ruf (in Klammer), „welches Fest für Gütersloh müßte das sein!“

             Nächster Beitrag der „Blätter des Burgtheaters“ ist das Fragment einer freien Bearbeitung des Calderon-Spiels „Das Leben ein Traum“ von Hofmannsthal. Vierfüßige Trochäen, deren kurzer Trab eine harte, kühle Musik wie von gestimmten Hölzern macht.

             Es folgt eine schöner Hölderlin-Brief, „über die vaterländische Dichtung“.

             Sodann ein Essay von Erhard Buschbeck: „Versuche im Augenblick“… „Es gilt die Überwindung des Buches auf der Bühne, des literarischen Diktats durch das in der Gebärde sich befreiende Wort, die Erlösung dieses Einsamsten durch die Begeisterung: eine Illumination des Augenblicks.“

             Hierauf Jáakob, Meditation eines Zuhörers von Andreas Thom, der meisterlich die neue Schreibekunst übt, Ultrafarben der Empfindung und des Denkens ins Wort zu verhaften. Und etwas panegyrische Prosa von Walter Eidlitz über „Hedwig Bleibtreu, die Hüterin von Jáakobs Traum“

             Zur Architektur von „Dies irae“ hat Richard Smekal einiges zu bemerken. Ich möchte gern von ihm auch einiges über die Architektonik des Dichters selbst hören, der vor kurzem eine Adresse an Barbusse unterzeichnet hat und doch „Weihelieder den verbündeten Heeren“ sang, darunter ein furchtbar prophetisches „Vae victis!“ Das Gleichgewichtsprinzip, das solche zwei Kundgebungen an ein und dieselbe Dichterseele bindet, wäre schon essayistischer Durchleuchtung wert.

In: Der Neue Tag, 8.6. 1919, S. 11.