Janowitz, Hans

geb. am 2.12.1890 Podiebrad (Österreich-Ungarn/Tschechien) – gest. am 25.5.1954 in New York; Drehbuchautor, Schriftsteller, Exilant

J. wird in eine künstlerisch aufgeschlossene weltoffene Familie jüd. Konfession, die durch den Betrieb einer Ölmühle ökonomisch u. sozial gut abgesichert ist, hineingeboren. Er wächst in einem böhmisch-deutschen Umfeld auf, wird zweisprachig erzogen, ohne vorerst intensiveren Kontakt zur tschechischsprach. Landbevölkerung zu pflegen. 1890 kommt J. ans Stephansgymn. in Prag, wo er u.a. F. Werfel und W. Haas kennenlernt u. sich besonders für Literatur, Musik u. Philosophie interessiert, wie Lektüren von Ibsen über Th. Mann, Plato, Kant, Schopenhauer bis hin zu O. Weininger dokumentieren. Früh fühlt er sich auch K. Kraus zugezogen, entdeckt in Prag aber auch Petr Bezruč, eine Schlüsselfigur der tschech. Moderne mit ausgeprägt sozialpolitischer Ausrichtung, und den Kreis um M. Brod u. F. Kafka. 1909 arbeitet J. als Angestellter eines Getreidehauses in München, um sich auf die spätere Übernahme des Familienbetriebs vorzubereiten, 1910 absolviert er seinen einjährigen Militärdienst in Salzburg. Ab 1912 tritt J. als Verf. von Besprechungen im Prager Tagblatt sowie kurzen Erz. in der Zs. Herder-Blätter in Erscheinung; 1913 folgten in L. v. Fickers Zs. Der Brenner Das zierliche Mädchen (in demselben Heft veröff. G. Trakl sein Ged. Der Untergang) sowie in dem von M. Brod hg. Almanach Arkadia weitere kürzere Texte. Eigenen Aufz. zufolge verbringt J. 1912-13 z.T. in Leipzig, v.a. aber in Hamburg, wo er am Deutschen Schauspielhaus in kleinen Rollen mitspielt u. sich um Regie-Mitarbeit bemüht. 1914 eingezogen, wird er zwar bald Offizier (Obltn.), zugleich aber auch Pazifist u. Kriegsgegner, wie Briefe an K. Kraus belegen. Der Tod seines jüngeren Bruders u. Lyrikers Franz am 4.11.1917 im Zuge der Isonzo-Schlachten verstärkte diese Haltung. Nach Kriegsende übersiedelt J. nach Berlin, wo er einerseits auf Carl Mayer trifft, andererseits auf Trude Hesterberg, mit der er gem. von 1921-1924 das Kabarett ›Wilde Bühne‹ im ›Theater des Westens‹ führt. Mit Mayer verf. J. 1919 das Drehbuch zum express. Film Das Cabinet des Doktor Caligari, der am 20.2.1920 seine Premiere hatte u. zu einem Meilenstein der Filmgeschichte werden sollte. Noch im selben Jahr 1920 folgten die Filme Ewiger Strom u. Der Januskopf, eine Bearb. von R. L. Stevensons The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde in der Regie von F.W. Murnau. Unter den weiteren 6 Drehbüchern, die bis 1923 auch als Filme in die Kinos gelangten, ist Die Geliebte Roswolskys (1921) hervorzuheben, ein Film, der, mit Asta Nielsen u. Paul Wegener in den Hauptrollen, auf dem gleichnam. Roman von Georg Fröschel beruht u. mit H. Galeen (geb. Wiesenberg, aus dem galiz. Stryi) verf. wurde. Nach dem Tod seines Vaters kehrte J. 1923 nach Prag zurück, um die Ölmühle zu übernehmen u. weiterzuführen. Trotz dieses Rückzugs aus der Welt des Films u. des Cabarets veröffentl. J.  1924 auf der Grundlage der Wilde-Bühne-Texte, die von ihm, Leo Heller u. Kurt Tucholsky verf. worden waren, den Bd. Asphalt Balladen. 1924 hat die Wiener Renaissancebühne den Caligari-Film für eine Bühnenbearb. angenommen, die jedoch nicht zur Aufführung gelangte. 1927 folgte sein wohl bedeutendster Text, der avantgard. Roman Jazz, der im renomm. Berliner Verlag Die Schmiede erschien (Neuaufl. 1999). W. Haas feierte den Roman in der Literarischen Welt als „herrliches Buch. Ein Roman seiner Zeit, des 20. Jahrhunderts, im wahrsten und besten Sinn des Wortes,“ F. Rosenfeld würdigte ihn als interessantes „romantechnisches Experiment“.  1928 erschienen dann noch im Prager TBl. die Novelle Die Zölfjährige sowie der lyr. Erinnerungbd. an den Bruder Requiem der brüderlichen Bruderschaft; danach zog sich J. zunehmend aus dem literar. Leben zurück. Erst 1933 kam in der Zs. Der Angriff eine Kurzgeschichte zum Abdruck, die den Antisemitismus in NS-Deutschland anprangert und J. entsprechend exponiert. Nach der Okkupation der Tschechoslowakei 1939 flieht J. in die USA unter Zurücklassung seiner Manuskripte. In den USA hofft er, wieder an die frühe Filmarbeit anknüpfen zu können, insbesondere an den Caligari-Stoff, was jed. misslingt, publiz. einige wenige literar. Texte u. engagiert sich in jüd. Hilfsorganisationen wie z.B. in der HIAS (Hebrew Sheltering and Immigrant Aid Society), wo er auch in Kontakt zu Manfred George u. Franz Werfel kommt. 1943 gründet er mit seiner Frau eine kleine Parfumfirma, die beide materiell einigermaßen absichert; 1950 wird J. amerikanischer Staatsbürger.


Quellen und Dokumente

Die Zwölfjährige. In: Prager Tagblatt, 16.9.1928, S. 3f.

Das Kabinett des Dr. Caligari. In: Die Kinowoche 2 (1920), H. 8, S. 4f., Ossip Kelenter: Neue deutsche Verse. In: Neues Wiener Journal, 4.9.1925, S. 3f., Fritz Rosenfeld: Abenteuerromane. In: Arbeiter-Zeitung, 25.7.1927, S. 5,

Literatur

Th. Betz: Puppenball und Tanzdemokratie. Zur Wiederentdeckung des Jazz-Romans von H. J. In: literaturkritik.de, 6/2001: http://literaturkritik.de/id/3714; J. E. Grandt: Kinds of Blue: Toni Morrison, H. J. and the Jazz Aesthetics. In: African-American Review 2 (2004), 303-322; N. Baumann: Die Literatur war Jazz geworden. H. J. ›Jazz‹-Roman als polyphones Stimmungsbarometer der zwanziger Jahre. In: Weimarer Beitr. 3/2006, 354-377; P.-H. Kucher: “Das wahre Programm der Zeit hieß: Jazz”: Zum Stellenwert des Jazz als (musik)kulturelle und literarische Chiffre in der österreichischen Zwischenkriegszeit. In: Journal of Austrian Studies, 3/2014, 69-92.

Cornelius Partsch, Damon O. Rarick: Jazz (Online verfügbar).

Die Geliebten Roswolskys. In: Wikipedia.

(PHK)