Antisemitenbund

Gegründet im Juli 1919 durch den christlichsozialen Abgeordneten zum Nationalrat u. Mitglied der Burschenschaft Olympia Anton Jerzabek (1867-1939), der bereits im selben Jahr durch Kundgebungen u. dezidiert völkisch-rassistische Hetze, u.a. in der Zs. des AB Der Eiserne Besen in Erscheinung trat. Der AB verbreitete sich rasch auch in anderen österr. Städten und Bundesländern; insbesondere in Tirol, der Steiermark, aber auch Salzburg, wohin 1922 die Redaktion der Vereinsztg. verlegt wurde. Am 25.9.1919 fand vor dem Wiener Rathaus eine erste, am 5.10.1919 eine weitere, größere Kundgebung statt, die sich v.a. gegen die in Wien lebenden Ostjuden, z.T. Kriegsflüchtlinge, richtete. Konfrontationen mit Gegendemonstranten sowie div. Provokationen führten zu besorgten Noten des amerikanischen Gesandten u. internat. Pressereaktionen. Die Versuche, dabei u.a. in die Leopoldstadt einzudringen, wurden von der Jüdischen Schutzwache abgewehrt, so die Jüdische Korrespondenz vom 7.10.1919. Der Tiroler AB protestierte wiederum am 30.12.1919 vehement gegen Heeres-Staatssekr. Julius Deutsch, der sich „in die unveräußerlichen Waffenrechte der bodenständigen Tiroler Bevölkerung“ eingemischt hätte, beschimpfte ihn als „Rassejuden“ und sprach ihm die Befähigung zu seinem Amt ab. Kurz darauf, im Februar 1920, störte er eine Vorlesung von K. Kraus, der diese daraufhin abbrach. Am 23.11.1919 empfahl die Wiener christlichsoz. Parteiorganisation auf Anregung von Leopold Kunschak die Anliegen des AB zu unterstützen u. diesem auch beizutreten. 1920 berichtete die Reichspost von einer gemeinsamen Resolution des AB, der Wiener christlichsoz. Parteileitung u. der Frontkämpfervereinigung an die Regierung zur „sofortige[n] Internierung aller eingewanderten Ostjuden [….]  Beschlagnahmung ihres hier erwucherten Vermögens“ und Begrenzung des Zugangs zu den Universitäten für jüd. Studierende, 1921 vom Plan, einen sog. Judenkataster  anzulegen u. begrüßte diese Vorhaben. Im März dess. Jahres trafen sich in Wien auch erstmals grenzüberschreitend antisemit. Vereinigungen, u.a. aus Deutschland u. Ungarn. Gem. mit dem sog. Deutschvölkischen Schutz- u. Trutzbund organisierte der AB im April 1922 Proteste gegen die Aufführung von A. Schnitzlers Der Reigen u. betätigte sich an zahlreichen antijüd. Aktionen an der Wiener Universität, u.a. an den Übergriffen gegen den Mediziner und sozialdemokr. Wiener Gemeindepolitiker Julius Tandler.

Bereits 1923-24 kam es, insbes. in Wien, zu einer Unterwanderung des AB durch Nationalsozialisten, die 1924 beinahe in die Selbstauflösung des AB im Zuge einer Grundstückstransaktion an eine Bank, die von der christlichsoz. Parteiführung befürwortet wurde, mündete. Im Zuge des von der österr. Bundesregierung bewilligten u. explizit unter Schutz gestellten XIV. internat. Zionistenkongresses vom 18.-31. August 1925 versuchte der AB Gegenkundgebungen zu organisieren, die jedoch verboten wurden. H. Bahr verfasste aus diesem Anlass ein Feuilleton in der NFP, das versuchte, den Zionismus auf primär persönl. Enttäuschungen des ihm gut bekannten Theodor Herzl zurückzuführen. 1926 fanden in Budapest wiederum Verhandlungen über einen länderübergreifenden AB statt (PTBl. 4.3.1926). 1926-27 schwenkte die christlichsoz. Partei immer stärker auf Positionen des AB ein, wie gemeins. Kundgebungen, insbes. in Wien, dokumentieren, die u.a., etwa im Juli 1927, gemeinsam mit dem AB u. dem Deutschsozialen Verein  (DV)offen Pogromhetze (RF) betrieben. W. Riehl vom DV, so Berichte in der AZ, im Linzer Tagblatt u.a. Ztg., habe dabei ausdrücklich mit „Tod den Juden“ gedroht. 1928-32 gingen zwar die offiz. Aktivitäten des AB sichtlich zurück, in Tirol kam es sogar zu seiner Auflösung im März 1932 „mangels Tätigkeit“, doch im Verein mit NS-affinen Organisationen bestand der AB trotz formalen Verbots 1933 weiter. Im Dez. 1933 kam es z.B. zu einer heftigen Polemik zwischen Jerzabek u. Oberrabiner Feuchtwang, ausgetragen in Offenen Briefen. 1934 stellte sich die neugegr. Ztg. Gerechtigkeit von I. Harand mutig gegen die anwachsenden antisemit. Tendenzen u. stellte die Berechtigung des AB in einem Leitartikel u.a. Beiträgen offen in Frage. Auch 1936 zeigte Harand in weiteren Beiträgen die problemat. Haltung des Ständestaates zum AB auf, der, wie u.a. auch die Zürcher Zeitung (richtig) vermutete, seit jenem Jahr eine getarnte NS-Organisation war, wesentlich von München aus gesteuert u. mit großzüg. finanz. Unterstützung ausgestattet wurde, wie die jüd. Ztg. Die Stimme anl. weiterer Informationen 1937 offenlegte. Eine Vermutung, die sich am 7.2. 1938 offen zeigte, als NS-Organis. gem. mit dem AB Anschläge auf jüd. Geschäfte u. ein Bethaus in Wien verübten.


Quellen und Dokumente

Die antisemitische Hetze in Wien. In: Jüdische Korrespondenz, 7.10.1919, S. 2f., Der Tiroler Antisemitenbund. In: Allgemeiner Tiroler Anzeiger, 9.1.1920, S. 2, Die Antisemitenversammlung im Rathaus. In: Reichspost, 8.6.1920, S. 5f., Anlage eines Judenkatasters für Wien. Ein notwendiges und nützliches Unternehmen des Antisemitenbundes. In: Reichspost, 11.5.1921, S. 5, Der heutige Antisemitenrummel – verboten. In: Der Morgen, 17.8.1925, S. 1, Hermann Bahr: Zionismus. In: Neue Freie Presse, 22.8.1925, S. 1-3, Der nächste Mord wird vorbereitet. In: Die Rote Fahne, 5.7.1927, S. 3, Der Radau-Antisemitismus soll wieder Orgien feiern! In: Tagblatt, 8.7.1927, S. 4, Offener Brief in: Alpenländische Morgen-Zeitung, 13.12.1933, S. 1f., Wozu ein Antisemitenbund in Oesterreich? In: Gerechtigkeit, 11.10.1934, S. 1,  Die Leitsätze des Antisemitenbundes. In: Gerechtigkeit, 9.7.1934, S. 1, Antisemitenbund unter Münchner Führung? In: Die Stimme, 22.11.1937, S. 4, Die Brandfackel. In: Die Stimme, 7.2.1938, S. 1.

Literatur

B .F. Pauly: From Prejudices to Persecution. A History of Austrian Antisemitisms. North Carolina 1992, 183f.; R. S. Wistrich: A Lethal Obsession. Antisemitism from Antiquity to the Global Jihad. New York: 2010, 218f; W. Benz: der Antisemitentag in Wien 1921. In: David, H. 114/2017 (Online verfügbar).

(PHK)