Schönberg Arnold

geb. 13.9.1874, Wien – gest. 13.7.1951, Los Angeles: österr. [recte (amtlich): ungar., ab 1918 tschech., ab 1925 preuß., ab 1941 US-amerik.] Komponist, Musiktheoretiker, Kompositionslehrer, Maler u. Schriftsteller

Nach der Volksschule besuchte der Sohn d. aus dem ungar. Szécsény gebürtigen Schuhwarenfabrikanten Samuel (1838-1889) u. der aus Prag gebürtigen Pauline Schönberg (geb. Nachod; 1848-1921) seit 1885 die k.k. Staats-Oberrealschule im II. Bezirk. Seit 1882 nahm er Violinunterricht u. verf. erste Kompositionen. 1890 nach dem Tod d. Vaters Schulabbruch u. Lehre in der Privatbank Werner & Co. Spätestens seit 1893 bekannt mit David Josef Bach, der S.s Aufmerksamkeit auch auf polit. Fragestellungen lenkt. 1895 Mitgl. im v. Alexander Zemlinksy dirigierten Dilettantenorchester im „Musikalischen Verein Polyhymnia“; Aufkündigung d. Bankanstellung; Leitung bzw. Dirigate bei Gesangsvereinen in Wiener Vororten; Chormeisterstelle d. Metallarbeiter-Sängerbundes Stockerau. Seit 1898 private Lehrtätigkeit u. Leitung d. Männergesangsvereins „Beethoven“ in Heiligenstadt. Intensivierung d. Kompositionstätigkeit (u.a. Frühfassung d. Gurre-Lieder 1900 im Rahmen eines Preisausschreibens d. Wr. Tonkünstler-Vereins). 20.12.1898 erstes, v. Publikum u. Presse wohlwollend aufgenommenes öff. Konzert (D-Dur-Quartett). 18.10.1901 Heirat mit Mathilde v. Zemlinsky; Übersiedlung nach Berlin, wo S. als Kapellmeister an Ernst v. Wolzogens Varietébühne „Überbrettl“ tätig ist. Durch Vermittlung v. Richard Strauss ab Herbst 1902 Dozent am Stern’schen Konservatorium bzw. ab März 1903 Stipendiat der Liszt-Stiftung d. Allg. Dt. Musikvereins. Im Juni 1903 Rückkehr nach Wien. Bekanntschaft mit Gustav Mahler, zu dieser Zeit Dir. der Wr. Hofoper. 1904 gem. mit Zemlinsky Gründung d. „Vereinigung schaffender Tonkünstler“. 1904/05 Lehrtätigkeit an der Schwarzwald’schen Lehranstalten. Nebst Kompositions- u. Unterrichtstätigkeit (seit Herbst 1904 als Schüler: Alban Berg, Anton Webern) seit 1907 angeregt u.a. von Richard Gerstl Beschäftigung mit Malerei. 1909 Aufnahme aller bisherigen Kompositionen (außer op. 13) ins Verlagsprogramm d. Universal-Edition. 1910 erste Ausstellung v. Gemälden in der Wr. Galerie Hugo Heller u. Lesungen an d. Akademie f. Musik. 1911 Vorträge über Ästhetik und Kompositionslehre (Stern’sches Konservatorium, Berlin) u. auf Einladung Vasilij Kandinskijs mit vier Gemälden Teilhabe a.d. Ausstellung „Der Blaue Reiter“ (Galerie Thannhauser, München); Abschluss d. theoret. Hauptwerks Harmonielehre, gewidmet Gustav Mahler. Am 31.3.1913 erlangte er durch das skandalträchtige sog. „Watschenkonzert“ Aufsehen in u. über Wien hinaus. Im Dez. 1915 rückt S. in Wien zum k.k. Regiment Hoch- und Deutschmeister Nr. 4 ein; im Juli 1916 Versetzung in die Ersatzkompanie wegen asthmat. Beschwerden. 1917 Entlassung aus der Armee wegen körperl. Untauglichkeit. 1918 Übersiedlung nach Mödling u. Gründung d. „Vereins für musikalische Privataufführungen“ mit der Intention, die Aufführungsqualität neuer Musik zu verbessern u. die Hörerschaft zu erziehen. 1920/21 Aufenthalt im holländ. Zandvoort; Dirigenten- u. Unterrichtstätigkeit. 1921 Sommerfrische in Mattsee, bis S. v. der Gemeindeverwaltung als Jude zur Abreise aufgefordert wird; im Juli in Traunkirchen Niederschrift d. Suite für Klavier op. 25, in der erstmals die „Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ realisiert wird. Okt. 1923 Tod v. Mathilde; Aug. 1924 Heirat mit Gertrud Kolisch. 1925 in Nachfolge v. Ferruccio Busoni Leiter d. Meisterklasse Komposition an d. Preuß. Akademie d. Künste in Berlin. 1929 Vollendung d. Partitur zum ersten auf Grundlage zwölftöniger Reihen komponierten Bühnenwerk Von heute auf morgen op. 32 (Text: Max Blonda, d.i. Gertrud Schönberg; UA 1.2.1930, Frankfurt a.M.). 1933 Ausschluss aus der Akademie; nachdem Rudolf Kolisch am 16.5. telegraf. „dringend Luftveränderung“ empfiehlt, bricht S. tags darauf mit seiner Familie v. Berlin nach Paris auf; Rekonversion zum jüd. Glauben (nach Konvertierung zum Protestantismus 1898) unter Anwesenheit Marc Chagalls; 31.10. Ankunft in New York. Zunächst Lehrtätigkeit am Malkin Conservatoire (Boston u. New York), im Sept. 1934 v.a. aufgrund gesundheitl. Probleme Übersiedlung nach Los Angeles. 1935/36 Gastdozentur f. Komposition („Alchin Chair“, University of Southern California). 1936 Professur an d. University of California, Los Angeles. 1941 US-amerik. Staatsbürgerschaft; 1942/43 Sommerkurse an d. UCLA, 1944 Emeritierung. 1946 erlitt S. eine Herzattacke, die er in die musikal. Textur des im Auftrag des Music Department d. Harvard University für ein Symposium (Frühjahr 1947) entstandenen Streichtrios op. 45 einschreibt, wovon Thomas Mann in der Entstehung des Doktor Faustus berichten wird; Vorträge an d. University of Chicago. 1947 Wahl zum Mitgl. d. American Academy of Arts and Letters. 1948 wiederum Kurse in Santa Barbara. Aufgrund seiner gesundheitl. Verfassung kann S. 1949 nicht zu Einladungen anlässl. seines 75. Geburtstags nach Europa reisen; Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt Wien. 1950 Veröff. der Essaysmlg. Style and Idea (hg. Dika Newlin). 1951 Ehrenpräsident d. Israelit. Musikakademie in Jerusalem. Die Urne des 1951 Verstorbenen wurde 1974 nach Wien überführt u. in einem Ehrengrab am Zentralfriedhof beigesetzt. – Obgleich als komposit. Frühwerk noch der Spätromantik verpflichtet, geriet die UA v. Verklärte Nacht op. 4 in Wien 1902 zu einem der ersten Aufführungsskandale um S., als deren Höhepunkt das (knapp einen Monat nach d. durchschlagend erfolgreichen, v. Franz Schreker geleiteten UA der Gurre-Lieder im Wr. Musikverein organisierte) „Watschenkonzert“ im Musikverein (31.3.1913) gilt: Werke v. Schönberg, Zemlinsky, Berg u. Webern provozierten die S.-Gegner zu (versuchten) tätlichen Übergriffen auf den Meister. Nicht von ungefähr verantwortete der „Verein für musikalische Privataufführungen“ (bis Dez. 1921) 117 Konzerte mit insg. 154 zeitgenöss. Kompositionen (u.a. auch v. Richard Strauss, Claude Debussy, Igor Stravinskij, Max Reger) unter Ausschluss der Presse exkl. f. Subskribenten bei Verbot von Beifall oder Missfallensbekundungen, mit denen nur allzu oft auf mitunter als rev. Umbrüche einzuschätzende Kompositionen von S. reagiert wurde.

In ungekannter Radikalität bemühte sich S. Ende der 1910er Jahre um die Entkonventionalisierung der Tonsprache u. Befreiung d. musikal. Ausdrucks von trad. Fesseln. Zeitigten seine Überlegungen in dieser sog. „atonalen Periode“ 1908-17 komposit. u.a. den Verzicht auf eine beherrschende Tonart, die Emanzipation d. Dissonanz u. die Auflösung rhythm.-metr. Ordnungen in musikalische Prosa, so unterwarf S. im Zuge der Realisierung der Zwölftonmethode zu Beginn der 1920er Jahre dann die entkonventionalisierte Tonsprache d. Atonalität (gerne mit einem tendenziell wertkonservativen Habitus in Zusammenhang gebrachten) Organisationsregeln, v.a. um neuerdings Motive, Themen u.ä. bilden u. somit auf trad. Formen/Gattungen zurückgreifen zu können. Nachdem S. das neue Kompositionsverfahren „mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ im Laufe der 1920er auf ein gr. Gattungsspektrum angewandt hatte – etwa im Falle der als krit. Stellungnahme zu „Zeitopern“ einzuschätzenden Oper Von heute auf morgen op. 32 –, nahm er zu Beginn seines US-amerik. Exils die tonale Komposition wieder auf, wovon sich der vom konsequenten Fortschritt im „musikalischen Material“ überzeugte Adorno mit Blick auf S. als nach seinem Dafürhalten „dialektischen Komponisten“ par excellence irritiert zeigte.

S.s, so der Titel seines vielzit. Aufsatzes, Verhältnis zum Text war für sein Schaffen von eminenter Bedeutung, bedenkt man die große Zahl v. Werken, die auf lit. Vorlagen zurückgriffen (vgl. Lieder bs. 1893-1904 auf Grundlage v. Ludwig Pfau, Richard Dehmel, Stefan George, Jens Peter Jacobsen, Albert Giraud (Pierrot lunaire op. 21), Rainer Maria Rilke u.a.) bzw. die lit. Vorlagen in atonaler, noch nicht zwölftön. Musik 1908-17 zukommende formkonstituierende Funktion. Darüber hinaus widmete sich S. selbst dem Schreiben. Verwiesen sei hier auf musiktheoret. bzw. musikpädagog. Schriften wie nebst der Harmonielehre etwa die Lehrbücher Structural Functions of Harmony (1948) u. Fundamentals of Musical Composition (posthum 1954) im Zshg. mit der über Jzz. hindurch ausgeübten Lehrtätigkeit: Zu seinen Schülern zählten u.a. Alban Berg u. Anton Webern (ab 1904), Hanns Eisler, Rudolf Kolisch u. Karl Rankl (ab 1919), in Kalifornien dann John Cage; 1918-1920 unterrichtete S. über 100 SchülerInnen in Eugenie Schwarzwalds reformpädagog. Schulen. In seinem Nachlass finden sich neben pädagog. Schriften u. Vorträgen zudem unzählige, z.T. unveröff. essayist. Texte, ein Fundus zur Musik- u. Kulturgeschichte (Pädagogik, Musikästhetik, -kritik, Phil., Rel./Judentum, Politik/Zeitgeschichte) d. ersten Hälfte d. 20. Jh.s. Nicht zu vergessen sind S.s selbstverfasste Texte zu Kompositionen wie etwa die Erz. zum Melodram A Survivor from Warsaw for Narrator, Men’s Chorus and Orchestra op. 46 in Zwölftontechnik, uraufgef. 1948 in Albuquerque, New Mexico, als künstler. Auseinandersetzung mit dem Holocaust, namentlich der Niederschlagung d. Aufstands im Warschauer Ghetto im April 1943.


Werke

Kompositionen (Auswahl)

Verklärte Nacht op. 4. Sextett für 2 Violinen, 2 Violen u. 2 Violoncelli. Nach einem Gedicht v. Richard Dehmel aus der Smlg. Weib und Welt [1899]. – Gurre-Lieder für Soli, Chor und Orchester von Jens Peter Jacobsen [1900-11]. – Brettl-Lieder. Texte v. Hugo Salus, Gustav Falke, Colly, Gustav Hochstetter, Otto Julius Bierbaum, Frank Wedekind[1901]. – Peleas und Melisande op. 5. Symphon. Dichtung f. Orchester nach dem Drama v. Maurice Maeterlinck [1902/03]. – Friede auf Erden für gemischten Chor a cappella op. 13. Nach einem Weihnachtsged. v. C.F. Meyer [1907]. – 15 Gedichte aus „Das Buch der hängenden Gärten“ von Stefan George für eine Singstimme und Klavier op. 15 [1907-09]. – Erwartung op. 17. Monodram in einem Akt. Dtg. v. MariePappenheim [1909]. – Die glückliche Hand op. 18. Drama mit Musik in einem Akt. Text v. S. [1910-13]. – Dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds „Pierrot lunaire“ für eine Sprechstimme, Klavier, Flöte (auch Piccolo), Klarinette (auch Baßklarinette), Geige (auch Bratsche) und Violoncello op. 21 [1912]. – Die eiserne Brigade. Marsch für Streichquartett und Klavier [1916]. – Die Jakobsleiter. Oratorium für Soli, Chöre und Orchester. Nach einer Dtg. des Komponisten[1917-22]. – Drei Satiren für gemischten Chor op. 28. Text v. S. [1925/26]. – Moses und Aron. Oper (Fragement) in drei Akten. Libretto v. S.  [1926-32]. – Von heute auf morgen op. 32. Oper in einem Akt. Libretto: Max Blonda (d.i. Gertrud Schönberg) [1928/29]. – Sechs Stücke für Männerchor op. 35. Text v. S. [1929/30]. – Kol nidre für Sprecher (Rabbi), gemischten Chor und Orchester (g-moll) op. 39 [1938]. – A Survivor from Warsaw for Narrator, Men’Men’s Chorus and Orchestra op. 46. Text v. S. [1947].

Schriften (Auswahl)

Harmonielehre (1911) – Models for Beginners in Composition (1942)/Modelle für Anfänger im Kompositionsunterricht (1972) – Structural Functions of Harmony [1948] (1954)/Die formbildenden Tendenzen der Harmonie (1954) – Preliminary Exercises in Counterpoint [1936-50] (1963)/Vorschule des Kontrapunkts (1977) – Fundamentals of Musical Composition [1937-48] (1967)/Grundlagen der musikalischen Komposition (1979) – Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik [1909-50] (1976) – Der musikalische Gedanke und die Logik. Technik und Kunst seiner Darstellung [1934-36](1995)

Ausgewählte Literatur

Christian Martin Schmidt: # in: Ludwig Finscher (Hg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allg. Enzyklopädie der Musik. 2., neubearb. Ausgabe. Personenteil Bd. 14, Kassel-Stuttgart 2005, Sp. #. – Jennifer Shaw/Joseph Auner (Hgg.): The Cambridge Companion to Schoenberg. Cambridge 2010. – Hartmut Krones (Hg.): Arnold Schönberg in seinen Schriften. Verzeichnis – Fragen – Editorisches.  Wien 2011 (= Schriften des Wissenschaftszentrums Arnold Schönberg; 3). – Auf der Homepage d. Arnold Schönberg Center: Biographie https://www.schoenberg.at/index.php/de/schoenberg/biographie, Verzeichnis der Schriften im Nachlaß https://www.schoenberg.at/images/stories/bilder_statische_artikel/archiv/as-texts.pdf u. Therese Muxeneder: A Survivor from Warsaw for Narrator, Men’s Chorus and Orchestra op. 46 https://www.schoenberg.at/index.php/de/joomla-license-sp-1943310035/a-survivor-from-warsaw-op-46-1947 [Stand: Feb. 2020]. – Auf der Homepage der Universal-Edition: Biographie bzw. Über die Musik https://www.universaledition.com/arnold-schonberg-655#biography [Stand: Feb. 2020].

Online-Dokumente (Auswahl)

Arnold Schönberg: Das Verhältnis zum Text. In: Vasili Kandinskij/Franz Marc: Der blaue Reiter. München 1912: online verfügbar unter: Kandinskij/Marc: Der blaue Reiter; N.N.: Prügelszenen bei einem Schönberg-Konzert. In: Prager Tagblatt (1.4.1913), S. 7; H. Kralik: Beethovenfest – Schönberg . In: Neues Wr. Tagblatt, 7.7.1919, S. 3-5; E. Bienenfeld: Internationale Orchestermusik. (Über Auff. von Sch.s. Pelleas u. Melisande) In: NWJ, 18.11.1920, S.3-4; Max Graf: Arnold Schönberg. In: Der Tag (13.9.1924), S. 4-5; D.J. Bach: Arnold Schönberg zum 50. Geburtstag. In: Arbeiter-Zeitung (14.9.1924), S. 10; B – g..: Arnold Schönberg: „Von heute auf morgen“. In: Neue Freie Presse (6.2.1930), S. 11; Arnold Schönberg: Mein Publikum. In: Der Querschnitt 10 (1930), H. 4; online verfügbar hier.

(RU)