Rafael Hualla: Schwarz auf Weiß

Rafael Hualla: Schwarz auf Weiß (1928)

Die Baker-Revue im Strauß-Theater

Es gab eine Generalprobe, die aber Geduldsprobe war. Nach fünfstündiger Dauer hatte man es schwarz aus weiß: eine etwas länglich geratene Revue in 38 Bildern, spär­lich dazwischen gestreut Josephine Baker. Vor der Premiere gab’s einen kleinen Rummel, den nicht die Hakenkreuzler, wohl aber die Agioteure hervorgerufen hatten, die in dichten Schwärmen die Ankommenden um­drängten und ihnen Karten anboten. Nach und nach sank der Kurs dieser Agiotagekarten sogar unter den Kassapreis. Irgendwo beim Eingang hing auch aus Prestigegründen die Tafel „Ausverkauft“, Tatsache aber war, daß man auch zu Kassapreisen noch am gleichen Abend Karten bekommen konnte.

Beim Bühnentürl war das Gedränge so stark, daß die Schulabteilung der Polizei eingreifen mußte. Dort hatten sich jene gedrängt — nebst Taschendieben —, die die Baker gratis sehen wollten. Sie hatten kein Glück, denn die hellbraune Josephine war schon anderthalb Stunden vor Beginn der Vor­stellung ins Theater geschlüpft. Sonst das gewohnte Sensations-Premierenbild. Lange Reihen von Autos, im Foyer Pelze, im Saal Abendtoiletten, die wohlbe­kannten Gesichter der Gesellschaft, die unbe­dingt dabei gewesen sein muß. Dann ist Plötzlich „sie“ da, Josephine Baker, schleicht in der Urwaldszene, während Kam­mersänger Karl Ziegler im Tropenhelm ein Liebeslied singt, lauernd den Hang hinab und

der ganz hellbraune Leib badet im grellen Scheinwerferlicht. Dieser Mulattenkörper ist wirklich ein Wunder. Von den schmalen schönen Beinen angefangen bis hinauf zu den Hüften, die ein besonderes Leben führen und manchmal Sprünge machen wie Wildkatzen durch das Dickicht. Die Brüste frei schwebend, durch nichts gehalten, kreisrund gewölbt, und dann das grazile Spiel ihrer Arme. Er­quickend ihr nicht gekünstelter Jungmädchenhumor. Freilich, da ist noch der Bühnenkopf der Baker — eine Maske für sich; das Haar mit glänzendem Lack zur starren Perücke ge­formt, die kugelrunden, großen, weißen Augäpfel durch stark nachgezogene Augen­brauen und Wimpern ins Riesenhafte gestei­gert, bewußte Rougebetonung der wulstigen negroiden Unterlippe.

Josephine Baker ist ein Ereignis. Eines vielleicht, wie es dem Vielgereisten überall dort, wo es schöne Kinder gibt, denen Misch­blut durch die Adern fließt, zustoßen kann.

Hier aber ist es bewußt gesteigert, über der Baker liegt ein unwiderstehlicher Hauch von natürlicher, ungezwungener Anmut, grotesker und dabei doch charmanter Komik, es ist nichts „gekonnt“ an ihr und dennoch ist die Komponente dieses scheinbar naturmädchenhaften Tanzes und Gesanges individuellste Persön­lichkeit- ein künstlerische^ Erlebnis.

Sie singt mit ganz dünnem hohen Silberstimmchen, sitzt in einer Szene in einem kreisrunden weißen Perlenkleid auf einem roten Diwan und zwitschert das Limonadenliedchen.

When I am happy, when I am sad,
When I am good, when l am bad
That all depends on you…

Oder im Hennentanz. Da glucksen im Orchester die Kücken, die derbkomischen und dennoch anmutigen Hinter-Baker-Bewegungen werden onomatopoetisch illustriert, unwiderstehlich fegt ein Beifallssturm durchs Haus. Durch nichts zu überbieten aber ist die Poesie dieses schlanken, schmiegsamen Körpers im Bananentanz.

Es gibt auch eine Szene mit einem leben­den Strauß. Er hat sich anfangs in Wien nicht wohl gefühlt (vielleicht mußte er sich erst an Schalk gewöhnen), aber als er mit der Baker zu der faszinierenden Musik Joss Padillas, des Komponisten von Valen­cia, über die Bühne des Theaters stolzierte, von dem man ihm einredete, daß es nach ihm benannt sei, schien er sehr zufrieden.

Was an Einfällen in diesen 38 Bildern zu spüren ist, gehört auf die drei Autoren Beda, Bekessy und Florian ausgeteilt. (Die Kopfnote ist schmal.) Die Idee eines Bildes ist, um im Milieu zu bleiben – die Szene spielt in einem Trödlerladen und das Quar­tett Werbezirk-Brod-Berg und Imhoff erschüttert dauernd die Zwerch­felle — von Emerich Liptay übernommen, dessen Namen man ruhig im Programm hätte erwähnen können. (Bei 39 namentlich Angeführten kommt es auf einen mehr oder weni­ger nicht mehr an.)

Einer der besten Einfälle war es, Nina Payne zu engagieren; der Gipfelpunkt technischer Vollendung im Tanz, fast an Akroba­tik grenzend. Sie beweist, daß die Anmut eines trainierten Körpers nicht von dem land­läufigen Begriff „hübsch“ abhängig ist. Ihr galt, nebst der Baker, der Hauptteil des Bei­falls.

Papa Hollitzer lassen die Transozean­lorbeeren seiner Tochter, Lilly Dillenz, nicht schlafen. Deswegen holt er sie sich zusammen mit dem Malersänger Hlawa und Ziegler in der Baker-Revue durch das stimmungsvolle Matrosenterzett.

Auch Tiller-Girls gibt es. So etwas wie eine Reservemannschaft. Sollten jemand die xylophonspielenden Osterhasen nicht ge­fallen, kann er sich die gleiche Nummer, von anderen Tiller-Girls exekutiert, am nächsten Tag in der Haller-Revue ansehen. Dort sind allerdings die Osterhasen als Chinesen ver­kleidet.

Die Begleitmusik von Willy Engel-Berger entscheidet sich weder für den Heurigen, noch für die Operette. Die Revue lehnt sie in Rhythmus und Instrumentierung entschieden ab. Es wäre ein besserer Einfall gewesen, in die Revue eine Huldigung Jerzabek einzuschieben. Jerzabek hat immerhin mehr Beziehungen zu Baker als Franz Schubert. (Es ist, gelinde gesagt, eine musikalische Leichenschändung, Schuberts unvollendete 8-Moll-Symphonie an den dem Hörer zu Berge stehenden Haaren in diese Revue hineinzuzerren, und außerdem noch Hugo Thimig für diese „Huldigung“ zu mißbrauchen. Ein Amerikaner, der dieses Bild sieht, wird eine merkwürdige Vorstellung von uns bekommen. Unsere armen Musiker schlagen einen von den Amerikanern ausgesetzten 10.000-Dollar-Preis für die Vollendung dieser Symphonie aus, weil sie eine solche Vollendung als Entweihung betrachten wür­den und die gleiche Stadt leistet sich eine solche „Huldigung“).

Immerhin: wenn sich jene Unentwegten, die nicht zur Generalprobe und zur Premiere gehen konnten, diese Revue angesehen haben werden, wird man die Länge einzelner Bilder und die Preise reduzieren müssen. Sonst wird die Baker-Revue ein Quell reinster Freude für Hubert Marischka. Und dem sei es ja doch nicht gegönnt!

Am Premieretag, 12 Uhr nachts.

Ich habe genug. Ich bedanke mich für den Schluß, der vermutlich noch eine halbe Stunde auf sich warten lassen wird. Meinem Bei­spiel sind bereits Dutzende vorher gefolgt, was die Nervosität im Hause noch um ein Bedeutendes steigert. Jeden Augenblick: Klipp, klapp, ein Stuhl und eine Kolonne Gesättigter verläßt das Theater. Ein Dutzend anderer folgt in der Angst, es sei irgend etwas ge­schehen. Dafür kehren sie dann mit großem Applomb beruhigt zurück, beruhigend, es sei nichts geschehen. Das geht so seit halb 11 Uhr abends.

Die Vorstellung selbst entwickelte sich zu einem wütenden Konkurrenzkampf zwischen weiß und schwarz: zwischen der Baker und Nina Payne. Ich wage nicht zu entscheiden, wer gesiegt hat. Jedenfalls war die Baker maßlos irritiert und zeigte, wenn sich Erfolg hören ließ, immerfort auf ihre Weiße Konkur­rentin. Siegesgewisser machte sie dieser Kon­kurrenzkampf nicht.

Es war sehr schön. Es hätte viel schöner sein können, wenn die Revue kürzer, die Baker häufiger und das Publikum ruhiger gewesen wäre. Aber vielleicht kommt das bei den nächsten Vorstellungen.

In: Der Tag, 2.3.1928, S. 3.