Emil Szittya: (Die Reinigungsarbeit) [hs]. Mein Erlaß an die kunstpolitischen Bewegungen[1]. (1919)

I. (Die Reinigungsarbeit.)

Es ist Trudbefreiung, daß die Kunst aufhört, ein abstraktes Problem zu sein. Problematisieren war auf dem Gebiet der Kunst schon vom Dilettantismus diskreditiert. Das Zergrübeln über die Kunst (die Lebensatmen sein sollte) wurde immer zweck- und geschmackloser und konnte sich (dort, wo es noch etwas war) nur zu einem unsagbaren Sichauflehnen jammern.

(Weil zuviele Larven von gestern den Sucher vermummen, konnte alle Erfahrung und jedes Praktischwerden sich nur in Hinfälligkeiten häufen.)

II. (Über das Schnüffeln)

Kunstforschung, wenn sie sogar zur Litteratur wird, ist eigentlich ein verkappter Kunstsnobismus, in dem sich die von der Kunsttat Abseitigen in Ästhetenentfliehungen verketten. Kusntsnoberei ist abscheulich, weil sie sich nur von Kunstscharlatanerie nähren kann.

III. (Fort mit der Kunstkritik)

Kunstkritik baut sogar in ihrer raffiniertesten Form auf die Geringschätzung der Gegenwart. Es ist ein vom ewigen Zurückgreifen-Afgezehrtsein. Kunstkritik erdreist sich, die Kunsttat immer in die Vergangenheit zurückschrauben zu wollen.

IV. (Die Unverständlichkeit)

Es fehlt die Freude an der Gegenwart. Man freut sich nicht über jene, die ein Übermaß der Hingabe von bisher (mit Unrecht) Unbeachteten zu vergeben haben. Man freut sich nicht darüber, daß es in der Kunst Wunderahner gibt, deren Lebensnerv sich im Giftlefzenfluidum zerwühlt. //

(Die fiebernden Formbildner müssen durch das Unverständnis, das man ihnen als Dank gibt in Unräumlichkeiten erstarren.)

V. (Kunstliebe.)           

Kunstkritik ist von vornherein von Mißtrauen geschweißt. Statt Kunstkritik muß Kunstregistrieren kommen, denn dort, wo Kunstregistrieren zur wirklichen Kunst sich entfaltet, ist es Kunstliebe. Kunstliebe ist ein Sichhineinbetten in die Vielheiten eines organisch sich aufbauenden Weltkomplexes.

VI. (Fort mit den Kunstschulen, wenn sie auch expressionistisch sind.)

Man darf nicht das trotzig wilde Streben nach dem Zentrum der schwindenden Höhen, die einen von den Kunstrevieren aus erfüllen, von dem Standpunkt einer Schule betrachten. Sogar die revolutionärste Kunstschule muß auf einer Grammatik des Schauens basieren und will verhindern, daß man die Grenzenlosigkeit des Zuständlichen anschaulich bewegliche. Die Schule war immer daran schuld, daß viele große Künstler sich von dem Effekt des Zufalles beeinflussen ließen, um wenigstens auf Augenblicke das Wunder zu besitzen.

VII. (Kunst und Sozialismus)                                                                                                                                                  

Die wirkliche Kunst ist Lebenkneten und nicht Vomlebengeknetetsein.

VIII. (Die traurige Einsamkeit des Künstlers.)

Es ist ein zum Verzweifeln bringendes Schicksal, daß der Künstler, der sich mit seinem Leben und Weltgeschehniskneten an die Menschheit anheimeln will, durch deren Unverständnis das Anheimeln (wenn er nicht sozialistischer Agitator ist) fortwährend in sich tilgen muß.

IX. (Die Kunsttat.)

Psychologische Zergliederungen sind nicht mehr nötig. Nicht auf kritische Spitzfindigkeiten kommt es noch an. Nötig ist: Eine wirkliche Entlarvung! Künstler! Gebt einmal Bewußtseinsdokumente über Euch! Es war genug von dem Gleichnissumpf! Kunst muß aufhören, eine verschleierte Gottheit zu sein. Rücksichtslosigkeit!, aber auch gegen sich selbst.

Nicht von Zeitereignissen gelähmt sein! Nicht das Wirren treibender Kräfte sein. Es war viel zu viel von der kleinbürgerlich-optischen Kunstpose! Bewegungsfähige hatten zu lange Ethosruhepunkte, aus dem Zagen die Gegebenheit verschwenden // ließ. Man muß sich aufraffen zur Selbsteinheit und jede Persönlichkeitsphilosophie wird sich  in Einheitsbewußtsein erformen.

Aktivität beginnt, an nichts vorüberzugehen.Tiefschürfendes erhellend auswirken und das Anschauliche, das durch den wirklichen Künstler bewußt geschieht, in ein Kulturganzes ausbreiten und mit eigenem Blutmitschwingen zum Wahrheitsgenießen verinnerlichen.

In: Horizont-Hefte Nr. 5/1919, S. 1-3.


[1] Die Streichungen sind in dem im Literaturarchiv Marbach erhaltenen Horizont-Hefte-Exemplar von Szittya handschriftlich offenbar nach dem Druck des Heftes Nr. 5 angebracht worden.

Alfred Markowitz: Eroberung der Kunst (1928)

             Die Ansicht ist weit verbreitet, daß ein echtes Werk der bildenden Kunst nur ein solches sei, das auf alle gleichmäßig dieselbe starke Wirkung ausübe. Wenn diese Ansicht aus dem sozialen Gefühl stammt, das instinktiv verwirft, was anscheinend nur für wenige Auserwählte berechnet ist, so macht sie ihren Verfechtern alle Ehre. Wenn sich aber hinter ihr das Unvermögen verbirgt, ein über das Triviale hinaus reichendes Kunstwerk zu erfassen, so wird sie geradezu gefährlich, weil sie geeignet ist, die Allgemeinheit davon abzuhalten, sich die Kunst zu erobern, die ja tatsächlich nicht nur für wenige Auserwählte geschaffen wird, aber sich nicht ohne weiteres hingibt.

             Einen Schein von Berechtigung hat jene Ansicht allerdings. Es hat nämlich wirklich Zeiten gegeben, da die Kunst Gemeingut aller war. Das waren aber immer Zeiten, in denen sie sich auf die Darstellung eines verhältnismäßig kleinen Kreises bestimmter, allen gleich wertvoller, zumeist religiöser Gegenstände beschränkt hat; in dem Maße, als diese Gegenstände einem weiteren Kreis der mannigfachsten Gegenstände wichen, hörte die Kunst auf, Gemeingut aller zu sein. Daraus ist zu schließen, daß es in jenen Zeiten nicht so sehr die Kunst als solche, die Art ihrer Darstellungen, als vielmehr deren Gegenstand es war, der sie mit der Allgemeinheit verbunden hat. Freilich hat man immer gewisse Unterschiede gemacht zwischen den einzelnen Darstellungen desselben Gegenstandes; es mag wirkliches Gefühl für Kunstwerte gewesen sein, das manchen Darstellungen den Vorzug vor anderen gegeben hat. Aber dieses Gefühl reichte nicht hin, sich später über den Stoff zu erheben und sich Darstellungen jeglichen Inhalts zuwenden zu können.

             Vielleicht wird mancher hier denken, daß dies nicht zu bedauern sei, weil es eben gar nicht Aufgabe der bildenden Kunst sei, Gegenstände jeglicher Art, sondern nur solche darzustellen, die die Anschauung des Volkes verkörpern. Abgesehen davon, daß jeder Gegenstand, also auch einer, der die Ansichten des Volkes verkörpert, umso stärker wirkt, je mehr an Gefühl für seine künstlerische Gestaltung ihm entgegengebracht wird, ist dieser Gedanke schon aus dem Grund abzuweisen, weil sich die Kunst heute nicht mehr in die verhältnismäßig engen Grenzen einer Auffassung zwängen läßt. Die religiöse Weltanschauung von dereinst wurde gesprengt, weil die vielen, dem aufblühenden Geistesleben entspringenden neuen weltanschaulichen Ideen nicht mehr Platz in ihr fanden. Gewiß darf der Sozialist hoffen, daß der Sieg des Sozialismus an Stelle der längst verblühten religiösen Weltanschauung eine alle ergreifende, auch im Stofflichen sozialistische Kunst setzen wird. Allein die sozialistische Weltanschauung als die reife Frucht jener geistigen Bewegung // muß Platz gewähren allen wertvollen Ideen, die ihr zufließen aus der steigenden Erkenntnis der Natur und des Geisteslebens. Sie kann sich ihnen nicht verschließen, wie es die religiöse getan hat.

             Kunst ist Verkörperung von Weltanschauungen. Aber es ist auch Ausdruck einer Weltanschauung, wenn sie uns lebendes und totes Sein aller Art der gefühlsmäßigen Erkenntnis erschließt. Damit erfüllt sie eine Mission, die ihr erst recht im Rahmen des Sozialismus zukommt. Und darum kann sich unsere Kunst nicht mit der Darstellung jener Gegenstände bescheiden, die nur der politischen sozialistischen Gedankenwelt Ausdruck verleihen. Sie darf das auch nicht, weil glücklicherweise das Volk selbst nach immer größerer Bereicherung seiner Weltanschauung strebt.

             Eine Kunst, die nicht von vornherein durch ihren Gegenstand anzieht, sondern umgekehrt, mit ihren Ausdrucksmitteln erst zum Gegenstand führt, indem sie sein Wesen offenbart, ist nicht geeignet, ohne weiteres auf jedermann dieselbe Wirkung auszuüben. Das seelische Organ für die Aufnahme künstlerischer Ausdrucksformen bringt so gut wie jeder mit auf die Welt. Aber es funktioniert nur unzulänglich, wenn es nicht durch Übung geschult, ausgebildet und verfeinert wird. Die Kunst kann nicht mehr zurückkehren zu einem eng begrenzten, jedem von vornherein nahestehenden Stoffkreis. Soll sie wieder Gemeingut aller werden, so kann das daher nur geschehen durch eine Stärkung des Gefühles für die künstlerische Form, in der Gegenstände welcher Art immer dargestellt werden. Wie früher der Gegenstand zur Kunst, so muß nun die Kunst zum Gegenstand führen. Die Bereicherung der Weltanschauung  – das Wort in seiner buchstäblichen Bedeutung genommen – wird der Gewinn sein.

             Kunst wendet sich nicht an wenige Auserwählte. Jeder kann sie erobern, wenn er guten Willens ist. Es gehört nicht einmal allzuviel dazu. Jeder hat heute die Gelegenheit dazu. Auch die Sozialdemokratische Kunststelle bietet sie reichlich in ihren Ausstellungen »Kunst ins Volk«. Die Führung, die sie in diesen Ausstellungen veranstaltet, können die Selbstaneignung der Kunst nicht ersetzen, aber sie sind geeignet, Vorurteile zu zerstreuen und die Wege ins Reich der Kunst zu weisen.

In: Kunst und Volk, H. 2 (Okt.) 1928, S. 12-13.

Robert Müller: Die Geistrasse (1918)

             Der Kritiker des Aktivismus muß entweder selbst Aktivist sein oder er muß, um den Inhalt der Sammelflugschrift der Aktivisten zu erschöpfen, sich auf eine lange und geduldige Begleitung vorbereiten und mit seinem Urteil zuwarten („Tätiger Geist! Zweites der Zieljahrbücher“, herausgegeben von Kurt Hiller, Neuer Geist Verlag Leipzig) In einer Vision von Menschheit entrollt sich die nächste geschichtliche Aufwärtsbewegung der Gesellschaft. Der Aktivismus ist eine Emotion seelischer Grundtatsachen wie Gotik oder die Aufklärung. Er zentriert das Leben neu, und zwar nicht ohne seine Wirkungen unkontrolliert zu lassen wie der Dichter, von dem er abstammt, sondern mit einer entschieden undichterlichen Absicht, an Ort und Stelle zu wirken. Das Kunstwerk der Umwelt, die Formgewalt über das soziale Chaos, das sich hinter einem Schein des bürgerlichen Mechanismus zerspielt, sind die an ihm dem dichterischen Menschen entsprechenden Komplexe.

             Woraus entsprang der Aktivismus? Aus der Not der Geistigen an der Zeit. Sie fühlten sich so schlecht regiert wie nie. Da suchen sie selbst sich des Apparats zu bemächtigen. Nichts gefruchtet hat bis heute das Hungern und Hangen der Dichter. Bevor das Buch geschrieben würde, das, gelesen, die Welt ändern und Menschensinn bekehren soll, soll eine Welt entstehen durch das manifestierende Buch, in der Dichterbücher überhaupt richtig gelesen, Zwiesprache zwischen Denker und Denkendem gepflogen wird.

             Der Aktivist opfert sich für den Dichter auf, im besonderen für den Expressionisten. Er ist das fliegende Korps des Expressionismus. Die neuen Bücher werden kaum gelesen, nur besprochen, zuwenigsts nicht richtig gelesen; die neuen Bilder werden falsch gesehen. Um eine Welt zu ermöglichen, in der die Treuherzigkeit des Expressionisten ohne Gefahr für seine Person und sein Werk unbestochen bleiben kann, verzichtet der Aktivist auf das eigene Kunstwerk. Von seiner Resignation genährt, er gießt er sein Temperament in die sichtbarsten und unmittelbaren Formen aktuellen Daseins.

             Die Kunst stellt Tugenden fest. Sie gibt immer, wo sie mehr als Ergötzung, Entwicklungswinke. So stellt auch der Expressionismus Welt Formen dar, die erst nach Zersetzung, Liquidation, Elementararisierung der jetzigen möglich werden (Abbau der Sozialwelt) … der Expressionismus verbraucht zum ersten Male Voraussetzungen, die sich nicht als Änderungen innerhalb dieser bestehenden Weltform durchsetzen können. Er zeigt ein von den tektonischen Begriffen gelöstes Dasein. Politik des Geistes oder Aktivismus nun ist es, Die Welt bessernd so vorzubereiten, daß jene „Weltauflösung-Welt Synthese“, das heißt die Kulturdämmerung alles Heutigen eintreten kann. Die sympathetische Welt kann entstehen, sobald die gegenwärtige mechanische Ordnung, auf ihre Spitze getrieben, wieder unter das Bewußtsein sinkt uind Memnotechnikum wird. Der Expressionismus als die umfassende Erregung, die er ist, und er ist mehr als Bewegung… ist Drittes nach Gotik und Aufklärung…löst die Aufgabe, wie der analytische Typ, zu dem wir wurden, wieder lebens- und darstellungsfähig werden kann. Seine letzte Schlüssigkeit ist der Aktivist.  

Der  expressionistische Schriftsteller „behandelt“ keine Probleme, er hat keine „Psychologie“, keine soziale Formen usw. Er gewahrt alles nur im größten Verhältnis des Kosmos; er kennt die Welt als Welten. Ein Dasein auf dieser geistigen Stufe, wo alles nur Verhältnis sein würde, ist möglich. Aber es ist nicht früher möglich, bevor nicht diese bürgerliche, mechanistische Welt restlos erfüllt ist. Gerade der Expressionist mag vor solchem Mechanon zurückschrecken: der Aktivist wird ihn vor den Folgen feigen Grauens retten.     

             Der Aktivist ist eine Abspaltung des Expressionismus: seine rechte Hand. Er sucht zu vereinfachen, sucht die Politik mit den natürlichen Mitteln des künstlerischen Schaffens auf die Höhe der höchsten schöpferischen Werke zu heben. Der landläufige Berufspolitiker wirft ihm vor, daß er den politischen Apparat durch Forderungen verwickle, die aus der Literatur bezogen sind. Aber er fordert nichts anderes, als daß Politik zumindest ebenso reinlich aus dem Menschen quelle wie Kunst. Er verlangt, unsere Politik sei simpel und klar. Wichtiger ist der Argwohn und Vorwurf seines expressionistischen Bruders, daß er sich dabei versimpele. Der Aktivist antwortet mit Recht zurück, was anderes denn der Expressionismus sei, als die ausgreifendste bisher mögliche Vereinfachung, wenn nicht die Philister über ihn Recht behalten sollen, die ihn konfus und kompliziert schelten. Der Hebel ist zwar später und hirnlicher als der Kraftumweg vor dem Hebel und mag Troglodyten als beängstigend komplizierte Zumutung auf Dauer erschienen sein. Aber niemand leugnet, daß durch diesen Rechenakt eine Vereinfachung eingeführt ist. Jedes Kunstwerk ist ein solcher Hebel, Energieersparnis durch schöpferischen Kraftauswand an der Wurzel, in der Seele. Der Aktivist ist überall für den Hebel. Der Verwahrung einlegende Dichter steht zum Aktivisten im Verhältnis des Philisters zum Dichter.

             Der Aktivist verkündet die Religion des Bewußtseins. Er ist Rationalist. Unterscheide aber genau zwischen der Ratio des Erkenntnisphilosophischen und der Ratio des Willensphilosophischen. Der Rationalist hält es natürlich erkenntnishaft gar nicht mit der Schulweisheit Horatios, sondern mit dem visionären Hamlet. Was ich erkenne, kann Wissenschaft nicht restlos herbeischaffen. Überwelten sind mit dem System von Hierweltorganen unfaßlich. Im zu Wollenden aber den Hang, vor der Tat die roheste Tatnotdurft walten zu lassen, ist Alchymie, leeres Goldsuchen, kurz, eine Sauerei. Bescheiden im Bewerten seiner Kenntnis und Erkenntnis, souverän und alles zwingend im Augenblick formschaffenden Wollens sie die schöne Klarheit des sich verantwortlichen geistigen Menschen.

             Bewußtseinstatsachen mögen Weltausschnitt der Welt sein: so ist die Tatsache des Bewußtseins niemals mehr zu schänden, abzuschwächen, zu diskreditieren.

             Es kündet sich ein Prozeß an, der in einer Arche gleichsam die Überlebenden des Bewußtseins rettet und zu einer neuen Geistrasse verdichtet. Wie die Amerikanisierung, ist einfach ein Prozeß der Vergeistigung auf dem Erdstern möglich, der von dieser Rasse aus der Arche ausgehen soll. Der Aktivist ist es, der diesen Prozeß vorbewußt ahnt und bewußt anspornt. Er müht sich um die Aufforstung des Menschen. Nur zu diesem Zweck schreibt der Aktivist.

             Der Aktivist will: 1. Gut schreiben – Er schreibt ausgezeichnet. 2. Gutes schreiben. Er schreibt Dinge, die ebenso genießbar, erbaulich als herzensfreundlich gemeint sind. Er will das Gute schreiben. – Erst von hier an entsteht in ihm der Widerspruch des Bürgers und dessen Korrelats, des Dichters. Aber der Aktivist will Aktivismus nur so lange schreiben, als es notwendig ist, die Menschen zu erziehen, bis sie Aktivisten sind. Aktivisten untereinander gibt es nicht. Dichter untereinander gibt es. Aktivisten gibt es nur nach außen hin; untereinander sind es Dichter.

             Die aktivistische Literatur ist vor allem eine Lektüre für Politiker und Dichter: also für alle. Denn jeder reine, sittliche, in den Anlagen unverdorbene Mensch ist ebenso Politiker wie Dichter, jeder. Das kleinste Publikum des Aktivisten, der in deutscher Sprache schreibt, ist das deutsche Volk. Aber in Deutschland war Politik bisher die Angelegenheit einer Kaste, einer Herrenrasse. Seit dreißig Jahren sind Deutsche assimilierte Preußen. Es ist ein Kriegsgewinnertypus. Er hat alles im Kriege, auch den Krieg selbst zu gewinnen. Er verliert alles außerhalb seiner. Daß Kampf für die Idee sittlich ist, leugnet nur – der Militär. Diesem ist nur der Gehorsam sittlich. Die Idee ist revolutionär, also unsittlich. Es gibt in Deutschland keinen Zusammenschluß, dessen Programm gegen die herrschenden berüchtigten Zustände so ganz auf integrer Vernunft und allem Gesunden zugänglicher Selbstverständlichkeit ruht wie der Aktivismus. Der Aktivist ist der stärkste Anwärter auf eine erledigte Politikstelle in Deutschland. Seine lose Gruppe ist der inneren Spannung nach die mächtigste Partei eines künftigen Reiches. Die Sozialdemokratie war ihr schwacher Vorabklatsch. Nur die Fabians in England können mit ihm verglichen werden. Die Gruppe ist Reservoir für die politischen Typen der allernächsten Zeit. Die Menschheitstribunen des zweiten Jahrtausends gehen aus ihr hervor. Wir treten in den absoluten Erdkulturkreis der Geschichte ein. Nein, „Weltgeschichte“ war Vorarbeit.

             Die praktischen Forderungen des Aktivismus lesen sich gar nicht deutsch. Sie klingen in ihrem Pathos romanisch. Das ist gut so. An die Stelle des Systemdeutschen wird, wie in aller Kulturwelt, wieder der Mensch der Schwungkraft treten, vermehrt um die deutsche Ratio, Impulsen den strenuosen Akt im Aufstellen von Systemen folgen lassen: um gleich darauf sie zu verwischen, wie man Hilfslinien auswischt. Vergessen, wie man schreiben und wie man Klavier gelernt hat, aber vorher üben und Etüden spielen, bis die Gelenke knacken. Es ist aktivistisch, ein Meister des Menschlichen zu sein, aus dem großen Ungefähr zu schaffen, aber sein Menschheitshandwerk durch und durch zu kennen. An die Stelle der Vorherrschaft einer Herrenrasse soll die umfassende Meisterrasse treten. Die Bestellung der Menschheit erfolge großzügig und nach modernen Betrieben.

             Aktivismus ist Gesetzgebung aus der Seele. Die deutsche Mystik, die deutsche Tüchtigkeit, der deutsche Schneid, die deutsche Musizität können hinfürder keinen Einzelanspruch auf Ethos haben; aber alle diese Tugenden haben in der neuen ihren Platz schon gefunden. Der Aktivismus, zum Schlusse, will eine Universalrasse begründen; sein Elan ist romanisch; das Endergebnis, die Rasse, wird deutsch im guten Sinn aussehen. Immer entsteht Deutsches aus allem anderen; nicht umgekehrt, durch Aufprägung, wie heute der annexionistische Philister in Deutschland meint. Der Aktivismus will, daß die Deutschen wieder deutsch würden. Die Weltrasse ist eine nationale Angelegenheit der Deutschen. Erst in ihr kann Deutschtum sich erfüllen, wenn es sich freilich, wie es heute ist, aufgegeben hat.

In: Daimon, H. 4 (August) 1918, S. 210-213[1]


[1] Anmerkung des Herausgebers (Originalfassung): Hier sei vorläufig festgestellt, daß die folgenden Ausführungen sich nicht mit dem Urteil des „Daimon“ decken. Unter dem Titel „Die Dialektik der Selbstverantwortung“ (An die Bekenner literarischer Religion und die Prediger tätigen Geistes) wird im Oktoberheft zum Aktivisten-Jahrbuch Stellung genommen werden. 

Hermann Bahr: Tagebuch: Dada-Almanach (1920)

             7. Oktober. „Dada-Almanach“, im Auftrag des Zentralamtes der deutschen Dada-Bewegung, herausgegeben von Richard Huelsenbeck (Erich Reiß Verlag Berlin). Darob so großes Entsetzen aller Seriösen, daß sogar dem Verleger selber bange wird und er eilends gelobt, es nicht wieder zu tun und bei diesem einen Anfall von Dadaismus bewenden zu lassen. Warum der Lärm? Ich sehe nicht, weshalb der Dadaismus schlechter sein und weniger Rechte haben soll als irgendein anderer unserer zahllosen Ismen. Er ist nur konsequenter und hat den Mut, bis ans Ende zu gehen, ans Ende der autonomen Vernunft! Wenn Huelsenbeck in seiner Einleitung zu diesem Almanach Dada „die große Parallelerscheinung zu den relativistischen Philosophen dieser Zeit“ nennt und erklärt, Dada sei „kein Axiom, sondern ein Geisteszustand“, Dada sei „der direkteste und lebendigste Ausdruck seiner Zeit“, so spricht er damit ohne jede Renommage ganz einfach die Wahrheit aus. Mir ist ja verwehrt, Dadaist zu werden, weil ich, mich von dieser Zeit abwendend, ein Finsterling geworden bin, weil ich glaube. Wer aber nicht an ein ewiges, übermenschliches, übernatürliches Reich des Wahren, Guten, Schönen glaubt, wer nicht an den lebendigen Gott glaubt, sondern höchstens allenfalls an einen aus menschlicher Vernunft geschnitzten, wer nicht an Vater, Schöpfer Himmels und der Erde glaubt, sondern Himmel und Erde vom Menschengeist erschaffen sein läßt, der ist absurd, wenn er die Notwendigkeit, Dadaist zu werden, verkennt; denn der Dadaist erst hat das Jenseits von Gut und Böse völlig erreicht. „Dada“, fährt Huelsenbeck in seinen Proklamationen fort, „läßt sich nicht durch ein System rechtfertigen, das mit einem „Du sollst“ an die Menschen heranträte. Dada ruht in sich und handelt aus sich, so wie die Sonne handelt, wenn sie am Himmel aufsteigt, oder wie wenn ein Baum wächst. Der Baum wächst, ohne wachsen zu wollen. Dada schiebt seinen Handlungen keine Motive unter, die ein Ziel verfolgen… Dada hat das Reich der Erfindungen entdeckt, von dem Friedrich Nietzsche spricht, er hat sich zum Parodisten der Weltgeschichte und zum Hanswurst gemacht.

Das ist ja wirklich das einzige, was dem Menschen übrig bleibt, sobald er sich von allem Sollen frei, sobald er seine Vernunft souverän erkärt. „Der Dadaist“, sagt Huelsenbeck, „ist der freieste Mensch der Erde. Ideologe ist der Mensch, der auf den Schwindel hereinfällt, den ihm sein eigener Intellekt vormacht, eine Idee, also das Symbol einer augenblicksapperzipierten Wirklichkeit habe absolute Realität.“ Durch den Dadaisten ist also zum erstenmal das finstere Mittelalter wirklich überwunden, die Gegensätze stehen einander nun rein gegenüber, Aug in Aug und jedermann kann wählen, ob er Finsterling oder Dadaist sein will; die feigen Kompromisse sind unmöglich geworden. Wer A sagt, muß auch B sagen: wer autonome Vernunft sagt, muß auch Dada sagen. Die Finsternis des Mittelalters bestand ja nämlich darin, daß es die Vernunft nicht herrschen ließ, sondern dienen, der Wahrheit dienen. Indem sich die Vernunft allmählich diesem Dienst entzog, um einem Knecht der Wahrheit ihr Herr zu werden, anerkennend, sondern fortan nach eigener Willkür dekretierend, was wahr, was schön, was gut sein soll, war es schon eigentlich nur noch ein Atavismus, überhaupt noch eine für alle gültige, für alle verbindliche Wahrheit anzunehmen und bald schaffte sich auch jedermann seine private zum eigenen Hausgebrauch selber an. Aber auch darin blieb noch ein atavistischer Rest: es gibt nämlich durchaus keinen Grund, warum diese von mir nur für mich allen zum eigenen Gebrauch angelegte Wahrheit deshalb nun irgendwie mich selber binden soll: ich kann sie doch jeden Augenblick mit einer neuen nach Belieben vertauschen, was auch viel amüsanter ist. Wenn Weltanschauung nicht Anschauung einer von mir unabhängigen Welt, nicht der Reflex eines Objekts in meinem Subjekt, nicht meine Relation zum Absoluten ist, wenn ungewiß ist, ob es eine solche Welt an sich ohne mich überhaupt gibt, wenn die Welt nur ein Geschöpf meines Intellekts ist, warum soll mein schöpferischer Intellekt sich dann mit einem einzigen Schöpfungsakt begnügen? Warum so faul? Warum nur einmal schaffen? Wenn sie bloß von meinem Intellekt ausgeschwitzt wird, warum dann nur ein einziges Exsudat? Und Dada tut aber auch noch den letzten großen Schritt, indem es den Intellekt zur Selbstbesinnung bringt: der Intellekt fällt jetzt auf den Schwindel, den er sich vormacht, selber nicht mehr herein! Damit ist die höchste Leistung der souveränen Vernunft erreicht, das Ende. Die Denkmöglichkeiten sind erschöpft, aller Dunst ist weggeblasen, ganz rein liegen die beiden Pole bloß: Plato und Dada stehen einander gegenüber und jedermann mag wählen. Der Selbstbetrug, gottlos und zugleich aber auch, als ob vielleicht doch Gott oder etwas Gottähnliches wäre, zu leben, ist unmöglich geworden. Und den braven Leuten, die sich vor dem Dadaismus entsetzt bekreuzigen, bliebe nichts anderes übrig, als damit wirklich Ernst, wirklich das Kreuz zu machen. Vernunft, vom Kreuz befreit, landet bei Dada…

In: Neues Wiener Journal, 31. 10. 1920, S. 6.

Hugo Huppert: Der Sprechchor und die proletarische Kunst (1925)

             Die proletarische Kunst ist ein Ausdruck des proletarischen Kampfes. Aber mehr noch, sie ist ein Mittel, die steht im Dienste dieses Kampfes selbst. Daraus leuchtet ein, daß sie nicht nur ihren Inhalt, sondern auch ihre Form und Gehalt dem Charakter des proletarischen Klassenkampfes entlehnt. Was ist nun das Kennzeichen dieses Kampfes, was unterscheidet seine allgemeine Taktik von der Kampfesweisen anderer Klassen und Gruppen? Die einmütige Bewegung der selbsttätigen Masse. Nicht ein Held, Erlöser, Drachentöter, Befreier, „kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun“ wird den Kampf der Werktätigen um die Herrschaft und später um die klassenlose Gesellschaft entscheiden, sondern die Klasse selbst als kollektive Kampfformation, organisiert und geführt von der Partei der Revolution. So muß die proletarische Kunst zunächst schon der Struktur (dem Aufbau) der Klasse selbst entsprechen, der Klasse, wie sie lebt, arbeitet und kämpft.

             Wenn wir die Architektur (Baukunst) betrachten, die in ihrer praktischen Verbundenheit mit dem Wohnbedürfnis der Gesellschaftsklassen die Zusammenhänge zwischen dem wirtschaftlichen Unterbau und dem künstlerischen Ausdrucksleben einer Gesellschaftsordnung deutlicher als andere Kunstgattungen aufzeigt, so sehen wir folgendes: Im Wohnparadies der Großbourgeoisie, etwa im Cottageviertel von Währing, stehen ältere und neuere Villen und Einfamilienhäuser neben kleinen Palästen und schloßartigen Gartenhäuchen in ungleichen Abständen mit allerlei Gartenschmuck, wobei aber das Auffallendste die durchgängige Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit dieser Gebäude ist, von denen nicht zwei einander ähnlich sein wollen und im Wettbewerb um Eigenart, Besonderheit und „Apartheit“ zu den geschmacklosesten Mitteln greifen. In diesen Bauformen drückt sich der Persönlichkeitskult und der Individualismus des in der freien Konkurrenz der Einzelnen erzogenen bürgerlichen Denkens und Fühlens aus. Dieses plan- und regellose Durcheinander von Ungleichartigem, oft Widerspruchsvollem ist eben das baukünstlerische Abbild der Anarchie der Produktion, wie sie die kapitalistische Wirtschaft beherrscht. Vergleichen wir damit die ungeheuer gleichförmigen, geradlinig ausgerichteten Mauerblöcke der Vorstädte, diese hausgewordenen Raumquader, in welchen das Proletariat wohnt, so erkennen wir darin den kollektiven Zug und das Massenmaß, welches den Aufbau der Arbeiterklasse, ihre Kampfesweise und damit auch die proletarische Kunst kennzeichnet. Nicht um der Schönheit willen ist die Kunst geschaffen, sondern sie wächst aus der sozialen Not wie die Zinskasernen. Und so wandelt sich „Stil“, Geschmack und Schönheitsbegriff mit dem Wechsel der Gesellschaftsform, welche großen ökonomischen Gesetzen folgt.

             Ebenso wie die Riesenquader, Wolkenkratzer und Bienenhäuser dem sozialen Massenwohnen der Arbeiterklasse entsprechen, so entspricht der Epoche des revolutionären Massenaufzugs, der Straßendemonstration und des Straßenkampfes als sprachliches Ausdrucksmittel der Sprechchor. Die kollektiven Losungen der Partei des Proletariats sind der dem Sprechchor angeborene Stoff. Wie ist diese Kunstgattung entstanden? Wer am 25. März nach der Rote-Hilfe-Versammlung im Demonstrationszug über die Mariahilferstraße mitmarschiert ist und die Parolen des Tages im Marschtakt mitgerufen hat, der kennt durch eigene Erfahrung die Geburt des Sprechchors aus dem Kampf. Und als der erste Polizeikordon durchbrochen war, wie rasch und feurig kam im Rhythmus des anschwellenden Sprechchors wieder Ordnung und Geschlossenheit in den Zug! Wo die Starrheit des Marschliedes der vorwärtsstürmenden Bewegung inhaltlich nicht nachkommt, da ergreift der anpassungsfähigere Sprechchor die neue Parole. Und das der Parole entsteht das revolutionäre Gedicht.

             Eine Masse, in der jeder Einzelne sein Wort und seine Stimme hören will, kann nicht sprechen, sondern nur rauschen wie ein totes Element. Der brausende Wind und das rauschende Meer kann beherrscht werden. Aber eine sprechende, weil wollende Masse kann kein Herr beherrschen. Sprechen kann aber nur ein Chor, eine organisierte Masse. Und hier zeigt sich wieder die Einheit von Kunstform und Kampfesform des Proletariats. Der Sprechchor ist das ausdrucksvollste Musikinstrument der zum Kampf organisierten Masse.

             Wer sehen will, wie die kleinbürgerliche Verknöcherung der Sozialdemokratie bis in die ideologischen Höhen der Kunstteheorie hinaufsteigt, der lese, was Elise Karau in der Arbeiter-Zeitung vom 31. März zu sagen hat. Der Sprechchor, aus der antiken Tragödie hervorgegangen, ist nur da, um „proletarische Feste zu verschönern, ihnen eine neue Weihe zu geben…“, „zu unser aller Freue, frohes Fest mit tiefem Sinn…, ein stück Sozialismus, Festkultur der Zukunft! … wenn das Dichterwort: ‚Nur eine kleine Weile, dann habt ihr Zeit!‘ sich erfüllt haben wird.“ Ja, wir wissen, daß diese Stück-Sozialisten Zeit haben; und da wird’s doch dem Proletariat auf „kleine Weile“, die sie ihm durch „Reigen in schöner Harmonie“, „Schönheit des durchgebildeten Körpers“, „Wohllaut des Klanges“, „mit Geist und Empfindung des freien, bewußten Menschen“ kürzen, nicht ankommen! Auch ein Weg zum Sozialismus, der ja stückweise kommt: Man vertreibe // sich die Zeit bis dahin durch Vorbereitungen zur „Festkultur der Zukunft“! Wir würden der Arbeiterjugend raten, etwas anderes zu vertreiben… Aber weshalb denn? Elise Karau meint: „Ein Stückchen vom Himmelsblau, ein Sonnenstrahl vergoldet auch den kahlen Hof der Zinskaserne (und auch diese sieht heute schon anders aus als vor zwanzig Jahren) …“ Aber gemach! Sprechchöre sind alles, nur kein Einschläferungsmittel. Eine kleine Weile nur, und der überraschten Elise Karau schallt es aus tausenden Proletarierkehlen entgegen: „Hinaus aus der Festkultur der Zukunft! Hinein in die Kampfkultur der Gegenwart!!“

In: Die Rote Fahne, 19.4.1925, S. 6-7.

Max Eisler: Die Kunst in unserer Zeit (1930)

Im Oberstock des Künstlerhauses ist seit einigen Tagen eine Ausstellung zu sehen, die den Formenwillen unserer Zeit bis auf den Grund klarlegen möchte. Sie setzt sich also ein geistiges Programm. Denn es geht ihr nicht um das vollkommene Beispiel, sondern um Sinn und Weise der modernen Gestaltung. Was sie will, ist eine Klärung des Wirrwarrs, in dem wir gedankenlos vegetieren, eine Atempause der Selbst- und Weltbesinnung in dem überhitzten Tempo, von dem wir uns treiben lassen, also den Weg zur Erkenntnis der tieferen Beweggründe und der Einheit im Schaffen der Gegenwart.

Um das aufzuzeigen, werden – besonders innerhalb der Malerei – die Werke dreier Generationen, aber auch sehr verschiedene Betätigungen – etwa Erzeugnisse der heutigen Technik, sozial-ökonomisches Bauen und endlich Bilderkunst – miteinander konfrontiert. Die Gegenüberstellung der drei malenden Generationen – von Hans Tietze, dem verdienstvollen Urheber der Aufstellung, schon einmal versucht – erweist sich auch diesmal sehr fruchtbar. Aber schon bei den zwei Zimmern, welche die Einrichtung in den Jahren 1900 und 1930 charakterisieren sollen, wird man grundsätzlich Bedenken haben; denn der Raum vom Jahre 1900 ist kein rein charakteristisches Beispiel, sondern ein mit drastischer Absicht zusammengebrachter Auswuchs der Zeit, wie er sich auch für die Gegenwart leicht hätte finden lassen. Bedenklicher noch scheint uns die Zusammenführung so entlegener Dinge wie etwa eines höchst rationellen Staubsaugers und der neuesten Malwerke. Denn da werden, nach unserm Gefühl, Brücken gelegt, wo besser Grenzen gezogen werden müßten. So ist es z. B. heute bei weitem nicht mehr so wichtig, an dem und jenem die gemeinsame „Sachlichkeit“ nachzuweisen, als dieses arg mißbrauchte Schlagwort durch eine feinere Unterscheidung von Fall zu Fall zu entkräften und wesentlich richtigzustellen. Und das ist vielleicht nirgends so wichtig, wie bei der Bestimmung des Verhältnisses von neuer Bau- und neuer Bildkunst, die in ihren Gegensätzen weit gründlicher verstanden werden können als in ihren vorgeblichen Gemeinsamkeiten. Jedenfalls bringt die Anhäufung so vieler disparater Arbeiten im engen Raume die Gefahr mit sich, daß das Publikum – dieses sollte ja erzogen werden – statt des Zusammenhanges eine Verwirrung wahrnimmt. Und das wäre furchtbar schade.

Denn die Ausstellung ist, trotz allem, eine ernsthafte und mutige Tat. Schon als geistiges Ereignis steht sie hoch über unserm normal lässigen Ausstellungsbetrieb, der sich im besten Fall von irgend einer Konjunktur inspirieren läßt. Hier endlich ist ein umgreifender Gedanke Antrieb der Veranstaltung gewesen und von den Mitarbeitern Tietzes mit junger, schöner Hingabe verwirklicht worden. Gewiß nicht mehr als ein Experiment. Aber, selbst in seinen Irrtümern derart interessant, daß man so leicht davon nicht loskann. (Auch wir wollen ein nächstesmal noch genauer darauf zurückkommen.)

Heute schon das: Man mag gegen den Aufbau des Problems seine Bedenken haben und deshalb auch bezweifeln, ob er in breiteren Kreisen zu der erwünschten rechten Einsicht führen wird – gewiß ist, daß durch diese Ausstellung, namentlich auf dem Gebiet der neueren und neuesten Malerei, der von allen pfahlbürgerlichen Geistern verrammelte Horizont des Wiener Kunstfreundes mit einem Male kosmopolitisch erweitert wird. Man begegnet hier namhaften Meistern der Zeit mit bedeutenden Werken, man sieht, was einem bisher zu sehen versagt und nur durch das Gerücht, meist durch ein übelwollendes Gerücht, bekannt geworden war – man erhält endlich wieder einen weltgültigen Gesichtskreis und darin die Möglichkeit, einen eigenen Standpunkt zu beziehen. Das ist das unbestreitbare Verdienst der Veranstaltung. Und schon das allein macht sie für alle aufrichtigen Freunde des Kunstlebens, ohne Unterschied ihrer Einstellung, wahrhaft sehenswert.

In: Der Morgen. Wiener Montagblatt, 31.3.1930, S. 8.

Leopold Wolfgang Rochowanski: Formwille der Zeit (1922)

Wien 1922 (Auszüge; S. 10-11, 32-33)

[…]

Es gibt keine Arbeit von Cizekschülern, in der nicht der Atem, der Gedanke, die Triebkräfte unserer Zeit zu spüren sind.

             Der Unterricht [o altes Wort!] beginnt mit der Aufforderung, sich hemmungslos, mit der zügellosen Wildheit vorhandener Energien zu geben. Es entsteht: das Chaos. Aber schon die nächste Stunde ruft: Besinnung. Und die nächste Steigerung heißt: Ordnung.

             Schon die einleitenden Aufgaben sind eine prüfende Probe für das vorhandene Kraftvermögen des Schülers.

             Die Expression ist eine Besitzentleerung zum Besitz für andere, sagt Rubiner. Was nun folgt, ist ein gewaltiges fortwährendes Sichentladen. Zuerst kommt das Projizieren bestimmter Gefühle: Freude, Trauer, Neid, Sehnsucht, Erhabenheit, Kälte, Wärme. Alle Superlative von Leidenschaften. Das Ausschöpfen von Bewegungsenergien: Sprießen, Drängen, Treiben, Sprengen, Emporstreben [wobei zugleich die Differenzierung des Sprachgefühls zum Ausdruck kommt und kontrollierbar wird]. Die Empfindungen durchs Auge: Licht, Finsternis. Durchs Ohr: Straßengeräusche, Donner, Musik. Eine Verbindung psychischer, auditiver und visueller Eindrücke: Donner und Blitz. Durch die Nase: Blumenduft, Brand. Aus dem Für und Wider der Kräfte springt: der Kampf. Kampf der Ordnung gegen die Unordnung [Aber beliebter ist: Kampf der Unordnung gegen die Ordnung und das ist begreiflich aus der Zeit, denn auch die Unordnung hat ihre Ordnung und die Ordnung der Ordnung ist uns verhaßt// seit langem! Bei manchen Schülern allerdings wird es – wie Professor Cizek lächelnd feststellt – ein Kampf der Unordnung gegen die Schlamperei]. Ewiges Kräftespiel, Auf und Ab, Überrennen, Überstürzen, Härte gegen Weichheit, Gut gegen Böse, Licht gegen Dunkelheit.

             Rhythmus. Neuer Rhythmus. Bei seiner rein gefühlsmäßigen Gewinnung kommt der Musik dienende Bedeutung zu. Darum fehlt die Musik in dieser Schule fast niemals. Nicht nur, daß Musikstücke gezeichnet und schöne kleine Kapellen aus Geigen, Flöten, Waldhorn und Cellis zusammengestellt wurden, – über jede Unterrichtsstunde fließen die Rhythmen der Töne. Entweder singt einer Volkslieder [oft sehr ernste, traurige, die tiefe Ergriffenheit und Sichbesinnung bringen], oder ein Mädchen zupft lustig die Laute oder einer unterbricht seine Arbeit, setzt sich an das stets bereite Klavier und paraphrasiert seine Arbeit in Tönen zu Ende. Musik. Rhythmus.

[…]

[…] Kinetismus von ϰίνειν = bewegen. Bisher war alles Stilleben, nicht bloß die Rüben, Krautköpfe, Äpfel, Schinken und Weinbecher, die uns noch immer serviert werden, sondern auch der Mensch. Nun soll das Leben, die Bewegung gewonnen werden. Die Bewegung der Objekte: Erdbeben, Sturm, das rollende // Rad. Dann unsere Bewegung durch die Objekte [die sich auch bewegen können] hindurch: die Fahrt durch die Straßen mit eilenden Menschen.

             Wir kommen also zuerst zur Wiedergabe des rhythmischen Ablaufes einer Bewegung. Weiters zur Häufung von Bewegungseindrücken. Schließlich zur Vereinigung beider.

             Hinter dem Kinetismus aber steht noch vielmehr, weit Größeres als das Ausdrücken der Bewegung. Es ist kein Zufall, daß seine Geburt gerade in diese Zeit fiel. Die Gedanken darüber kommen, wenn man sich in die eine Keramik von Georg Kolb oder in die Zeichnung „Erwachen“ von Erika Giovanna Klien vergräbt. Unsere egozentrischen Gedanken [ich spreche nur von Menschen] sind erschlagen, wir leben nicht mehr für uns, unsere Liebe ist ausgezogen, sucht stündlich die anderen da draußen, läuft hinauf nach Hammerfest und hinab nach Feuerland, überallhin, in die entlegensten Hütten und unsere zwei Hände sind zu wenig, sie hinzureichen, wir brauchen mehr, und unsere zwei Wangen sind zu wenig, sie hinzulegen auf die Wunden der andern, wir brauchen mehr, und unsere zwei Augen sind zu wenig, alles zu sehen und zu melden, wir brauchen mehr!

                                        Stehen nicht mehr in Scham

                                        vor Blume und Baum,

                                        vor schweigender Größe.

                                        Gelöst aus endlosem Ängstezaum

                                        geben wir uns,

                                        teilen wir uns

                                        überallhin.

Robert Musil: Intensismus (1926)

             Verschwenden Sie nicht viel Zeit an die Kunst! Setzen Sie sich kurzerhand an die Spitze der Kenner! Ich gebe Ihnen dafür zwei Regeln.

             Erklären Sie ein Bild, das Ihnen nicht gefällt oder das Sie nicht verstehen, unter allen Umständen für veraltet. Fügen Sie nichts hinzu, was daraus schließen läßt, ob Sie es für zweites oder zwanzigstes Jahrhundert, für ein Aquarell oder einen Holzschnitt gehalten haben. Denn darüber läßt sich streiten.

             Zweitens, behaupten Sie, wenn man Sie nach den Gründen dieses Urteils frägt, die Malerei der Zukunft sei der Intensismus. Und wenn man Sie frägt, was das sei, verweigern Sie die Antworte und sagen, das verstände sich von selbst.

             So macht man es nämlich immer. So hat es der Impressionismus gemacht und der Expressionismus. Ich sage Ihnen natürlich nicht, was diese beiden Worte bedeuten; das geht Sie glücklicherweise nichts mehr an. Und wenn ich Ihnen über den Intensismus etwas mehr andeute, so geschieht es nicht, um Ihnen eine Vorstellung von ihm zu geben – denn wenn die Anhänger einer Bewegung eine klare Vorstellung von ihr hätten, so würde das jeden Schwung lähmen –, sondern weil Sie das Gefühl empfangen sollen, daß diese kommende Kunst die Malerei Ihrer Nerven, Ihres Willens, Ihrer Vitalität sein wird: diesen Beschluß müssen Sie bewahren, alles übrige vergessen.

             Man hat früher größere Bilder gemalt als heute. Das kam davon, daß damals die Wohnungen größer waren. Sie sehen, wie einfach Kunstregeln sind.

             Als man in Burgen wohnte, bedeckte man ganze Wände mit einem Bild. Später, als man ein Haus bewohnte, hatten die Bilder nur noch die Größe von höchstens 1,50 mal zwei Metern. Heute können selbst schwere Leute nur Wohnungen von ein paar Zimmern kaufen, die halb so hoch sind, als sie früher waren, und die Bilder haben demgemäß ein Format von bloß 1:0,8 Metern; und wenn, was vorauszusehen ist, die Bautätigkeit in Europa noch lange stockt so werden die Bilder noch kleiner werden.

             Sie sind aber im Verhältnis nicht billiger geworden. Daraus folgt, daß der Grund und Boden des Bildes teurer, die Bodenrente per Quadratzentimeter Bildleinwand größer geworden ist und die gleiche geistige Rentabilität eine intensivere Bewirtschaftung der Leinwand verlangt. Dies ist die eine Wurzel des Intensismus.

             Als zweites verlangt ihn die psychische Energie. Betrachten Sie eine Landschaft, so finden Sie gewöhnlich ein Drittel, wenn nicht die Hälfte des Bildes von Luft oder Wasser bedeckt. Solche Bilder sind gewissermaßen Brachland. Überdies ist nicht zu bestreiten, daß schon ein Quadratzentimeter, blau bestrichen oder gar mit einer Anmerkung versehen, vollauf genügt, um uns wissen zu lassen, daß Himmel oder Wasser beabsichtig sei; jeder Mensch weiß, wie sie aussehen, etwas Neues ist daran nicht zu zeigen, es handelt sich einfach um eine Verschwendung durch gewohnheitsmäßigen Schlendrian. Das gleiche finden Sie natürlich auch, wenn Sie ein Porträt betrachten. Der Maler füllt nicht das ganze Bild mit Ihnen aus, sondern spart sich einen Hintergrund aus, der mindestens die Hälfte ausmacht. Er könnte ja beispielsweise Sie zweimal malen oder Sie und dahinter Ihren Konkurrenten malen, wie Sie ihm den Fuß auf den Nacken setzen, den großen Tag, wo alle Effekten in die Höhe sprangen, oder den schwarzen Tag, wo alles schief lag. Scheuen Sie sich nicht vor solchen Forderungen; allen wahrhaft ursprünglichen Epochen der Kunst waren sie ganz natürlich. Denken Sie daran, daß man mehrere Bilder ineinander malen kann; aber ich will nicht vorgreifen, diese Kunst entwickelt sich bereits von selbst. Halten Sie also bloß still an dem Wunsch fest, daß sich die Malerei bald wieder Rennpferden, Jagdbildern, Automobilen, Flugzeugen und allem, was Sie wirklich schön finden, zuwenden möge und verlangen Sie vorläufig, daß mit den unausgenützten Geistflächen Schluß gemacht werde.

             Intensivstes Leben im kleinsten Bildteil, nervöse Fläche, Einleitung der siegreichen Energie des modernen Lebens in den Bildrahmen: das ist der Intensismus! Wenn Sie irgendetwas sehen, das schon dahin weist, dann sagen Sie nichts als: Aber das ist ja intens! Wenn Ihnen das schwer fällt, so nehmen Sie immer Ihre Frau Gemahlin mit, die wird es treffen.

In: Prager Tagblatt, 17.12.1926, S. 3, Rubrik: Kunst und Leben

N.N. [ -s]: Junge Kunst (1920)

             Unter dem vielen Neuen und Ungewohnten, das der gründliche Umsturz nicht nur in politischer Hinsicht, sondern auch auf allen Gebieten des Geistes- und Kulturlebens mit sich gebracht hat, stoßen auch die neuen Erscheinungs- und Ausdrucksformen des modernen Kunstwillens vielfach auf starken Widerspruch, der wenigstens im Kreise der Gebildeten durchaus nicht immer einer philiströsen grundsätzlichen Ablehnung alles Neuen entspringt, sondern dem mehr oder weniger deutlichen Gefühle, daß sich unter den neuen Kunstpropheten noch zu viele falsche und solche, die selbst noch nicht wissen, was sie wollen, befinden. Kein vernünftiger Mensch wird bestreiten, daß die Gesetze der fortschreitenden Entwicklung alles Seienden auch die Kunst Geltung haben und daß also auch hier ein Wandel möglich, ja notwendig und der neue Geist über den alten zu siegen berufen ist. In diesem Sinn begegnet der Wille zu einer neuen Kunst sicherlich auch im gebildeten Publikum sogar einem latenten Bedürfnis oder mindestens einem mehr oder minder bereitwilligen Verständnis, das viel weiter verbreitet ist, als man gemeiniglich zu glauben scheint. Was trotzdem zu Widerspruch und Ablehnung reizt ist also nicht der in der neuen Kunstrichtung sich offenbarende revolutionäre Geist an sich, sondern vielmehr die oft recht willkürlich scheinende Gewaltsamkeit seiner Ausdrucksmittel, deren Berechtigung oder Richtigkeit von den Künstlern ebenso wenig begründet wie vom Publikum erkannt werden kann. Vorläufig wenigstens. Beide Teile fühlen sich im Rechte und sind es jeder von seinem Standpunkte aus, vielleicht auch. Vom Künstler wie vom Laien verlangt diese neue Richtung ein so radikales Umlernen, daß man sich nicht wundern darf, wenn jener im Ausdruck dessen, was er fühlt und was er uns mitteilen will, selbst noch unsicher und unklar ist, und dieser gar oft das, was ihm als die neue Kunst vorgesetzt wird, noch nicht ohneweiters bejaht, weil er „lange zur stärkster Kultur kondensierte Entwicklungen mit einem Male negiert“ sieht, als wäre sie nie dagewesen.

             Es geschähe aber den ehrlichen Vorkämpfern dieser neuen expressionistischen Kunst ein großes Unrecht, wollte man verkennen, „daß diese Kunst, die so vieles nicht sagt, nicht zu sagen vermag und nicht sagen will, was eben noch hochgehaltenes Gemeingut der künstlerischen Sprache war, daß sie ihrerseits viel Neues, Bedeutsames, in die Tiefe Greifendes zu sagen weiß, das eben diese alte Sprache gar nicht sagen konnte, das gar nicht im Bereich dieser alten Sprache lag.“

             Wir zitieren hier aus einer kleinen Monographie Lothar Briegers über einen der extremsten Expressionisten: Ludwig Meidner, der sich als Maler wie als Schriftsteller in bewußten krassen Gegensatz zur Tradition und Konvention stellt. Das genannte Buch gehört einer Serie von ähnlichen Monographien an, die im Verlag von Klinkhardt & Biermann unter dem Sammeltitel „Junge Kunst“ erschienen ist und noch fortgesetzt werden soll. Diese Bücher stellen einen ebenso interessanten wie dankenswerten Versucht dar, in das Wesen der neuen Kunst, das im Willen zur reinen Geistigkeit und zum freien Schöpfertum beruht, einzuführen, es zu erklären und an der Hand verschiedener Beispiele, die von den verschiedenen Trägern der neuen Ideen gegeben sind, alle seine Ausdrucks- und Deutungsmöglichkeiten darzutun und objektiv zu werten, kurz: sie wollen, wie der Verlag selbst sagt, „dem ungeheuren Bildungsbedürfnisse auch der breiten Massen entgegenkommen und die Werke einer expressionistischen Kunstrichtung, die ihrerseits Niederschlag und Ausdruck einer neuen Weltanschauung sind, dem Bewußtsein der Gegenwart nahebringen.“ Bisher sind außer dem schon genannten noch folgende Bände erschienen: Max Pechstein (von Georg Biermann), Paula Becker-Modersohn (von C. E. Uphoff), Bernhard Hoetger (vom vorgenannten), Cesar Klein (von Theodor Däubler), Franz Heckendorf (von Joachim Kirchner), Rudolf Großmann (von W. Hausenstein), Hugo Krayn (von Karl Schwarz).

[…]

             Als sehr wertvollen einführenden Beitrag hat der Verlag in gleicher Ausstattung eine sehr klug und verständig geschriebene Abhandlung von Prof. Dr. Franz Landsberger über „Impressionismus und Expressionismus“ erscheinen lassen, die sich mit den modernen künstlerischen Fragen, mit den Stärken und Schwächen der jungen Kunst mit vorurteilsloser Sachlichkeit und kritischem Scharfblick auseinandersetzt. Wie viele andere ehrliche Freunde jeder fortschreitenden künstlerischen Entwicklung warnt auch Prof. Landsberger bei aller Anerkennung größter Freiheit vor allzu einseitiger Betonung des Ausdrucks auf Kosten der rein formalen Gestaltung. Er weist darauf hin, daß (wofür die die hier erwähnten Bücher Beispiele geben) die rein formalen Prinzipien, deren sich kein Kunstwerk entheben darf und die näher zu bestimmen Sache der Aesthetik ist, in bedeutenden Werken des Expressionismus ebenso befolgt werden wie in den Kunstwerken aller Zeiten. Aber es besteht, sagt Prof. Landsberger, die Gefahr, „daß ein gar zu ungestümes Ausdrucksverlangen sich nicht mehr die Ruhe zu klarer Gestaltung nimmt, und solcher chaotischer Gesinnung gegenüber ist daran festzuhalten, daß, wenn im Kunstwerk schon der Schrei des Ursprünglichen gehört werden soll, er in unseren Ohren doch wie Musik ertönen muß.“

             Wie überall, so macht sich auch in der neuen Kunst ein unberufenes Mitläuferstum breit, das von einem ernsten Wollen, der Kunst zu dienen, weit entfernt, nur die Modekonjunktur auszunützen und seine Unfähigkeit hinter extremem Bluff zu verbergen sucht. Es mag eine weitere dankbare Aufgabe der genannten Publikationen des Verlages Klinkhardt  & Biermann sein, dem verwirrten Publikum eine Unterscheidung zwischen den wahren und falschen Propheten des Expressionismus, zwischen seinen berechtigten Entwicklungsformen und seinen Auswüchsen zu erleichtern.

In: Innsbrucker Nachrichten, 30.4. 1920, S. 7.