Vom Diarium zur Zeitung: Wiener Zeitung

Verfasst von Rebecca Unterberger, März 2017 (redaktionell ergänzt Februar 2019)


Daten und Fakten zur Wiener Zeitung

Die Wiener Zeitung gilt als älteste noch erscheinende Tageszeitung, hervorgegangen aus dem Wien[n]erischen Diarium, das erstmals am 8.8.1703 erschienen ist (siehe dazu die Tageszeitung Der Standard).

Erscheinungsweise: Als Wiennerische Diarium (am 3.1.1725 umbenannt in: Wienerisches Diarium) zunächst zweimal (Mi, Sa), ab Okt. 1812 dreimal wöchentlich (Di, Do, Sa), ab 1.10.1813 dann täglich. Im Zuge der Märzrevolution 1848 Einführung einer Abendausgabe; ab 1.8.1848 erschien die Morgenausgabe von Dienstag bis Sonntag, die Abendausgabe von Montag bis Samstag. Nach Einstellung der Abendausgabe erschien die WZ von 2.1.1922 bis 10.4.1925 von Montag bis Samstag abends, ab 12.4.1922 von Dienstag bis Sonntag morgens, ab 3.7.1933 dann zusätzlich montags (13 Uhr) und damit wieder täglich. Nach dem Krieg erschien die WZ sechstägig (Di-Sonntag), bevor im Nov. 1998 auf eine fünftägige Erscheinungsweise (Mo-Fr) umgestellt wurde. – Seit 1995 besteht zudem die Webausgabe WZ Online; 2007 ging der Mehrwertdienst firmenmonitor.at in Betrieb, über den Informationen über Amtsblatt-Spezifisches (Adressänderungen, Firmenbuchänderungen, Konkurse, Neueintragungen und Ähnliches) von Firmen abonniert werden können. Zudem betreibt die WZ GmbH die auftrag.at Ausschreibungsservice GmbH, eine Ausschreibungsplattform für öffentliche Auftraggeber und potentielle Bieter. Im Sept. 2009 hat die WZ die redaktionelle Leitung von HELP.gv.at, dem Behörden-Informationsportal der Republik Österreich, die über Amtswege informiert, Bürgeranfragen beantwortet bzw. an die zuständige Stelle weiterleitet, übernommen. Seit Jänner 2010 betreut die WZ im Auftrag der Republik auch die Inhalte des Unternehmensserviceportals usp.gv.at.

Kopftitel: Wiennerisches Diarium – 3.1.1725-29.12.1779: Wienerisches Diarium – 1.1.1780: Wiener Zeitung. Mit k.k. allergnädigster Freiheit – 1800: Kaiserlich-königliche privilegirte Wiener Zeitung – 1807: Oesterreichisch-Kaiserliche privilegirte Wiener Zeitung – Dez. 1847: Oesterreichisch-Kaiserlich-privilegirte Wiener Zeitung – seit 18.12.1857: Wiener Zeitung

Auflage: 1855: 4500 – 1920: 10.000 – 1938: 25.000 – 1970: 30.000 – 2000: rd. 24.000 Exemplare (vgl. N.N./Randig).

Verfügbarkeit: Die Wiener Zeitung kann für den Erscheinungszeitraum 1807-1939 lückenlos online in Form von Digitalisaten im ANNO-Portal der Österreichischen Nationalbibliothek eingesehen werden.


1.

„Mit Ihro Römischen Kayserlichen Majestät allergnädigsten Privilegio“, war am ersten Titelblatt vermerkt: Es gab zwar keine Pressefreiheit, d.h. ohne Zustimmung des Herrschers durfte kein Periodikum gedruckt werden, doch die Gründung des W.D. erfolgte durchaus im Interesse von Ks. Leopold I., der sich ein für das gesamte Reich repräsentatives Blatt wünschte. Die Herausgabe oblag zunächst „Privaten“: bis 1721 Johann Baptist Schönwetter (ca. 1670-1741), dann Johann Peter van Ghelen (1673-1754), der neue Einnahmequellen in Form staatlicher Einschaltungen eröffnete. Zu dieser Zeit des Hochblüte des Diariums engagierte van Ghelen Hieronymus Gmainer (ca. 1663-1729) als Redakteur, mit dem „in Österreich erstmals die Berufsbezeichnung ‚Zeitung-Schreiber‘, also Journalist, auf[tauchte]“ (Reisner 2013). Dass auch Joseph II. das seit 1780 Wiener Zeitung genannte vormalige Diarium, das in den Erblanden bereits gut verbreitet war, als Publikationsorgan schätzte, davon zeugt das Anwachsen des amtlichen Teils mit den staatlichen Einschaltungen; der redaktionelle Teil dagegen wurde kaum weiterentwickelt. Conrad Dominik Bartsch (1759-1817), ein Schüler des Aufklärers Joseph v. Sonnenfels, der die Redaktion ab 1782 leitete, baute die Zeitung aber im Sinne seiner demokratischen Überzeugungen sehr wohl aus, wobei er den Fokus v.a. auf Auslandsberichte legte: 1789 etwa erschien in der Wiener Zeitung die in Frankreich verkündete Erklärung der Menschenrechte, erstmals in der gesamten Monarchie.

Unter Ks. Franz wurde Bartsch 1799 denn auch aufgrund seiner Kontakte zu demokratischen Kreisen demissioniert. Z.Zt. der Napoleonischen Kriege okkupierte Napoleon die WZ als Besatzungsorgan (1805/06). Ein eigens aus Paris rekrutierter Redakteur brachte einige (technische) Fortschritte: So erschien das Blatt fortan täglich. 1811 kehrte Bartsch zwar als Redakteur zurück, um aber alsbald von Metternich wegen seiner kritischen Berichterstattung seines Postens enthoben zu werden. Metternich war zudem daran gelegen, anstellte der WZ den Oesterreichischen Beobachter als offizielles Organ zu lancieren. Die Herausgeber engagierten daher Joseph Carl Bernard (ca. 1781-1850) als Redaktionsverantwortlichen: Indem Bernard den Blick von innenpolitischen Themen stärker auf das Ausland und Kulturelles hinlenkte, sicherte er der WZ ihr Überleben.

„[U]m mit dem jetzigen bedeutungsvollen Augenblicke mit dem raschen Gange der Zeitereignisse gleichen Schritt zu halten“ (Wiener Zeitung 21.3.1848), wurde im Zuge der Märzrevolution 1848 eine Abendausgabe eingeführt. Im Verbund mit einem neuen Druck-Format – dem größten in der bisherigen Geschichte der WZ –, spiegelte das die (Welt-)Offenheit der verantwortlichen Redakteure wider: Man zeigte sich liberal, trat für Pressefreiheit und die Rechte des Volkes ein, was beinahe zwangsläufig zum Bruch mit dem Herrscherhaus führen musste. Dass die WZ im Mai 1848 ohne dem seit 1708 am Zeitungskopf geführten ks. Adler erschien, leistete der bereits im Gange befindlichen Entwicklung Vorschub: Obgleich noch ein Privatunternehmen, war die WZ seit 1812 bereits offizielle Regierungszeitung. Dem Druck seitens der Regierung gaben die Gehler’schen Erben 1857 statt: Erweitert um das „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“, wurde die WZ seit 17.12.1857 dann auch vom Staat herausgegeben und (bis 1997) von der Österr. Staatsdruckerei gedruckt.

2.

„Alles Denckwürdige“ aus Wien und „auß der gantzen Welt“ ohne „Poetischen Schminck“ (zit. Reisner 2013) zu bringen: Das war laut der ersten Ausgabe Intention des Wiennerischen Diariums. Vor diesem Hintergrund gelesen, überrascht es kaum, dass die Kriegsberichterstattung (bis 1713/14 z.B. über den Spanischen Erbfolgekrieg) die ersten Jahrgänge dominierte. Nichtsdestotrotz: Bis 1848 wegen der Zensur, und ab 1812 zudem aufgrund ihrer „Regierungsamtlichkeit“ hat die WZ „nie eine eigenständige politische Position herausbilden [können]“ (N.N./Randig). Bei Kriegsausbruch 1914 vertrat die WZ denn auch den offiziellen Standpunkt der Monarchie, Kriegshysterie inklusive (Reisner 2013).

Insgesamt „eigentümlich wenig beforscht“ sind laut Hausjell/Duchkowitsch die Positionierungen der WZ z.Zt. des Ersten Weltkrieges u. unter republ. bzw. austrofaschistisch-ständestaatlichen Bedingungen. Die Zeit der NS-Herrschaft etwa werde in der (ausführlichen) Festschrift zu 250 Jahren Wiener Zeitung (1953) „ausschließlich aus der Opfer-Perspektive“ thematisiert: Ferdinand Reiter, 1933 zum Chefredakteur berufen, erinnert sich einer eigentümlichen Nachfrage nach der WZ. „Teilweise abonnierten die massenhaft entstehenden nationalsozialistischen Stellen, teilweise auch die Privaten das Blatt“, das damals etwa einem „bekannten jüdischen Bankdirektor“ zufolge „doch noch das einzige Blatt, das man lesen kann, weil es mit Würde den Zwingsherren begegnet“, gewesen sei (zit. Hausjell/Duchkowitsch). Auf Reiter folgte im August 1938 (bis März 1939) Lambert Haiböck als „Kommissarischer Hauptschriftleiter“, unter dessen Ägide die LeserInnenzahl deutlich einbrach: Nach dem „Anschluss“ 1938 konnte die WZ zwar aufgrund der komplexen Veröffentlichungsbestimmungen für ein Amtsblatt nicht umgehend eingestellt, aber sehr wohl auf den amtl. Teil (Kundmachungen, Börsennachrichten, Amtsblatt) reduziert werden. Von 1.3.1940 bis 7.4.1945 ersetzte die Wiener Ausgabe des Völkischen Beobachters die WZ, die nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals am 21.9.1945 wieder erschien.

3.

Weitaus eigenständig profilierter zeigte sich seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die (beachtliche) Kultur- und Wissenschaftsberichterstattung der WZ. Das verdankt sich v.a. Friedrich Uhl (1825-1906), dem späteren Schwiegervater August Strindbergs, der seit 1872 mit der Leitung der Redaktion betraut war und dessen redaktionelles Konzept auch nach seinem Ausscheiden 1900 fortwirkte: Uhl forcierte die eigenständige Kultur-Berichterstattung, v.a. in der Abendausgabe Wiener Abendpost. Als die WZ ab 1922 dann nur mehr in einer einzigen Ausgabe täglich erschien, konnte sie ihren Stellenwert als „Kulturorgan“ nicht aufrechterhalten; das schwerpunktmäßig „österreichischen“ Themen gewidmete Feuilleton wurde aber auch nach 1934 (Ausschaltung der Demokratie) weitergepflegt.

Da der personelle Stand der WZ im Laufe der Jh.e oftmals auf das Notwendigste beschränkt werden musste, prägten das Gesicht der Zeitung neben den hauptberuflichen Redakteuren zahlreiche, mitunter renommierte „freie Mitarbeiter“. Mit Eduard Hanslick (1825-1904) etwa war einer der maßgebenden Musikkritiker vor seinem Wechsel zur Neuen Freien Presse für die WZ tätig. Alfred Orel (1889-1967) und Heinrich Kralik (1887-1965) zeichneten u.a. in der Zwischenkriegszeit für die WZ-Musikkritik verantwortlich.

Die Heranziehung von „Spezialisten“ war zudem für die Ausdifferenzierung der WZ, etwa durch eigene Rubriken wie „Wissenschaftliche Nachrichten“ bzw. „Wissenschaftliche und Kunstnachrichten“ (1821), „Literarische Nachrichten“ (Rezensionen; 1825), „Länderkunde“ (1832) oder eine „Reiserubrik“ (1837), vonnöten.

In einer Punktation, erschienen zum 300. Bestandsjahr der WZ, wurden als „Berühmte Mitarbeiter des Blattes“ in chronologischer Reihung u.a. hervorgehoben:

  • August v. Kotzebue (1761-1819), dt. Dramatiker, der in seiner Funktion als „Hoftheatersekretär“ (Intendant) in Wien über den Theaterbetrieb berichtete und dessen krit. Räsonnement durch Ks. Franz beendet wurde;
  • Josef Carl Bernard (1781-1850), Kunstkritiker, seit 1815 WZ-Chefredakteur, im brieflichen Austausch u.a. mit Beethoven und selbst als Librettist tätig (Conradin Kreutzer, Libussa; Louis Sphor, Faust), der die Musikkritik in der WZ etablierte und bei der Zensurbehörde die Einführung der Theaterkritik gestattet bekam;
  • Eduard v. Bauernfeld (1802-1890), erster offizieller WZ-„Theaterreferent“;
  • Anton Ritter v. Spaun (1790-1849), österr. Historiker und Volkskundler;
  • Ignaz Castelli (1781-1862), österr. Schriftsteller;
  • Johann Gabriel Seidl (1804-1875), österr. Schriftsteller, dessen Werke u.a. von Robert Schumann und Carl Loewe vertont wurden;
  • Ferdinand Kürnberger (1821-1879), der ab 1864 als Literaturkritiker und Feuilletonist engagiert war;
  • Friedrich Hebbel (1813-1863), dt. Dramatiker, als Theaterkritiker.

Attraktiv war die WZ auch für junge Autoren wie Max Mell (1882-1971), von dem erstmals überhaupt ein Text 1901 in der WZ veröffentlicht wurde, Jakob Julius David (1859-1906), Karl Schönherr (1867-1943), Alfons Petzold (1882-1923) oder Paul v. Schönthan (1853-1905).

Zu den maßgebenden Mitarbeitern zu Beginn des 20. Jahrhunderts zählen u.a.

  • Rudolf Holzer (1875-1965), Journalist und Schriftsteller, seit 1900 als Theaterkritiker, später als Chefredakteur;
  • Eugen Guglia (1857-1919) als Vorläufer Holzers Chefredakteur 1901-1909, der namhafte Literaten als freie Mitarbeiter rekrutieren konnte, darunter Franz Karl Ginzkey (1871-1963), Paul Wertheimer (1874-1937) und Hugo Salus (1866-1929);
  • Otto Stoessl (1875-1936), seit 1918 als Theaterkritiker für die WZ tätig;
  • Edwin Rollett (1889-1964) als Literaturredakteur 1921-37.
  • Hans Ankwicz-Kleehoven (1901-62) als Kunstkritiker
  • Ferdinand Scherber (1874-1944) als Musikkritiker

Nach 1934 bot die WZ folgenden (namhaften) freien Mitarbeitern ein Forum:

  • Ernst Krenek, in Nazi-Deutschland als „entartet“ diffamierter Komponist;
  • Den für die Beilage „Das österreichische Verwaltungsblatt“ verantwortlichen Juristen Ludwig Adamovich sen. (1890-1955) und Emmerich Coreth (1881-1947);
  • August Knoll (1900-1963), kath. Soziologe;
  • Dem Literaturwissenschaftler Otto Rommel (1880-1965); 
  • Franz Th. Csokor (1885-1969);
  • Theodor Kramer (1897-1958);
  • Albert Paris Gütersloh (1887-1973).

1945 wurde Joseph Marx (1882-1964) zum WZ-Musikkritiker, und E. Rollett kehrte in die Kulturredaktion zurück; ihm folgte dann Friedrich Schreyvogl (1899-1976) nach.

Gegenwärtig (seit 2.11.2009) obliegt die Leitung der Redaktion dem vormaligen Leiter des Wirtschaftsressorts der Tageszeitung Kurier, Reinhard Göweil, die Geschäftsführung (seit Juli 2013) Wolfgang Riedler, seit 2017 (interimistisch) und 2018 (definitiv) Walter Hämmerle.


Literatur
  • Fritz Hausjell, Wolfgang Duchkowitsch u.a. (Hgg.): Journalismus als Kultur. Analysen und Essays. Wiesbaden 1998.
  • Kurt Paupié: Handbuch der österreichischen Pressegeschichte 1848-1959. Bd. 1. Wien 1960, 119f.
  • Franz Stamprech: Die älteste Tageszeitung der Welt. Werden und Entwicklung der „Wiener Zeitung“, Dokumentation zur europäischen Geschichte. Wien 1974, 21977.