Redlich, Josef
Geb. 18.6. 1869 in Gröding/Hodonin (Mähren, k.k. Österreich-Ungarn), gest. 11.11. 1936 in Wien. Jurist, Politiker, Reichsratsabgeordneter, Universitätsprofessor, Publizist.
Redlich wuchs in einer begüterten assimilierten jüdischen Fabrikantenfamilie auf und studierte zunächst Geschichte und Rechtswissenschaft an den Universitäten Wien, wo er 1891 promovierte, sowie in Leipzig und Tübingen. Danach arbeitete er einige Jahre an der k.k. Statthalterei in Brünn/Brno und bereitete seine wissenschaftliche Laufbahn im Bereich des Staats- und Verwaltungsrechts vor: 1901 habilitierte er sich in Wien, 1903 konvertierte er zum Protestantismus und fing an politische Ämter zu übernehmen. 1907 wurde er außerordentl. Professor an der Univ. Wien, ab 1908-1918 ordentl. Prof. für Verwaltungsrecht an der Technischen Univ. Wien sowie, ebenfalls 1907, in den Reichsrat gewählt, dem er, 1911 wiedergewählt, bis 1918 angehörte; in der Folge verblieb er auch im Provisorischen Staatsrat bis 1919. Im Oktober 1918, unter der Regierung Lammasch, gehörte er dieser als Finanzminister die letzten Wochen an und war Mitverfasser der Abdankungserklärung von Ks. Karl. 1919 wurde er zum Vizepräsidenten der (deutsch)österr. Völkerbundliga gewählt. Politisch im deutsch-liberalnationalen Spektrum verortet hatte er trotz seiner Konversion und Verdienste oft mit antisemitischen Verunglimpfungen seiner Person und seines Wirkens zu kämpfen. So haben die Großdeutschen die Berufung Redlichs in Kabinett Schober im Nov. 1920 ebenso abgelehnt (AZ, 20.1.1920, 1 bzw. NWJ, 20. 1.1920, S. 1) wie mit Billigung der Christlichsozialen eine offizielle Amerika-Reise zwecks Kreditverhandlungen 1921 torpediert (RP, 14.1. 1921, 3 bzw. 11.12.1921, S. 7); Redlich ist dennoch im Februar in nicht-offizieller Mission nach Washington aufgebrochen und hat immerhin einen Spendenbetrag von 200.000 Dollar für die Bekleidung der ‚geistigen Arbeiter‘ nach Wien zurückbringen können. Aufgrund seiner bereits frühen (Studien)Aufenthalte in England und der Berufung in Kommissionen der Carnegie-Stiftung galt Redlich als überaus anglophil und konnte bald auch im der anglo-amerikanischen Wissenschaftsraum Fuß fassen, vorbereitet durch seine Studien Englische Lokalverwaltung. Darstellung der inneren Verwaltung Englands in ihrer geschichtlichen Entwicklung und in ihrer gegenwärtigen Gestalt. (1901, engl. Ausgabe 1903) und Recht und Technik des englischen Parlamentarismus. Die Geschäftsordnung des House of Commons in ihrer geschichtlichen Entwicklung und gegenwärtigen Gestalt. (1905, engl. Ausg. 1908, französ. Ausg. 1911). Im Nov. 1925 wurde er in das Vorstandskomitee der neu gegründeten Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft aufgenommen (NWrTBbl. 20.11.1925); von 1926 bis 1935 lehrte er an der Harvard University und gab eine Reihe von Gastvorträgen an weiteren renommierten Univ. (z.B. im Sept. 1928 an der Stanford Univ./Cal.) und wurde bereits 1927 in die American Academy of Arts and Science gewählt. Neben seinen fachwissenschaftl. Kompetenzen und Netzwerken unterhielt er schon vor 1914 gute Kontakte zu einigen Vertretern der Wiener Moderne wie z.B. zu H. Bahr und H. v. Hofmannsthalmit vollem Namen Hugo Laurenz Anton von Hofmannsthal geb. am 1.2.1874 in Wien – gest. 15.7.1929 in Rodaun bei Wien; Sc... aber auch parteiübergreifend zu Vertretern der Sozialdemokratie und der Christlichsozialen. Er gehörte z.B. 1921 (gem. mit K. Renner u.a.) zum Proponentenkomitee der Union für demokratischen Kontrolle an. 1929 wurde er kurzzeitig als Finanzminister für das Kabinett Schober gehandelt, lehnte aber ab. Im Juni 1931 übernahm er dieses Amt in der Regierung Buresch dann doch (NWr.TBl., 21.6. 1931,5), was die Arbeiter-ZeitungGegr. 1889, verboten 1934, illegal 1934-1938, 1938 verboten, neugegr. 1945, eingestellt 1991 Aus: Arbeiter-Zeitung, 12.... in einem Leitartikel als „Sensation“ bezeichnete (nicht ohne ihn aufgrund seiner Beziehungen zu Seipel und Differenzen in der Bewertung der Donaumonarchie zu kritisieren, AZ, 21.6. 1931, S. 1); er demissionierte jedoch, u.a. wegen gesundheitlicher Probleme, Arbeitsüberlastung und auch einiger Missverständnisse bereits am 5. 10. 1931. Seit 15.1.1931 bis Februar 1936 übte er auch die Funktion eines Ersatzrichters am Internationalen Gerichtshof in Den Haag aus.
Weitere Schriften:
The Common Law and the Case Method in American University Law Schools. A Report to the Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching. (1914; Digitalisat); Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Geschichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reiches. Bd 1: Der dynastische Reichsgedanke und die Entfaltung des Problems bis zur Verkündigung der Reichsverfassung von 1861. 2 Teilbde, Leipzig 1920 (Digitalisat); Österreichische Regierung und Verwaltung im Weltkriege. Wien 1925 (engl. Ausg. New Haven 1928). Kaiser Franz Josef. Berlin 1928.
Materialien und Quellen:
Eintrag von F. Fellner im ÖBL; Eintrag in: Parlament Österreich; Eintrag auf: Britannica; Eintrag in Jewish Virtual Library.
J. Redlich: Das europäische Problem. In: Prager TBl., 23.11. 1920, S. 1; Ein Volk in Agonie. Josef Redlich über den Zustand Österreichs. In: NFP, 12.1. 1921, S. 19; N.N. [Von einem Universitätslehrer]: Das Problem der Wiener Universität. In: AZ, 18. 4. 1921, S. 1-2; J. Redlich: Der Friede mit Amerika. In: NFP, 3.7. 1921, S. 1-2; Die Rekonstruktion in den Sukzessionsstaaten. In: Die Börse, 9. 11. 1922, S. 21-22; Die englische Arbeiterregierung. In: NFP, 25.1.1924, S. 20-21; Der Sicherheitspakt und die Zukunft des Völkerbundes. Für den Schutz der Minderheiten. In: NFP, 20.2. 1925, S. 1-2; Albert H. Washburn: Berufung Professor Josef Redlichs nach Harvard. In: NFP, 13.6. 1926, S. 2; N.N.: Abschied von Josef Redlich. Die Übersiedelung Dr. Redlichs nach Amerika. In: NFP, 9. 9. 1926, S. 6; A. T. Leitichgeb. am 25.1.1891 in Wien - gest. am 3.9.1976 in Wien; Journalistin, Schriftstellerin, Kunsthistorikerin Das Portr...: Ausflug nach Alt-Amerika in Neu-England. In: NFP, 12.6. 1927, S. 22-23 (Mit Hommage an J. Redlich, S. 23); J. Redlich: Baernreithers letzte Lebensjahre. Eine biographische Skizze. In: NFP, 13.4.1928, S. 2; J. Rappaport: Baernreithers Tagebücher. [Rez.]. In: Der österr. Volkswirt, 8.9. 1928, S. 16-17; N.N.: Eine Spezialmission für Dr. Redlich in Amerika. In: Der MorgenDer Morgen war ein von Carl Colbert und Maximilian Schreier 1910 gegründetes liberales Montagsblatt. Zunächst in Erg..., 30. 9. 1929, S. 5; N.N. Die Amtsenthebung Dr. Redlichs. In: NWr.TBl., 6.10. 1931, S. 3; N.N.: Nachruf. In: Der Tag, 12. 11. 1936 S. 5; Ernst Benedikt: Josef Redlich zum Gedächtnis. in: Pester Lloyd, 18. 11. 1936, S. 2; M.E[rmers]: Josef Redlich. In: Gerechtigkeit, 19. 11.1936, S. 2.
H.v. Hofmannsthal – J. Redlich. Briefwechsel. Hg. von Helga Ebner Fußgänger, Frankfurt a.M.: Fischer 1971; F. Fellner (Hg.): Dichter und Gelehrter. Hermann Bahrgeb. am 19.7.1863 in Linz – gest. am 15.1.1934 in München; Schriftsteller, Kritiker, Redakteur Der Sohn eines No... und Josef Redlich in ihren Briefen 1896–1934. Salzburg 1980; Fritz Fellner und Doris A. Corradini (Hgg.): Schicksalsjahre Österreichs. Die Erinnerungen und Tagebücher Josef Redlichs 1869 – 1936. 3 Bde. Wien: Böhlau 2011, Doris Corradini: Between Scholarships and Politics: Josef Redlich and the United States of America. In:Narratives of Encounters in the North Atlantic Triangle, pp. 145-158, Online: https://austriaca.at/0xc1aa5576_0x00327cdc.pdf
(PHK, in preparation)


