Arbeiterkorrespondenzbewegung

Nicht nur aufgrund mangelnder personeller und finanzieller Ressourcen sowie zur Steigerung der Auflagen zählten Versuche zur aktiven Einbindung der LeserInnen früh zum Programm kommunistischer Presseorgane; die Bemühungen knüpften an Schriften Lenins und die Diskussionen des dritten Weltkongresses der Kommunistischen Internationale zur Agitation an. Dahinter standen die Wünsche nach größtmöglicher Nähe zum proletarischen Alltag, der Mobilisierung der Sympathisanten sowie die Unabhängigkeit von Nachrichtendiensten. Arbeiter wurden dazu aufgefordert, anonym aus ihrer beruflichen wie privaten Alltagspraxis zu berichten und als Vertreter ihrer Klasse Bedürfnisse zu artikulieren. Ab Mitte 1924 wurden in der Wiener Roten Fahne gezielt Aufrufe zur aktiven Mitarbeit veröffentlicht und meist kurzlebige Rubriken wie Aus den Stätten der Ausbeutung, Aus der Provinz und Was unsere Genossen sagen, später Aus dem Arbeiterleben geschaffen. Ab 1925 trat eine Phase der Professionalisierung ein: Erwin Zucker wurde verantwortlicher Redakteur für die Arbeiterkorrespondenz, eine Agitpropabteilung wurde eingerichtet. Mitte Dezember 1925 fand eine erste Konferenz der Arbeiterkorrespondenten (AK) mit über vierzig Teilnehmern statt, bei der neben Zucker auch der kommunistische Verleger Johannes Wertheim als Redner auftrat. Dabei wurde für Jänner bis Dezember 1925 die Veröffentlichung von 1.200 AK-Beiträgen mit rund 60.000 Zeilen verlautbart.

In der Frühphase der AK-Bewegung wurden Themenvorgaben und Rundfragen als Motor verwendet, 1928 wurde bei einem Preisausschreiben  in der Rubrik Rationalisierung, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot für veröffentlichte Berichte zu proletarischen Lebens- und Alltagsbedingungen eine Russlandreise verlost. Der nach dem Vorbild der KPD formulierte Plan, neben regelmäßigen Besprechungen zwischen Redaktion und AK auch Schulungen abzuhalten, blieb zunächst weitgehend unerfüllt, woran die Gründung des überparteilichen Klubs der Arbeiterkorrespondenten 1926, Bemühungen um die internationale Vernetzung und die zweite AK-Konferenz im März 1927 nichts änderte. Auch wenn Friedrich Hexmann beim 9. Parteitag der KPÖ Mitte 1927 die AK-Bewegung als im europäischen Vergleich stark ausgebaut beurteilte und sie anlässlich des Roten Pressetages im September 1928 als Nachweis der Sonderstellung der kommunistischen Organe als einzige authentische Arbeiterpresse gedeutet wurde, blieben die Aktualität der Berichterstattung sowie die Dichte des Korrespondentennetzes in den Bundesländern ein (auch medial diskutiertes) Problem. 1929 wurde der Tätigkeitsbereich der AK durch die Einrichtung der Proletarischen Radiokritik in der Rubrik Arbeiterradio erweitert. Ende März 1930 wurde eine dritte Konferenz  abgehalten, bei der neben Zucker auch Richard Schüller und Johann Koplenig auftraten, und im Jahr darauf der Briefkasten der Arbeiterkorrespondenten als Forum eingerichtet. Obwohl am 11. Parteitag Ende Juni 1931 die mangelnden Fortschritte neuerlich kritisch artikuliert wurden, bildeten die Jahre 1931/32 den Höhepunkt der AK-Bewegung: Die nun in größeren Seitenumfang erscheinende Rote Fahne bot den AK mehr Raum (nun meist in der Rubrik Proleten schreiben), auch die Organisation wurde mit der zum Jahreswechsel 1931/32 eingerichteten Zentralstelle für Arbeiterkorrespondenten bei der Agitpropabteilung und dem ab Februar 1932 erscheinenden Informationsorgan Der Arbeiterredakteur verbessert. Ab Juni 1932 setzte eine kontinuierliche Schulungstätigkeit, an der u.a. Chefredakteur Schüller und sein Mitarbeiter Franz Millik, aber auch Mitglieder des Bundes der proletarisch-revolutionären Schriftsteller Österreichs (BPRSÖ) mitwirkten, ein. Noch wenige Monate vor dem Verbot wurden mit teilweise auch illustrierten Betriebsreportagen neue Impulse gesetzt.

Die AK-Bewegung stand in kritischer Distanz zu den Arbeiterschriftstellern, auch wenn der BPRSÖ in seiner Satzung die Unterstützung der AK-Bewegung ankündigte und den Kurs für Betriebsreportagen organisierte. Die Redaktion der Roten Fahne mahnte bereits 1926 die sparsame Produktion von Gedichten ein, das Verfassen von Agitationslyrik blieb wenigen Autoren wie Hans Maier vorbehalten. Während der auch in der Wiener Roten Fahne gedruckte KPD-Autor Hans Marchwitza sich vom Korrespondenten zum Schriftsteller wandelte, blieb die Trennung bei den österreichischen Autoren meist aufrecht. Einzig der Waldviertler Aktivist und Autor Franz Janiczek, der 1930 ein Preisausschreiben in der Berliner Linkskurve gewann, veröffentlichte sowohl Erzählungen als auch tagesaktuelle Berichte.


Quellen und Dokumente

Moskwa: Die AK in Rußland. In: Die Rote Fahne, 14.5.1924, S. 2, Deine Zeitung. In: Die Rote Fahne, 1.6.1924, S. 3, Peter Schnur: An die Redaktion der „Roten Fahne“. In: Die Rote Fahne, 17.10.1924, S. 7, Das Leben der Bankdirektoren und jugendlichen Bankangestellten. (Von einem jugendlichen AKen.). In: Die Rote Fahne, 29.1.1925, S. 5, Was soll der AK berichten. In: Die Rote Fahne, 18.10.1925, S. 6, Johann Koplenig: Zur Konferenz der AK. In: Die Rote Fahne, 19.12.1925, S. 1f., Lenin über die Arbeiterpresse. In: Die Rote Fahne, 31.8.1926, S. 6, Frida Rubiner: Die Zeitung des Arbeiters. In: Die Rote Fahne, 1.1.1927, S. 3, Lenin über die Mitarbeit der Arbeiter an der kommunistischen Presse. In: Die Rote Fahne, 26.1.1927, S. 3, Nikolai Bucharin: Die Aufgaben der AK. Das Vermächtnis Lenins. In: Die Rote Fahne, 8.2.1927, S. 5, Julius Deutsch: Organisation, Agitation, Propaganda. In: Die Rote Fahne, 26.5.1927, S. 7, Otto Mödlagl: Politische und organisatorische Parteifragen. In: Die Rote Fahne, 14.6.1927, S. 4, Erwin Zucker: Die Bedeutung der Berichterstattung. In: Die Rote Fahne, 17.6.1927, S. 5, Die „Rote Fahne“, die Zeitung der Arbeiter. Unser Arbeiter-Korrespondenz-Preisausschreiben. In: Die Rote Fahne, 29.1.1928, S. 3, M. Broide: Freudige Begegnung. In: Die Arbeiterin, 5 (1928), 11, S. 7f., Die ersten Arbeiterkorrespondenzen. Eine interessante Veröffentlichung des Engels-Archiv. In: Die Rote Fahne, 13.4.1930, S. 7, Die Schulung der AK. In: Die Rote Fahne, 10.6.1932, S. 8, Vieh- und Menschenfriedhof: St. Marx. In: Die Rote Fahne, 16.3.1933, S. 5, Wie die Rote Fahne entsteht. Arbeiterkorrespondenzen und Reportagen. In: Die Rote Fahne, 18.5.1933, S. 9.

Literatur

Gerhard Moser: Zwischen Autonomie und Organisation: Die Arbeiterkorrespondentenbewegung der „Roten Fahne“ in den Jahren 1924 bis 1933. Eine Studie zur Kommunikationspolitik der KPÖ in der 1. Republik. Phil. Diss. (1988)

(ME)