Radiowelt

Illustrierte Wochenschrift für Jedermann.

Wien 1924-1938

Erscheinungstag: Sonntag, Wiener Radioverlag, Schriftleiter/Redakteur: Franz Anderle

Auflage: nicht bekannt; Umfang: 46-64 Seiten

Noch vor der Gründung der RAVAG als die Radioöffentlichkeit dominierende und regelnde Institution mit Monopolstellung im Sendebereich am 1. Oktober 1924 erschien seit März 1924, d.h. nur wenige Monate nach Inbetriebnahme der ersten regelmäßigen Rundfunksendungen ab Dezember 1923, die Zs. Radiowelt (RW), die zugleich auch als Organ des Verband der Österreichischen Radioamateurclubs firmierte (obwohl dies im Impressum nicht explizit ausgewiesen war). Im Gegensatz zu anderen Radiozeitschriften der 1920er Jahre verstand sich die RW nicht nur als Forum für technisch interessierte Bastler und „Sendeamateure“ sowie als Programmanzeiger, obwohl mehr als die Hälfte ihres Umfangs dem technischen Teil ›Radioamateure‹ sowie einem 6-8 seitigen Inseratenteil gewidmet war, sondern auch und in programmat. Weise als „Kulturträger“. Darunter wurden u.a. verschiedene Aspekte von „Radiodemokratie“ verstanden wie z.B. Partizipation an der Gestaltung von Programmen, eine Verknüpfung des neuen Mediums mit volksbildnerischen Initiativen oder freier Sendeverkehr anstatt Monopolisierung unter den Radioamateuren. Dies alles forderte der Programmartikel Radiofreiheit bereits in Heft 3 vom 23.3.1924, womit eine dezidiert kultur- und gesellschaftspolitische Positionierung, verstärkt z.B. durch Aufrufe für Pazifismus oder Integration von Hörererfahrungen, zum Ausdruck kam. Schon 1925 wurden Berichte der RW für andere Zeitungen zu Quellen, auf die sie sich beriefen wie z.B. die Beilage ›Radioblatt‹ der Neuen Zeitung, 1926 auch für das Prager TBl. u. div. Österr. Regionalzeitungen. 1925 wurde durch die RW auch das Projekt einer Radio-Volkshochschule lanciert (RW, 31/1925, S.4), das auf die inzwischen rasant angestiegenen Radioanschlüsse und –hörerInnen (von rund 40.000 im Sommer 1924 auf über 100.000 1925 und 200.000 im Jahr 1926) Bezug nahm. Von Beginn an schwebte der RW daher auch eine systematische Durchdringung Wiens mit Radiostationen bzw. öffentlichen Radioanschlüssen vor: die Idee eines „drahtlosen Wien“ mit Radiosalons (RW, 1/1924, S.4), Radio-Kaffeehäusern, Radio in Geschäften oder Parkanlagen (RW, 21/1926, S.5), aber auch mit Radioveranstaltungen (Konzerte, Reportagen) an vielfrequentierten Schauplätzen eines technisch durchgestylten Stadtkörpers (RW, 49/1927, S.10). In Projekten und Ideen wie den genannten spiegelt sich einerseits das Bestreben nach Interaktivität mit der Hörerschaft, andererseits das Bemühen, Anschluss an internationale Trends zu finden bzw. diese nach Österreich zu vermitteln, z.B. in der Rubrik Was gibt’s Neues im Äther? mit ihren Kurzberichten aus der internat. Radiopresse (Radio Times, Popular Wireless, Deutscher Rundfunk etc.). Weitere stabile Rubriken nach dem Leitartikel waren jene zum Programm der wichtigsten 30-40 europäischen Radiosender (von Lissabon über London, Paris bis Stockholm oder Warschau), Der Hörer als Kritiker sowie jene zum Wiener Kinoprogramm und zur Konzertwoche, sowie die Rubrik Sprachkurse. Zwar liegen keine präzisen Auflagezahlen vor, doch 1926 sind auf eine Umfrage hin gut 10.000 Zuschriften eingelangt. Auch das Profil des Radioprogramms wurde von Beginn an hinterfragt u. mit eigenen Vorstellungen (vgl. Beitr. Die Sendung des Wiener Senders; RW, 23/1924, S.1) sowie mit jenen der Hörerzuschriften abgeglichen. Wiederholt wird dem Österr. Radio dabei mehrmals Mangel an Aktualität vorgeworfen, ein Nichtausschöpfen der Möglichkeiten (Liveschaltungen, Reportagen, Präsenz bei kulturellen u. politischen Großereignissen), die erst (und nicht systematisch) ab 1927 gelegentlich in den Vordergrund treten (z.B. Berichte aus einem Flugzeug, aus den Sascha-Filmstudios, aus der Türmerstube des Stephansdoms etc.) und, wenngleich nur im Ansatz das Radio zum „Hörbild des fluktuierenden Lebens“ (RW, 29/1927, S. 3) machen sollten. Öffentlichkeitswirksam wurden solche Forderungen aber erst 1929 im Zuge der Diskussion über die Übertragung von Fußball-Länderspielen (RW, 13/1929, 392).

Breiten Raum nahmen seit Anbeginn auch künstlerische Fragen ein, die sich sowohl mit den spezifischen Potentialen des Mediums beschäftigen als auch mit Möglichkeiten, Ereignisse aus dem Kunst- und Kulturleben via Radio publik zu machen bzw. zu bearbeiten. B. Balázs prägte z.B. in einem in der RW (nach dem Erstdruck im Tag) veröffentl. Beitrag den Begriff des ›Radiodrama‹, der die „sichtbaren Kulissen der Bühne“ […] ins Akustische übersetzt. (RW, 14/1924, S. 6); H. Nüchtern und R. Mordo den der ›Radio-Bühne‹, die bereits im Nov. 1924 mit Auszügen aus klassischen literarischen Texten (J. Tepl, F. Schiller) sowie Opern (Mozart) erste Versuche unternahm. Diese waren eingebettet in eine breitere, auch europäische Diskussion, z.B. auch mitgetragen von G.B. Shaw. Die Popularität des neuen Mediums bewog die Zs. Die Bühne dazu, selbst auch eine Rubrik Radio-Bühne (Red. J. Székely) einzurichten und bereits im ersten Heft (6.11.1924) ein Preisausschreiben (für Radio-Lieder, -Novellen, -Romane oder Radioscherze) auszuloben. Für 1926/27 kündigte H. Nüchtern, Leiter der Radiobühne der RAVAG, in der RW z.B. folgende Akzente für das Radiobühne-Programm an: „ Auf der Radiobühne sollen in regelmäßigen Intervallen Klassiker, moderne Dichter, Einakter und das Volksstück zu Wort kommen.“ (RW, 36/1929, 13) Darunter verstand der verantwortliche Leiter, ein Angebot, bestehend aus einem „Zyklus moderner Dichter“ (Schönherr, Schnitzler, Wildgans), begleitet von einer „Vorstellungsreihe Dichter der Gegenwart“, ferner von einer über das Märchen sowie über das Abenteuer, einem Dramenzyklus (Grillparzer, Grabbe, Shaw) sowie von regelmäßigen Sketch-Abenden, ein Angebot, das den Erwartungen der RW-Hörer, folgt man den veröffentlichten Zuschriften, allerdings kaum entsprach. Weder experimentelle u. schon gar nicht (kultur)politisch progressive Tendenzen in der Theaterpraxis, im Musikbereich, aber auch in der Massenkultur wurden aufgegriffen und nach Potentialen einer radioästhetischen Integration seitens der RAVAG u. Radio Wien entsprechend berücksichtigt. Interviews aus dem Zeitraum 1928-31 mit so unterschiedlichen Autoren u. Künstlern wie A. Berg, P. Frischauer, I. Ehrenburg, E. E. Kisch, E. Krenek, F. Porges oder K. Weill u. F. Werfel (s. Kucher/Unterberger 2013) belegen dieses Unbehagen, das sich v.a. an Debatten über ein zeitgenöss. Musikangebot (Klass. Musik versus moderne Opernmusik versus Zweite Wiener Schule bzw. Volksmusik vs. Jazz etc.) entzündete. Auch die Möglichkeiten eines spezifischen Radiokabaretts standen, Wiener u. internat. Traditionen im Blick, alsbald zur Debatte (RW, 20/1929, S. 615) sowie jene des Radioromans (RW,2/1926,S. 5), die jedoch im Radio selbst nicht umgesetzt wurden, wohl jedoch in der Zeitschrift, so z.B. 1930 mit X-Radio.

Bereits 1926 berichtete die RW von neuen technischen Entwicklungen im Bereich der Radiobildübertragungen bzw. des Radio-Fernkinos, z.B. durch E. Descovich oder L. Richtera,  (RW 27/1926, S.8-9), gipfelnd 1929 in sog. Chromatophon-Vorführungen, d.h. Vorformen des Fernsehens (RW, 20/1929, S. 1611); die RW verfolgte außerdem die neuen Entwicklungen im Bereich der Tonaufzeichnungen (Stichwort: Schallplatte) sowie im Konkurrenzmedium Film u. berichtete ausführlich darüber. 1928-29 setzte sie sich auch mit neuen Formen der Programmgestaltung und Hörer-Adressierung ein; so z.B. im Zuge der Vorstellung des Konzepts des Individualpsychologen Alfred Adler von einer Radio-Klinik, die jener im Zug eines Aufenthalts an der School for Social Research in den USA entwickelt und einer Lebenshilfe-Interview-Serie Dr. Adler says erfolgreich experimentiert hatte (RW, 20/1929, S. 619). Auch neue, der Literatur entlehnter, sie jedoch medial weiterdenkende Genrekonzepte wurden Ende der 1920er Jahre diskutiert, z.B. jene des Radiokabaretts und die des Radio-Romans. Daneben verstand sich die RW immer auch als Plattform für programmatisch ausgerichtete Beiträge von Künstlern über ihr Verhältnis zum Medium oder für Grußbotschaften von Schriftstellern wie z.B. 1932 von Th. Mann an den Hörerkreis.

Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise sowie die sich abzeichnenden politischen Veränderungen in Deutschland und Österreich ab Ende 1929, insbes. aber ab 1932, bewirkten eine zunehmend ‚ausgewogene‘ (so die RAVAG-Verantwortlichen), de facto aber konturlose, neutralistische Programmgestaltung. Dies zeigte sich bereits im Sept. 1929 anlässl. der von Putschgerüchten begleiteten Regierungsumbildung, die selbst die eher konservativ ausgerichtete Radio-Woche im Okt. 1929 zu einem Leitartikel über die „skandalöse Inhaltslosigkeit des Radio-Nachrichtendienstes“ (Kucher/Unterberger, 2013, 68f.) veranlasste. 1932 kritisierte F. Rosenfeld auf dem 2. Arbeiter-Rundfunktag die Absenz von Parlamentssitzungen u. politischen Debatten im Rundfunk u. forderte von ihm nicht nur den Ausbau der Sportreportagen sondern „ein gutes Gewissen“. Dieses Gewissen zeigte sich ab März 1933 unmissverständlich, als die RAVAG noch direkter als zuvor zum Sprachrohr der von nun ab autoritär agierenden österr. Regierung wurde und sich auch die RW schrittweise in deren Dienst stellte bzw. stellen musste, wie der Leitartikel Österreichischer Rundfunk (RW 15/1934, S. 453) deutlich zu verstehen gibt.   


Quellen und Dokumente

Béla Balázs: Das Radiodrama. In: Der Tag, 1.6.1924, S. 3f., Bernard Shaw: Das Radiotheater der Zukunft. In: Neue Freie Presse, 18.1.1925, S. 27, Renato Mordo: Die Radiobühne. In: Radio Wien, 26.5.1925, S. 6f., Preisausschreiben der Radio-Bühne. In: Die Bühne (1924), H. 1, S. 32, Hans Nüchtern: Von den Wegen und Zielen eines österreichischen Senders. In: Neue Freie Presse, 28.12.1924, S. 19, Chelmsford in „Radio-Wien“. In: Die Neue Zeitung, 1.5.1925, S. 8, Ankündigung in: Triestingtaler und Piestingtaler Wochenblatt, 17.1.1931, S. 7Fritz Rosenfeld: Der Rundfunk und das gute Gewissen. In: Bildungsarbeit 19 (1932), H. 10, S. 189f.

Literatur

Wolfgang Duchkowitsch: Zwischen Unterhaltung, Bildung und Politik. Die RAVAG von 1924 bis 1938. In: Barbara Denscher (Hg.in): Kunst und Kultur in Österreich. Wien 1999; Haimo Godler, Manfred Jochum, Reinhard Schlögl, Alfred Treiber (Hgg.): Vom Dampfradio zur Klangtapete. Beiträge zu 80 Jahren Hörfunk in Österreich. Wien u.a. 2004; P.-H. Kucher/Rebecca Unterberger: „Akustisches Drama“. Radioästhetik, Kultur und Radiopolitik in Österreich 1924-1934. Bielefeld 2013 (Leseproben online verfügbar); Wolfgang Pensold: Zur Geschichte des Rundfunks in Österreich. Programm für die Nation. Wiesbaden 2017 (bes. Kap. 1-4).

Eintrag bei radiomuseum.org.

(PHK)