Gütersloh, Albert Paris

eigentlich: Kiehtreiber, Albert Konrad

Geb. 5.2.1887 in Wien, gest. 16.3.1973 in Baden (Niederösterr.) Maler, Schriftsteller, Herausgeber, Regisseur

Kiehtreiber/Gütersloh besuchte zuerst das Benediktiner-Gymnasium in Melk u. ab 1900 jenes der Franziskaner in Bozen, denn er sollte gem. dem Wunsch seiner Eltern Priester werden. Doch 1904 brach er die Schule ab, nahm Schauspielunterricht u. spielte alsbald auf verschiedenen kleineren Bühnen, u.a. in Bad Reichenhall, Salzburg u. Mährisch-Ostrau. 1907 lernte er G. Klimt kennen und wurde von ihm als Schüler angenommen; bereits auf der Internationalen Kunstschau 1909 in Wien stellte er erstmals Zeichnungen aus u. trat als bildender Künstler an die Öffentlichkeit. Auf Klimts Vermittlung hin lernte er 1910 M. Reinhardt kennen und wurde von ihm ans Deutsche Theater in Berlin als Bühnenbildner engagiert. 1910 vollendete er zudem seinen ersten, Aufsehen erregenden Roman Die tanzende Törin (EA 1911), der 1913 in gekürzter Fassung als expressionist. Roman nochmals in Buchform bei G. Müller erschien. Zwischenzeitlich hielt er sich auch in Paris auf, wo er bei Maurice Denis Malerei studierte und wichtige Anregungen erhielt. Nach seiner Rückkehr trat er wieder in den Klimt-Hoffmann-Kreis ein, veröffentlichte kunstkrit. Beiträge in den Zss. Der Ruf sowie Die Aktion. 1913 erwog F. Pfemfert gar, Gütersloh eine eigene Nummer der Aktion zu widmen, wie er in einem Brief an A. Roessler ausführte (Allegorie, 77). A. Schnitzler dagegen erblickte in ihm, so eine Tagebucheintragung (24.12.1913), einen „affectirte[n] Schwindler“. 1913 heiratete er die Tänzerin Emma Berger, die bereits 1916, nach der Geburt der Tochter Alexandra verstirbt.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges meldete er sich 1915 als Kriegsfreiwilliger, wurde aber bald ins Kriegspressequartier versetzt, wo er er u.a. R. Musil und F. Blei kennenlernte; mit letzterem, dem er fortan freundschaftlich verbunden blieb, gab er 1918/19 die wichtige Zs. Die Rettung heraus und wurde im Zuge der gewalttätigen Konfrontationen bei der Ausrufung der Republik am 12.11.1918 im Neuen 8-Uhr Blatt nicht nur als Mitglied der Roten Garde denunziert, sondern als einer der potentiellen geistigen Urheber der Gewalt, wovon er und später auch Blei sich entschieden distanzierten (Wolf, 121). Von 1919 bis 1921 wirkte er als Regisseur u. Bühnenbildner am Münchner Schauspielhaus u. zeitweilig auch am Wiener Burgtheater. Musil lobt in einem Brief (3.6.1919) Güterslohs Aquarelle und bespricht 1920 (Br. 7.8.1920) mit ihm eine mögliche Aufführung seines Stücks Die Schwärmer. In diese Zeit fällt auch die Bekanntschaft und Freundschaft mit Carl Schmidt. 1921 geht er die Ehe mit der Tänzerin Vera Reichert ein und im selben Jahr erschien ein weiterer Roman, Die Vision vom Alten und Neuen, gefolgt von Innozenz oder Sinn und Fluch der Unschuld und Der Lügner unter Bürgern (beide 1922). Im selben Jahr wurde er zudem, auf Vorschlag von F. Blei, mit dem Fontane-Preis ausgezeichnet und lernt Milena Friedinger kennen. An diese schriftstellerisch hochproduktive Phase schloss sich dann eine stärker der Malerei zugewandte an, die ab 1925 in mehrere renommierte Ausstellungsbeteiligungen mündete: an der Internat. Kunstausstellung in Rom im Februar 1925, der Künstlerhaus-Ausstellung 1926 und an der Ausstellung im Österr. Museum für Kunst und Industrie im Juni 1927. In das Jahr 1925 datiert auch der Beginn der Freundschaft mit H. v. Doderer sowie der Beginn der Arbeit am Roman Eine sagenhafte Figur (der erst 1946 erstveröffentlicht wird). Im Juli 1928 erhielt er neben Helene Funke u.a. einen der Ehrenpreise des Unterrichtsministeriums für die Sparte bildende Kunst; H. v. Doderer veröffentlicht seine Schrift Der Fall Gütersloh, in der er ihn mit einem formakzentuierten Genie-Begriff in Verbindung bringt; der Maler-Dichter revanchiert sich 1932 mit seiner Rede über Doderer (Allegorie, 108-112). Anlässlich der Jahresausstellung österr. Künstler in der Sezession (1930) bezeichnete ihn Ankwicz-Kleehoven in der Wiener Zeitung als „immer bizarr“ und gerade deshalb auch „jederzeit gut“. 1931 wurde Gütersloh an die Kunstgewerbeschule berufen, wo er sich v.a. für die Gobelin-Kunst einsetzte und an der er eine Professur bis 1938 innehatte. 1932 erfolgt die Trennung der zweiten Ehe; Gütersloh arbeitet auch wieder als Bühnenbildner am Wiener Akademietheater (u.a. für die Inszenierung von Goethes Triumph der Empfindsamkeit) und beginnt mit seiner Arbeit am Roman Sonne und Mond. In den 1930er Jahren nähert sich Gütersloh, der stets eine, wenngleich unorthodoxe Religiosität für sich reklamierte, stärker dem Amts-Katholizismus und gestaltet auch mehrere Kirchen künstlerisch aus. 1935 erhält er vom austrofaschistischen Ständestaat den ersten Staatspreis für Malerei. Nach dem Anschluss vom März 1938 wird er aus seiner Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule sehr bald entlassen, 1940 erhält er Berufsverbot und wird außerdem als Hilfsarbeiter und Buchhalter dienstverpflichtet. Bereits im Herbst 1945 wird Gütersloh an die Akademie für bildende Künste berufen, zählt 1946 zu den Mitbegründern des Art Club, zu dessen Präsident er auch gewählt wird, aus dem die Wiener Schule des phantastischen Realismus hervorging. Ebenfalls 1946 und in den Folgejahren veröffentlicht er auch schon vor 1938 begonnene oder während des Zweiten Weltkriegs weiter entwickelte Werkprojekte, etwa 1947 Die Fabeln vom Eros. Zudem nimmt er im Juni 1946 brieflichen Kontakt mit H. Broch auf, nicht ganz uneigennützig, erkundigt sich Gütersloh nämlich schon im Oktober 1946 nach Möglichkeiten, in den USA auszustellen bzw. einen Lehrauftrag zu erhalten. Diese Briefbeziehung dauert bis 1948 an. In den Folgejahren entwickelt sich Gütersloh zu einer der einflussreichsten Personen im Wiener Kunstbetrieb und legt 1962, ein Jahr nach dem Staatspreis für Literatur, seinen monumentalen „erzwienerischen“ 800 Seiten Roman Sonne und Mond, eine Art austrokatholische „Universalchronik“ (W. Jens) vor, der die (bundesdeutsche) Literaturkritik vor eine „enthuslastische Ratlosigkeit“ (Der Spiegel, 13/1963) stelle.

Weitere Werke (Auswahl):

Die Rede über Franz Blei oder Der Schriftsteller in der Katholizität (1922); Kain und Abel. Eine Legende (1924); Bekenntnisse eines modernen Malers (1926); Der Maler Alexander Gartenberg (1928); Briefe an Milena 1932-1970 (1980), Der innere Erdteil. Aus den Wörterbüchern (1966); Die Fabel von der Freundschaft (1969); Paradiese der Liebe. Gedichte (1972). Allegorie und Eros. Texte von und über Albert Paris Gütersloh. Hg. von J. Adler (1986)

Literatur:

H. v. Doderer: Der Fall Gütersloh (Wien 1930); Albert Paris Gütersloh. Autor und Werk. (München 1962, o. Hg.); R. Tremel (Hg.): H.v. Doderer-A. Paris Gütersloh Briefwechsel 1928-1962 (München 1986); A.P. Gütersloh zum 100. Geburtstag. Hgg. von H. Martinschik u. H. Hutter (Wien 1987); S. Piontek: Der Mythos von der österreichischen Identität. Überlegungen zu Aspekten der Wirklichkeitsmythisierung in Romanen von A.P. Gütersloh (Frankfurt/M. u.a. 1999); R. Mayerhofer: Essayismus im Romanwerk Albert Paris Güterslohs: Distanz und Integration nichtfiktionaler Strukturen im Roman. (Frankfurt/M.-New York 2006); N.Ch. Wolf: Revolution in Wien. Die literarische Intelligenz im politischen Umbruch 1918/19. (Wien-Göttingen 2018)

Quellen und Dokumente:

O. Rosenfeld: Die tanzende Törin. In: Pester Lloyd, 7.5.1911, S. 28; Ignotus: Paris von Gütersloh. In: Pester Lloyd, 24.12.1911, S. 33-34; J. Oehquist: P.v. Gütersloh: Die tanzende Törin. In: NFP, 14.12.1913, S.37; H. Webinger: Die Oesterreicher auf der römischen Kunstausstellung. In: NWJ, 5.4.1925, S. 8; A. M[arkowitz]: Kunstausstellung 1926. In: AZ, 30.5.1926, S. 9-10; A. M.: Kunstschau 1927. In: AZ, 25.6.1927, S.3-4; H. Ankwicz-Kleehoven: Frühjahrsausstellung der Sezession. In: Wiener Zeitung, 24.6.1930, S. 1-3; E. H. Rainalter: Paris Gütersloh (mit Foto). In: Radio Wien H.18/1931, S. 14; H.v. Doderer: Der Dichter und Maler Gütersloh. In: Der Tag, 7.1.1931, S. 6; H. Ankwicz: Berufung des Malers Gütersloh an die Kunstgewerbeschule. In: Wiener Zeitung, 25.10.1931, S. 6; N.N.: Wiener Wälzer (Über: Sonne und Mond). In: Der Spiegel, Nr.13/1963, S. 84-85.

(PHK)